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Staatsrecht im Römischen Reich Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Das Römische Verfassungsrecht ist der Kern der normativen Ordnung des Römischen Reiches und behandelt dessen staatsrechtliche Handlungsgrundlagen und Regeln auf Ebene der höchsten politischen Ämter in der Zeit zwischen dem 8. Jahrhundert v. Chr. und dem 7. Jahrhundert n. Chr. Betroffen sind davon vornehmlich die leitenden Amtsführer der jeweiligen Epochen, zunächst die Könige, dann die Konsuln und Prätoren, später die Kaiser. Daneben ist das Recht der unter den Konsuln stehenden Magistrate bedeutsam, die innerhalb der Ämterlaufbahn, dem cursus honorum, liegen. Außerhalb der Ämterlaufbahn werden als verfassungsrechtliche Hoheitsträger ganz besonders der römische Senat und das Amt des Diktators erfasst. Der Senat nahm im römischen Verfassungsleben eine permanent aktive Rolle ein, wobei seine anfänglich sehr hohe Autorität im Laufe der Zeit zunehmend untergraben wurde. Andere Ämter entstanden und erloschen. Ebenfalls außerhalb der Ämterlaufbahn standen die Volksversammlungen und die Volkstribunen. Empirisch und soziologisch ist zudem von Bedeutung, dass die Verfassungswirklichkeit, der tatsächliche Umgang mit den normativen Vorgaben, Abweichungen in den Entscheidungsabläufen bereithielt. Eine schriftliche Verfassungsurkunde gab es nie.
Die römische Verfassungsgeschichtsschreibung gilt bezüglich der Zeitalter der Königszeit und weitgehend auch der Republik als sehr unsicher. Die Quellen der erhaltenen Überlieferungen und die Art, wie diese benutzt wurden, werfen häufig Fragen der Glaubwürdigkeit auf. Im günstigen Falle liegen uralte Berichte vor, die mündlich überliefert und trotz möglicherweise vieler Ausschmückungen grundsätzlich authentisch sind. Im ungünstigen Falle lehnen sich Erdichtungen oberflächlich an tatsächliche Ereignisse an, liefern damit jedoch keinerlei Bestimmtheit und Gewähr. Geschichtsschreiber, die die Republik als Weiterentwicklung des Königtums und die Konsuln als Nachfolger der Könige sehen, haben die staatsrechtlichen Verhältnisse entweder rekonstruiert oder einer im Volksbewusstsein lebendig vorherrschenden, alten Überlieferung entnommen, die während der Republik geändert und ausgeschmückt worden sein mag, sodass es sich durchaus um falsche Erzählungen handeln kann, die jedoch das alte Recht richtig widerspiegeln. Die frühe Kaiserzeit ist ordentlich, die späte Kaiserzeit gut bezeugt.
Im Gegensatz zum römischen Zivilrecht, das eine umfangreiche Rezeptionsgeschichte aufweist, wurde römisches Staatsrecht in der Folgezeit nur insoweit aufgenommen und fortentwickelt, als es mit den mittelalterlichen (in Deutschland spätmittelalterlichen) Verfassungszuständen vereinbar war und der Ämterverfassung gerecht wurde. Die Mehrheit der öffentlichrechtlichen Texte des ab der Zeit der Glossatoren vornehmlich rezipierten „Werks des Corpus iuris“ schied entweder aus Gründen von Unstimmigkeiten aus oder es erfolgten vollständige Umdeutungen der Inhalte. Die verbliebenen Texte dienten dem staufischen Universalkaisertum, dann dem westeuropäischen Königtum und letztlich dem deutschen Territorialfürstentum zur Formulierung eigener imperialer Souveränitätsansprüche. Sie forderten in diesem Zusammenhang auch das Gesetzgebungs- und Rechtsprechungsmonopol für sich ein. Den modernen Amts- und Gesetzesbegriffen wurde so der Weg bereitet.
Nach vorherrschender Auffassung der Rechtshistoriker wird der römische Machtbereich verfassungsgeschichtlich in vier Zeitabschnitte unterteilt. Üblicherweise liegt der Darstellung die Abfolge von unterschiedlichen Staatsformen als Einteilungskriterien zugrunde. Diesen soll gefolgt werden. Danach repräsentierte von 753 bis 510/509 v. Chr. zunächst die überwiegend legendäre Römische Königszeit die Herrschaftsverhältnisse in Rom. Ihr folgte, vermittelnd wird das Jahr 509 v. Chr. als deren Beginn genannt, unter Ablösung der monarchischen Struktur die Römische Republik. Sie war aristokratisch geprägt und bezog zunehmend demokratische Züge mit ein. 27 v. Chr. überführte Augustus die Republik in das Zeitalter des Prinzipats, der begrifflich synonym für frühe und hohe Kaiserzeit verwendet wird. Der Prinzipat beendete die jahrzehntelangen innenpolitischen Kämpfe, aus denen die Kräfte der aristokratischen Republik als Verlierer hervorgegangen waren. Die Bemühungen Sullas, etwas später Caesars, für geordnete Verhältnisse im Rahmen einer umfassend eingeräumten Diktatur zu sorgen, katalysierten den Staatsnotstand nur, denn die Republik ließ sich nicht wunschgemäß „wiederherstellen“. Der Beginn eines Systemwechsels hin zur Aufrichtung des Kaisertums ist in der Forschung daher grundsätzlich unstrittig. Schwieriger ist dann der Endpunkt der Kaiserzeit zu bestimmen. Eine Vielzahl von Ereignissen lässt theoretisch eine ebensolche Vielzahl von verfassungsrechtlich denkbaren Zäsuren zu.
Überwiegend verständigt sich die Forschung heute darauf, dass mit Diokletian ab 284 n. Chr. die Epoche der Spätantike (in der älteren althistorischen Forschung auch als Dominat bezeichnet) begann. Prinzipat und späte Kaiserzeit waren gleichermaßen monarchisch, gleichwohl begründet sich die Trennung verfassungsrechtlich aus der andersartigen Struktur der Kaisergewalt. Das Kaisertum der frühen Periode war – bei aller Gewalt über die Untertanen – stark an das Recht gebunden, wohingegen der spätantike Kaiser sich selbst als Gesetzgeber verstand und sich von allen rechtlichen Bindungen befreit sah. Dies kam in einem beträchtlich ansteigenden Bedürfnis zur Abfassung von Kaiserkonstitutionen zum Ausdruck. Die Bestimmung des Ausklangs der Spätantike stellt die Forschung erneut vor (noch größere)[1] Schwierigkeiten. Zumeist koinzidiert das Ende der Spätantike aber mit dem Ende die Regierungszeit Justinians I. Justinian war der letzte Kaiser, der den ernsthaften Versuch unternahm, die Einheit des Reiches wiederherzustellen, indem er unter anderem das klassische Recht „einsammelte“ und kompilierte.
Zwischen dem Zwölftafelgesetz (frühe Republik) und dem knapp eintausend Jahre später entstandenen Corpus iuris (Spätantike) gab es durchaus Kodifikationsversuche. Dazu schickte sich Caesar an, sein Tod kam seinem Verfassungsprojekt allerdings zuvor. 130 n. Chr. ließ Kaiser Hadrian die gesamte Rechtsprechung aller Gerichtsmagistraten redigieren und untermauerte sie mit endgültigen prozessrechtlichen Festschreibungen. Theodosius II. erließ den Codex Theodosianus, mit dem er jedoch nur die Novellen einzusammeln im Stande war, die bis zu 125 Jahre in die Vergangenheit zurückreichten. Vornehmlich wurde mit Einzelgesetzen auf sich aufmerksam gemacht. Sie resultierten häufig aus unzureichenden Möglichkeiten der Auslegung verschiedener Gesetze und Materien der XII Tafeln. Einzelne Lücken sollten durch die Aktivitäten geschlossen werden.[2]
An einer Einteilung des Verfassungsrechts nach epochalen Gesichtspunkten gab es Kritik.
Aus politologischer Sicht wird angeführt, die Königszeit und die Republik präge dem Grunde nach ein gemeinsamer und kontinuierlicher Entwicklungsprozess. Eine Abgrenzung ließe sich sinnvoller nach prägenden rechtlichen und gesellschaftlichen Ereignissen vornehmen, die tatsächliche Veränderungen herbeigeführt hätten. Ab 367 v. Chr. werde nämlich deutlich, dass sich ein ursprünglich patrizischer Adelsstaat zu einer patrizisch-plebeischen Nobilität gewandelt habe.[3] Ausschlaggebend dafür seien die langen Standeskämpfe zwischen Patriziern und Plebejern gewesen, die letzteren schlussendlich nachhaltige Vorteile eingebracht hätten. Begonnen habe dieser Wandlungsprozess bereits mit den Kodifikationen des Zwölftafelgesetzes (um 450 v. Chr.) und der lex Canuleia (445 v. Chr.), dem ein Ausmarsch des Volkes vorangegangen war. Dadurch hätten die Plebejer im zivilrechtlichen Bereich erste Anerkennung erfahren, um den großen Durchbruch 367 v. Chr. mit dem entscheidenden aller Ausmärsche zu erleben, mit der erreicht worden sei, dass die leges Liciniae Sextiae auf den Weg gebracht werden konnten,[4] ein Gesetzespaket, das den Plebejern zusicherte, dass sie Zugang zu den wichtigsten Magistraten, dem Konsulat und der Praetur bekommen würden und damit unmittelbare Beteiligung an den Staatsgeschäften. Dieses rechtliche Zugeständnis wiederum habe nicht nur den Ständekonflikt beendet, sondern die Entwicklung der sich anschließenden Staatsverfassung selbst entscheidend vorangetrieben.[5]
Unter sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Gesichtspunkten wird häufig zwischen einer bauernstaatlichen und einer imperialen Phase Roms unterschieden. Bis Mitte des 3. Jahrhunderts v. Chr. sei Rom ein allein bäuerlich geprägter Gemeindestaat gewesen.[6] Dieser Staat habe seine Regelungen aus lang erprobtem (longa et invertata consuetudo) und unbestrittenem (consensus omnium) Gewohnheitsrecht bezogen,[7] sowie der Väter heiligen Sitte, mos maiorum. Regeneriert habe er sich, indem veraltete oder nicht angewendete Rechtsvorstellungen losgelassen wurden.[8] An diesen archaischen Bauernstaat habe sich die Zeit des Imperialismus angeschlossen, die von hegemonialer Weltherrschaft bestimmt war und bis etwa Ende des 3. Jahrhunderts n. Chr. andauerte.[9]
Gegenüber dem vielbeachteten römischen Privatrecht, war das Verfassungsrecht weitgehend ungeschriebenes Recht. In der frühen Republik wurde das Zwölftafelgesetz als erste und einzige Kodifikation geschaffen. In der Spätantike folgte noch die Rechtskompilation des Corpus iuris, als Kompilation bezeichnet, weil sie altes Gesetzesmaterial „kodifizierte“. Die Rechtsquellen waren vornehmlich gewohnheits- und sakralrechtlicher Natur. Die Praktiken beruhten auf traditionellem mos maiorum, als auf Gebräuchen die althergebracht und allgemein anerkannt waren und häufiger Anwendung unterlagen. Ein Prinzip der Gewaltenteilung war unbekannt, sodass in allen in Rom über die Jahrhunderte praktizierten Staatsformen die Konstitutionen von Verfassung, Verwaltung und Rechtsprechung weitgehend ineinander „verwoben“ auftraten.
Das altrömische Recht hatte eine bauernstaatliche Verfassung, die durch das Zwölftafel-Zeitalter und die ältere Republik hielt. Nach den punischen Kriegen folgte das vorklassische Zeitalter, das rückwärtsgewandt so bezeichnet wird, weil die heutige Forschung aus der bedeutungsschwersten Epoche heraus argumentiert, der klassischen Zeit. Gleichwohl brachte die Vorklassik ab der jüngeren Republik bemerkenswerte Rechtswissenschaft hervor, intensiv kultiviert während des Prinzipat in der klassischen Zeit. In der Spätantike entwickelten sich gegenläufige Tendenzen. Aufgrund seines hohen wissenschaftlichen Anspruchs überforderte das klassische Recht die nunmehr deutlich weniger gut ausgebildeten Juristen, sodass es zunehmend bei Anwendern und Rechtschaffenden in Vergessenheit geriet. Recht musste aus Gründen seiner Funktionsfähigkeit vereinfacht werden und es entstand das (postdiokletianische) Vulgarrecht. Da es an die Traditionen des klassischen Rechts anschloss, wird es auch als nachklassisches Recht bezeichnet. Soweit Vulgarrecht im Westen des Reiches bis ins Mittelalter prägend blieb, konnte es im Osten überwunden werden, denn dort setzte eine Art der klassizistischen Renaissance ein. Die Rückbesinnung auf die alten Klassiker gipfelte in den iustinianischen Kompilationen.[9]
Normiert wurde ursprünglich in leges, seit der hortensischen Gesetzgebung auch in Volksgesetzen, die als plebiscita bezeichnet wurden und den Komitialgesetzen gleichstanden. Als die Volksgesetzgebung in der Zeit des Prinzipats unterging, erlangten die Senatskonsulte Konjunktur. Es wird angenommen, dass die Volksgesetzgebung im Bereich (erbrechtlichen) Vindikationsschutzes durch Centumviralgerichte fortwirkte.[10] Unter den Antoninen verloren Senatskonsulte ihre Kraft dann wieder und erlitten das Schicksal, zu bloßen kaiserlichen Reden zu degenerieren. An ihrer Statt entfalteten sich die Wirkungen der Kaiserkonstitutionen, schlussendlich prägten sie die Gesetzgebung allein.[11]
Die antiken Texte, die Informationen zu den ersten Jahrhunderten Roms überliefern, wurden lange als zuverlässige Geschichtsschreibung betrachtet.[12] Nach und nach erschloss sich aber, dass die Geschichtsschreibung an unzähligen Ungereimtheiten litt, von Niebuhr als unhistorisch,[13] von Bleicken gar als wertlos wahrgenommen.[14] Auch kam die Vermutung auf, dass den Schriftstellern der Antike das zumindest teilweise selbst bewusst war. In der Forschung besteht heute Einigkeit darüber, dass der Kenntnisstand zur römischen Königsverfassung als bescheiden betrachtet werden muss. Erschwert wird die Arbeit noch dadurch, dass in der römischen Frühzeit überhaupt nur wenige schriftliche Werke geschaffen wurden, die Zeugnis ablegen und diese bei der Eroberung Roms durch die Gallier 390 v. Chr. weitgehend verloren gingen. Somit war zum Ende der römischen Republik das verfügbare Material bereits als dürftig einzustufen.
Die Arbeitsweise der frühen Geschichtsschreiber entsprach nicht den heutigen Ansprüchen an eine Geschichtsschreibung, welche sich Quellenkritik zu eigen macht. Allerdings wurde auf historische Quellen ohnehin entweder nicht oder nur beiläufig verwiesen. Oft wurden die Beschreibungen aus den Quellen zur Weiterverarbeitung selbst schon nicht erwähnt, wenn sie nicht willkürlich fortgesponnen wurden. Beispielsweise will Dionysios von Halikarnassos, der die Königszeit sehr breit rezipierte, ergiebige Literatur von Quintus Fabius Pictor studiert haben. Die fehlenden Quellenangaben machen es dem aufmerksamen Leser jedoch nahezu unmöglich, Kontrolle über den Text zu gewinnen, denn die hatte der Autor aufgrund seiner Arbeitsweise selbst schon aus der Hand gegeben. Andere Autoren wie beispielsweise Titus Livius verzichteten wiederum auf Quellenvielfalt und folgten – häufig kritiklos – allein der allgemein bevorzugten Quelle, deren Validität heute im Unklaren liegt.[12] Die kritischen Fragen zu den Quellen können nur insoweit überwunden werden, als eine Mehrzahl von Berichten zum gleichen Lebenssachverhalt sich zur (zumindest eingeschränkten) gegenseitigen Kontrolle eignen. Ein Abweichen von der Überlieferung bleibt allerdings unentdeckt, wenn die Geschichtsschreiber sich übereinstimmend wiederholen.[12]
Dennoch liefern uns die ausführlichsten Berichte zur römischen Königszeit Titus Livius in seiner „Römischen Geschichte“[15] und der Grieche Dionysios von Halikarnassos in seiner „Römischen Archäologie“,[16] jeweils Quellen aus der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts v. Chr. Es ist davon auszugehen, dass lange nach den Ereignissen die historischen Fakten mit Legenden vermischt worden sein dürften. Andererseits berichten die Quellen übereinstimmend, dass Rom ursprünglich von sieben Königen beherrscht wurde. Sie alle wirkten an der ktisis mit, der institutionellen Formierung Roms. Festgehalten wird, dass es keinem der Könige gelang, sich legal in das Regierungsamt zu versetzen und fünf von ihnen Opfer eines gewaltsamen Todes wurden.[17] Zudem vermitteln die Ausführungen Fakten, die die Erstellung einer Königsliste zulassen. Noch frühere Berichterstatter waren Quintus Fabius Pictor und Lucius Cincius Alimentus, die zu den ältesten Geschichtsschreibern überhaupt zählen. Beide waren Senatoren, die in griechischer Sprache schrieben und von Livius als sehr exakte Gewährsleute aufgeführt wurden.[18] Nachrangig bedeutsam ist außerdem Literatur über die Königszeit, die uns Marcus Porcius Cato (Orgines), Lucius Calpurnius Piso und Naevius sowie Ennius hinterlassen haben. Unter den Spätrepublikanern, beschäftigten sich beispielsweise Valerius Antias, Licinius Macer und Claudius Quadrigarius mit dem Königtum. Ausführungen von Cassius Dio gelten als weitgehend bedeutungslos, da die sich auf die Königszeit beziehenden Bücher – bis auf wenige Bruchstücke – verloren sind.[12]
Die Gründung Roms als befestigte Stadt wird dem kulturellen Einflussbereich der Etrusker im frühen 6. Jahrhundert v. Chr. zugeschrieben. Nach der Legende um Romulus und Remus wird das Ereignis auf den 21. April 753 datiert,[19] dies in einem Umfeld, das Martin Schermaier einfriedend so vorstellte: „Die Geschichte des römischen Weltrechts beginnt in einem Gemeinwesen, dessen Verhältnisse wir uns kaum bescheiden genug vorstellen können.“[20] Aber: 300 v. Chr. hatte ein unbekannter griechischer Autor verschiedene Überlieferungen zusammengestellt. Danach müssen zumindest die ersten drei Könige als solche gedeutet worden sein, Romulus als Stadtgründer, Numa Pompilius als Priesterkönig, Tullus Hostilius als Kriegerkönig. Funktional hatten die Könige die oberste Heerführerschaft und die oberste Priesterschaft inne.[21] Theodor Mommsen thematisiert auch die ursprünglichste Königsfunktion überhaupt, die des obersten Richters im Rahmen der staatlichen Gerichtsherrschaft.[22]
Unklar ist, nach welchen Regeln der König (rex) die Herrschaft erlangte. Grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass sie nicht auf Erbfolge beruhte, denn diesen Hinweis geben Schriftzeugnisse zur einzigen von Livius festgehaltenen Ausnahme:[23] So soll der nach der Macht greifende Lucius Tarquinius Superbus den Tod seines Vorgängers Servius Tullius verantwortet haben, um dessen „iusta ac legitima regna“ zum Erlöschen zu bringen.[24] Zu einer vorangegangenen Designation schweigen die Quellen. Möglicherweise aber war die Königswürde doch erblich, denn auch dafür gibt es Indizien. Beispielsweise wird König Ancus Marcius als Enkel des Königs Numa bezeichnet. Dessen Söhne sollen nach Livius den Mord am Etrusker L. Tarquinius Priscus in Auftrag gegeben haben, um den „Usurpator“ beseitigt zu wissen, denn sie sahen sich als die legitimen Nachfolger des Vaters.[25] Tatsächlich wird der Schwiegersohn Servius Tullus Nachfolger. Lucius Tarquinius Superbus wiederum soll nicht nur der Schwiegersohn des Servius Tullus gewesen sein, sondern auch Sohn oder Enkel des L. Tarquinius Priscus. Wie seine beiden Vorgänger, war L. Tarquinius Superbus etruskischer, zwei von ihnen gar tarquinischer, Herkunft.
Das archaische Recht muss als genuin römisch bezeichnet werden. Verbindungen zum etruskischen oder griechischen Recht sind nicht erwiesen. Prägung erfuhr es allein durch religiös motivierten Ritualismus. Die Einzelheiten sind zwar unklar und hypothetisch, aber für den Rechtshistoriker Wolfgang Kunkel stellt sich die Königserhebung am ehesten als ein mystischer Akt dar.[26] Beim augurium deuteten die Priester des ältesten Priesterkollegiums, die Auguren, nach besonderen Regeln die Zeichen der Götter. Übereinstimmend berichten Dionysios von Halikarnassos und Livius, dass Romulus wie Remus ein augurium erhalten hätten, dem einen zwölf, dem anderen sechs Geier zur Vogelschau.[27] Ausführlich schildert Livius auch das augurium bei Numa Pompilius,[28] dann aber brechen die Auspizien zunächst ab, denn Tullus Hostilius und Ancius Marcius sollen keine erhalten haben. Sie seien vom Volk „bestimmt“ oder auch „gewählt“ gewesen (iussit, creavit) und sie seien vom Senat bestätigt worden.[29] In der Literatur Dionysius von Halikarnassos’ fällt ins Auge, dass er stets auf die „Zeichen der Götter“ hinweist.[30] Erst Lucius Tarquinius Priscus und Servius Tullius erhielten als Insigne ihrer Auserwähltheit nochmals ein augurium.[31] Der letzte König Tarquinius Superbus war nicht mehr vom Willen der Götter getragen, worauf letztlich sein Sturz zurückgeführt wird.[32] Der Sturz der Tarquinier soll der Legende nach die Monarchie für Rom noch nicht ganz beendet haben, denn der etruskische König von Clusium, Lars Porsenna, eroberte Rom kurzfristig, war 503 v. Chr. allerdings schon wieder Vergangenheit.
War der römische König im Amt, hatte er die oben beschriebenen religiös-magischen Funktionen in Personalunion inne. Sein Amt brachte umfassende gewohnheitsrechtliche und sakrale Befugnisse mit sich.[33][34] Der König bestätigte thaumaturgische Kräfte vor der Volksversammlung (inauguratio), vergleichbar dem germanischen Sakralkönigtum. Er konnte zur Urteilsfindung die Götterzeichen einholen, zumeist mit Deutungshilfe des Priesterkollegiums. Schwierigste Fälle wurden durch Gottesurteil entschieden.[9] Da die Kurienversammlungen über den Kultus wachten, war ihnen aufgegeben, ihrem königlichen Oberhaupt den göttlichen Weg bei seiner Amtseinführung durch den Auguren zu ebnen und dessen erlangte Kompetenz aufgrund der lex curiata de imperio zu bestätigen.[35]
Die politische Macht des Königs hatte damit einen sakralen Ursprung. Während drei der ersten vier Könige der Frühzeit ihre Funktionen annähernd im Sinne einer heutigen Staatspräsidentschaft ausübten, nahmen die drei auf Lucius Tarquinius Priscus folgenden Herrscher ihre Aufgaben wohl deutlich absolutistischer wahr.[35] Tarquinius Priscus war es auch, der den Grundstein für die Zenturie legte, Hundertschaften von Bürgern, die militärisch die römische Legion bildeten. Die Zenturiatsversammlungen verhandelten auf dem Marsfeld und damit außerhalb der Stadtgrenzen. Diese Versammlungen übten höchste politische Macht aus. Sie wählten Oberbeamte, die über Krieg und Frieden abstimmten, Gesetzgebungsbefugnisse innehatten und strafrichterliche Kapitalprozesse führten.[35] Bereits in der Frühphase der Königszeit entstand im Ostteil des Forum Romanum die Regia, die traditionell als Regierungssitz des zweiten römischen Königs Numa Pompilius bezeichnet wurde und in der schriftlichen Überlieferung als eines der ältesten Gebäude Roms gilt.[36]
Für das antike Rechtsleben hatten die sozialen, sittlichen und auf Herkunftsfragen beruhenden Regeln einen hohen Stellenwert. Sie beruhten umfänglich auf „gelebter Praxis“ und kaum auf „gesetztem Recht“. Letzteres repräsentierte sich durch „Königsgesetze“, die leges regiae.[37] Auch Königsgesetz soll ein Tötungsgesetz (paricidas-Gesetz) des Königs Numa Pompilius gewesen sein, heute verstanden als erste Spur für ein archaisches Strafgesetz. Diese Einschätzung steht vor dem Hintergrund, dass archaische Gesellschaften ein staatliches Strafrecht im Grundsatz nicht kannten. Für die Vergeltung von Straftaten waren die Sippengenossen zuständig. Unter Numa Pompilius soll Blutrache allerdings verboten worden sein. Nach modernerem Verständnis bedeutet ein derartiges Verbot ein gegen jedermann wirkendes Abwehrrecht. Aus der Rechtstradition als ungewohnt zu betrachten, schränkte das Verbot die herkömmliche Sippenordnung empfindlich ein.[35] Vielfach wurde Numa als zivilisatorischer Erneuerer rezipiert, so etwa bei Cicero in De re publica, bei Ovid im 15. Buch der Metamorphosen (Verse 1–11), bei Vergil in der Aeneis, bei Plutarch[38] und Titus Livius.[39] Im Gleichklang bescheinigten die Autoren dem König Numa ein vorausschauendes und bedächtiges Regierungshandeln, der sich hohes Ansehen verschaffte und deshalb für Schiedsfunktionen auf den Plan gerufen gewesen sei.
Die überwiegend römisch-latinischen Bewohner Roms wurden vorwiegend von etruskischen Adelsgeschlechtern dominiert. Die Häupter dieser aristokratischen gentes durften zwar Senatoren stellen, deren politischen Rechte gingen während der Königszeit jedoch nicht über beratende Tätigkeiten hinaus. Umstritten ist geblieben, ob es überhaupt einen Senat während der Königszeit gegeben hat. Soweit bejaht, wird festgehalten, dass während der Kaiserzeit selbstverständliche Kernkompetenzen, wie Gesetzgebung und die Ausübung von Vetorechten, dem Senat während der Königszeit verwehrt gewesen sein sollen. Zugesprochen war ihm bestenfalls angeblich die Zuständigkeit als „Kronrat“, ein Beratungsgremium des Monarchen. Neben insoweit beratenden Funktionen mag die Senatorenschaft den interrex gestellt haben, einen obersten Verwalter für Amtsgeschäfte, die zwischen den Regentschaften der Könige anfielen.[40] Die gentes stellten auch die Volksversammlung, die in 30 Sakralverbände untergliedert war, die sogenannten Kurien. Diese rekrutierten sich jeweils aus Familien gemeinsamer Abstammung. Je zehn Kurien bildeten eine der drei tribūs, Ramnes, Tities und Luceres. Die Namen der tribūs deuten auf einen etruskischen Ursprung, weshalb angenommen wird, dass deren Ordnungsschema zu den ersten Akten einer Staatsorganisation in Rom zählt.[41] Im Rahmen der Kurienversammlungen nahm die Volksversammlung vornehmlich religiös-rituelle Aufgaben wahr.[35]
Zur Gesellschaftsordnung der Königszeit und Grundlage der Verfassung gehörte die Familie (familia). Die familiäre Hausgemeinschaft bestand aus Menschen, Tieren und Sachen und befand sich insgesamt in Händen (manus) des pater familias, der die Allgewalt in eigener Verantwortung ausübte (patria potestas). Die in die Familie eintretende Ehefrau und die Ehefrauen der Söhne und Enkel unterlagen der väterlichen Hausgewalt ebenfalls.[41]
Im öffentlichen Magistratsrecht, Beamte wurden inauguriert, aber auch im Bereich der privatrechtlichen Rechtsgeschäfte, wurden Züge altrömischer Religion sichtbar, etwa in Gestalt der rituellen Gebärden bei den Geschäftstypen der Manzipation und der Stipulation. Diese Riten waren allgegenwärtig und ihr Einfluss reichte zeitlich weit über die Ära der XII Tafeln hinaus.[35]
Der Überlieferung nach wurde die Königszeit mit dem Sturz des letzten etruskischen Königs Lucius Tarquinius Superbus im Jahr 510 v. Chr. beendet. Ausgangspunkt dafür soll die von Althistorikern als spätere Erfindung abgetane „Schändung der Lucretia“ gewesen sein,[42] gefeiert als Gründungsmythos der Republik. Die Legende betont allerdings die Urheberschaft durch eine monarchiefeindliche Adelsrevolte. Der Adel etablierte nach anfänglichen Wirren den Senat als beherrschenden Spruchkörper, denn der setzte sich aus Vertretern ihrer Interessen zusammen (Adelsrat). Der Senat bestimmte fortan jährlich wiederkehrend den praetor maximus. Diesem Jahresmagistrat oblag die Oberfunktion für die Regierungsgeschäfte.
Beim König waren allein die religiösen Funktionen verblieben. Er amtierte als rex sacrorum, der bisweilen auch als rex sacrificolus, rex sacrificiorum oder rex sacerdos bezeichnet wurde. Er verrichtete kultische Dienste an Janus. Mit Aufkommen des Jupiterpriesters schwand seine Bedeutung wohl wieder, wobei die Bedeutungsschwerpunkte der Verehrungskulte im Einzelnen umstritten sind.[43] Unumstritten andererseits ist, dass als Überbleibsel der Königszeit, der rex sacrorum – trotz höchsten Priesterrangs – dem pontifex maximus hierarchisch unterstellt war.[44] Dies geschah nicht ohne Grund, denn die politische Elite der Republik und sogar noch der Kaiserzeit trieb die Sorge um, dass das Königsamt wieder erstarken könnte. Um die Regeneration der königlichen Macht zu verhindern, wurde das Amt beaufsichtigt.[45]
An die Königszeit erinnert auch das politische Amt des Zwischenkönigs (interrex). Livius datiert die Entstehung des Dienstes im Sinne dieses Titels in die Zeit, die dem ersten König Romulus unmittelbar folgte: Unklar war, wer Romulus folgen sollte, weshalb zehn Decurien gebildet wurden, die einen Vorsteher wählten, der alle 5 Tage wechselte und mit Imperium und liktorischem Begleitschutz („cum insignibus imperii et lictoribus“) ausgestattet war. Für diese Zeit galt der als interrex.[46] Die Unzufriedenheit im Volk führte jedoch zur Wahl des zweiten Königs, Numa Pompilius. Bedeutung erlangte das Amt des Zwischenkönigs später für die Übergangsregierung (interregnum) zwischen den Königen und bestand in dieser Form weiter in der Republik fort und zwar für den Fall, dass beide Konsuln vorzeitig aus ihren Ämtern ausgeschieden waren. Letztmals geschah das 52 v. Chr.[47]
Die eigentliche Konsularverfassung dürfte nach Auffassung vieler Forscher erst später begründet worden sein. Während der Zeit der Republik blieb sie formell in Kraft, sogar bis zur Neuordnung durch Kaiser Diokletian (Ende des Prinzipats). Königliche Insignien wie das elfenbeinerne Zepter und der elfenbeinerne Thron, sollen Dionysios folgend, auch bei den ersten Konsuln noch eine Rolle gespielt haben.[48]
Oberflächlich betrachtet ähneln sich die Verfassungen der Königszeit und der Republik. Die Ämter und Funktionen nennen sich grundsätzlich noch gleich. Bei eingehenderer Betrachtung zeigt sich aber eine Verschiebung der Bedeutung der Institutionen. Da die Historizität offen bleiben muss, kann das an Quellen nur insoweit festgemacht werden, als Abweichungen zu Vorzuständen beschrieben werden. Die politische Gewalt lag demnach weiterhin bei der Magistratur. Teils wurden Kompetenzen funktional erweitert, teils wurden sie reduziert. Als ernster Gegenspieler wurde der Senat important, der in neuer Zusammensetzung mit umfangreichen Rechten ausgestattet worden war. Er konnte selbständig Einfluss auf die Regierungsgeschäfte nehmen. Auch die Volksgemeinde nahm einen Teil des Kompetenzverlustes der Magistratur auf und verantwortete eigene politische Rechtskompetenzen.[49]
Mit dem Sturz des letzten Königs im Jahr 510 v. Chr. trat außerdem das Kollegium der Pontifices in den Blick der römischen Öffentlichkeit. Sie waren Staatspriester, die vornehmlich dem Kult und Ritus verpflichtet waren. Sie kontaktierten die Götter mittels Opfern, sie formulierten Verträge und stellten den Bürgern die Regelwerke zur Ehrung der Götter und gedeihlichen Lebens untereinander auf. Sie hatten alle sakralrechtliche Handlungshoheit (ius) inne. Sie sorgten für die Festsetzung der Gerichtstage und -programme, gaben die Spruchformeln für die Klagen vor. Während der „mittleren Republik“ nahmen die Pontifices in der Geistlichkeit sukzessive die führende Stellung ein. Rituale und Sprache, die die Gesetzesabfassung und die Regelung der Bedingungen von Rechtsgeschäften begleiteten, unterschieden sich von der der Auguren erheblich, sodass bald von der „pontifikalen Jurisprudenz der Republik“ die Rede war. Die Auslegung der Gesetze erfolgte dabei streng wortlautgerecht. Spielräume für rechtliche Interpretationen gab es nicht, analoge Betrachtungen waren undenkbar. Aufgrund ihres unbeugsamen und starren Festhaltens an diesen kasuistischen Grundsätzen kam die Geistlichkeit bis zur Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. in den Ruf eines unflexiblen „pontifikalen Rigorismus“.[50]
Für auswärtige Angelegenheiten, wurde der pater patratus aus dem Priesterkollegium der Fetialen bedeutsam. Ihm oblag – die Historizität ist allerdings umstritten – die Aufgabe des Abschlusses beschworener Vereinbarungen (foedera), die der Freundschafts-, Bündnis- oder Friedensregelung dienten.[51][52]
Zunehmend wirkten sich die hellenistischen Einflüsse auf das rigoristische Rechtssystem aus. 156/5 v. Chr. hielt eine athenische Gesandtschaft Lehrvorträge vor der römischen Nobilität. Besonders die metaphysische Universallehre der Stoa wirkte auf die römische Gesellschaft ein. Die spätrepublikanische Jurisprudenz verschloss sich den geistigen Einflüssen nicht. Hochkarätige Juristen, wie Publius Mucius Scaevola oder Publius Rutilius Rufus begannen die Jurisprudenz ersten wissenschaftlichem Ansprüchen auszusetzen. Das führte dazu, dass Rechtsschulen gegründet wurden, die erste Methodenlehren entwickelten und streitbar miteinander diskutierten. Helmut Coing führt vieles dabei auf Aristoteles zurück,[53] denn die Präzisierung der Rechtssprache und -institute weisen auf dessen wissenschafts- und staatstheoretischen Diskurse hin. Aus der Logik konnten Abstrahierungen und Begründungsstrukturen für das Rechtsdenken gezogen werden Argumentationskraft und rechtliche Gestaltungsökonomie erschienen in neuem Licht. Trotz der Spruchformelgebundenheit entwickelten sich Methoden der Dialektik (argumentum e contrario, argumentum a minori ad maius).[53] In Summe gehören sie zur allgemeinen Argumentation, die Aristoteles in seiner Topik mit dem Ziel erörtert hatte, aus wahrscheinlichen Sätzen beliebigen Inhalts Schlüsse zu ziehen.
Cicero führte in seiner Topica einem Freunde (Trebatius) eine ganze Reihe solcher Schlussformen in Anwendung auf juristische Probleme vor. Er gedachte seines Vorbildes Aristoteles ausdrücklich.[54][53]
Insbesondere wurde das antike Verständnis von Gerechtigkeit im Recht eingeführt. Vormals hatte sich der Rechtsanwender auf die strikte Befolgung von Gesetzen beschränkt. So konnte nicht ausbleiben, dass sich ein Grundsatz von Treu und Glauben (bona fides) herauskristallisierte, der ins moderne Recht fortgetragen wurde.[35]
Eine geschriebene Verfassung im formellen Sinn existierte nicht. Es benötigte Jahrhunderte bis sich die Regelwerke der Republik herauskristallisierten. Stark aber prägte der mos maiorum den Charakter der republikanischen Ordnung. Zum ganz überwiegenden Teil war die Verfassung ungeschrieben.[55] Aufgenommen wurden die ungeschriebenen Verfassungsgrundsätze durch die Praxis der staatlichen Einrichtungen (instituta) und die hergebrachte Konsenskultur (exempla maiorum).[56] Die republikanische Verfassungsgeschichte kennzeichnet sich als Staatspraxis. Die Verfassung wuchs durch die Praxis. „Recht“ und „Rechtsnorm“ standen vornehmlich außerhalb des Gesetzesrechts.[55] Unter Bezugnahme darauf, erlangten einige Prinzipien der Magistratur besondere Bedeutung. So galt zunächst das Annuitätsprinzip, sämtliche Magistraturen durften lediglich für die Dauer von einem Jahr ausgeübt werden.[57] Mit dem Annuitätsprinzip verknüpft wurde das Iterationsverbot. Zur Belebung der Regierungsgeschäfte und politischen Erneuerungsfähigkeit war damit eine zweite Amtszeit ausgeschlossen worden. Beamten wurde außerdem verboten, Ämter unmittelbar aneinanderhängend auszuüben. Mit Ausnahme des Zensorenamtes und der Diktatur wurden alle übrigen Ämter von mindestens zwei Personen gleichzeitig, also kollegial, besetzt. Interzessionsrechte dienten der gegenseitigen Kontrolle und jeder Amtsinhaber konnte Entscheidungen seines Kollegen verhindern, sogar rückgängig machen. Zu einem Amt war legitimiert, wer im Rahmen des cursus honorum zuvor das nächstniedrigere Amt eingenommen hatte. Einen Verwaltungsapparat im Sinne einer Exekutive kannte die Republik nicht. Einzelne Verwaltungsstrukturen beispielsweise der Polizeigewalt (tresviri capitales) waren aber durchaus etabliert.[55]
Problematisch ist die theoretische Erfassung der republikanischen Konsularverfassung. Da ein Gewaltenteilungsprinzip in der Antike nicht vorherrschte, verwundert den heutigen Betrachter die eigentümliche Vermengung grundverschiedener Aufgabenstellungen innerhalb ein und desselben Magistrats. So stießen zivile und öffentliche Aufgabenstellungen in einer Funktion genauso aufeinander, wie gesetzgeberische und verwaltende Tätigkeiten. Auch eine verfassungsreine Herrschaftsform lässt sich nicht feststellen. Am ehesten geht die Forschung daher von einer Mischverfassung aus, die sich aus monarchischen, aristokratischen und demokratischen Elementen zusammensetzt.[35] Schon Polybios charakterisierte das republikanische Rom in seiner Geschichtsschreibung als eine komplexe Zusammenführung einzelner Verfassungselemente, erwachsen aus dem althergebrachten Sittenkodex. So zeige sich das Prinzip der Monarchie im Konsulat, das der Aristokratie im Senat und das der Demokratie in der Volksversammlung. Es wird vermutet, dass mit diesem Konstrukt höchstmögliche Stabilität erzeugt werden sollte.
Die Gesetzgebungskompetenzen und die formelle Zuständigkeit für Gesetzgebungsverfahren lagen in der römischen Republik in unterschiedlichen Händen. Wichtigste Gesetzesform waren die leges, zuständig für deren Erlass waren die Komitien. Diese waren kompliziert gegliedert und nach festen Verfahrensreglements organisiert. Ab der mittleren Republik und zum Ende dieser Verfassungsform verstärkt, kamen die prominenten Plebiszite auf, welche in den Versammlungen der Plebs beschlossen wurden. Leitbild der Gesetzesbeschlussverfahren waren die leges. Nicht zu den Gesetzen zählten die Senatsbeschlüsse, sie gingen erst in der Kaiserzeit in die gesetzliche Entwicklungsgeschichte ein. Nach republikanischem Verständnis waren sie unverbindliche Empfehlungen, Kommuniqués, das trotz einer zentralen Rolle des römischen Senats. Schließlich war jeder Magistrat noch ermächtigt, die Maßnahmen seines Kompetenzbereiches bekanntzugeben – besonders taten sich dabei die Prätoren mit ihren rechtlichen Aufgabenstellungen hervor[58] –, die während seiner Amtsperiode verbindlich werden würden. Diese sogenannten Edikte waren trotz unmittelbarer Wirkung im Rechtsalltag keine Gesetze. Ihnen fehlte der Charakter der Kontinuität. Mit Amtsabtritt des Magistraten erloschen sie wieder.
Gesetzgebung sollte dabei helfen, Probleme gezielt zu bewältigen und das soziale Leben zu steuern. So war es schon in den XII Tafeln angedacht, denn sie repräsentierten keine gelehrte erkenntnistheoretische Rechtsaufzeichnung, sie brachten politische Zielvorstellungen zum Ausdruck. Die Aufzeichnung selbst verdingt sich der Wahrung des Rechtsfriedens. Noch deutlicher wurden politische Einflussnahmen in die legislatorischen Akte bei der „gracchischen Reformgesetzgebung“ oder bei den „augusteiischen Ehegesetzen“ der frühen Kaiserzeit. Und immer noch war es die Absicht der Überwindung eines Notstands, als Diokletian die wirtschaftspolitisch motivierten Preisverordnungen zu Beginn der Spätantike auf den Weg brachte. Die Maßnahmen mündeten im Einzelfallgesetz. Häufig waren die Gesetze Abwehrversuche durch Bildung von Umgehungstatbeständen.[59]
Am Anfang soll der praetor maximus gestanden haben. Als einziger Oberbeamter, möglicherweise Träger alter königlicher Gewalt,[60] könnte er aus der Königszeit hervorgegangen sein. Möglicherweise an ihn angelehnt, etablierte sich durch die Leges Liciniae Sextiae das Konsulat. Ob das Konsulat beim Sturz des letzten Königs bereits bestanden hatte, ist strittig. Die Sage betont, dass erster Konsul, Lucius Iunius Brutus gewesen war. In der Phase der Republik wurde das Amt zur höchsten Staatsgewalt. Diese ging ab dem 4. Jahrhundert v. Chr. von zwei Konsuln aus. In funktional abgewandelter Form scheint der praetor maximus den Konsuln anfänglich innerhalb eines Dreierkollegiums vorangestanden zu haben.[35] Die Quellen werfen kein deutliches Licht auf die Entwicklungsgeschichte des Verhältnisses zwischen den Konsuln und dem Prätor. Spätestens ab 367 v. Chr. war den Konsuln jedenfalls aufgegeben, kollegial zusammenzuarbeiten. Sie hatten imperium maius inne, was unbeschränkte Amtsgewalt bedeutete. Ihrer Oberaufsicht unterlagen die gesamte Zivil- und Militärverwaltung, die Gerichts- und Gesetzeshoheit, das Recht zur Senatorenernennung und die Kompetenz zur Einberufung von Senat und Volksversammlung.
Um potentiellem Rechts- und Machtmissbrauch der Konsuln wirksam entgegenzutreten, waren die Außen- und Finanzpolitik an den Senat vergeben. Die Volkstribune erhielten Vetorechte und galten als sakrosankt, also unverletzlich.[61] Die Praetur[62] erhielt den Hoheitsbereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit (iurisdictio) übertragen. Zu Beginn eines Amtsjahres legte der Prätor die Grundsätze der Rechtsanwendung und Rechtsschutzverheißung (Klagen, Einreden und Einwendungen) fest. Ab 366 v. Chr. gingen die fiskalrechtlichen Angelegenheiten und die Organisation der Heeresgliederung auf den Zensor über, der ab 312 v. Chr. anstelle der Konsuln zudem das Recht der Ernennung der Senatoren aufgetragen erhielt.
Als collega minor der Konsuln hatte der Prätor imperiale Befugnisse. Er konnte die Konsuln in Kriegszeiten oder aufgrund von sonstiger Abwesenheit vertreten. Um 242 v. Chr. wurde dem Stadtprätor (praetor urbanus) noch ein Fremdenprätor (praetor peregrinus) zur Seite gestellt. Dieser leitete die Prozesse von Nichtbürgern. Ab 227 v. Chr. wurden zur Verwaltung neuerworbener Provinzen weitere Prätoren eingesetzt. Der Stadtprätor konnte seine Anordnungsbefugnis dazu nutzen, Rechtsprechungsregelungen weiterzuentwickeln. Die prominenten XII Tafeln unterlagen zunehmend aktueller Interpretationsfähigkeit. Das löste vermehrt „magistratische Rechtsschöpfung“ aus.[63] Iulianus, ein anerkannter Jurist während der Amtszeit Kaiser Hadrians, formulierte 130 n. Chr. eine endgültige Fassung des prätorischen Edikts, das edictum perpetuum. Dieses war nicht mehr prätorisches Allmachtszeugnis in Rechtsangelegenheiten, denn die Entwicklung des Rechts lag zu diesem Zeitpunkt bereits in den Händen des Kaisers und dessen Rechtsberatern.
Ein weiteres Ordnungsorgan waren die Liktoren. Außerhalb der Stadtgrenze waren sie mit dem Amtssymbol der höchsten Machthaber ausgerüstet, dem Liktorenbündel. Innerhalb der Stadtgrenzen hatten römische Bürger ein Provokationsrecht gegenüber der Volksversammlung, wenn sie sich durch die Gewalt staatlicher Magistrate beeinträchtigt sahen.[35] Ädilen, Volkstribune und Quästoren hatten kein Imperium. Sie übten sachlich definierte und untergeordnete Amtsgewalten aus, Ädilen im Rahmen der Versorgungsfürsorge als Getreidebeaufsichtigte, Veranstalter öffentlicher Spiele und Polizei, Quästoren als Aufsichtsbefugte über die Staatskasse.
Die Konsuln hatten Vetorechte (iura intercedendi), die sie gegen prätorische Anordnungen geltend machen konnten. In Krisenzeiten durfte sich das Kollegium der Konsuln auflösen, um die Amtsaufgaben auf den Diktator übertragen zu können.[9] Der wiederum unterlag keinen einschränkenden Maßregeln, denn er war supermächtiger außerordentlicher Beamter, allein der Aufgabe verpflichtet.
Das Königsamt degenerierte zum rex sacrorum; seine Würde erschöpfte sich in den Befugnissen des religiösen Opferkönigs. Dieses Amt ließ man bestehen, weil bestimmte sakrale Aufgaben weiterhin durch einen „König“ (eine Person mit diesem Titel) wahrzunehmen waren.[35]
Einen klassisch-aristokratischen Spruchkörper repräsentierte das Kontroll- und Gesetzgebungsorgan des römischen Senats. Kunkel sprach von ihm anerkennend als dem „ruhenden Pol des römischen Staatslebens.“[64] In der Königszeit gehörten ihm ausschließlich Angehörige patrizischer Adelsgeschlechter an, die in das verhältnismäßig unbedeutende Amt „hineingeboren“ wurden. Während der Republik erlangte der Senat sehr hohe Bedeutung, die Senatoren wurden zunächst von den Konsuln, ab 312 v. Chr. von den Zensoren „auf Lebenszeit“ ernannt. Zur Hervorhebung der Bedeutung, kamen anfänglich nur ehemalige Magistrate mit imperium in Betracht, also ehemalige Prätoren und Konsuln. Später konnten auch nachrangige Amtsvertreter in die senatorische Nobilität aufsteigen, wenn sie den cursus honorum durchlaufen hatten. Ab Ende des 3. Jahrhunderts v. Chr. stand das Amt sogar kurulischen Ädilen offen, ab Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr. Volkstribunen und plebejischen Ädilen, ab 81 v. Chr. Quästoren. Die Erstellung der Senatsliste (lectio senatus) erfolgte in der „hohen Republik“ regelmäßig alle fünf Jahre, weshalb es lange dauern konnte, bis ein Senator offiziell dazugehörte (qui in senatu sunt). Unter Diktator Sulla wurde die Zahl der Senatsmitglieder im Zeichen der personellen Schwächung durch den Bürgerkrieg von 300 auf 600 Personen verdoppelt. Unter Caesar stieg die Anzahl zeitweilig auf rund 900 bis 1000 Senatoren an. Senatsbeschlüsse erforderten eine Stimmenanzahl von 100. Wichtigster Tagungsort war die Curia Hostilia am östlichen Rand des (heutigen) Forum Romanum, nach derer Zerstörung im Jahr 52 v. Chr., die Curia Iulia. Gelegentlich wich der Senat zu seinen Sitzungen in Tempelanlagen aus, wie den Tempel des kapitolinischen Iuppiter oder den Dioskurentempel.
Die Einberufung des Senats erfolgte durch einen Imperialträger, sobald der Ratschlag benötigte.[65] Der Senat konnte de jure zwar nur Rat erteilen, de facto schuf er politisch tragende Entscheidungen. Rechtlich nicht durch Annuität oder Kollegialitätspflichten beschränkt, vermochte er mit hoher Kontinuität zu arbeiten und gerierte sich spätestens zu Zeiten der „späten Republik“ als eigentliches Führungsorgan der res publica.
Ob der Senat als Legislativ- und Exekutivorgan in der Verfassung der Republik zu verstehen sei, wurde insbesondere im 19. und 20. Jahrhundert kontrovers diskutiert. Während die Althistoriker Theodor Mommsen und Joseph Rubino den Senat lediglich als „Verstärkung der Magistratur“ verstanden,[66] was ihn als akzessorisches Bestandteil gesamtpolitischer Willensbildung erscheinen lässt und überdies in die Nähe eines „monarchischen Grundgedankens“ rückt,[67] gilt diese Auffassung heute als überholt. Folgt man dem Rechtshistoriker Wolfgang Kunkel, so schuf der Senat Verfassungsrecht. Stellvertretend für große Teile der verfassungsgeschichtlichen Forschung,[68] geht er sogar davon aus, dass der Senat – zumindest in der späten Republik – das beherrschende verfassungsrechtliche Regierungsorgan war.[69] Dazu verweist Kunkel auf eine ciceronische Redestelle welche betont, dass alle Amtsträger (Magistrate) dem Willen des Senats untergeordnet waren.[70] Das wiederum habe eine Tradition fortgeschrieben, die in der Überlieferung bereits Romulus zu spüren bekommen habe. Das staatstheoretische Werk Ciceros, De re publica, enthalte den Nachweis, dass die Befugnisse Romulus’ (auspicia) durch einen ebenbürtigen Senat eingegrenzt gewesen seien, welcher ihm an die Seite gestellt war (…et senatus).[71] Er sieht den Senat nicht so, dass er vornehmlich gesetzgebende Instanz (Legislative) und daneben auf dem Gebiet der Exekutive bloße Kontrollinstanz gewesen sei, vielmehr stelle er im Zusammenwirken mit der Magistratur selbst die Exekutive dar. Die rechtspolitische Kompetenz des Senats fasst Kunkel so zusammen, dass er eine Parallele zur Verwaltungsarbeit und -hoheit des deutschen Gemeinderates (auf kommunaler Ebene) zieht.[69] Romanist Max Kaser zufolge, existierten in Roms Volksordnung zwei unabhängige Legitimatoren: einerseits eine Rechtsordnung, andererseits eine rechtsfreie Machtordnung. Seiner Auffassung nach habe der Senat „neben dem Recht bestanden“.[72]
Senatsbeschlüsse unterlagen der auctoritas senatus. Obgleich verfassungsrechtlich nicht konstitutiv bindend, wurden sie von den Magistraten regelmäßig umgesetzt. Die hohe Identifikation mit dem Senat äußert sich im Hoheitszeichen S.P.Q.R., senatus populusque romanus („Senat und Volk von Rom“). Mittels des senatus consultum ultimum konnte der Senat den Ausnahmezustand ausrufen[73] und den Konsuln diktatorische Vollmachten übertragen.[9] Zur Geschichte des Senats dieser Zeit gehört auch, dass Julius Caesar sich gegen ihn erhob, ihn entmachtete und sich, begleitet vom währenden Bürgerkrieg, zum „Diktator auf Lebenszeit“ ernennen ließ.
Verfassungsorgan: | staatstheoretische Einordnung: |
Konsulat | monarchisches Element |
Senat | aristokratisches Element |
Römisches Volk | demokratisches Element |
Demokratisch hingegen aufgebaut waren die Volksversammlungen, zudem dreigliedrig organisiert. Im Rahmen der comitia brachte das Gesamtvolk (populus Romanus) seinen politischen Willen zum Ausdruck. Aus der Königszeit überbracht waren die Kurienversammlungen, die gegen Ende der Republik förmlich zwar noch bestanden, aber keine echte Volksversammlung mehr waren. Ihre Funktion erschöpfte sich in der formalen Amtsbestätigung von Imperialträgern und der Beteiligung bei zwei klassischen Privatrechtsakten, der adrogatio (Annahme an Sohnes Statt, Adoptivrecht) und dem testamentum calatis comitis (Erbeinsetzungsfragen). Die Zenturiatsversammlungen, ursprünglich Heeresversammlungen, wählten auf dem Marsfeld die Zensoren, Konsuln, Prätoren und den obersten Wächter des altrömischen Götterkults, den pontifex maximus. Letzterer führte die Oberaufsicht über alle sakralen Angelegenheiten. In der gesetzgebenden Volksversammlung hingegen wurden politisch bedeutende Entscheidungen über Krieg und Frieden getroffen, Gesetze verabschiedet und Verbrechen verhandelt. In einer dritten Volksversammlung, der städtischen Stammesversammlung, die während der mittleren Republik in 35 Bürgerschaften (tribūs) gegliedert war, wurden Ädilen, Quästoren und die vigintisexviri gewählt. Letztere waren einfache Richter oder Beamte (magistrati minores), die noch bevor sie in die senatorische Ämterlaufbahn eintraten, üblicherweise Gerichtsverhandlungen abhielten. Die ersten 21 Bürgerschaften des römischen Staatsgebiets entstanden angeblich schon bis 495 v. Chr.[74] Nach Schaffung weiterer 14 Bürgerschaften im 4. und 3. Jahrhundert v. Chr., wurden 241 v. Chr. Velina und Quirina eingerichtet. Die Stammesversammlung wollte mit der ungeraden Anzahl an tribūs verhindern, dass Pattsituationen bei Abstimmungen entstehen.
Im gesetzlichen Spruchkörper des concilium plebis führte das Volk unter Ausschluss weiterer Öffentlichkeit seine Sonderverhandlungen. Das Gremium war ähnlich den Stammesversammlungen organisiert und tagte im comitium. Dort wurden die Volkstribunen und die plebejischen Ädilen gewählt. An Empfehlungen und Vorgaben des Senats war das concilium plebis nicht gebunden.[9]
Die Wahl der höchsten Staatsbeamten, auch der Konsuln, war somit in die Hände der Zenturiatskomitien gelegt. Seit den Leges Liciniae Sextae stand dieses Amt auch Plebejern offen,[75] erstmals praktiziert 342 v. Chr. Das aus der internen Führungsschicht des „plebs“ entstandene Volkstribunat wählte in seinen Versammlungen (concilia plebis) jährlich zunächst zwei, später zehn ständige politische Interessensvertreter gegenüber der aristokratisch-patrizischen Staatsführung, die tribuni plebis. Ausgestattet waren sie mit Schutzrechten ihres Standes (ius auxilii) und Interventionsrechten (ius intercedendi). Wie sich neues Recht etablieren und das Staatswesen verändern konnte, verdeutlicht die Entstehung der aus den Standeskämpfen hervorgegangenen tribunizischen Gewalt der Volksversammlung. Der „plebs“ forderte Zugang zu den höheren Verwaltungsämtern, denn bislang war ihm eine Karriere über das Amt des Ädilen hinaus verwehrt. Die Plebejer zogen aus der Stadt aus, auf den Aventin, um ihrer Forderung nach Gleichberechtigung Druck zu verleihen. Ein Stadtauszug (secessio plebis) wurde in Rom als „Streikmaßnahme“ verstanden und als rechtswidriger Gewaltakt verurteilt. Gleichwohl duldete die patrizische Gegenseite ihn stillschweigend, da die Furcht bestand, die Plebejer würden ihre Aufstände noch verschärfen. Faktisch bedeutete dies die Einführung des Volkstribunats, denn das Patriziat begann die Duldung als faktischen Rechtszustand zu akzeptieren. Der „plebs“ lenkte sein unverbrüchliches Interzessionsrecht gegen jedes Amt, die Patrizier waren auf die Volksversammlung beschränkt. Ein illegal entstandener Spruchkörper hatte sich legalisiert. Letztlich wurden die Tribunen in den cursus honorum integriert. Die lex Ogulnia 300 v. Chr. erlaubte es Plebejern, auch Pontifikat und Augurat auszuüben. Noch in der Spätphase der Republik wurde unter Sulla das Volkstribunat aus dem cursus wieder extegriert.[76]
Gesetze stärkten den „plebs“ zusätzlich. Durch die lex Hortensia (287 v. Chr.) erlangten Beschlüsse Gesetzeskraft. Plebiszite waren über die Grenzen Roms hinaus für den Gesamtstaat verbindlich. Fortan wurden plebiscita als leges bezeichnet.[77] Die lex Aquilia (286 v. Chr. ?) regelte Schadenersatzansprüche und kam über das erste Plebiszit überhaupt zustande, eines der letzten Plebiszite war die lex Falcidia.[78] Die lex Claudia de nave senatorum wurde gar gegen den Widerstand des Senats durchgesetzt.[79]
Nach Beendigung der Standeskämpfe und dem innenpolitischen Friedensschluss im Jahr 367 v. Chr. (leges Liciniae Sextiae), peilte das nunmehr gefestigte Rom die Vorherrschaft in Latium an. Diese errang sie 338 v. Chr. Bis zum Jahr 275 v. Chr. war ganz Italien unterworfen. Rom stieg zur Großmacht auf, was Begehrlichkeiten mit Karthago auslöste, das den westlichen Mittelmeerraum beherrschte. Mit dem Ersten Punischen Krieg verleibte sich Rom 241 v. Chr. mit Sicilia seine erste überseeische Provinz ein. Weiterer Expansionsdrang bescherte dem Reich im Zweiten Punischen Krieg 201 v. Chr. Hispanien. Mittels geschickt geschmiedeter Bündnisse, treu ansonsten dem Leitspruch „divide et impera“ („teile und herrsche“), brachte Rom bis 168 v. Chr. große Teile des hellenistisch orientierten Ostens des Mittelmeerraums unter Kontrolle. Den dabei eroberten Gebieten wurden teils abgestufte Selbstverwaltungsrechte eingeräumt, teils wurden sie in römische Provinzen verwandelt. So entstanden Africa, Achaea oder Asia. In den Provinzen wurden römische Statthalter eingesetzt und in der Hoffnung, den unmittelbaren Einfluss in der Region zu festigen, römisches Volk angesiedelt.[9]
Allerdings stellte sich heraus, dass diejenigen Verfassungsmechanismen, die während der innerrömischen Ständekonflikte tadellos funktioniert hatten, inprobat für ein unangreifbares Weltreich waren. Neid, Missgunst, Korruption, Erpressung und überzogene Machtgelüste prägten den konservativ-patrizischen und senatstreuen römischen Uradel sowie die patrizisch-plebejische Geldaristokratie gleichermaßen. Dann scheiterte die Gracchische Reform (leges Semproniae und lex Sempronia agraria), ein Land- und Sozialreformenpaket zur Wiederherstellung des einst freien Bauernstaates. Vornehmlich die marxistische Forschung betont, dass Verfallselemente in der fehlerhaften Bewirtschaftung der Produktionsmittel lagen, insbesondere seien in diesem Sinne der zunehmende Verlust von gemeinschaftlichem Grundeigentum und die brutale antike Sklavenhaltung zu nennen.[80] Das spätrepublikanisch-imperiale Rom erlebte einen tiefgreifenden Wandel in den wirtschaftlichen Beziehungen im Mittelmeerraum, wo es seine Vorherrschaft ausübte. Imperialismus und eine auf Sklaverei aufbauende Gesellschaft führten Rom in einen Krisenmodus, der Mitte des 2. Jahrhunderts eskalierte, die Republik an den Abgrund steuerte und den Übergang in die Kaiserzeit herbeiführte.[81]
Ihn prägender Zeitzeuge der gracchischen Reformbemühungen war Sulla. Er musste den Beginn einer Geschichte von Verfassungsbrüchen und Gewaltakten mit ansehen. So nahm er wahr, dass der Senat bei Gesetzesvorlagen einfach umgangen wurde und registrierte genauso, dass die Volkstribunen um ihre Rechte beschnitten wurden, denn sie konnten keine Interzessionen mehr gegen Gesetzesvorlagen vortragen. Es wurde unrechtmäßig in Eigentumsrechte eingegriffen, ebenso in senatorische Hoheitsrechte, so in die Finanzverwaltung (Erbe des Königs Attalos von Pergamon). Das veranlasste den Senat dazu den Staatsnotstand auszurufen. Als Tote zu beklagen waren, war eine handfeste Krise entstanden. In deren Zentrum standen im Ringen um die Macht die Lager der Optimaten, die die konservativen Ideale und eine Adels- wie Senatsvorherrschaft verteidigten und die Popularen, Vertreter des Volkes. In Kriegszeiten zeichnete sich ab, dass das Machtwort des Kommandanten den Soldaten stärker ertüchtige, als die Identifizierung mit dem republikanischen Staatswesen. Es tobte alsbald ein offener Bürgerkrieg. Verfassungsrechtliche Dimensionen nahm zudem der Bundesgenossenkrieg an, ein Kampf italischer Stämme um das römische Bürgerrecht.
Zu guter Letzt nahm Sulla das Amt des Diktators in Anspruch. Es war lange nicht zum Einsatz gekommen, aber es existierte für besondere Ordnungszwecke noch im Kreise der Ämterhierarchie. Sulla wollte die republikanische Vormachtstellung wiedererlangen und er wollte sie im Stile der alten Adelsrepublik wiederherstellen. Gleichzeitig wollte er sie aber auch zu erneuern. Für dieses Ansinnen hatte die Republik keinen Präzedenzfall parat, denn die beiden vorangegangenen Diktaturen der Jahre 287 und 216 v. Chr. hatten Aufruhrbekämpfungen und Exekutivaufgaben zum Gegenstand (seditionis sedandae causa und rei gerundae causa). Sulla ließ sich die Diktatur hingegen rei publicae constituendae causa[82][83] übertragen. Im Blick hatte er eine politisch funktionable Senatsherrschaft. Zum Diktator wurde Sulla nicht gewählt, die notwendige Legitimation für sein imperium ließ er sich im Wege der Lex Valeria (82 v. Chr.) einräumen.[84] Auf deren Basis erließ Sulla sein wohl berüchtigtstes Gesetz, die lex Cornelia de proscriptione. Mit dem Proskriptionsgesetz, das ihm ein eigenständiges Rogationsrecht zum Erlass von Gesetzen gab, ohne die sonst üblichen Vorberatungen im Senat ein- und abhalten zu müssen, verfolgte er seine politischen Gegner ohne Gnade und bis zum Tod.[85][86] Nachdem Sulla in den Jahren von 82 bis 79 v. Chr. eine Vielzahl von Strukturreformgesetzen auf den Weg gebracht hatte, so zur restriktiven Neuausrichtung der Ämterlaufbahn[87] die lex Cornelia de magistratibus, oder zur Machtbeschränkung des Volkstribunats[88] die lex Cornelia de tribunicia potestate und – das sei noch abschließend erwähnt – zur Stärkung des alten Priesterwesens[89] die lex Cornelia de sacerdotiis, legte er seine Ämter nieder und trat ab.
Bald wurde erneut der Ruf nach einem „starken Mann“ laut. Diesen erhörte Iulius Caesar. Auch Caesar wurde Diktator mit vielen außerordentlichen Vollmachten. Er plante weitreichende gesetzliche Maßnahmen. Auch Teile der Verfassung wollte er umschreiben, aufgenommen in den leges Iuliae. Dabei beabsichtigte er, die besonderen Vollmachten zu einem konstitutiven Element der neuen Verfassung zu erheben. Caesar nahm damit Elemente vorweg, die sich im anschließenden Prinzipat als Hoheitsanspruch des Kaisers durchsetzen sollten, ohne dass es der Diktatur selbst bedurfte.[9] Caesar selbst wurde allerdings 44 v. Chr. ermordet, seinerseits gerächt durch Umsetzung der im Folgejahr ergangenen Lex Pedia.
Marcus Antonius beobachtete die Vorgänge. Das Ausnahme-Magistratsamt der Diktatur war häufig als Triebfeder für missbräuchliche Eingriffe in die tradierten und bewährten republikanischen Werte wahrgenommen worden. Flugs brachte Antonius deshalb die Lex Antonia in den Senat ein, denn er verfolgte die Abschaffung des Amtes. Weniger aber war es die umstrittene Autorität des Gesetzes, die es letztlich kippte, schließlich bot der Senat Octavian bereits 22 v. Chr. erneut diktatorische Vollmachten an, die dieser lediglich ablehnte, ausschlaggebend war vielmehr Oktavians Machtverständnis, das er offen kommunizierte. Das Recht, Kompetenzen und Oberaufsichten über die der extramagistratischen Ämter zu stellen (seit Sulla waren das das Volkstribunat und daneben der Senat), leitete er sich aus der Machtfülle seines Kaiseramtes ab, sodass es keines weiteren außerordentlichen Amtes bedurfte.
Mit dem Jahr 27 v. Chr. wird in der römischen Reichsgeschichte der Beginn einer neuen Regierungsform verknüpft, der Prinzipat. Iulius Caesars Großneffe und Adoptivsohn Oktavian hatte in der Schlacht bei Actium seinen Gegenspieler Marcus Antonius, ehemaliges Co-Mitglied des Triumvirats, besiegt und mit ihm die ägyptische Königin Kleopatra. Damit erfüllte sich das Hauptanliegen des Legitimationsgesetzes des Zweiten Triumvirats, die Lex Titia. Mit ihm sollten die Wirren des Bürgerkriegs und damit der Staatsnotstand überwunden werden. Das mittlerweile allein auf Oktavian kaprizierte Triumvirat beendete jener, indem er Senat und Volk von Rom die Souveränität zurückgab (restitutio rei publicae). Dahinter stand letztlich weitblickendes taktisches Kalkül, denn er zielte auf die Alleinherrschaft im Reich ab. Dazu brauchte er den Senat lediglich davon zu überzeugen, dass sein Alleinherrschaftsanspruch eng mit der Aufrichtung der republikanischen Traditionen verknüpft war, um das Placet für seine Vorherrschaft und mit ihr die Begründung der julisch-claudischen Kaiserdynastie zu erhalten.
Oktavians Grundanliegen war es, seine im Bürgerkrieg errichtete Gewaltherrschaft zu legitimieren, um bei den Eliten auf die Akzeptanz zu stoßen, die er für seine Herrschaftsausübung benötigte. Aus diesem Grunde musste er zunächst formal die Republik wiederherstellen. Am 13. Januar 27 v. Chr. gab er deshalb alle außerordentlichen Gewalten an den Senat und das Volk zurück. Ob Oktavian Sondervollmachten innehatte – ähnlich einem Gaius Iulius Caesar – wird kontrovers diskutiert.[90] Vorhersehend jedenfalls, dass der Senat dieser Geste der recusatio imperii und der damit verbundenen Abdankung widersprechen würde, gab er sich damit zufrieden, dass ihm allgemeines imperium proconsulare übertragen wurde, das ihm den Oberbefehl über alle Streitkräfte gewährte. Der Senat verlieh ihm den sakralen Ehrentitel Augustus („der Erhabene“; eigentlich: „der mit magischer Kraft Versehene“, hergeleitet aus augur), den Oktavian fortan wie einen Namen trug. Bald darauf erhielt er die Volkstribunengewalt (tribunicia potestas) auf Lebenszeit und ein ebenso lebenslanges Imperium „an Stelle eines Konsuls“, das er seit 19 v. Chr. innehatte (Imperium proconsulare maius).
Damit waren die republikanischen Ämter de facto entwertet. Offiziell als „Wiederherstellung der Republik“ deklariert, hatte er in Wirklichkeit deren dauerhafte Umwandlung in eine Monarchie mit Alleinherrschaft betrieben. Charakteristischerweise ging das so vor sich, dass Teilgewalten und Einzelrechte aus den Ämtern ausgegliedert und auf den Kaiser erweitert wurden. So entnahm er sich aus der konsularischen Gewalt (consularis potestas) das Recht auf Prüfung der Geeignetheit von Amtsanwärtern, das Nominationsrecht (nominatio). Damit nicht genug. Er machte auch das Recht geltend, dem senatorischen Wahlgremium die von ihm ausgewählten Kandidaten zu empfehlen (commendatio). Da Rat und Empfehlung des Kaisers aufgrund dessen politischer Bedeutung stets angenommen wurden, konnte er so seinen Willen durchsetzen. Ein anderes Beispiel ist das Relationsrecht, das er auf sich vereinigte. Er durfte damit dem Senat Bericht erstatten und mehr noch, er durfte Anträge (relationes) stellen; die erwuchsen gleichsam zum Gesetz, denn eines Senatsbeschlusses bedurfte es nicht mehr. Als Rechtsgrundlage galt die kaiserliche Rede (oratio principis). Später genügte dafür sogar eine quästorische Verlesung bei persönlicher Abwesenheit des Kaisers. Was den Geist der Republik in Wirklichkeit umstülpte, argumentierte Augustus als Wiederherstellung der Republik: er, der Kaiser, maße sich kein Unrecht an, denn er habe keinesfalls mehr Rechtsmacht inne, als der jeweilige Magistrat. Was vordergründig sogar plausibel wirkt, denn als Sonderrechtsinhaber einer konsulischen Teilgewalt konnte er kaum eine amtliche Kompetenzüberschreitung begehen, ist hintergründig letztlich unzutreffend. Was nämlich für die Ausübung des einzelnen Amtes gelten mag, gilt nicht für die Ausübung der Summe aller Ämter. Der Kaiser konnte sich auf die Wiederherstellung der Republik insoweit nicht berufen, als sein Vorgehen durch keine Rechtsgrundlage gedeckt war. Vielmehr hatte er die zwei republikanischen Verbote ostentativ verletzt, Verbote die sich gegen das Prinzip der Ämterhäufung (Kumulation) und das der Kollegialität (kein Amtskollege) richteten. Die inhaltlichen und strukturellen Änderungen lassen daher nur den Schluss zu, dass Augustus eine andere, eine neue Rechtsordnung geschaffen hatte.[91]
Begrifflich leitet sich der Prinzipat von lateinisch „princeps“ („der Erste“) ab. Augustus führte den Staat als „Erster Bürger“ der Zivilgesellschaft (princeps civium), ohne ein ordentliches Amt in Anspruch zu nehmen. Bis 23 v. Chr. war er immerhin noch Konsul. Das Amt des Prinzeps war durch die Verfassung nicht vorgegeben, bedeutete allerdings Alleinherrschaft. Der Verfassungsbegriff im antiken Rom ist nicht identisch mit dem neuzeitlichen. In diesem Zusammenhang wirft die Forschung zunächst die Frage auf, wie er zur Kaiserzeit zu definieren ist und wie ein Kaiser sich sodann außerhalb der Verfassung platzieren kann.
Eine begriffliche Herleitung aus dem Kontext des Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts ist unzulänglich, ebenso die Verwendung des Begriffs des Verfassungsrechts der Gegenwart, denn in beiden Fällen müsste der nachweisliche Bestand einer (qualifizierten) Rechtsordnung vorausgesetzt werden, also ein normatives Konstrukt, das ein politisches System auf seiner höchsten Entscheidungsebene regelt.[92] In Ermangelung dieses korrelierenden ordnungsrechtlichen Aspekts muss letztlich konzediert werden, dass der römische Verfassungsbegriff diesen Rechtsbezug nicht benötigte. Damit entfällt aber auch die zweite prägende Komponente des modernen konstitutionalistischen Verfassungsbegriffs, die „Legitimation“. Nach heutigem Verständnis bildet sie den Rechtfertigungsgrund für jedwedes Herrschaftssystem.[92] Da die Verfassung des Prinzipats weder rechtliche Bestimmung noch Rechtfertigung des Kaiserapparates kannte, musste Oktavian seine Gewaltherrschaft keinesfalls rechtlich, sondern allein gesellschaftlich rechtfertigen, als er die von ihm aufgenommene „Gewalt“ zum Zwecke des Retransfers zunächst an den Senat und das Volk zurückspielte.
Darauf aufbauend, verblüfft nicht mehr, dass Theodor Mommsen bereits zum augusteischen Prinzipat zusammenfasste, dass es „wohl nie ein Regiment gegeben [habe], dem der Begriff der Legitimität so völlig abhanden gekommen wäre…“.[93]
Max Weber folgert daraus,[94] dass es zumindest einige Normen der so definierten Verfassung geben kann, die keine Rechtsqualität, auch keine sonstige allgemeine Anerkennung genießen, obwohl hinter ihnen garantierte und regelkonforme, politische Gewalt ausgeübt wird. Im Rahmen der jeweiligen Kraftverhältnisse kann eine derartige Verfassungsordnung unterschiedliche Regierungskonzeptionen in sich aufnehmen; allein in unumstrittenen Teilbereichen wirkt der Charakter einer gefestigten Tradition.
Zuletzt stellte der Historiker Egon Flaig die These in den Raum, im Prinzipat habe es gar kein „Staatsrecht“ gegeben und auch nicht geben können. Damit will er insbesondere der Gilde der Juristen den Hinweis geben, sie solle nicht versuchen, das politische System der frühen und hohen Kaiserzeit (staats-)rechtlich erfassen zu wollen.[95] Die Provokation in der These wird von den Juristen unter den Rechtshistorikern zwar als fruchtbare Kritik an den vorherrschenden Lehrmeinungen in ihren Kreisen verstanden, ebenso entschieden wird jedoch widersprochen. So wird entgegengehalten, dass Flaig den staatsrechtlichen Begriff verzerre, wenn er für seine Definition widerspruchsfreie Kompetenzabgrenzungen und Legitimität zu staatlichem Handeln fordere. Der Rechtsforschung genügt das Staatsrecht begrifflich als bloßer juristischer Ordnungsbegriff. Kennzeichnend sei die „Organisation staatlicher Machtausübung im weitesten Sinn“, getragen von einem gesellschaftlichen Konsens, welche Spielregeln eingehalten werden sollen. Unter Juristen besteht in diesem Punkt Einigkeit, vor allem wenn berücksichtigt wird, dass das überragend prominente Privatrecht der hohen Kaiserzeit sich kaum im stattgehabten Maße hätte entfalten können, wenn es auf ein rechtlich unsicheres Umfeld staatlicher Ordnung gestoßen wäre, dem letztlich unweigerlich die wirtschaftlichen Anreize gefehlt hätten.[96]
Gleichwohl: Stets stellte sich Augustus als „Privatmann“ außerhalb aller Staatlichkeit dar. Er vermittelte den Eindruck, er habe sich selbstlos aufgeschwungen, um die öffentliche Ordnung Roms treuhänderisch zu schützen. Seine Machtbefugnisse leitete Augustus deshalb weniger aus den amtlichen Befugnissen des imperiums und der potestas ab, vielmehr aus höchstpersönlicher auctoritas,[97] wie er in seinem Tatenbericht, den res gestae divi Augusti wissen ließ.[98]
Nicht wenige politische Kniffe begleiteten Augustus’ Weg in die Alleinherrschaft. So übernahm er 19 v. Chr. das Amt des Konsuls, bereits in Abweichung zur verfassungsrechtlichen Doktrin der Republik, weil er es bis 23 v. Chr. jährlich wiederaufnahm. Um die annuitätische Fiktion zu wahren, ließ er die Vollmacht jährlich ausdrücklich wiederholen, was freilich reinem Automatismus unterlag. Der offiziellen Proklamation der „Wiederherstellung der Republik“ (restitutio rei publicae) stellte er ein „militärisches imperium“ entgegen, das er gleichsam unbefristet wahrnahm, da er es nach zehnjähriger Festschreibung immer wieder verlängerte. Selbiges sicherte ihm seine Machtstellung in der Außenpolitik. 23 v. Chr. legte er zwar das Amt des Konsuls nieder, ließ sich stattdessen – die Quellenlage dazu ist unklar und streitig[99] – die tribunicia potestas, die Amtsgewalt der Volkstribunen, auf Lebenszeit übertragen, was ihm allen Einfluss auf Volk und Senat gestattete und seine Machtstellung in der Innenpolitik stärkte.
Die politische Legitimation der Macht der Volkstribunen leitete er aus der sacrosanctitas, dem ius subselli und dem ius auxilii ab. Um ius auxilii für sich beanspruchen zu können, musste er Amt und Gewalt trennen. Augustus schnitt das plebejische Amt (tribuni plebis) von der Amtsgewalt (tribunicia potestas) ab und ließ sich allein die Rechtskompetenz (potestas) übertragen, womit er Amtsgewalt innehatte ohne die Verpflichtungen des Amtes selbst wahrnehmen zu müssen. Die zusätzliche Entbindung dieser Amtsgewalt von jeglicher Befristung (tribunicia potestas annua et perpetua) bedeutete, dass er die erste der beiden angestrebten Kernvollmachten innehatte.
Damit aber nicht genug: Durch Gesetz ließ sich Augustus lebenslanges imperium proconsulare maius übertragen, das ihm in der Reichsverwaltung die Oberaufsicht über die vom Senat (seit 28 v. Chr. war Augustus dort selbst bereits princeps senatus) befriedeten und verwalteten Provinzen auch in der Zivilverwaltung ermöglichte. Nunmehr verfügte er über die zweite Kernvollmacht. Als pontifex maximus war Augustus zudem oberster Aufseher der römischen Kulte. In der Summe seiner Titel war er: Imperator, Caesar, Divi filius, Augustus, pontifex maximus, consul XIII, tribunicia potestate XXXVII, imperator XXI, pater patriae und nach seinem Tod durch Augustales selbst vergöttlicht. Da das Volk nach den Wirren der Bürgerkriege nach Rechtssicherheit dürstete, gab es keinen Widerstand gegen Augustus’ Machtansprüche. Von der großen Mehrheit der Römer wurde er verehrt, sein verfassungsrechtliches Werk gar als Pax Augusta verklärt.
Die Magistrate blieben weiterhin bestehen. Die Wahl der Magistrate, unter Augustus noch Aufgabe der Volksversammlungen und seit Tiberius Befugnis des Senates, wurde von nun an aber vom Kaiser überwacht. Der hatte sowohl das Recht, Kandidaten bindend vorschlagen (commendatio), als auch bloß zu empfehlen (suffragatio).[100] Konsul wurde zu einem reinen Ehrentitel für verdiente Beamte. Um möglichst vielen Beamten diese Anerkennung zugestehen zu können, wurden jährlich Konsulpaare ernannt, bisweilen im Zweimonatsrhythmus. Teilweise wurde ihnen Zuständigkeit für die Gerichtsbarkeit übertragen, die in der deutlichen Hauptsache allerdings beim Prätor verblieb. Die Ädilen behielten ihre marktordnenden Funktionen, wohingegen den Quästoren die Verwaltung der Staatskasse entzogen wurde, um sie auf kaiserliche Beamte zu übertragen. Die republikanische Kasse (aerarium) verlor an Bedeutung, die des Kaisers (fiscus) wurde rege eingesetzt. Der imperiale Erfolg des Reiches brachte viele Beamtenstellen hervor.
Die Rechtsstellung des Senats, seine Mitglieder wurden immerhin in den prosopographia Imperii Romani geführt,[101] änderte sich während des Prinzipats nachhaltig, denn er verlor sämtliche politischen Befugnisse an den Prinzeps. Aber auch die legislatorischen Befugnisse änderten sich. So verloren die Volksversammlungen ihre gesetzgeberischen Befugnisse weitgehend, denn leges und plebiscita wurden mit Augustus und seinen Nachfolgern kaum mehr eingesetzt. Als wohl letztes Plebiszit (und damit auch lex) gilt die lex de imperio Vespasiani.[102] An deren Stelle traten die senatorischen Beschlüsse, die senatus consulta und zunehmend die Kaiserkonstitutionen.[103] Der Senat wurde durch eine von Augustus neu begründete „kaiserliche Regierungsinstitution“, für die sich in der Forschung der Begriff consilium principis[104] eingebürgert hat, überwacht.[105] Die Historia Augusta berichtet, dass in das kaiserliche Consilium seit Hadrian verstärkt Juristen einbezogen wurden, namentlich erwähnt sind Neratius Priscus, Julian und Celsus. Dieser Schachzug habe die Judikatur professionalisiert.[106] Die zu Zeiten der Republik hochgelobten aristokratischen und demokratischen Verfassungselemente zeigten sich während der Kaiserzeit entscheidend geschwächt. Zur Rettung einer demokratischen Gesetzgebung hätte es wohl eines Übergangs von einer „unmittelbaren“ zu einer „repräsentativen“ Verfahrensstruktur bedurft.[102]
Die an den Prinzeps abgegebenen politischen Befugnisse des Senats stellten überdies eine Umkehrung des Weges der politischen Willensbildung gegenüber der Zeit der Republik dar. Soweit der Senat in wichtigen politischen Angelegenheiten seine Empfehlungen früher an die Magistrate gerichtet hatte, trat nunmehr der Prinzeps mit seinen Wünschen an den Senat heran, welcher die formulierten Vorhaben als senatus consultum umsetzte. Dies stützte immer die Auffassung, Senatsbeschlüsse hätten gesetzesgleiche Wirkung.[107] Tatsächlich aber begab sich der Senat seiner eigenen politischen Willensbildung, er stützte allein die des Prinzeps. Der entscheidende Schritt war die oratio, die „Thronbotschaft“ des Princeps, die zunächst in Abwesenheit, später in seinem Beisein im Senat verlesen wurde. Bis zur Regentschaft Claudius’ hatte der Senat sich meist noch nicht auf den Prinzeps bezogen.[108] Nunmehr verlas er die prinzipalen Handschriften lediglich während der Sitzung und machte sie nach Verlesung als kaiserliche Gesetzgebung amtlich. In gewisser Weise lag der Senatsbeschluss zwischen zwei kaiserlichen Willensakten, der konstitutionellen antragsgleichen oratio (principis in senatu habita) und der den Dienst des Senats bestätigenden und abschließenden confirmatio.[109]
Bereits im 2. Jahrhundert fiel dem juristischen Hochklassiker Gaius auf, dass hier eine lediglich vordergründige Aufwertung der senatus consulta vorliegen musste.[110] Offensichtlich nutzten die Kaiser dieses Gesetzesmedium rege, denn die ersten beiden kaiserrechtlichen Jahrhunderte waren geradezu geprägt von Senatsbeschlüssen.[9] Inhaltliche Schwerpunkte waren das Status-, Familien- und öffentliche Ordnungsrecht. So verbot das senatus consultum Velleianum den Gerichten beispielsweise,[111] Verfahren gegen bürgende Ehefrauen zuzulassen,[112] das senatus consultum Macedonianum verbot die Vergabe von Darlehen an Haussöhne[113] und das senatus consultum Silanianum ließ die Folter von Sklaven im Falle des ungeklärten Todes ihres Hausherrn zu.[114] Die den Senatskonsulten zugrundeliegenden kaiserlichen Handschreiben (orationes) fanden Einlass in die spätantiken Codices Theodosianus und Iustinianus.[115] Ansonsten war dem Senat seit der frühen Kaiserzeit die Rolle eines Gerichtes zugewiesen, insbesondere auf dem Gebiet des Strafrechts;[116] dies neben den Schwurgerichtshöfen des ordo iudiciorum publicorum und den außerordentlichen Gerichten des Stadtpräfekten, des praefectus vigilum.[117]
Auch die Komitien und die Volksversammlungen verloren im Prinzipat an Bedeutung. Deren Befugnisse gingen schrittweise an den Senat über. Gesetzgeberische Funktionen übten die Komitien unter Augustus noch regelmäßig aus, so beispielsweise zur Bestätigung der augusteischen Ehegesetze. Das letzte uns bekannte Gesetz der Komitien ist eine lex agraria aus der Regierungszeit Nervas. Ebenso verblieb die Wahl der Magistraten vorerst bei den Volksversammlungen. Dieses Recht wurde im Jahr 5 n. Chr. durch die lex Valeria Cornelia eingeschränkt, indem die Kandidaten für das Konsulat und die Prätur durch ein Gremium von Senatoren und Rittern vorbestimmt wurden. Tiberius schließlich übertrug die Wahl der Magistraten dann im Jahre 14 n. Chr. dem Senat, obwohl die Volksversammlungen noch bis in die Severerzeit zusammenkamen, um der Verkündung (renuntiatio) der Wahlergebnisse beizuwohnen.[118]
Die Ähnlichkeiten und Unterschiede der Gesetzgebung der Organe Volk (leges, plebescita), Senat (senatus consulta), Kaiser (constitutiones) und in Abgrenzung dazu der Prätoren (edictae, edictum perpetuum) beschrieb im Anschluss an die hier noch unpräzisen Glossatoren und im Geist der humanistischen Bewegung, Jacques Cujas.[119]
Die Augustus nachfolgenden Kaiser, beginnend mit Tiberius (prokonsularisches Imperium), beließen es bis zum Ende des 3. Jahrhunderts n. Chr. und trotz eines rechtsdogmatisch kritischen Zustands bei dieser Verfassungsform. De jure war die Kaiserwürde aber auch nach Augustus nie erblich. Die vielbeachtete Blütezeit des Römischen Reiches unter den Adoptivkaisern (Nerva, Trajan, Hadrian, Antoninus Pius, Mark Aurel und Lucius Verus) fußte sicherlich auf Augustus’ Fundament. Ähnliches gilt trotz weiterer Abwandlungen für die severerische Ära und die frühen Soldatenkaiser.
Nach dem Tode Domitians schien der angesehene Jurist Nerva die Republik wiederherstellen zu können. Er bereicherte den Prinzipat mit attraktiven freiheitlichen Elementen (principatum ac libertatem).[120] Aufgrund weiterer Forschungen (vgl. Karl Christ) stellte sich jedoch heraus, dass sowohl der Senat als auch das Volk, vertreten durch die Volksversammlung, es innerhalb eines zurückliegenden Centenniums verlernt hatten, sich politisch selbst zu bestimmen. Daran änderte auch die Auslöschung des Andenkens Domitians nichts.
Trajan, dessen Führungsstil antike Kardinaltugenden verkörperte,[121] vermochte den Prinzipat zu festigen, wenngleich die Kaiser des zweiten Vierkaiserjahres 193 n. Chr. und des Sechskaiserjahres 238 n. Chr. durch Morde, Bürgerkrieg und Strukturkrisen suggerierten, der augusteische Prinzipat sei in eine Krise geraten. Spätestens 284 n. Chr. endete der Prinzipat, als Diokletian die Tetrarchie gegen die Alleinherrschaft einführte und dazu ein Maßnahmenpaket grundlegender Verwaltungs-, Wirtschafts- und Gesellschaftsreformen schnürte.
Als Leistung von Bedeutung ist die Einrichtung einer schlagkräftigen Reichsverwaltung hervorzuheben. Sie bestand aus auskömmlich besoldeten Berufsbeamten, die vornehmlich aus dem Senatoren- und Ritterstand (eques romanus) kamen. Die Provinzstatthalter verrichteten die Aufgaben ihrer Ämter unter kaiserlicher Zentralverwaltung. Die Zentralbehörden des princeps waren zumeist durch zuverlässige und gebildete kaiserliche Freigelassene und Sklaven besetzt worden, ab Hadrian von Angehörigen des Ritterstandes. Den Schriftverkehr führten noch immer die kaiserlichen Kanzleien a memoria (Personalbüro, Ernennungsdekrete), ab epistulis (Beamtenanfragen) und a libellis (Eingaben von Privatpersonen). Die steuerliche Finanzverwaltung hatte sich grundsätzlich in den kaiserlichen fiscus und das vom Senat verwaltete aerarium aufgespaltet. Für die wichtigsten Ämter des Stadtpräfekten und des Prätorianerpräfekten, kamen a priori nur Senatoren oder Ritter in Betracht.
Das Christentum, das von den Römern jahrzehntelang als jüdische Sekte angesehen wurde (bis etwa 130 n. Chr.), wurde anfänglich bis auf lokal begrenzte Verfolgungen toleriert, zwischenzeitlich rechtlich sogar abgesichert. So genossen die Juden seit Caesar im Prinzip Religionsfreiheit.
Zunehmend setzten ab Mitte des 3. Jahrhunderts jedoch gesamtstaatliche Christenverfolgungen ein, die unter Diokletian zwischen 303 n. Chr. und 311 n. Chr. ihren Höhepunkt erreichten. Nach Auffassung des Vierkaiserregiments waren Staat und Religion nicht trennbar und der Ausschließlichkeitsanspruch des Christentums („Christus ist der Herr“) unvereinbar mit dem staatlichen Kaiserkult. Nach dem Edikt gegen die Offenbarungsreligion der Manichäer (wohl vor 302 n. Chr.), erging 303 n. Chr. ein Edikt, das den Christen den Zugang zu öffentlichen Ämtern versperrte, ihre Gottesdienste verbot, die Zerstörung ihrer Gotteshäuser anordnete und ihre heilige Schriften (siehe Märtyrer der heiligen Bücher) verbannte[122] und letztlich ihre Bürgerrechte kassierte.[123]
Die Verfolgungen endeten erst 313 n. Chr. mit der Mailänder Vereinbarung unter Konstantin dem Großen (Westkaiser) und Licinius (Ostkaiser). Im Rahmen der Konstantinischen Wende wurde der Zwang zur kultischen Verehrung des Kaisers aufgegeben. Der Kaiserkult an sich blieb zwar in konstantinischer Zeit bestehen, die paganen Elemente wurden jedoch zurückgeschraubt. So wurden Kultspiele und Kultfeierlichkeiten zugelassen, aber blutige Kultopfer für den Kaiser untersagt. Ebenso seien Bildnisse des Kaisers aus Tempeln entfernt worden. Zahlreiche Elemente des Kaiserkultes wurden in die nun christliche Kaiserverehrung übertragen, wobei der Kaiser als irdischer Vollstrecker des christlichen göttlichen Willens agierte.[124] Endgültig aber sorgte erst Theodosius der Große mit der Gesetzgebung in seiner Amtszeit (in den Jahren 380 und 391 n. Chr.) für die Anerkennung des Christentums als Staatsreligion in der Gestalt der „orthodoxen“ Reichskirche.[125]
Während der Kaiserzeit wurde eine Vielzahl von Gesetzen geschaffen. Für die einfachgesetzlich geregelte Lebensordnung griff Augustus den Katalog seines Großonkels Caesar auf, die leges Iuliae. Er ergänzte darin vornehmlich Familien- und Strafvorschriften. Die lex iudiciorum publicorum et privatorum enthielt Verfahrens-, Straf- und Privatrechtsvorschriften, auch Vorschriften über die Gerichtsbarkeit im funktionalen Sinne. Eheverstöße, ebenso Ehelichungen außerhalb des Standesrechts, sanktionierten die lex de adulteriis coërcendis und die lex de maritandis ordinibus.[126] Da Augustus das Familienrecht besonders am Herzen lag, verfügte er die leges Iulia und Papia Poppaea, womit er gegen Ehe- und Kinderlosigkeit vorging. Um die Zeitenwende folgten sklavenrechtliche Vorschriften zur Regelung von Freilassungen, etwa die lex Fufia Caninia und darauf aufbauend die lex Aelia Sentia. Die Urheberschaft der lex Petronia ist unklar, eingeführt wurde die Sklavenschutzvorschrift während des 1. Jahrhunderts. Eine Theorie des Gewohnheitsrechts hatten die römischen Juristen nicht entwickelt, weshalb ein Rechtssatz zwar seine historische Herkunft bezeichnet, nicht jedoch den gegenwärtigen Geltungsgrund. Das gewissermaßen „vorgegebene“ Recht war durch interpretatio weiterzubilden.
In Tiberius’ Amtszeit fallen insgesamt allein 60 Majestätsprozesse. Der sprunghafte Anstieg kann auf eine extensive Gerichtspraxis zur laesa maiestas („verletzte Erhabenheit“) zurückgeführt werden. Grund des Anstoßes war häufig, dass es sich dabei um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt.[127]
Caligulas Nachfolger Claudius interessierte sich besonders für das Rechts- und Gerichtswesen.[128] Mit allerdings zweifelhaftem Erfolg, führte er in Prozessen den Vorsitz gerne selbst.[129] Er erließ täglich bis zu zwanzig Verordnungen, etliche enthielten medizinische und moralische Ratschläge. Sein Verhältnis zum Senat nahm bisweilen verschwörungsgleiche Züge an.[130]
Nero machte zunächst als souveräner Richter von sich Reden,[131] der die Traditionen Augustus’ aufgriff. Lange Zeit unterhielt er ein gutes Verhältnis zum Senat, dessen Eigenständigkeit in der Rechtsprechung er unterstützte. Letztlich wandelte sich dies allerdings zum Schlechten, denn er überwarf sich mit dem Senat.[132]
Galba, Kaiser der ersten Vierkaiserjahre, setzte auf eiserne Disziplin und Loyalität, weshalb er mit druckvollen Maßnahmen Regiment im Heer führte.[133] Sanktionen bei Zuwiderhandlungen unterlagen allein seiner kaiserlichen Autorität. Trotz der Strenge seines Regimes muss konstatiert werden, dass seit dem Ende der Republik Strafen erstmals einheitlich zugemessen wurden, was für die Heeressoldaten den Einzug von Rechtssicherheit und Verlässlichkeit bedeutete. In der vorangegangenen Zeit setzte die militärische Rechtsprechung noch auf frei auslegbares, regelmäßig ungeschriebenes Gewohnheitsrecht, mithin auf Willkür.
Der als zurückhaltend und bescheiden geltende Begründer der flavischen Dynastie Vespasian, verfolgte mit seiner pax Flavia (fiskalische) Sicherheitspolitik nach innen. Unter ihm erhielt Hispanien außerdem das latinische Bürgerrecht (ius Latii), eine Vorstufe zum römischen Bürgerrecht. Als bedeutende Hinterlassenschaft gilt sein Amtsantrittsgesetz von 69 n. Chr., die lex de imperio Vespasiani,[134] Seine Machtstellung manifestierte sich im imperium proconsulare maius und in der tribunicia potestas. Dabei handelte es sich um Sondervollmachten, die bereits die Vorgänger Augustus, Tiberius und Claudius innehatten. Wie sein Vater Vespasian, galt Titus als geachteter Herrscher. Seiner dynastischen Legitimation galt der jüdische Krieg.
In Domitians Ära fallen die auf Bronzetafeln verewigten Anordnungen der leges Salpensana, Irnitana und Malacitana. Sie regelten hispanische Stadtrechte. Innenpolitisch bekämpfte er energisch die Korruption, sorgte für eine effizientere Staatsverwaltung und konsolidierte die Finanzen. Allerdings machte er sich auch durch seine Terrorherrschaft einen Namen.
Hadrian fixierte das edictum perpetuum. Damit gab er dem Justizwesen einen wichtigen Impuls. Die Regelungen wurden auf weißen Holztafeln auf dem Forum Romanum aufgestellt. Die Veröffentlichungen fand vor dem Amtssitz des Prätors – zu Beginn dessen jeweiliger Amtszeit – statt.
Marc Aurels besonderes Augenmerk galt den Schwachen und Benachteiligten der römischen Gesellschaft. Er versuchte den Sklaven, Frauen und Kindern ihre Situation zu erleichtern. Die meisten der Gesetzgebungsakte des „Philosophen auf dem Kaiserthron“ zielten auf die Verbesserung der Rechtsstellung der Unterprivilegierten. Entsprechend seiner Anliegen im Gesetzesinitiativakt, handelte er als oberstes Rechtsprechungsorgan. Das Amt, bei dem er mit akribischer Sorgfalt vorging, übte er mit stoischer Gelassenheit aus.
Unter Septimius Severus vermehrten sich die Anzeichen für eine ökonomische Krise. Es stellt sich dabei die Frage, ob er die „Reichskrise des 3. Jahrhunderts“ noch verzögerte oder für deren Auslösung konkausal handelte. Innenpolitisch betrieb er die Ausschaltung des Senats, weil er auf den Ritterstand in Verwaltung und Militär setzte.
Nach heutigem Forschungsstand[135] sind 427 Verordnungen (constitutiones) auf Severus Alexander zurückzuführen, enthalten im Codex Iustinianus. Der besann sich bei seiner Gesetzgebung – insbesondere in den Jahren 223/4 – auf die Hervorhebung moralischer Grundsätze und schärferen Sanktionsrechts im Falle von Ordnungsverstößen, womit er die teils despotische Rechtspraxis seiner severischen Vorgänger korrigierte.
Maximinus Thrax gilt als der erste Soldatenkaiser der Hohen Kaiserzeit, denn er setzte auf das Militär, womit der Senat vollends marginalisiert wurde.
Der Prinzipat sicherte dem römischen Weltreich für zweieinhalb Jahrhunderte eine innenpolitisch friedliche Existenz (Pax Romana) und bedeutungsvollen kulturellen Aufschwung. Da auch die Wirtschaft durchschnittlich moderat wuchs, konnten mancherorts auftretende Engpässe des sich ausweitenden Imperiums aufgefangen werden. Die kaiserliche Regierung betrieb dabei sicherlich keine Wirtschaftspolitik im heutigen Sinne, setzte den freien Marktinteressen aber mittels Staatshaushaltspolitik und Steuererhebung einen ordnungspolitischen Rahmen.[136][137] Hierzu wurden in der Forschung sehr unterschiedliche Feststellungen getroffen.[138][139] 212 n. Chr. verlieh Kaiser Caracalla allen freien Einwohnern des Reichs die römischen Bürgerrechte, basierend auf dem Dekret der Constitutio Antoniniana. Das Bürgerrecht berechtigte zum aktiven wie passiven Wahlrecht in den Volksversammlungen. Cassius Dio unterstellte Caracalla allerdings, er habe die Verordnung zur Eintreibung höherer Steuern erlassen.[140] Ulpian, zuvor bereits Gaius, hoben hervor, dass constitutiones, welche zumeist Edikte (so durchweg während der julisch-claudischen Dynastie),[141] Dekrete oder Reskripte (zunehmend seit Vespasian),[142] neben den Senatsbeschlüssen in der Kaiserzeit die zentrale Form der Gesetzgebung waren.[143] Die bürgerlichen Rechtsanfragen wurden zumeist durch die kaiserlichen Sekretariate „a libellis“ und „ab epistulis“ abgearbeitet, gelegentlich antworteten auch vom Kaiser legitimierte Juristen.[102]
Die republikanische Staatsrechtstradition ließ es nicht zu, das Kaiseramt an eine Erbfolge zu binden, was zu Problemen bei der Bestimmung von Nachfolgern führte. Die Kaiser des Prinzipats behalfen sich mit einem Kunstgriff, denn bereits zu Lebzeiten wurden geeignete Kandidaten erwählt, die zugleich zu Mitregenten ernannt wurden. Gab es keine Abkömmlinge oder wurden die Abkömmlinge für eine Überantwortung der Regierungsgeschäfte als ungeeignet erachtet, wurden sie durch Adoptierte verdrängt. An Kindes statt rechtmäßig zum Kaiser gekürt, bestiegen so Trajan, Hadrian, Antoninus Pius und Marc Aurel den Kaiserthron („Zeitalter der Guten Kaiser“). Parallel zu diesem Vorgehen wurde dem Senat seine Einflussnahme auf Nachfolgeordnungen genommen. Dynastiebegründer Septimius Severus, in gewissem Sinne der erste Militärdiktator, konnte das Imperium nochmals mithilfe der Legionsdisziplin stabilisieren. Die Heeresgefolgsleute mussten jedoch häufig mit Geschenken gefügig gemacht werden, um zu verhindern, dass sie nicht ihre eigenen Vorstellungen von politischer Verantwortung durchsetzten. Unter den Folgekaisern glückte das zunehmend weniger und wachsender Kontrollverlust über die Truppen wurde beklagt.[9]
Ab 235 n. Chr. fiel das Reich in eine Krise, die sich schnell auswuchs und über ein halbes Jahrhundert andauern sollte. Die Krise war insoweit wirtschaftlich ausgelöst, als an allen politisch relevanten Grenzen das Geld für eine ergiebige Kriegsführung ausging. Deutlich spürbar wurde das bei den Auseinandersetzungen mit den Parthern und den Germanen. Plünderfeldzüge, Revolten und Verwüstungen waren an der Tagesordnung. Die Krise war aber auch eine politische, denn die Kaiser hielten sich regelmäßig bei ihren Truppen auf, während Rom, das Haupt des Reiches verwaiste und zunehmend an Bedeutung einbüßte, weil keine Machtzentrale mehr wahrgenommen werden konnte. Diese Gelegenheit packten Kriegsgeneräle eigennützig beim Schopf und buhlten um kaiserliche Würden. Letztlich manifestierte sich die Krise aber auch auf rechtskultureller Ebene, denn der rechtliche Ordnungsrahmen, der der mächtigen Wirkkraft der klassischen Rechtswissenschaft zu verdanken gewesen war, kam gleichsam zum Erliegen. Beherzt auftretende Vertreter der einst vorherrschenden Rechtsschulen gab es nicht mehr. Die geistige Qualität der früh- und hochklassischen Juristen wurde schmerzlich vermisst, Ersatz nicht in Sicht. In der Rückbesinnung auf die einstige Strahlkraft der klassischen Rechtsdenker, versuchten die Spätklassiker die Erinnerung zu konservieren und verdeutlichten die ungebrochene Bedeutung des dadurch, dass sie exemplarisch Zitierjuristen hervorhoben. Sie versprachen sich davon, wenigstens autoritativen Einfluss auf die Restabilisierung des Rechtsrahmen nehmen zu können, widrigenfalls das System zum Erliegen kommen würde. In einem noch weitergehenden Schritt schützen letztlich die vulgarrechtlichen Kompilationen der Spätantike den Ordnungsrahmen, denn es waren massive juristische Verständnisprobleme entstanden, denen so – bei aller Minderqualität – zumindest ansatzweise begegnet werden konnte.[144] Anknüpfend an die gestalterischen und inhaltlichen Schwächen der Vulgärliteratur, wurde über lange Zeit einhellige Kritik an der spätantiken Aufarbeitung des klassischen Rechts geübt. Viele Aspekte der Vorhaltungen werden von der heutigen Forschung allerdings relativiert.[145]
In der Spätantike, der Zeit zwischen dem 3. und dem 6. Jahrhundert, stand die römische Gesellschaft disruptiven Geschehnissen gegenüber, auch der Wertekanon der römischen Rechtsordnung war erfasst. Letztlich waren alle Lebensbereiche davon betroffen, denn die Auswirkungen veränderten den wirtschaftlich-politischen Kontext, ebenso den sozio-kulturellen. Besonders tief griffen die Veränderungen im Glaubensbekenntnis, denn die christliche Lehre verdrängte die paganen Kulte, die Vielgötterei, das Heidentum. Sie konzentrierte sich auf einen Gott, den einen Gott. Das war gewöhnungsbedürftig, aber auch die gesellschaftlichen Belange und Gepflogenheiten, immer wieder als maßvoller Lebensstil eines monarchischen Prinzipats rezipiert, entglitten und fielen einem bisweilen schrankenlosen Absolutismus anheim. Dem einkehrenden staatskapitalistischen Dirigismus musste eine einst gefeierte liberale Wirtschaftsordnung weichen und die Bevölkerung wurde unterdrückt. Das alles geschah vor dem allgemeinen Hintergrund des äußeren wie inneren Verfalls.[146]
Das Neue am spätantiken Kaisertum waren die Herrscherideologie und das Wesen der Bürokratie. Zum Ende der severischen Dynastie (235 n. Chr.) zeichnete sich deutlich der politische und wirtschaftliche Niedergang des Reiches ab. Der äußerlich als Republik „getarnte“ Prinzipat war in seiner monarchischen Struktur verfassungsrechtlich nicht abgesichert und nun dem Untergang geweiht. Problematisch war in Sachen fortgeschriebener Regentschaft stets das Problem der Nachfolgeregelungen. Die julisch-claudischen (14–68 n. Chr.), flavischen (68–96 n. Chr.) und severischen (193–235 n. Chr.) Dynastien regelten die entstandene Vakanz erst nach dem Tod des Kaisers. Interregna (68/9 und 193 n. Chr.) versetzten das Reich derweil an den Rand des Abgrunds.
Die über 200 Jahre währende Pax Romana konnte andererseits durch eine perfekt funktionierende Verwaltung und durch ein hoch entwickeltes Privatrecht sowie durch an diesem geschultes Volksbewusstsein gewährleistet werden. Das Ende der Severer ist ausweislich der Forschung mit dem Beginn der Reichskrise verknüpft. Die ältere Forschung interpretierte die Zeit als eine schwere Reichskrise, weil das Imperium mit Problemen an den Außengrenzen konfrontiert war und auch im Inneren große Widerstände zu Reibungen führten. In der neueren Forschung wird aber wesentlich differenzierter geurteilt und häufig sogar der Begriff „Krise“ an sich in Frage gestellt, er sei untauglich für eine retrospektive Würdigung der Situation im Reich.[147]
Tatsächlich sei den letzten Soldatenkaisern, insbesondere Diokletian, die Restabilisierung des Reichs gelungen. Als „dominus et deus“ trieb Diokletian eine Art der konstitutionellen Monarchie voran. An der Spitze der Macht standen während seiner Zeit, Diokletian kam 284 n. Chr. an die Macht, zwei Augusti und zwei Caesares. Sie bildeten eine Viererherrschaft. Das Prinzip des Mehrkaisersystems wurde auch anschließend praktiziert, um die Reichsherrschaft effektiver zu gestalten, wenngleich Diokletians Viererherrschaft schon kurz nach seinem freiwilligen Rücktritt im Jahr 305 zusammenbrach. Die „göttliche“ Komponente des Kaisertitels entsprach einer hellenistischen Tradition und wurde in den Provinzen des Ostens gepflegt. Sie verdeutlichte die alleinige kaiserliche Deutungshoheit in Glaubensfragen in imposanter Weise.[148][149] Diokletian stieß die überkommenen traditionellen Sichtweisen auf Republik und Prinzipat immer mehr ab, denn er erkannte keine Legitimationen mehr für sie. Bereits die Anrede des Kaisers als Herr (domus) verdeutlichte seine Grundhaltung, aufgekommen war sie bereits im späten 1. Jahrhundert n. Chr. Nach dem in der Forschungsliteratur unterschiedlich interpretierten Vorbild des sassanidischen Großkönigtums[150] wurde nun ein Untertanenstaat errichtet und abgesichert.[9] Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass Kaiser Konstantin 313 n. Chr. das Christentum annahm, welches in der Zeit der Kaiser Theodosius I., Gratian und Valentinian II. zur Staatsreligion wurde (vergleiche Dreikaiseredikt). An die Stelle der „Göttlichkeit“ trat zwanglos das „Gottesgnadentum“.
Die überbrachten Grundsätze der Akklamation zur Volksfürsorge band die Kaiser. Im konstitutiven Sinne war das Amt weiterhin grundsätzlich nicht vererbbar. Direkt dem Kaiser unterstellt waren die Prätorianerpräfekten. Anders als unter Historikern bisweilen diskutiert, waren erlassene Gesetze rechtsverbindlich, damit bindend. Darauf machte am nachhaltigsten der Codex Iustinianus (später Bestandteil des Corpus iuris civilis) aufmerksam.[151] Das einem Patrimonialismus verpflichtete Grundgerüst der spätantiken Verfassungen, bei dem der Verwaltungs- und Militärapparat dem Alleinherrscher weisungsgebunden war, ist aus zahlreicher „Kaiserliteratur“ zu Justinian I. bekannt. Der kaiserlich praktizierte Herrschaftsstil wurde bis weit ins Mittelalter literarisch aufgearbeitet, nach Erkenntnissen Berthold Rubins sogar bis hin zum Ende des byzantinischen Reiches.[152] Justinians Herrschaft wurde von einigen seiner Zeitgenossen wie Agapetos, Silentiarius und Malalas äußerst positiv eingeschätzt und gepriesen; andere – wie Prokop und Euagrios – gingen bereits früh zu Justinian in Opposition, weil sie die Vielzahl beliebiger Veränderungen und willkürlicher Anpassungen des Verfassungsrechtssystems für verfassungsmissbräuchlich hielten. Massive Kritik äußerte im 12. Jahrhundert nochmals Johannes Zonaras.[153] Rubin untersuchte die Normativität der byzantinischen Verfassung genauer und zog dabei die geheimgeschichtlichen und durchaus polemischen Anekdota Prokops heran. Er stellte fest, dass die „monarchische Idee“ unangefochten war, andererseits aber noch „republikanische Bewusstseinsreste“ anzutreffen waren. Letztere hätten einer Identifikation von Reich und Kaiser im Wege gestanden. Die gelebte Verfassung habe sich zwischen zwei Polen, dem Kaiser einerseits und der res publica andererseits, abgespielt. Dem Kaiser wurde vorgeworfen, er beuge Recht und passe Normen nach Gutdünken an, um seine Amtsgeschäfte wie Privataffären führen zu können. Während Justinian sich von entgegenstehenden Gesetzen arbiträr befreit habe, hätte sein kaiserlicher Wille als Rechtsquelle Formen des Übermaßes angenommen.[152] Detlef Liebs beschrieb Justinians Verfahrensstil in Bezug auf den Erlass neuer Gesetze. So waren Beratungen der hohen Beamten und des Senats vorzuschalten, bevor der Kaiser das Gesetz dann aber höchstselbst ausfertigte. Liebs fasst so zusammen: Der Kaiser verfügt nichts Geringeres als das Grundgesetz der konstitutionellen Monarchie.[154]
Zu Beginn der Spätantike lag das Gesetzgebungsmonopol ausschließlich beim Kaiser. Die offizielle Sprachregelung für Gesetze lautete wieder lex.[155] Der Begriff hatte sich nacheinander an das Plebiszit, die senatorische und die kaiserliche Gesetzgebung verloren. Erst die spätantiken Kaiser rekurrierten auf die lex wieder, um der Bürokratisierung, der Beschäftigung vieler Staatsbediensteter und sonstiger Vorhaben einen Rahmen zu geben. Sie wurden derart intensiv genutzt, dass irgendwann Einhalt zu gebieten war. Immer unschärfer wurde die Trennlinie zwischen bloßen kaiserlichen Äußerungen und Anordnungen mit Gesetzeskraft.
Die staatsrechtlichen Angelegenheiten sollten die Ausstrahlung von Ordnung und Übersicht vermitteln, was zu der Auffassung führte, dass sie in Kodifikationen festgehalten werden sollten. Verfassungsrecht und im Verhältnis dazu die Verfassungswirklichkeit, wie sie sich in der Spätantike darbot, waren und sind nicht leicht zu fassen. Allein auf die Vielzahl von Kodifikationen abzustellen, hilft nicht, die Qualität der Ansprüche zu beurteilen und bedeutete zudem, die Begriffswelt des „Verfassungsrechts“ mit der der „Kaiseridee“ gleichzusetzen, gleichwohl „Monarchie“ begrifflich suggeriert, sich mit der Verfassungsform einer Alleinherrschaft zu beschäftigen. In der Forschung werden unterschiedliche Auffassungen vertreten. Byzantinist Hans-Georg Beck glaubt, dass die aus der Spätantike fortgeschriebene byzantinische Darstellung der Kaiseridee nicht schon die Verfassung darstellen muss.[156] Denn: Auch ein Alleinherrscher sei nicht allein auf der Welt, er sehe sich vielmehr den Einflüssen Einzelner und Gruppen sowie Institutionen ausgesetzt. Selbst wenn der Herrscher Quelle der Macht sei, so repräsentiere er gleichwohl nicht die gesamte Staatsgewalt.[157] Ob die Tätigkeiten des Senats noch als verfassungsrechtlich betrachtet werden können, oder ob ihre Funktion im „gesellschaftlichen Bereich“ aufgeht, wird unterschiedlich beantwortet. Alexander Demandt rückt die Senatoren, nicht aber den Senat selbst, in die Nähe des Gesellschaftslebens, den Völkern der Gesellschaft, Frauen, Kindern, Sklaven. Kaiser, Armee und Verwaltung hingegen seien Staat.[158] Jochen Bleicken trennt zwischen Staat und Gesellschaft ebenfalls. Er bezeichnet das Kaisertum und die kaiserliche Reichsverwaltung – subsumiert sind Bürokratie, kaiserliche Zentralverwaltung und Armee – als staatlich und nimmt den Senatorenstand als Bestandteil der „sozialen Gliederung des Reichs“ auf.[159] Die angelsächsische Forschung geht darüber hinaus und bezieht die ständischen Zwangsvereinigungen und die Kirchenorganisation in den staatsrechtlichen Begriff ein.[160]
Die Christen waren im 3. Jahrhundert, wie oben beschrieben, unter Diokletian noch massiv verfolgt worden. Den Kampf hatte Diokletian ebenso allen gnostischen Weltdeutungsversuchen der verschiedenen synkretistischen Erlösungslehren angesagt, die seit dem 2. Jahrhundert zahlreiche Anhänger gefunden hatten (vgl. etwa die Lehren des Basilides, den Barbelognostizismus, oder den Markionismus). Zur Klarstellung seiner Kampfansage ging sein Edikt gegen die Manichäer noch im Codex Gregorianus auf.[161]
Im schroffen Gegensatz dazu fielen in der Frühphase der Christianisierung – zur Zeit der konstantinischen Wende im 4. Jahrhundert – bedeutende Kaisererlasse, die sich mit dem neuen gesellschaftlichen Phänomen beschäftigten. Dazu gehört die in Teilen erhalten gebliebenen und in der Vatikanischen Apostolischen Bibliothek verwahrten Fragmenta Vaticana aus dem Jahr 320. Das Christentum war gefestigt, weil es bereits Staatsreligion geworden war, als um die Wende zum 5. Jahrhundert die in der Collatio enthaltenen Kaiserkonstitutionen veröffentlicht wurden. Gegenübergestellt wurden in diesem Werk alttestamentarisches (mosaisches) Recht, sprachlich war es an den Pentateuch angelehnt, und römisches Recht der Zitierjuristen. Das Neue Testament hatte keine Rechtssätze aufgestellt, weshalb der Rückgriff auf die Hebräische Bibel erfolgte.[162]
Möglicherweise zeitgleich erschien der Codex Theodosianus.[163] Theodosius II. hatte darin als erster den Versuch gestartet, einen Gesamtüberblick über das seit Alters her wirkende römische Recht und bestimmte Kaiserkonstitutionen seit Konstantin dem Großen zu verschaffen.[164][165] Da das Christentum Staatsreligion geworden war, zudem Sinnbild seines kaiserlichen Selbstverständnisses, setzte er es im letzten – dem 16. Buch seiner Gesetzessammlung – mit bis dahin undenkbaren Erlassen unter besonderen Schutz. Trotz eines legislatorisch[166] grundsätzlich vorgesehenen Schutzes der Juden, schränkte er die Bekenntnisfreiheit zum Judentum ein und versuchte dessen Ausübung in Traditionen und Lebensweisen zu marginalisieren.[167] Untersagt waren Mischehen mit Christen, der Synagogenbau und die Ausübung ehrenvoller Tätigkeiten wie die des Soldaten, Beamten und in der Jurisprudenz.[168] Im Unklaren liegt, inwieweit die Regelungen eingehalten wurden, antijudaistische Bewegungen verweisen aber schon während der Regierungszeit Theodosius des Großen im Jahr 388 darauf, dass ein Drohbrief des Mailänder Bischofs Ambrosius mittelbar hinreichte, den Wiederaufbau einer eingeäscherten Synagoge zu verhindern.[169] Erstmals schien sich mit diesem Akt die christliche Religion mit ihrer missionarischen Interessenslage über das Recht stellen und die Autorität des Kaisers, dem die Verantwortung für Staat und Gesellschaft allein oblag, angreifen zu können.[170]
Das Gesamtwerk des später so genannten Corpus iuris civilis umfasste – unter weiteren Werken – den Codex Iustinianus. Er bestand aus einer Ansammlung von noch gültigen Kaiserkonstitutionen. Vornehmlich stammten diese aus der Zeit, die der Reichsteilung 395 vorausgegangen war. Für die wissenschaftliche Auswertung von Bedeutung sind die in das Corpus eingeflossenen diokletianischen Kodizes Gregorianus und Hermogenianus aus den 290er Jahren. Sie waren aber zuvor schon in die Vorbereitungen zum Codex Theodosianus einbezogen worden. Daneben noch sind die Iuris epitomae interessant, die wohl ebenfalls Hermogenian zuzuordnenden sind.
Tatsächlich gelang das dann unter Justinian I. Der Kaiser ließ zwei grundlegende Rechtslehrbücher schaffen. Zum einen waren dies seine gesammelten Institutionen. Sie fußten auf den der klassischen Zeit entlehnten gaianischen Institutionen und dienten für Anfänger als Lehrbuch zur juristischen Ausbildung. Voran stand ein Einführungsgesetz, die Constitutio Imperatoriam, die Moderne signalisierte, denn versprochen wurde, dass nicht mehr aus antiquae fabulae gelernt werden müsse.[171] Zum anderen waren es die mehrfach bereits genannten Digesten, die vornehmlich dem Rechtsunterricht für Fortgeschrittene dienten. Hinter diese beiden Elementarwerke gliederte Justinian als drittes Buch den ebenfalls bereits erwähnten Codex Iustinianus. Da Justinian der Rechtsordnung seinen höchstpersönlichen Stempel aufdrücken wollte, schuf er auch eigene zukunftsgerichtete Gesetze, die Novellae. Letztere, offiziell nicht kompiliert, fanden sich in wahrscheinlich etwas später erst verfassten Privatsammlungen wieder, vorrangig im Authenticum. Soweit sie nicht bereits in Latein urverfasst worden waren, finden sich darin 134 „Wort für Wort“ (kata-poda) aus dem Griechischen übersetzte Erlasse. Beachtung verdient noch die Epitome Iuliani, eine Einführungsvorlesung des Rechtslehrers (antecessor) Julian zu einer Sammlung mit 124 Novellen. Alle Gesetzeswerke seit Diokletian, die teils durch ihre historisch bedingten Leitfunktionen in den späteren Werken aufgegangen waren, fanden Einlass im Corpus iuris civilis.
In der Spätantike bestanden die klassischen republikanischen Ämter des cursus honorum zwar fort, aber die Bedeutung des Konsulats (erhalten bis 542 n. Chr.), der Praetur und auch des Volkstribunats erschöpfte sich in bloßem Formalismus. Macht ging von den Ämtern keine mehr aus. Die Kräfte waren insoweit vom Monarchen, dem Kaiser, an- und aufgesogen worden.[172]
Theodor Mommsen noch schrieb dem Prinzipat Züge eines dyarchischen Nebeneinanders von Senat und Kaiser zu.[173] Dem widerspricht die neuere Forschung, hält Mommsen aber zugute, dass er, wie auch andere bis heute, über einen gleichzeitigen Auftritt von Kaiser, Magistratur und Senat als herrschende Institutionen irritiert gewesen sein musste, zumal die Rhetorik der res publica restituta aus Zeiten der alten republikanischen Ordnung einerseits aufrechterhalten worden war, der Kaiser andererseits aber kaum als (ergänzender) republikanischer Magistrat betrachtet und im Nachhinein in das rechtliche System integriert werden konnte. Andererseits konnte er auch nicht von einer auf allein den Kaiser zugeschnittenen Monarchie ausgehen, denn die republikanischen Institutionen bestanden schließlich fort. Jochen Bleicken beschrieb die aporetische verfassungsrechtliche Disharmonie, die durch das Nebeneinander der neuen monarchischen Konstitution des Prinzipats und der alten verbliebenen republikanischen Strukturen ausgelöst wurde, pointiert so: „Der Pricipat ist (...) der Aufbau einer monarchischen Ordnung als eine Rechtsordnung.“[174]
Heute wird dem Senat nicht mehr bescheinigt, ein gleichwertiges Gegengewicht zum Kaiser gebildet zu haben. Zwar hatte der Senat (vornehmlich) im 1. Jahrhundert n. Chr. einen großen gestalterischen Spielraum aufgrund seiner Kompetenzen in der Gerichtsbarkeit und Gesetzgebung, letztere gestaltet über Senatskonsulte,[175] von denen er – wie weiter oben bereits angedeutet – auch regen Gebrauch gemacht hatte.[176] Später aber wurden seine Kompetenzen auf die bloße Ausübung der Kontrolle über das unbedeutender werdende Ärar[177] und die hoheitliche Verwaltung befriedeter Provinzen zurückgeführt.[178] Bereits den Systemwechsel von der Republik zum Prinzipat begleitete der Senat aus der schwachen Position eines Erfüllungsgehilfen des ersten Kaisers Augustus.[179] Von Augustus sicherlich geschickt eingefädelt, partizipierte der Senat somit immer weniger an der Macht, bis er kaum mehr über institutionelle Reputation hinauskam.
In der Spätantike erscheint die zum Beginn des Prinzipats vermeintlich wirkmächtigste Kraft des Senats – sie bestand neben der Gerichtsbarkeit[180] – in der Gesetzgebungskompetenz (senatus consulta), als Variante ausgeübten Kaiserrechts,[181] weshalb sich schon Paulus im 3. Jahrhundert auf die kaiserliche oratio (principis), nicht aber auf das einzelne Senatskonsult berief.[182] Der Senat verlor seit Hadrian sein Beschlussrecht an das Antragswesen des Kaisers und, was sich zum Ausgang des Prinzipats bereits deutlich ankündigte, er hatte in der Spätantike des 3. bis 5. Jahrhunderts bestenfalls ein Verlese-, kaum ein Gestaltungsrecht inne. Wenn der Senat eine Macht hatte, dann war es diejenige, die er aus der westlichen republikanischen Tradition im Gesamtgefüge der politischen und sozialen Ordnung immer einnahm und die soziale Stellung seiner Mitglieder spiegelt: Reichtum, Traditions- und Standesbewusstsein sowie die eigene ständische Interessensvertretung. Die einzelnen Senatoren repräsentierten mit ihrer Autorität zudem Spitzenfunktionen im kaiserlichen Beamtenapparat.[183] Unter Theodosius II., also im Ostreich, kam – ausweislich des Codex Iustinianus im Jahr 446 – nochmals Bewegung in die Gesetzeskompetenzen des Senats, denn er wurde wieder am Prozess beteiligt.[184] Dem kann Glaubhaftigkeit beigemessen werden, denn neben dem Codex, setzten sich auch die späteren Basiliken im 9. Jahrhundert[185] mit diesem Umstand auseinander.[186]
Auch das Volk hatte keine institutionelle Basis mehr. Der Spruchkörper der Komitien, der einst wichtige Rechtspolitik betrieben hatte, war verschwunden. Übriggeblieben waren vereinzelte Gremien, die im Interesse der Stände Provinzialpolitik betrieben. Die wirksamsten Auftritte hatte das Volk gerade mal noch als Menge an Köpfen, als „Volksmasse“. In Zirkusparteien organisiert, standen die Menschen aller sozialen Schichten dem Kaiser im Circus gegenüber und der Kaiser konnte Stimmungen in ihren Reihen wahr- und aufnehmen. Beschrieben wird, dass dem Volk in der Spätantike eine zeremonielle Rolle zugeschrieben war, die darin lag, dass der Kaiser mit Forderungen verknüpfte Akklamationen erfuhr,[187] die ihn bei Missachtung einer latenten Gefahr aussetzten, Schmähungen zu erfahren (Nika-Aufstand). Soweit also zugestanden werden kann, dass das Wohlverhalten des Volkes einen Teil der kaiserlichen Legitimation ausmachte, muss gleichwohl konstatiert werden, dass dem demokratischen Prinzip kein Verfassungsrang mehr zukam, uneingedenk einer Rhetorik, wonach der Kaiser dem Volk „verpflichtet“ blieb.[188][189]
Politik wurde allein im Umfeld des Kaisers gemacht. Im oströmisch geprägten 4. Jahrhundert war die Rolle des Senats davon geprägt, dass er seine eigenen Standesinteressen pflegte, aber auch in die kaiserliche Politik und Verwaltung eingebunden war.[190] Er bestand aus einer elitären Versammlung von (ehemals) aktiven höchsten kaiserlichen Beamten. Mommsen-Forscher Stefan Rebenich beschreibt ein Selbstbild des Senats als den „besseren Teil der Menschheit“ (pars melior humani generis).[191][192] Trotz seines hohen Sozialprestiges war der Senat sehr inhomogen. Er klassifizierte sich in senatores clarissimi, spectabiles und illustres. Der Zugang zum inzwischen vererbbaren Senatorenamt war deutlich erleichtert worden, die angeführte strukturelle Klassifizierung entwertete ihn aber nur und bedeutete letztlich seinen Niedergang. Die Zugehörigkeit zum ordo senatorius verlor an Exklusivität. Die Kaiser bedurften des Senates Anerkennung nicht mehr und dessen Gesetzgebungskompetenz wurde bedeutungslos.[190] Möglicherweise ist der Bericht der Historia Augusta nicht authentisch, aber er liefert einen spätantiken Nachweis darüber, dass sich der Senat noch in dieser Zeit als Hüter der res publica verstand.[193]
Ab Mitte des 5. Jahrhunderts wurde es möglich, dass Senatoren im Westen des Reichs selbst in die Kaiserrolle treten konnten, ermöglicht durch ihre soziale Stellung. Einst waren beispielsweise die Kaiser Petronius Maximus, Avitus und Olybrius Senatoren gewesen. Sie alle regierten glücklos.[190] Der Stand der Ritter verschwand während der Spätantike von der Bildfläche.
Als bedeutender Verwaltungsreformer ging Diokletian in die Geschichte ein. Er etablierte eine zentrale Regierungsgewalt, der alle Behörden unterstellt waren. Theodor Mommsen beschrieb den Apparat als umfassende gesellschaftliche Zwangsordnung im Rahmen eines Dominats (Dominus = Herr). Das dabei groß angelegte höfische Protokoll ordnete er dem Einflussbereich des persischen Vorbilds zu.[194] Er zeichnete einen Kaiser, der der menschlichen Sphäre entrückt war, sakralisiert,[195] und unnahbar abstrakt, möglicherweise um ihn gegen Kritik zu immunisieren, möglicherweise sogar ihn damit zu legitimieren.[196] Die Beschreibung der Bürokratiestruktur als Zwangsordnung ist heute umstritten, ebenso der Herrschaftsbegriff. Die neuere historische Forschung lehnt eine solche Auffassung ab und verwendet vornehmlich den neutraleren Begriff „Spätantike“.[197] Die Frage, ob der Kaiser immun gegenüber Kritik aus der Gesellschaft ist, beantwortet die Rechtsforschung auf der Ebene, ob er Recht verbindlich bereithält, oder ob der Kaiser princeps legibus solutus est.[198]
Kritisiert wird, dass die ältere Forschung sich zu sehr auf formale Aspekte konzentrierte und die faktische Umsetzung der Herrschaftsordnung und deren Auswirkungen, die in den Quellen fassbar ist, zu wenig beachtete. In keinem neueren historischen Handbuch wird die Zwangsstaatthese, die bis in die 1970er Jahre recht verbreitet war, noch vertreten.[199] Mommsens einflussreiche, jedoch zeitgebundene Beurteilung des spätrömischen Reiches wird mittlerweile abgelehnt.[200] Alexander Demandt urteilte, dass der „sogenannte antike Zwangsstaat (…) ein Wahngebilde von Forschern“ sei, „die gesetzliche Bestimmungen mit historischen Tatsachen verwechseln“.[201]
Geleugnet wird nicht, dass in formaler Hinsicht der Anspruch bestand die Untertanen zu reglementieren. Diokletian gliederte auch die Militär- und Zivilverwaltung rechtlich auf und beide wurden durch eine eigene geheime Staatspolizei (agentes in rebus) flankiert. Daraus leitet sich aber ebenso wenig eine Zwangsverwaltung ab wie bei Konstantin, dessen in Diözesen untergliederter Präfekturbetrieb das Maß einer moderaten „Bürokratisierung“ nicht überschritten hat. Die behördlichen Karrierechancen verbesserten sich, selbst das Amt des Kaisers konnte angestrebt werden, ablesbar am Aufstieg des einfachen Bauernsohnes, der als Justin I. Kaiser wurde. Festzuhalten ist am ehesten, dass der Einfluss der Heermeister einerseits und der wachsenden Kirche andererseits begonnen hatten, das Bewusstsein der Menschen grundlegend zu verändern. Dies lässt sich in allen Klassenschichten nachzeichnen. Letztlich wurde sogar die kaiserliche Machtausübung eingeschränkt.
Die „zentralisierte Hofgewalt“ äußerte sich in einem größeren Beamtenkörper,[202] der aber für die zahlreichen Staatsaufgaben eher noch zu klein und teils nicht gut organisiert war.[203] Zu den wichtigsten Funktionären zählten die dem magister officiorum unterstellten, zuständig für alle kaiserlichen Kanzleien, insbesondere als Vorstand der mit Rechtsangelegenheiten betrauten scrinia memoriae, epistularum und libellorum. Diese befehligten außerdem die Palastgarde und die Staatspolizei. Weitere wichtige Funktionen übte der quaestor sacri palatii aus, der Gesetze und andere Anordnungen vorbereitete. Der comes sacrarum largitionum verwaltete den Staatsschatz (Fiskus) und dem comes rerum privatarum unterstand die kaiserliche Domänenverwaltung. Diese vier Ressortköpfe gehörten zusammen mit anderen hochrangigen Beamten und Offizieren dem kaiserlichen Staatsrat an, der nunmehr consistorium (vormals: consilium) hieß. Später kam der umfassende Aufgabenbereich des Hofkämmerers (praepositus sacri cubiculi) hinzu, der die gesamte Hofverwaltung verantwortete.
Unweigerlich musste der Verwaltungsapparat einen Machtfaktor im politischen System darstellen. Es liegt dann auch nicht fern, dass ein Kaisergesetz, das den Namen des Kaisers trug, nicht zwingend dessen Eigenleistung gewesen sein musste, so jedenfalls ausweislich Codex Iustinianus 1, 14, 8. Das wiederum eröffnet die Frage, ob die stattdessen für den Gesetzeserlass verantwortliche Verwaltungsspitze sich überhaupt noch in ihrem normativen Rahmen bewegte. Eine Kompetenzüberschreitung wäre es zumindest gewesen, wenn neben Verwaltungs- auch Regierungsgeschäfte durch die hohen Beamten wahrgenommen worden wären.[204]
Das Reich war zudem in vier übergeordnete Verwaltungsgebiete unterteilt: Oriens, Illyricum, Italia und Gallia. Konstantin ließ sich von Prätorianerpräfekten vor Ort vertreten. Die Präfekturen wurden in 14, später 12 Finanzverwaltungen gegliedert, die von vicarii verwaltet wurden und die die Appellationsgerichtsbarkeit (entspricht Rechtsbehelfsverfahren) ausübten. Ihrer Aufsicht unterstanden zunächst 98, später 117 Provinzen sowie deren Statthalter, die praesides oder correctores.
Caracallas Constitutio Antoniniana löste die Gesellschaftsordnung von Bürgern und Nicht-Bürgern auf. Aufgrund ihrer Autorität kam wenigen reputablen Bürgern eine noch privilegierte Stellung zu. Den oberen Kasten (honestiores / potentes) standen die unteren Kasten (humiliores) gegenüber. Auswirkungen hatte dies in Strafverfahren, denn ein einfacher Bürger hatte deutlich empfindlichere Strafen zu erwarten.[205] Allein eine relativ kleine Oberschicht verfügte über privates Vermögen. Der lokalen Aristokratie, den Kurialen, waren hohe fiskalische Lasten auferlegt. Das führte zum Entzug der ökonomischen Lebensgrundlagen, der die Oberschichten beider Teile des Reiches zu schaffen machte, es bestand Geldknappheit. Im Westen verschwand die Oberschicht im 6., im Osten im 7. Jahrhundert. Diokletian vermochte es trotz gebündelter Maßnahmen nicht, in der Krise den Wirtschaftsverfall aufzuhalten. Das Steuerreformgesetz (Capitatio-Iugatio) verteilte nach Leistungsfähigkeit und ging nicht auf. Eine Münzreform sollte bei der Inflationsbekämpfung unterstützen, blieb aber wirkungslos. Die an die Reformen gekoppelten Preiskontrollen, insbesondere das Höchstpreisedikt von 301 n. Chr., scheiterten.[206] Schließlich wurde die Währung abgewertet, um die verlorengegangene Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen, aber auch diese Maßnahme führte nicht zum Erfolg. Die öffentlichen Lasten erdrückten die einfachen Berufsstände nahezu.
Die Berufe der Beamten, Soldaten, Handwerker und Bauern waren zum Zweck des Erhalts der Ertragskraft als erbliche Stände organisiert. Berufs- und Standeswechsel wurden deshalb mit hohen Strafen bedroht. Zwangsordnungen in der Landwirtschaft führten zu halbfreien Kolonaten. Die Kleinpächter gerieten in die Abhängigkeit der Großgrundbesitzer, freier Zug wurde eingebüßt. Als glebae adscripti[207] („an die Erdscholle Gebundene“) wurden sie Sachen gleichgestellt und konnten zusammen mit dem Grundstück veräußert oder vindiziert werden. Wie bedeutend die Rolle der Sklaven in der Spätantike noch war, ist in der Forschung umstritten, zumindest war sie rückläufig.[208]
Trotz gesetzlicher Beschränkungen waren die reellen, in den Quellen fassbaren Auswirkungen auf die Gesellschaft wohl weniger dramatisch, als in der älteren Forschung oft angenommen. So kannte die gesamte Antike „keine individuellen Freiheiten vom Staat, sondern nur Privilegien einzelner Gruppen im Staat“.[209] Die gesellschaftliche Mobilität war in der Spätantike zudem sehr hoch; in der neueren Forschung wird sie als die höchste in der gesamten römischen Geschichte angesehen.[210]
Mitursächlich für den Niedergang des Prinzipats war ein politischer Missstand, es fehlte an einer Nachfolgeordnung. Nach Auffassung der kaiserlichen Obrigkeit sollte sich die Prätendentenproblematik nicht wiederholen. Diokletian versuchte ihr deshalb mit der Einführung der Tetrarchie zu begegnen. Er ernannte Maximian zu seinem Mitregenten. Überlegen war er selbst ihm nur in Sachen auctoritas (Würde, Autorität). Beide konnten einen jeweiligen Nachfolger benennen, den sie zu ihrem Mitregenten (Caesar) machten. Jeder der vier Herrscher erhielt einen Reichsteil zugeteilt. Die Regelung erwies sich jedoch als unpraktikabel und stieß letztlich die Teilung des Reiches in Ost und West mit an. Vollzogen wurde sie 337 n. Chr. von Kaiser Konstantin dem Großen und dessen Söhnen. Beide Reiche waren zunächst durch eine gemeinsame Gesetzgebung miteinander verbunden, bis unter den Kaisern Arcadius und Honorius, Söhne des nochmals kurzzeitig die Reichseinigung betreibenden Kaisers Theodosius I., im Jahr 395 n. Chr. letztlich die Trennung beider Hälften verfügten. Unter Kaiser Konstantin wurde Byzanz 326 n. Chr. zur kaiserlichen Residenzstadt und in Konstantinopel umbenannt. Im Rückblick auf Diokletians Politik, kann dessen beabsichtigte Wiederbelebung der klassisch-römischen Kultur, als gescheitert angesehen werden.
Unter der sogenannten Völkerwanderung der Germanen brach das weströmische Reich schließlich zusammen. 476 n. Chr. setzte Skirenfürst Odoaker den weströmischen Kaiser Romulus Augustulus ab. Ostrom hingegen erlebte einen nachhaltigen kulturellen und wirtschaftlichen Aufschwung. Die Regierungsgeschäfte Kaiser Justinian I. florierten. Zwischenzeitlich wurde die westliche Reichshälfte wiedergewonnen. Das byzantinische Reich bestand bis zur Eroberung Konstantinopels durch die Türken im Jahr 1453 fort.
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