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obligatorische Reise der Söhne des europäischen Adels Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Grand Tour [Renaissance obligatorische Reise der Söhne des europäischen Adels, später auch des gehobenen Bürgertums, durch Mitteleuropa, Frankreich, Italien, Spanien und auch ins Heilige Land. In weiterem Sinne wurden auch die Bildungsreisen erwachsener Angehöriger der genannten Stände so bezeichnet. Insbesondere in England fand die Grand Tour im 18. Jahrhundert einen reichen literarischen Niederschlag.
] (französisch; deutsch „große Reise“), auch Kavalierstour oder Cavaliersreise, war die Bezeichnung für eine seit derDie Grand Tour stellte ursprünglich den Abschluss der Erziehung dar, die die Bildung des Reisenden vollenden sollte. Die Adeligen suchten insbesondere bedeutende europäische Städte auf und besichtigten dort Baudenkmäler aus Antike, Mittelalter und Renaissance, reisten durch malerische Landschaften, sprachen aber auch an europäischen Fürstenhöfen vor. Dabei sollten sie Kultur und Sitten fremder Länder kennenlernen, neue Eindrücke sammeln und für das weitere Leben nützliche Verbindungen knüpfen. Weiter diente die Tour der Vertiefung von Sprachkenntnissen sowie der Verfeinerung von Manieren, allgemein dem Erwerb von Weltläufigkeit, Status und Prestige. Gerade für adlige Reisende war es auch reizvoll, Lektionen französischer oder italienischer Fechtmeister in Anspruch zu nehmen und dadurch ihre Kenntnisse im Waffenhandwerk zu vertiefen. Unausgesprochenes weiteres Ziel war häufig die Erlangung einer gewissen Erfahrung in erotischen Dingen, manchmal auch die Anbahnung von Heiratsmöglichkeiten.
Bei älteren Reisenden traten zur Vertiefung der Bildung und Horizonterweiterung häufig weitere Beweggründe hinzu. Mitunter versprachen sie sich vom milderen Klima des europäischen Südens die Heilung oder Linderung von Krankheiten, so etwa der 1820 nach Italien gereiste Dichter John Keats.
Andere Reisende wiederum tauschten sich in fremden Staaten mit Fachkollegen ihres Berufsstandes aus oder betrieben vielfältige Forschungen. Der Botaniker John Ray etwa strebte bei seiner Kontinentaltour in den 1660er Jahren die Erstellung einer umfassenden Liste ausländischer Pflanzen an, während der Barockmaler Jonathan Richardson Anfang des 18. Jahrhunderts in Holland und Italien nicht weniger als einen „vollständigen Katalog aller vorhandenen Statuen und Gemälde“ anlegen wollte. Häufig wurden die Grand Tours auch zum Ankauf von Kunstwerken benutzt, so etwa von Thomas Howard, 21. Earl of Arundel.
Wenn auch das Gros der die Grand Tour absolvierenden Reisenden männlichen Geschlechts war, so gab es gleichwohl unter ihnen auch einige Damen, etwa Mariana Starke (1762–1838) oder Lady Morgan (1776–1859).
Die Besichtigung antiker Stätten in Italien hatte in Kreisen der Künstler und Intellektuellen bereits seit dem Spätmittelalter Tradition. Einen wahren Aufschwung erlebte die Grand Tour aber erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts, als es im englischen Adel, vergleichbar einem Initiationsritus, Mode wurde, seine Sprösslinge auf eine mehrjährige Bildungsreise auf den Kontinent zu schicken. Ihren Anfang nahm sie während der Regentschaft von Königin Elisabeth I. von England im 16. Jahrhundert. Die jungen Männer zwischen 17 und 21 Jahren machten sich zumeist in Begleitung eines Tutors, und finanziell großzügig von der Familie unterstützt, auf den Weg zum Kontinent und durch Europa, um ihren Horizont zu erweitern, antike Bauwerke und Denkmäler zu besichtigen, aber auch um sich in die hohe Schule der Diplomatie einführen zu lassen. Station machte man vorwiegend bei Verwandten, und nicht wenige gingen bei dieser Gelegenheit erfolgreich auf Brautschau. Diese große Mode aus England fand bald auch in anderen Ländern Anklang.
Im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts erweiterte sich der gesellschaftliche Kreis der Reisenden auf das Bürgertum. Ein bürgerlicher Engländer, der über Wohlstand verfügte, unternahm zumindest eine kurze Reise auf das Festland. Ähnlich heutigen Reiseführern, wurden in Ratgebern und Reisetagebüchern zur Grand Tour Empfehlungen über die Wegstrecke gegeben, Sehenswürdigkeiten, Sitten, die notwendige Kleidung, die Apotheke und Lektüre besprochen sowie wichtige Sätze und Vokabeln fremder Sprachen als Hilfe verzeichnet. Vor Ort nahmen sich Reise- und Bergführer der jungen Leute an, die personifizierte Referenzbücher führten. Um die Reisenden entstand ein eigener Dienstleistungssektor.
Der Großteil der Bevölkerung hatte nicht die finanziellen Mittel, um im Stil einer Grand Tour zu reisen. Bürger konnten sich eine Fortbewegung mittels Pferd oder mit der Kutsche leisten. Die Masse der Menschen ging aber immer noch zu Fuß. Die Reisebedingungen hatten sich damit seit dem Mittelalter kaum verbessert.[1]
Die Vorreiterrolle Englands erklärt sich unter anderem daraus, dass sich das Land nach dem Sieg über die spanische Armada 1588 auf dem Weg zu einer Weltmachtstellung sah. Anders als der Kontinent hatte es nicht unter den Auswirkungen des Dreißigjährigen Kriegs zu leiden. Hinzu kommt schließlich, dass das Ideal des Gentleman, also des bildungsbeflissenen, begüterten, häufig aber müßig-politikfernen Gentry-Angehörigen nur dort anzutreffen war. Zugleich begünstigte der Umstand, dass sich nur die Begüterten solche Reisen leisten konnten, aber auch die Entstehung eines Zerrbildes von „den Engländern“ auf dem Kontinent, das bis weit ins 20. Jahrhundert anzutreffen war.
Einen erheblichen Aufschwung erlebte die Grand Tour Mitte des 18. Jahrhunderts. Im Zuge der Aufklärung nahm das Interesse an fremden Kulturen und Menschen, deren Lebensbedingungen und Umgebung, weiter zu. Zusätzlich wurde die Reiselust durch Berichte von Weltreisen und Reiseliteratur geweckt.
Dem Niedergang des Adels nach der Französischen Revolution entsprach auch derjenige der Grand Tour im klassischen Sinne. Sie wurde im 19. Jahrhundert von der Bildungsreise abgelöst, die zwar ähnliche Ziele verfolgte, aber mit weitaus weniger Aufwand verbunden war und organisatorisch meist in den Händen des – nunmehr häufig bereits älteren – Reisenden selbst lag.
Die Durchführung der Grand Tour war mit allerlei Formalitäten verbunden. So mussten etwa Reisepässe und Gesundheitszeugnisse beschafft werden – dies wegen der insbesondere in Italien und Deutschland herrschenden Kleinstaaterei häufig in großer Menge, was beträchtliche Kosten verursachte. Da Devisen nur in begrenztem Umfang aus England ausgeführt werden durften, musste bei italienischen Banken in London Geld hinterlegt werden, das gegen Vorlage entsprechender Zahlungsanweisungen in Italien wieder in Empfang genommen werden konnte.
Angehörige des europäischen Hochadels und insbesondere die Prinzen regierender Häuser unternahmen ihre Grand Tours aus Sicherheitsgründen wie auch zur Vermeidung von Rangstreitigkeiten häufig inkognito. So reiste der spätere August der Starke 1687 etwa als Graf von Meißen nach Italien.
Zentrale Bedeutung kam der Auswahl eines Reisebegleiters (tutor, governor, „bear-leader“) zu, der über Organisationstalent, Bildung und umfassende Sprachkenntnisse verfügen musste, vor allem aber auch über die Umsicht und Reife, seinen jugendlichen Schützling vor physischen, finanziellen und moralischen Gefahren aller Art zu bewahren. Ein bekannter Tutor war Thomas Hobbes, der mit großem Vergnügen 1610 den Sohn von Lord Cavendish sowie 1634 den Sohn des Earl of Devonshire auf ihren Grand Tours begleitete. Besonders wohlhabende Familien gesellten ihren Sprösslingen neben dem Tutor noch weiteres Personal bei, wozu Ärzte, Kunstexperten, Dienstboten, Maler und Musiker gehören konnten. Wenn junge Damen der besseren Gesellschaft nach Italien reisten, um sich zu bilden, gehörte eine unverheiratete Tante oder Cousine als Anstandsdame („chaperone“) unbedingt dazu.
Schließlich galt es die bereits im 18. Jahrhundert in relativ großer Zahl verfügbare Reiseführer-Literatur zu konsultieren. Es wird geschätzt, dass jedes Jahr im Schnitt zwei neue Werke erschienen. Zu den bedeutendsten zählten Maximilien Misson, Nouveau Voyage d’Italie (1691/95), Joseph Addison, Remarks on the Several Parts of Italy (1705), Richard Lassels, The Voyage of Italy (1670), Thomas Nugent, The Grand Tour, or, a Journey through the Nederlands, Germany, Italy and France (1749), Jérôme Lalande, Voyage d’un Francois en Italie (1769), Thomas Martyn, The Gentleman’s Guide in His Tour through Italy: with a Correct Map and Directions for Travelling in this Country (1787) und Joseph Forsyth, Remarks on Antiquities, Arts and Letters during an excursion in Italy (1813).
Nicht einfach war es, an geeignetes und verlässliches Kartenmaterial zu gelangen. In den bereisten Ländern war es oft nicht einmal in großen Städten erhältlich. Die in England gekauften Karten wiesen indes häufig beträchtliche Fehler und Unzulänglichkeiten auf. Eine verbreitete Sammlung war Il portafoglio necessario a tutti quelli che fanno il giro d’Italia, die 1774 in London mit englischer Beschriftung veröffentlicht wurde.
Des Weiteren war die Beschaffung stabiler und dauerhafter Ausrüstung erforderlich, die den Strapazen längerer Kutschfahrten und der mitunter rüden Behandlung durch Dienstboten und Gastwirte standhielt. Auch musste eine große Zahl von Gegenständen des täglichen Bedarfs wie Bettzeug, Besteck, Geschirr, Schreib- und Malutensilien, Nähzeug, Körperpflege- und Arzneimittel wegen ungewisser Erhältlichkeit an den Zielorten aus England mitgebracht und ständig mitgeführt werden, was den umfangreichen Gepäckbestand der Kavaliere ebenso erklärt wie das Aufkommen platzsparender Necessaires. Empfohlen wurde sogar die Mitnahme von Waffen und Moskitonetzen.
Berichtet wird von Exzentrikern wie dem Jagdliebhaber Thornton, der u. a. mit zehn Pferden, hundertzwanzig Spürhunden sowie drei von einem eigenen Falkner betreuten Falken auf die Grand Tour ging, oder Lady Blessington, die in ihrer doppelt gefederten Kutsche selbst Toilette, Küche und Bibliothek nicht missen mochte. Lord Byron reiste gar mit einem auf mehrere Begleitwagen verteilten kleinen Zoo, der ihm zur Nahrung wie Zerstreuung dienen sollte.
Es gab keine festgelegte Route, wohl kristallisierten sich aber Städte und Stätten heraus, die besonders oft besucht wurden.[2] Es gab Stationen, die unbedingt zu besuchen waren, während umgekehrt Orte, die nicht allgemein bekannt waren und nicht ob ihrer kulturellen Bedeutung weithin gerühmt wurden, meist ignoriert wurden. Raum für individuelle Abweichungen gab es nur in begrenztem Maße.
Für den britischen Adeligen begann die Grand Tour üblicherweise an den Häfen der südenglischen Kanalküste, wo er sich nach Boulogne oder Calais einschiffte und von dort mit der Postkutsche relativ zügig wegen seiner prachtvollen Bauten nach Paris[3] reiste, traditionell dem ersten längeren Aufenthalt der Reise. Der weitere Weg führte meist über Burgund und Lyon (die Seidenstadt), dann entweder in die Provence und nach Marseille oder Nizza, oder aber zu den Gletschern am Mont Blanc bei Chamonix in den Alpen, die bevorzugt am Simplonpass (Schweiz-Italien) oder am Mont Cenis überquert wurden, was häufig als Initiationsritus empfunden wurde.[2] Die Überquerung der Alpen war wegen der damit verbundenen Gefahren besonders bei den frühen Grand-Tour-Reisenden oft unbeliebt oder sogar gefürchtet.
Relativ wenig Augenmerk wurde dann den Städten Turin, Mailand und Genua geschenkt, vielmehr strebten die Reisenden zügig in Richtung Florenz. In der wegen der intellektuellen Strenge ihrer Architektur, ihrer Kunstschätze, aber auch der als rational empfundenen Kultiviertheit der umgebenden Landschaft von den Briten traditionell hochgeschätzten Stadt pflegte man eine Weile zu bleiben. Auch den anderen Kulturstädten der Toskana wie Siena, Pisa und Lucca stattete man gewöhnlich einen Besuch ab. Quasi zum Pflichtprogramm gehörten Rom und Neapel.
In Rom verbrachten die Kavaliere üblicherweise die Wintermonate, um sich ausgiebig dem Besuch der antiken Monumente, Museen und Kirchen widmen zu können. Großes Interesse zog der römische Karneval auf sich, dem später auch Goethe großen Raum in seinen Aufzeichnungen widmen sollte.
Als gefährlich galt das Wegstück zwischen Rom und Neapel, wo Krankheiten und Briganten lauerten. In Kampanien besuchte man die pittoreske Steilküste, die vorgelagerten Inseln Capri und Ischia, vor allem aber den Vesuv und seit 1763 die an seinem Fuße befindlichen Ruinen von Pompeji. Manche Reisende machten schließlich noch einen Abstecher nach Sizilien, wo das Hauptaugenmerk den antiken Ausgrabungen sowie einer Besteigung des Ätna galt.
Auf dem Rückweg wurden meist wieder Rom und Florenz passiert, dann verlief die Route aber etwas östlicher als bei der Hinreise. Man steuerte auf Padua und vor allem Venedig, das Veneto und Vicenza zu, wo die Villen Palladios zum Pflichtprogramm gehörten. Die Alpen wurden traditionell am Brenner überquert.
In den deutschsprachigen Staaten standen meist Fürsten- und Residenzstädte auf dem Programm. Die Kaiserstadt Wien schätzte man wegen ihrer Theater, Reitschulen und Gastfreundlichkeit. Für den katholischen Adel, insbesondere den Stiftsadel waren zusätzlich ab dem 17. Jahrhundert z. B. Prag und Salzburg Reise- und Studienziele. Für den protestantischen Adel des 18. Jahrhunderts waren vor allem Berlin und Weimar als Hochburgen der Aufklärung beliebt, aber auch München und Mannheim. Häufig besucht wurden weiter Universitätsstädte wie Heidelberg, Jena oder Leipzig sowie die großen Bäder wie Baden-Baden, Karlsbad oder Marienbad. Für die englischen Reisenden waren die österreichischen Länder kein eigener Programmpunkt, sie waren nur Durchzugsgebiet, in dem man sich nicht lange aufhielt.[4]
Eine Attraktion in Deutschland war der Rhein. Erholung fand der Reisende in Spa sowie Aachen. Die Reisenden hielten ihre Eindrücke in Berichten und Briefen fest. Durch deren Auswertung wurde bekannt, dass Einigkeit darüber herrschte, dass die Straßen in Deutschland mit Abstand am schlechtesten, die Postillone am unfreundlichsten und unverschämtesten und die Ausstattung der ländlichen Wirtshäuser und Herbergen schlecht waren. Die private Gastfreundlichkeit hingegen lobte man. Ein Problem stellten die Grenzen, die vielen kleinen und sich verändernden Herrschaftsgebiete und damit verbunden die verschiedenen Währungen dar sowie die zahlreichen Dialekte, die insbesondere den Ausländern nur schwer verständlich waren.[5]
In den Niederlanden waren die alten Universitäten und die Geburtsstadt des Erasmus von Rotterdam die wichtigsten Ziele.[5] Nach relativ zügiger Durchquerung des für seine Sauberkeit gepriesenen Holland schiffte man sich wieder ein in Richtung Heimat. Seltener wurde die Reise in umgekehrter Reihenfolge absolviert, also mit den germanischsprachigen Ländern am Anfang und Frankreich am Ende.
Die Schweiz war im 18. Jahrhundert nur eine obligate Etappe auf der Reise nach Italien. Wegen der gefährlichen Überquerung der Alpen war die Durchquerung der Schweiz unbeliebt und gefürchtet. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde die Schweiz jedoch selbst zum Reiseziel. Die Schönheit der Landschaft und der Alpen zog die Reisenden an. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde die Grand Tour in der Schweiz vom Tourismus abgelöst, und die Aristokraten machten bürgerlichen Touristen Platz.[6]
In Anlehnung der Grand Tour des 18. Jahrhunderts wurde 2015 die Ferienstraße Grand Tour of Switzerland lanciert.
Als preiswert, aber meist wenig komfortabel bis schäbig galten die Unterkünfte an den Poststationen. Mitunter gingen sie wenig über einen Pferdestall mit Strohsäcken für die Nachtruhe und einer allgemeinen Feuerstelle hinaus. Als besonders berüchtigt galt insofern die Poststation von Radicofani an der stark frequentierten Via Francigena.
Daneben stand sowohl in der Nähe der Poststationen und Hauptstraßen als auch in den Innenstädten eine große Auswahl gehobener Unterkünfte zur Verfügung. Die einfacheren Pensionen und Gasthäuser boten zumindest neben der bloßen Schlafstelle weitere Leistungen wie Verpflegung oder das Waschen der Wäsche. Teure Häuser wie die Hotels und Gasthöfe der großen Städte verwöhnten ihre adeligen Gäste indes häufig mit dem von zuhause vertrauten Komfort: Baldachinbetten und chinesisches Porzellan auf dem Waschtisch konnten hier ebenso angetroffen werden wie auf Zinntellern serviertes Wildbret und erlesene Weine.
Manche Grandtouristen schließlich fanden gegen Vorlage entsprechender Empfehlungsschreiben in Privathäusern Aufnahme. Im Allgemeinen war diese Möglichkeit aber Angehörigen höchster Kreise vorbehalten, die über ein flächendeckendes Netzwerk verfügten.
Vielfach boten die Zimmerwirte dem Reisenden über das Bett hinaus gegen Aufpreis auch eine Prostituierte an; als besonders extrem galten die Verhältnisse in Venedig, wo Kuppler und Huren ihre Dienste den Fremden geradezu aufdrängten. Häufig wurde die Gelegenheit dankbar ergriffen – zumal das Sammeln erotischer Erfahrungen durchaus zu den unausgesprochenen Zielen der Grand Tour gehörte.
Zumindest in den einfacheren Unterkünften hatten die Zimmer in aller Regel keine abschließbaren Türen, was zu einer erheblichen Bedrohung der Reisenden und ihrer Habe durch Diebe führte. Häufig findet sich in der zeitgenössischen Reiseliteratur daher die Empfehlung, von zuhause ein stabiles Schloss mitzubringen.
Ein großes Problem stellten die allgemein unzulänglichen hygienischen Zustände in den Unterkünften dar. Soweit Bettwäsche überhaupt vorhanden war, war sie meist verschmutzt, daneben waren in den Matratzen und Kissen häufig Flöhe, Bettwanzen und Läuse anzutreffen.
Viele Reisende führten daher ihr eigenes Bettzeug mit, Kissen, Decken und Laken, mitunter aber auch ein vollständiges Feldbett. Häufig enthielten die erwähnten Reisenecessaires auch eine Reihe von Substanzen, die den Parasiten den Garaus machen sollten, verbreitet waren insbesondere Schwefelsäure und verschiedene ätherische Öle, wie zum Beispiel Lavendelessenzen.
Während im 16. und 17. Jahrhundert die Grand Tours – etwa von John Milton 1638 – teilweise noch zu Pferd unternommen wurden, setzte sich im 18. Jahrhundert die Kutsche als Verkehrsmittel durch. Exzentriker wie Thomas Coryat, Joshua Lucock Wilkinson oder Johann Gottfried Seume („Spaziergang nach Syrakus“), die zu Fuß nach Italien reisten, müssen als Ausnahmen betrachtet werden.
Bei Reisen mit der Kutsche stellten sich dem Reisenden drei Alternativen:
Die Kutschen boten in der Regel Platz für vier bis acht Personen, manchmal auch zusätzliche Notsitze oder Außenplattformen für mitreisendes Personal. Schon wegen der vielerorts in sehr schlechtem Zustand befindlichen Straßen und Wege wurde großer Wert auf eine komfortable Blattfederung gelegt, die die gröbsten Erschütterungen und Stöße abfangen sollte. Nicht fehlen durfte ein gut bestückter Werkzeugkasten; er wurde auch zum Zerlegen und Zusammensetzen der Kutsche vor dem Überqueren der Alpen oder von Flüssen benötigt. Bisweilen wurden zusätzliche Geschirre mitgeführt, um bei starken Steigungen zeitweilig zusätzliche Zugpferde anspannen zu können.
Die schwereren und sperrigen Gepäckstücke wurden in der Regel auf dem rückwärtig angebrachten, recht geräumigen sog. Trittbrett untergebracht und mit schweren Ketten festgezurrt. Leichtere Teile fanden auf dem mit einem Geländer abgesicherten Kutschendach, der Imperiale, Platz. Die Werkzeugkiste, manchmal auch die mitgeführten Hunde, wurde in Netzen unter dem Wagenboden transportiert. Hochwertigere, insbesondere private Kutschen verfügten über zusätzlichen Gepäckraum, oftmals auch zahlreiche Geheimfächer für Wertsachen, etwa hinter der Samtbespannung des Innenraums.
Schon wegen der schlechten Straßen waren die Reisenden auch in den komfortabelsten Kutschen ständigen Stößen und Rumpeleien ausgesetzt, die sich auf Dauer äußerst belastend auf die physische Verfassung auswirkten. Verschärft wurde die Situation durch die langen Fahrtzeiten. Zurückzuführen waren diese auf die geringe Reisegeschwindigkeit von selten mehr als 20 km/h, aber auch auf fehlende Brücken und die zumindest bis Anfang des 19. Jahrhunderts bestehende Notwendigkeit, vor Überquerung der Alpen die Kutsche in Einzelteile zu zerlegen, um sie jenseits des Gebirges wieder zusammenzubauen.
Immer wieder kam es auf den Grand Tours zu Kutschunfällen. Hauptursache waren die häufig schlechten Straßen in Italien, vor allem aber in Deutschland. Insbesondere bei Hinzutreten extremer Witterungsverhältnisse führten sie zum Brechen der Federung, der Räder und auch der Achse oder zum Reißen der Aufhängungsriemen. Manchmal kippte auch die ganze Kutsche um, wie dies etwa 1778 dem späteren Louvre-Direktor Dominique-Vivant Denon bei Brindisi passiert ist.
Bisweilen waren die Unfälle aber auch auf geringe Sachkunde oder Erfahrung des Kutschers oder fehlende Eignung der Pferde zurückzuführen. Tobias Smollett berichtet gar von Stallburschen, die ihm 1764 aus Rache für verweigertes Trinkgeld absichtlich nicht kastrierte und daher besonders ungestüme Pferde unterschoben, die dann alsbald einen Unfall verursachten.
Es wird berichtet, dass die Reisekutschen auch Opfer von Straßenräubern wurden, wenngleich die Vorkommnisse nach Anzahl und Schwere erheblich übertrieben erscheinen und vielfach wohl nur als Material für prahlerische Reiseberichte dienen sollten. Als gefährlich galten insbesondere die italienischen Hauptreiserouten, vor allem die Gegend zwischen Fondi und Terracina. Dort hatten es die Briganten aber in erster Linie auf wohlhabende einheimische Kaufleute und weniger auf ausländische Kulturreisende abgesehen.
Viele Grandtouristen berichten auch von korrupten Zollbeamten, die eine zügige Abfertigung und Weiterfahrt nur gegen Bestechung gestatten. Mitunter wurden die Reisenden auch der Spionage verdächtigt, insbesondere wenn sie sich – wie es damals Mode war – als Zeichner oder Maler betätigten und Skizzen von Gebäuden anfertigten. Bekanntestes Beispiel ist Goethe, der aus ebendiesem Grunde 1786 in Malcesine verhaftet wurde.
Insbesondere in Pestzeiten wurden häufig Reisende, ungeachtet etwa mitgeführter Gesundheitszeugnisse, von den örtlichen Behörden in Quarantäne genommen. Dies widerfuhr etwa Rousseau 1743 im Hafen von Genua. In seinen Bekenntnissen berichtet er von einem zeitraubenden und eintönigen Zwangsaufenthalt in einem kalkweiß gestrichenen und völlig unmöblierten Lazarett.
Die Eindrücke, die die Reisenden von ihren Italienaufenthalten mit nach Hause brachten, sollten vielfältige Auswirkungen auf das Kulturleben ihrer Heimatländer haben:
So trugen die im 18. Jahrhundert verstärkt in Mode kommenden Grand Tours in erheblichem Maße zum endgültigen Durchbruch des Klassizismus in der Architektur Englands und anderer europäischer Staaten bei. Maßgebliche Impulse gingen insofern von der 1732 in London gegründeten Society of Dilettanti aus, in der sich Grand-Tour-Rückkehrer einmal monatlich zum Gedankenaustausch trafen.
Besonderes Interesse erweckten bei den Reisenden die Schöpfungen Palladios. Allein seine Villa Rotonda in Vicenza wurde in England mehrfach kopiert. Berühmtestes Beispiel ist das 1729 begonnene Chiswick House von Richard Boyle, 3. Earl of Burlington. Aber auch der spätere Georgian Style und das Regency wären ohne italienische Einflüsse kaum denkbar. In Deutschland brachten insbesondere Karl Friedrich Schinkel und Johann Joachim Winckelmann Anregungen von ihren Italienreisen mit, die sie in ihren klassizistischen Schöpfungen verarbeiteten.
Kopiert wurden schließlich auch romanische Kirchen Oberitaliens. So findet sich etwa bei Salisbury eine Imitation von San Zeno Maggiore in Verona. Westminster Cathedral in London greift Stilelemente Ravenneser Kirchen auf. Großen Anklang fanden nördlich der Alpen auch die Wasserspiele der Villa d’Este in Tivoli, die etwa im Salzburger Schloss Hellbrunn oder im Bergpark Wilhelmshöhe bei Kassel nachgeahmt wurden.
Zu Kulturimporten führten die Grand Tours auch im Bereich der Malerei: Zentrale Bedeutung kam dabei dem Franzosen Claude Lorrain zu, dessen charakteristische Verbindung von klassizistischen Gebäuden und romantisch-pittoresker Landschaft den englischen Geschmack das gesamte 18. Jahrhundert über prägen sollte. Sein Stil wurde von zahlreichen englischen Malern nachgeahmt, u. a. von Richard Wilson. Auf dem Höhepunkt der Begeisterung für den Maler entwickelte man sogar spezielle „Claude-Gläser“, optische Vorrichtungen, die die betrachtete Landschaft enger zusammenrücken und sie in romantisches Halbdunkel tauchen. Lorrains Naturauffassung sollte auch Auswirkungen auf den sog. Englischen Landschaftsgarten haben. Ebenfalls Einflüsse auf die englische Malerei gingen u. a. von Tizian und Raffael aus.
Schließlich sind auch die italienischen Einflüsse in der europäischen Musik nördlich der Alpen zu einem erheblichen Teil auf die Italienreisen der Musiker zurückzuführen. Hier sind es insbesondere Komponisten der deutschsprachigen Länder, die den Stil der damals führenden Musiknation Italien rezipierten und etwa die dort entwickelte Gattung der Oper in ihrer Heimat etablierten.
Während sich freilich etwa Heinrich Schütz, Georg Friedrich Händel oder Gluck dauerhaft für mehrere Jahre auf der Halbinsel niederließen, um dort von den Koryphäen ihrer Zeit zu lernen, tragen die drei Italienreisen des jungen Wolfgang Amadeus Mozart zwischen 1769 und 1772 durchaus Züge der Grand Tour. Prägend wirkten insbesondere sein Zusammentreffen mit großen Musikern wie Martini, Sammartini, Piccini, Nardini und Paisiello.
Auch im 19. Jahrhundert reisten zahlreiche Komponisten nach Italien. Zu nennen sind etwa Hector Berlioz, der in seinem Werk Harold en Italie das Sujet der Grand Tour selbst thematisiert, oder Felix Mendelssohn Bartholdy, der drei Jahre nach seiner Grand Tour seine Italienische Sinfonie schrieb. Weniger Spuren hinterließ der Italienaufenthalt im Œuvre von Richard Wagner, der eher selbst mit seinem Musikstil auf die zeitgenössische italienische Musik einwirkte. Umgekehrt griffen häufig Komponisten „italienische“ Motive auf, die selbst keine Grand Tour absolviert hatten und das Land bis dahin nur aus zweiter Hand kannten, wie etwa Pjotr Tschaikowski (Capriccio Italien) (dagegen entstand Souvenir de Florence tatsächlich im Sommer 1890 in Florenz) oder Hugo Wolf (Italienisches Liederbuch).
Im 19. Jahrhundert erlebte die Grand Tour einen Einbruch, als die klassizistischen Kulturideale des Adels zunehmend durch romantisches Gedankengut verdrängt wurden. An die Stelle der Verehrung der Antike, des Humanismus und der Renaissance-Architektur trat eine Begeisterung für die Gotik und das europäische Mittelalter. Maßgeblich beteiligt an dieser Entwicklung waren Schriftsteller wie Walter Scott, Dichter wie William Wordsworth oder Samuel Coleridge oder Maler wie William Blake, William Turner oder John Constable. Die Zeugnisse dieser Geschichts- und Kunstepoche ließen sich aber in England und Schottland mindestens ebenso gut studieren wie im Süden Europas.
Das endgültige Ende der Grand Tour im klassischen Sinne zeichnete sich mit dem Rückgang der Bedeutung des Adels nach der Französischen Revolution ab. Die erstarkende Bourgeoisie teilte freilich noch weitgehend die Kulturideale des Adels und ahmte seinen Lebensstil und damit auch die Grand Tour nach. Mit dem Aufkommen der Eisenbahn indes wurden Reisen für breitere Bevölkerungskreise erschwinglich. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts konnten sich sogar Fabrikarbeiter einen Badeaufenthalt in englischen und nordfranzösischen Seebädern leisten. Die Grand Tour verlor einen Teil ihrer Exklusivität und daher für ihre klassische Klientel einiges an Reiz. Die Westminster Review schrieb etwa 1825 despektierlich, in Rom versammle sich heutzutage ein „Gemisch aller Klassen“: „Der Erste unseres Adels und der letzte unserer Bürger begegnen und berühren sich an jeder Ecke“.[14] William Wordsworth und andere Schriftsteller wandten sich gar gegen einen weiteren Ausbau des Eisenbahnnetzes, da dieses Verkehrsmittel eine „gefährliche Tendenz der Gleichheit“ etabliere und „die unteren Schichten“ dazu ermutige, „nutzlos durch das Land zu ziehen“. Ein ironisch-liebevolles Denkmal setzte Edward Morgan Forster der verbürgerlichten Grand Tour 1908 in seinem Roman Zimmer mit Aussicht. Die Grand Tour wurde zunehmend durch Erholungsreisen breiterer Schichten abgelöst, die schließlich im 20. Jahrhundert in den Massentourismus übergehen sollten.
Gleichwohl lassen sich Spuren der Grand Tour noch feststellen, wo klassizistische Ideale fortwirken: So blieb an deutschsprachigen humanistischen Gymnasien die abschließende Romreise bis weit ins 20. Jahrhundert hinein obligatorisch und wird gelegentlich, in Österreich häufiger, auch heute praktiziert. Der Prix de Rome ist eine wichtige Karrieremarke für Komponisten in Frankreich (Maurice Ravel bewarb sich fünfmal vergeblich darum), ein Stipendium für die Villa Massimo gilt bis heute als Ritterschlag der Kunstszene in Deutschland. Amerikanische und japanische Reisetätigkeit folgt in Europa bis heute schwerpunktmäßig den Zielen der Grand Tour, da man durch sie nach wie vor am ehesten an die kulturellen Wurzeln Europas zu gelangen glaubt. Auch für die Tourismusbranche ist der Begriff der Grand Tour durchaus als Schlagwort noch aktuell.
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