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deutschsprachiger Lyriker Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Paul Celan [[1] (geboren am 23. November 1920 in Czernowitz; gestorben vermutlich am 20. April 1970 in Paris) war ein deutschsprachiger Lyriker rumänischer, später französischer Staatsangehörigkeit. Er hieß ursprünglich Paul Antschel, später rumänisiert Ancel, woraus das Anagramm Celan entstand.
]Paul Celan gilt als einer der bedeutendsten deutschsprachigen Dichter des 20. Jahrhunderts (außerdem betätigte er sich auch als Übersetzer von fremdsprachiger Lyrik ins Deutsche). Sein Werk ist geprägt von der Reflexion über Sprache und Kommunikation und ihre Fähigkeit, das Erlebte zu bewahren und zu bezeugen, und ist ferner geprägt von der Verarbeitung von Grenzerfahrungen, insbesondere der Erfahrung des Holocaust (zum Beispiel in dem berühmten Gedicht Todesfuge). Celans Werk weist eine Entwicklung auf, in der sich anfangs auch relativ traditionelle Gedichtformen finden, deren Spätphase aber gekennzeichnet ist von einer „atemlosen Stille des Verstummens im kryptisch gewordenen Wort“ (H.-G. Gadamer).[2]
Celan wurde in Czernowitz, der Hauptstadt der Bukowina, die damals zum Königreich Rumänien gehörte, in eine deutschsprachige jüdische Familie geboren. Er war der einzige Sohn von Leo Antschel-Teitler (geboren 1890 in Schipenitz bei Czernowitz) und dessen Ehefrau Friederike (genannt „Fritzi“) geborene Schrager (geboren 1895 in Sadagora), die eine kleine Wohnung in der Wassilkogasse in Czernowitz bezogen.[3] Er besuchte 1926–1927[4] die deutsche, dann 1927–1930[4] die hebräische Grundschule, fünf Jahre das rumänische Staatsgymnasium (das frühere k.k. I. Staatsgymnasium Czernowitz) und schließlich das ebenfalls rumänischsprachige Gymnasium „Marele Voievod Mihai“ (Kronprinz-Michael-Gymnasium), wo er am 3. Juni 1938 das Abitur ablegte. Er begann noch im selben Jahr ein Medizinstudium in Tours bis zum PCB,[4] kehrte aber nach einem Jahr nach Czernowitz zurück, um dort Romanistik zu studieren.
Mitte 1940 wurde die nördliche Bukowina und somit am 28. Juni auch Celans Heimatstadt Czernowitz nach Inkrafttreten des Deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakts von der Sowjetunion besetzt. Celan konnte sein Studium zunächst fortsetzen. Als jedoch im Juni 1941 rumänische und deutsche Truppen Czernowitz besetzten, wurden die Juden in das örtliche Ghetto gezwungen, von wo Celans Eltern im Juni 1942 zuerst in einen Steinbruch und dann in das Zwangsarbeiterlager an der Durchgangsstraße IV in Michailowka unweit von Hajssyn deportiert wurden. Dort starb sein Vater wenige Monate später an Typhus, seine Mutter wurde erschossen.[5][4] Die Deportation und der Tod seiner Eltern hinterließen tiefe Spuren bei Celan. Er litt für den Rest seines Lebens unter dem Gefühl, seine Eltern im Stich gelassen zu haben. In seinen Gedichten sind zahlreiche Verweise auf dieses Trauma der Überlebensschuld zu finden.
Auf Anraten seiner Freundin Ruth Lackner meldete sich Celan im Juli 1942 zum Arbeitsdienst, um der drohenden Deportation aus dem Ghetto zu entgehen. Er wurde daraufhin bis zu dessen Auflösung im Februar 1944 im Arbeitslager Tăbărăști unweit von Buzău festgehalten und musste mit wenigen Unterbrechungen, in denen er ins Ghetto Czernowitz zurückkehrte, Zwangsarbeit im Straßenbau leisten.[6] Nach der Einnahme von Czernowitz durch die Rote Armee im August 1944 kehrte Celan im Dezember 1944 nach Czernowitz zurück und nahm sein Studium wieder auf, nun in Anglistik. Er arbeitete als Helfer in einer psychiatrischen Klinik.[4] Im April 1945 übersiedelte er nach Bukarest und studierte dort weiter. Er war Übersetzer und Lektor des Verlags Cartea rusă.[4]
Nachdem das Königreich Rumänien unter sowjetische Kontrolle geraten war, betrieben die Kommunisten eine Umgestaltung von Staat und Gesellschaft nach stalinistischem Vorbild. Vor diesen Umwälzungen floh Celan im Dezember 1947 über Ungarn nach Wien. Dort wurde sein erster Gedichtband, Der Sand aus den Urnen, gedruckt, jedoch ließ Celan die gesamte Auflage wegen zahlreicher Satzfehler einstampfen. Im Juli 1948 siedelte Celan über Innsbruck nach Paris über.
„Nicht nur‚ daß die Begebenheiten seiner Dichtungen in einem mythischen Raum spielen – das Licht, das darin waltet‚ entstammt geradezu einem anderen Spektrum –‚ auch die poetische Wirklichkeit ist transfiguriert, es ist sozusagen der Astralleib dieser Wirklichkeit‚ was uns begegnet. Das Emotionelle‚ Sonore‚ Visionäre, alles hat versetzte Vorzeichen‚ die Assoziation ist die Assoziation des Traumes, die Neuland abtastet. Ich für mein bescheidenes Teil glaube‚ daß es das wichtigste deutsche Gedichtbuch der letzten Dezennien ist, das einzige lyrische Pendant des Kafkaschen Werkes…“
In der französischen Hauptstadt lernte Celan den surrealistischen Maler Edgar Jené kennen, der ihn zu seinem Prosatext Edgar Jené und der Traum vom Traume inspirierte. Das Verhältnis der beiden Künstler verschlechterte sich bald und Celan wandte sich in der Folge auch vom Surrealismus ab.[8] Celan immatrikulierte sich an der Sorbonne. Er erwarb eine Licence in Deutsch. Sein Vorhaben, mit einer Arbeit über Kafka das Diplôme d’Études Supérieures zu erlangen, gab er 1952 auf.[4]
Im Mai 1948 begegnete Celan, erneut in Wien, Ingeborg Bachmann, mit der ihn Ende der Vierziger- und Anfang der Fünfzigerjahre ein Liebesverhältnis verband, das im Oktober 1957 bis Mai 1958 in Paris wieder aufgenommen wurde. Diese Beziehung wird durch Celans Tagebücher und den postum veröffentlichten Briefwechsel zwischen Bachmann und Celan bestätigt. Ihre Korrespondenz ist im Deutschen Literaturarchiv (Celan) und in der Österreichischen Nationalbibliothek (Bachmann) archiviert. Der Briefwechsel erschien im August 2008 unter dem Titel Herzzeit bei Suhrkamp. Celans Gedicht Corona und viele weitere Texte aus dem Gedichtband Mohn und Gedächtnis waren an Bachmann gerichtet.[9]
In Paris lernte Celan im November 1951 die Künstlerin Gisèle Lestrange kennen, die er am 23. Dezember 1952[4] heiratete und die zeitweise künstlerisch mit ihm zusammenarbeitete (z. B. 1965 Radierungen zum Gedichtzyklus Atemkristall). 1952 erschien bei der Deutschen Verlags-Anstalt in Stuttgart sein Gedichtband Mohn und Gedächtnis mit dem vielbeachteten Gedicht Todesfuge, das den Mord an den europäischen Juden durch die Nationalsozialisten thematisiert. 1955 erhielt Celan die Staatsbürgerschaft der Republik Frankreich.[4] Am 6. Juni 1955 wurde sein Sohn Eric geboren (der Name Eric lässt sich deuten als Anagramm zu „écris!“, ohne das stumme „s“, französisch für „schreib!“), nachdem seine Frau Gisèle zwei Jahre zuvor ein Kind am Tag nach der Geburt verloren hatte.[4] Im September 1959 erhielt er eine Ernennung zum Lecteur d’allemand der École Normale Supérieure an der Rue d’Ulm in Paris. Im Mai 1960 begegnete er Nelly Sachs in Zürich.[4]
Einer der ersten öffentlichen Auftritte des damals noch weitgehend unbekannten Paul Celan fand im Mai 1952 auf der Tagung der Gruppe 47 in Niendorf statt. Die Lesung kam auf Vermittlung der Wiener Freunde Ingeborg Bachmann, Milo Dor und Reinhard Federmann zustande, wurde allerdings zu einem Misserfolg. Bereits die briefliche Bitte Milo Dors an Hans Werner Richter, Celan „unbedingt“ einzuladen – „Ich weiss, was Du von seinen Gedichten hältst, aber ich glaube, dass es nur wenige Lyriker gibt, die seine Musikalität und seine Formkraft besitzen“[10] –, ließ im Vorfeld (1951) die ablehnende Haltung des Gründers der Gruppe und überzeugten Realisten Richter erkennen.
Walter Jens erinnerte sich 1976 im Gespräch mit Heinz Ludwig Arnold an Celans Lesung: „Als Celan zum ersten Mal auftrat, da sagte man: ‚Das kann doch kaum jemand hören!‘, er las sehr pathetisch. Wir haben darüber gelacht, ‚Der liest ja wie Goebbels!‘, sagte einer. […] Die Todesfuge war ja ein Reinfall in der Gruppe! Das war eine völlig andere Welt, da kamen die Neorealisten nicht mit.“[11] Hans Weigel fügte hinzu, „daß nachher einige Kollegen höhnisch vor sich her skandierten: ‚Schwarze Milch der Frühe …‘“ und dass Hans Werner Richter der Ansicht gewesen sei, Celan habe „in einem Singsang vorgelesen wie in einer Synagoge“.[12] Celan selbst kommentierte in einem Brief an seine Frau Gisèle: „Jene also, die die Poesie nicht mögen – sie waren in der Mehrzahl – lehnten sich auf.“[13]
Rückblickend gab Toni Richter in ihrer Dokumentation eine Einschätzung der Vorgänge: „Das traurigste Ereignis war die Lesung von Paul Celan, ein Mißverständnis, das an der Art seines Vortrages lag. Ich denke, keiner der Heimkehrer aus dem Kriege in der Gruppe kannte den Namen und das Schicksal von Paul Celan, noch hatten sie von der Tradition der jüdisch-rumänischen Gedicht-Rezitation im rhythmisch hohen Ton gehört. Da war auch die Stilfrage ‚Littérature pure‘ oder ‚engagée‘ müßig. Celan fragte in den Raum, ob denn Rimbaud hier unbekannt sei, auch dieser löste Verse in musikalische Schwingungen auf.“[14] Immerhin wurde bei der Lesung der Cheflektor der Deutschen Verlags-Anstalt auf Celan aufmerksam, die im Dezember Mohn und Gedächtnis publizierte.[15] Ernst Schnabel veranstaltete nach der Tagung eine Lesung im NWDR. Trotz späterer Einladungen nahm Celan an keinem Treffen der Gruppe 47 mehr teil.
Der Germanist Reinhart Meyer-Kalkus leitet die pathetische Vortragsweise von Celan vor allem vom Vorbild des Schauspielers Alexander Moissi ab, der schon dem jungen Celan in Czernowitz bekannt gewesen sei.[16] Der Autor Helmut Böttiger weist dagegen darauf hin, dass Celan von der Gruppe 47 nicht abgelehnt wurde, sondern bei der Abstimmung über den Preisträger auf dem dritten Platz bei 21 Teilnehmern landete.[17]
In den 1950er Jahren begann sich Celan mit der Philosophie Heideggers auseinanderzusetzen und auch umgekehrt las Heidegger Celans Werke. Celan war von der hohen Bedeutung angetan, die Heidegger der Dichtung in seiner Philosophie zumaß. Zudem verband die beiden ihr lebhaftes Interesse an Hölderlin.[18] Am 24. Juli 1967 begegneten sie sich in Freiburg und unternahmen am Tag danach einen Ausflug zu Heideggers Hütte in Todtnauberg. Todtnauberg wurde auch der Titel eines Gedichtes, das Celan am 1. August 1967 schrieb. Es folgten weitere Besuche und es entstand ein Briefwechsel. Celans Verhältnis zu Heidegger war zwar ambivalent, aber freundschaftlich.[19]
1960 verstärkten sich die schweren, aber unbegründeten Plagiatsvorwürfe von Claire Goll, der Witwe des jüdischen Dichters Yvan Goll, dem Celan freundschaftlich verbunden gewesen war und für den er Gedichte übersetzt hatte. 1954 hatte Celan das Gedicht In Gestalt eines Ebers veröffentlicht, das mit den Worten beginnt: „In Gestalt eines Ebers / stampft dein Traum durch die Wälder am Rande / des Abends.“ 1953 hatte Goll in einem Gedicht geschrieben: „Die Eber mit dem magischen Dreieckskopf / Sie stampfen durch meine faulenden Träume.“ Auf die Ähnlichkeit beider Verse hatte der Literaturkritiker Curt Hohoff 1956 aufmerksam gemacht und sie als Beleg für Celans Epigonalität gewertet. Claire Goll sah darin gar ein Plagiat. Die sich anschließende „Goll-Affäre“ wurde in den bundesdeutschen Feuilletons lebhaft diskutiert, teils mit antisemitischen Untertönen.[20] Die Verletzungen, die Celan aus den gegen ihn erhobenen Vorwürfen davontrug, verfolgten ihn bis an sein Lebensende.
Eine Anstellung als Übersetzer an der Internationalen Arbeitsorganisation in Genf im Oktober 1962 musste er nach einem Monat beenden.[4] Celan wurde mehrmals in psychiatrische Kliniken eingewiesen, einmal – vom 28. November 1965 bis 11. Juni 1966 – weil er in einem Wahnzustand seine Ehefrau mit einem Messer töten wollte. Im November 1967 entschieden er und seine Frau, getrennt voneinander zu wohnen. Sie blieben aber in Verbindung. Celan zog an der Rue de Longchamp aus und bezog allein eine Einzimmerwohnung an der Rue Tournefort im 5. Arrondissement.[4]
Im Dezember 1967 reiste Celan nach West-Berlin, wo er die Gedenkstätte Plötzensee und auch einen Weihnachtsmarkt besuchte.[21] Dazu schrieb er das Gedicht DU LIEGST im großen Gelausche, das an die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht 1919 in Berlin erinnert.[22] Im April 1968 weilte er zu Besuch bei seiner Tante Berta Antschel in London.[4]
Vom 30. September bis 17. Oktober 1969,[4] wenige Monate vor seinem Tod, unternahm Celan seine einzige Reise nach Israel und kam nach Jerusalem. Er traf Gershom Scholem und begegnete im Rahmen von Lesungen alten Freunden aus der Bukowina und israelischen Dichtern wie Jehuda Amichai und David Rokeah. Im Zentrum stand das Wiedersehen mit seiner aus Czernowitz stammenden Jugendfreundin Ilana Shmueli. Getragen von zahlreichen biblischen Anspielungen, verbindet sich in den dabei in der Tradition jüdischer Jerusalemdichtungen entstandenen Gedichten das Werben um Jerusalem mit erotischen Elogen auf seine Geliebte. Zeugnisse dieser Begegnungen sind ihr Briefwechsel, die Erinnerungen Ilana Shmuelis unter dem Titel Sag, dass Jerusalem ist[23] und die Gedichte Celans, die nach seinem Tod in dem Nachlassband Zeitgehöft Aufnahme fanden. Sie gelten als Zeugnisse von „Celans schwieriger Auseinandersetzung mit seinem Judentum“.[24]
Seine letzte Wohnadresse in Paris befand sich ab 1969 an der Avenue Émile-Zola im 15. Arrondissement.[4] Die Umstände und das Datum von Celans Tod sind nicht geklärt. Sein Leichnam wurde am 1. Mai 1970 bei Courbevoie aus der Seine geborgen. Vermutlich hatte er sich am 20. April 1970 zwölf Kilometer stromaufwärts am Pont Mirabeau in Paris in den Fluss gestürzt.[4] Er wurde am 12. Mai 1970 auf dem Cimetière parisien de Thiais im Département Val-de-Marne beigesetzt. An diesem Tag starb Nelly Sachs, mit der er freundschaftlich verbunden gewesen war.
Celans Nachlass liegt im Deutschen Literaturarchiv Marbach. Teile davon sind im Literaturmuseum der Moderne in Marbach in der Dauerausstellung zu sehen, insbesondere das Typoskript der Todesfuge.
Im Überblick des Celan-Handbuches zur internationalen Celan-Rezeption[26] wird Celan ähnlich wie Goethe, Hölderlin oder Kafka als einer der „wohl am intensivsten wahrgenommenen Dichter deutschsprachiger Weltliteratur“ bezeichnet. Nach Wolfgang Emmerich[27] steht er zusammen mit wenigen Autoren wie Primo Levi, Nelly Sachs oder Imre Kertész „seit nunmehr 50 Jahren international herausragend für die Möglichkeit von Dichtung im ,Angesicht der Shoah‘“.[28] Das gelte sowohl für seine Lyrik als auch für seine Poetik. Seine „weltliterarisch fast einzigartige Wirkung“ bestehe darin, dass er in einer „durch die Greuel des Massenmordes ,hindurchgegangenen‘ Sprache schreibe“, ohne „je der Illusion anzuhängen, ,über‘ Auschwitz und die Millionen von Opfern mit den Mitteln des Abbildrealismus schreiben zu können“.
Von Aribert Reimann wurden viele von Celans Gedichten vertont, einige auch von Matthias Bonitz und Michael Denhoff.
Celans Dichtungen weisen weitgespannte Bezüge nicht nur in die jüdische Tradition, sondern auch in ein gesamteuropäisches Panorama verschiedensprachiger Literaturtraditionen auf. Dies zeigt sich auch in der großen Zahl von Übersetzungen ins Deutsche, die er von Dichtern anderer Sprachen anfertigte: Übersetzungen aus dem Französischen, Russischen, Englischen, Italienischen, Rumänischen und Hebräischen.
Zu Ehren des nachdichtenden Übersetzers stiftete der Deutsche Literaturfonds 1988 den Paul-Celan-Preis für ebenfalls herausragende Übersetzerleistungen.
Liste der von Celan übertragenen Autoren:
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