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zentrales Rechtsdokument eines Staates über Staatsziel, Staatsorganisation und Staatsaufgaben Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Als Verfassung wird das zentrale Rechtsdokument oder der zentrale Rechtsbestand eines Staates, Gliedstaates oder Staatenverbundes bezeichnet. Sie regelt den grundlegenden organisatorischen Staatsaufbau, die territoriale Gliederung des Staates, die Beziehung zu seinen Gliedstaaten und zu anderen Staaten sowie das Verhältnis zu seinen Normunterworfenen und deren wichtigste Grundrechte und Pflichten. Die auf diese Weise konstituierten Staatsgewalten sind an die Verfassung als oberste Norm gebunden, und ihre Macht wird durch diese Norm begrenzt. Zusätzlich enthalten Verfassungen meist auch Staatsaufgaben- und Staatszielbestimmungen. Diese sind häufig in einer Präambel abgefasst.
Prinzipiell stellt sich bei Verfassungen auch immer die Frage nach ihrer Legitimität. Die verfassunggebende Gewalt geht in demokratischen Staaten vom Staatsvolk aus.
Da sich von der Verfassung als Grundordnung sämtliche Rechtssätze eines Rechtssystems ableiten, bildet diese den Abschluss des Stufenbaus der Rechtsordnung. Um diese Beendigung des infiniten Rechtsableitungsregresses zu begründen, entwickelte der Rechtspositivismus den Begriff der Grundnorm. Verfassungsgesetze unterscheiden sich für gewöhnlich von einfachen Gesetzesbestimmungen in mehreren Punkten:
Werden Verfassungen als Grundlage für die Legalität der Staatsmacht gesehen, die nicht zwingend republikanisch sein muss, kann man den Erlass des Königs Telipinu, der um 1505 vor Christus grundlegend die Thronfolge für das Reich der Hethiter regelte, als Meilenstein bewerten. Nicht nur, dass auch der König sich dem Recht beugen müsse, wurde normiert, sondern auch eine Ratskammer, der sogenannte Pankus als Verfassungsorgan manifestiert.
Im Jahr 594 vor unserer Zeitrechnung begann dann, initiiert durch Solon, die attische Demokratie, die im Jahr 508 v. Chr. dann durch Kleisthenes insoweit verbessert wurde, als dass sie bis zum Jahr 262 v. Chr. Bestand hatte. Diese Verfassung Athens hatte nicht nur als feste Verfassungsorgane die mächtige Volksversammlung sowie einen Rat der 500 etabliert, sondern enthielt auch weitere Regelungen zur Besetzung der Gerichte und zur Wahrnehmung der exekutiven Gewalt. Diese wurde in einem Rotationsverfahren ausgeübt, es gab aber auch die Besetzung politischer Ämter durch Wahlen, sowie in einem großen Maß die Besetzung durch Losverfahren.
Im Jahr 293 wurde dann durch Diokletian eine Verfassung für das Römische Reich erlassen (Tetrarchie), die eine Viererherrschaft an der Staatsspitze etablierte und Regelungen bezüglich der maximalen Regierungsdauer und der Nachfolge festlegte.
Die italische Halbinsel blieb dann für lange Zeit federführend für die Verfassungsgeschichte und bildete mit der Verfassung der Republik Venedig eine der strukturiertesten Verfassungen für viele Jahrhunderte aus. Doch selbst der unter gänzlich anderen Zielsetzungen stehende Kirchenstaat war eine Wahlmonarchie, in der nicht der Vorgänger den Nachfolger bestimmte, sondern dieser in einem Konklave gewählt wurde.
Eine gänzlich andere Entwicklung nahm die Konstituierung im Königreich England. Dort prägte sich früh das heutige Bild von Verfassungen, auf der einen Seite die Einrichtung staatlicher Institutionen mit der später von Montesquieu normierten Gewaltenteilung und den persönlichen, verbrieften Freiheitsrechten (Grundrechte) der Bewohner des Staates, die damit von Untertanen in einem langwierigen Prozess zu Bürgern wurden. Anfangs vor allem nur von und für die Adligen (Barone) erkämpft, reichte der doppelseitige Charakter der Constitutio schließlich bis zur untersten Ebene der Bevölkerungshierarchie.
Ende des 18. Jahrhunderts erfolgten die zwei prägendsten Ereignisse für die Verfassungswirklichkeit der Neuzeit. Die dreizehn englischen Kolonien an der Ostküste Nordamerikas erklärten 1776 ihre Unabhängigkeit und schufen 1787 eine Verfassung, die auf viele westliche Verfassungsentwürfe Einfluss hatte. Im Jahr 1792 dann wandelte sich, auch unter dem Eindruck der Ereignisse in Amerika, eines der mächtigsten und ältesten Königreiche der Welt in eine Republik: Am 10. August 1792 verlor Ludwig XVI. seinen Thron und Frankreich wurde de facto Republik. Mit einer daraufhin erfolgten Neuwahl des Parlamentes wurde auch de jure die Republik am 21. September 1792 bestätigt.
Die sogenannte verfassungsgebende Gewalt umschließt die Erstellung einer neuen Verfassung und die Änderung der bestehenden.
Sie geht in demokratischen Staaten vom Volke aus, und selbst in heutigen Monarchien ist oft – zumindest überwiegend in Europa – der Monarch nicht mehr einziger Souverän.[1] In der Realität der repräsentativen Demokratien ist diese meist an einen Verfassungsgesetzgeber delegiert.
Die rechtliche Auseinandersetzung mit Verfassungen ist Gegenstand des Verfassungsrechts.
Erste oder völlig neue Verfassungen werden oftmals von Verfassunggebenden Versammlungen ausgearbeitet.
Bei Änderungen der Verfassung durch den nationalen Verfassungsgesetzgeber sind meist bestimmte qualifizierte Mehrheiten vorgeschrieben. Meist ist eine Zweidrittelmehrheit des Parlaments und evtl. weiterer Verfassungsorgane nötig, beispielsweise in Deutschland (Art. 79 Abs. 2 GG), Österreich (Art. 44 Abs. 1 und 2 B-VG) oder Sri Lanka. Manche Staaten sehen aber auch verpflichtende Volksabstimmungen für Teil- oder Totalrevisionen der Verfassung vor, so zum Beispiel für Gesamtänderungen der Verfassung Deutschland (Art. 146) und Österreich. In der Türkei ist eine Volksabstimmung nötig, wenn im Parlament keine Zweidrittelmehrheit zustande kam, sondern nur eine mindestens 60%ige Mehrheit, siehe Verfassung der Republik Türkei#Verfassungsänderung.
Grundlegende Veränderungen an der Verfassung werden als „Verfassungsreform“ bezeichnet.
Rechtsdogmatisch handelt es sich bei dem, was heute üblicherweise unter „Verfassung“ verstanden wird, um eine Verfassung im formellen Sinn, das heißt eine Verfassung in Gesetzesform. Demgegenüber beschreibt der Terminus Verfassung im materiellen Sinn schlicht all jene Rechtsnormen, die Aufbau und Tätigkeit des Gemeinwesens regeln, unabhängig davon, ob sie in Gesetzesform positiviert sind (beispielsweise wenn die Ältesten eines Stammes einen Beschluss fällen). Eine Verfassung im materiellen Sinn besteht somit in jeder – wenn auch weniger komplex strukturierten – Gesellschaft. Eine Verfassung im förmlichen Sinn ist hingegen eine zivilisatorische Errungenschaft, grundlegende Rechte und Pflichten mit Rechtssicherheit zu bestimmen. Verfassungsrecht aus schriftlich gesetztem Recht hat daher grundsätzlich Vorrang gegenüber ungeschriebenem Verfassungsrecht.[2]
Die meisten Verfassungen bestehen aus einem einzelnen Verfassungsdokument. Nur sieben Verfassungen von Staaten der Vereinten Nationen sind kein Einzeldokument. Die Verfassung des Vereinigten Königreichs etwa ist nicht statisch, sondern besteht aus einer Reihe historisch gewachsener Gesetzestexte. Die weiteren Staatsverfassungen, die kein Einzeldokument sind, sind diejenigen von Saudi-Arabien, Kanada, Schweden, Israel, Neuseeland und San Marino.
Üblicherweise wird Verfassungen eine Präambel vorangestellt, in welcher eine Erklärung über die Motive des Verfassungsgesetzgebers abgegeben oder eine höhere Macht über dem Staat angerufen oder zur Legitimation herangezogen wird. Die Präambel des deutschen Grundgesetzes beispielsweise beginnt mit den Worten „Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen“. Dieser Gottesbezug wird teilweise kritisiert.
Die Untersuchung verschiedener aktueller oder historischer Verfassungen bezeichnet man als Verfassungsvergleichung. Sie ist ein Unterfall der Rechtsvergleichung.
Mit dem Vertrag über eine Verfassung für Europa sollte die Europäische Union (EU) erstmals eine eigene Verfassung erhalten. Da die zu diesem Zweck angesetzten Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden jedoch scheiterten, wurde der Verfassungsvertrag als gescheitert erklärt.
Stattdessen entschied 2007 der Europäische Rat, die anvisierten Maßnahmen und Veränderungen durch den Vertrag von Lissabon in die bereits bestehenden Verträge einzubringen. Von einer Verwendung des Wortes „Verfassung“ sowie staatstypischer Symbole wie Flagge und Hymne wurde dabei abgesehen. Dennoch hat das europäische Primärrecht – also vor allem EU-Vertrag, AEU-Vertrag und EU-Grundrechtecharta – den gleichen rechtlichen Rang, wie es der Verfassungsvertrag gehabt hätte; ihm wird daher Verfassungsqualität zuteil. Gleichermaßen ist man sich „weitgehend einig […], dass aber unter Zugrundelegung eines substantiell angereicherten Verfassungsbegriffs Defizite bestehen“.[3]
Bereits 1849 hat die Frankfurter Nationalversammlung einen Verfassungsentwurf für ganz Deutschland vorgelegt. Obwohl dieser Entwurf vom preußischen König und anderen Fürsten nicht angenommen wurde, hatte er Einfluss auf die späteren Diskussionen. Eine überregionale deutsche Verfassung wurde erstmals 1867 in Kraft gesetzt, nämlich die Verfassung für den Norddeutschen Bund. Der Entwurf entstand unter Führung von Otto von Bismarck und wurde von den norddeutschen Einzelstaaten akzeptiert. Dann aber beriet der konstituierende Reichstag darüber, der eigens zu diesem Zweck gewählt worden war. Die so entstandene Verfassung war also keine oktroyierte (allein von Monarchen auferlegte), sondern eine vereinbarte Verfassung. Mit kleineren Veränderungen wurde daraus 1870/1871 die Verfassung des Deutschen Reiches.
Die Weimarer Verfassung vom 11. August 1919 löste jene Verfassung ab und etablierte erstmals die Staatsform der Republik für den deutschen Gesamtstaat. Sie erhielt auch, wie der Frankfurter Entwurf, einen Grundrechtskatalog, während die Regelung der Grundrechte zuvor den Einzelstaaten überlassen worden waren. Die Deutschen durften nun neben dem Reichstag auch das Staatsoberhaupt wählen und über Volksentscheide die Politik mitbestimmen. Die Geschichtswissenschaft ist sich uneinig, ob und inwieweit die Verfassung Mitschuld hatte am Untergang der Republik 1933. Offiziell wurde die Weimarer Reichsverfassung nie abgeschafft, aber durch die nationalsozialistische Gesetzgebung und Verfassungswirklichkeit ausgehöhlt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, das mit Ablauf des 23. Mai 1949 in Kraft trat. Verfassungsgeber war der Parlamentarische Rat in Bonn, in den die westdeutschen Landtage 65 Mitglieder gewählt hatten. Aus der Weimarer Verfassung von 1919 wurden Teile in das Grundgesetz übernommen. Der Entwurf bedurfte der Zustimmung der westlichen Besatzungsmächte. Seit 1990 ist das Grundgesetz die Verfassung für Gesamtdeutschland (vgl. dazu Gemeinsame Verfassungskommission).
Da die einzelnen deutschen Länder eigenen Staatscharakter haben und demnach Gliedstaaten sind (Kennzeichen: Staatsvolk, Staatsgewalt und Staatsgebiet), hat jedes Bundesland seine eigene individuelle (Landes-)Verfassung. Jedoch muss diese Verfassung nach dem Homogenitätsgebot den „Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen“ (Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG). Fundamentale Grundsätze wie Menschenwürde, Rechtsstaatlichkeit oder das Föderalismusprinzip betreffende Änderungen des Grundgesetzes selbst werden durch die Ewigkeitsklausel (Art. 79 Abs. 3 GG) beschränkt.[4]
Die österreichische Bundesverfassung stellt keine einheitliche Verfassungsurkunde dar, sondern ist vom Gedanken einer „formellen Verfassungspluralität“ geprägt.[5][6] Die wichtigsten Bundesverfassungsgesetze sind:
Daneben stehen zahlreiche weitere Gesetze oder Gesetzesteile im Verfassungsrang (Verfassungsgesetze im allgemeinen Sinne).
Das westeuropäisch-amerikanische Verfassungsverständnis verbreitete sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts in der Schweiz. Die von Frankreich aufoktroyierte Helvetische Verfassung von 1798, die Peter Ochs in Paris ausgearbeitet hatte, war die erste moderne schweizerische Verfassung. Sie war der französische Direktorialverfassung von 1795 nachgebildet und wies einen Grundrechtskatalog und eine gewaltenteilige Staatsorganisation auf. Nach dem Zusammenbruch der Helvetischen Republik erhielten zwar alle 19 Orte neue Kantonsverfassungen, auf Bundesebene setzte dagegen eine gewisse Rückentwicklung ein. Die Mediationsakte von 1803 konnte nicht als wirkliche rechtsstaatliche Verfassung aufgefasst werden; entsprechendes gilt für den Bundesvertrag von 1815, der auch nicht als Bundesverfassung, sondern als Allianz der Kantone verstanden wurde.
Das rechtsstaatliche Verfassungsdenken kam in der Regeneration ab 1830 zum Durchbruch – in einem knappen Jahr entstanden elf neue Kantonsverfassungen – und wurde mit der Bundesverfassung (BV) 1848 zum rechtlichen Standard: Infolge der Homogenitätsklausel des Art. 5 BV 1848/1874 war dieser Verfassungsbegriff jetzt auch für die Kantone rechtsverbindlich. 1874 erfolgte die Totalrevision der BV; dabei beliess man allerdings viele Bestimmungen der Vorgängerin von 1848 unverändert. Die Kantonsverfassungen wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts häufig total revidiert. Diese Bestrebungen kamen gegen Ende des Jahrhunderts fast ganz zum Erliegen. Erst um die Mitte der 1960er Jahre setzte in den Kantonen eine Welle erfolgreicher Verfassungserneuerung ein; bis 2012 wurden 21 Verfassungen revidiert. Auch die BV wurde nach einem über 30 Jahre dauernden Prozess 1999 total revidiert. Diese Revision beinhaltete die Aktualisierung und die Nachführung des geschriebenen und ungeschriebenen Verfassungsrechts in einer modernen Sprache und übersichtlichen Anordnung, verzichtete aber auf größere Neuerungen.[8]
Artikel 51 Abs. 1 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft schreibt vor, dass sich „jeder Kanton […] eine demokratische Verfassung [gibt]. Diese bedarf der Zustimmung des Volkes und muss revidiert werden können, wenn die Mehrheit der Stimmberechtigten es verlangt.“[9]
Zu den einzelnen Verfassungen siehe die jeweiligen Kantons-Artikel, ferner Kantonsregierung und Kantonsparlament.
In der Schweiz ist die Gemeindeautonomie traditionell groß (am größten in den Kantonen der Ostschweiz). Die jeweiligen kommunalen Organisationserlasse werden Gemeindeordnung, in den Kantonen Schaffhausen und Graubünden Gemeindeverfassung genannt. Der Begriff „Gemeindeordnung“ bedeutet damit in der Schweiz etwas anderes als in Deutschland, wo er das Landesgesetz bezeichnet, in welchem das Gemeindewesen geregelt wird (siehe Gemeindeordnungen in Deutschland).
Die Verfassungsgerichtsbarkeit beruht auf der Idee der Austragung verfassungsrechtlicher Streitigkeiten vor einem Verfassungsgericht, das zu einer Entscheidung über den Inhalt beziehungsweise die Auslegung der Verfassung berufen ist. Das Konzept der Verfassungsgerichtsbarkeit stammt aus dem angloamerikanischen Rechtsraum. Die moderne Verfassungsgerichtsbarkeit geht vor allem auf den von Hans Kelsen maßgeblich konzipierten österreichischen Verfassungsgerichtshof zurück. Dieser war das erste von der Verfassung selbst dazu ermächtigte gerichtliche Prüfungsorgan zur Sicherung der Verfassungsgarantie. Ein solches Verfassungsgericht besteht jedoch nicht überall:
Dokumente mit Verfassungscharakter kennen viele Weltreligionen; sie sind durchwegs älter als die Verfassungen neuzeitlicher Staaten. Ein Beispiel ist die Kodifizierung des mosaischen Rechts unter Esra um die Mitte des 5. vorchristlichen Jahrhunderts.
Das privatrechtliche Pendant zur staatsrechtlichen Verfassung ist die Satzung.
Unter dem Schlagwort corporate government gehen auch Unternehmen dazu über, sich eine Verfassung zu geben, um vornehmlich eine größere Transparenz gegenüber Eigentümern und Mitarbeitern zu schaffen.
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