Friedhof in Berlin, Deutschland Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Der Alte St.-Matthäus-Kirchhof Berlin ist ein historischer Friedhof in Berlin mit vielen kulturhistorisch bedeutenden Grabmälern, die unter Denkmalschutz stehen. Der Kirchhof liegt zwischen der Großgörschen- und der Monumentenstraße im Ortsteil Schöneberg auf der sogenannten Roten Insel. Der Friedhof befindet sich auf dem Nordabhang des Teltow und fällt (ebenso wie der 500Meter weiter östlich gelegene Kreuzberg) sanft zum Berliner Urstromtal ab, in dem die Spree fließt.
Der Friedhof wurde am 25. März 1856 eingeweiht und gehört zu der im südlichen Tiergartenviertel– im 19.Jahrhundert noch als „Untere Friedrichsvorstadt“ bezeichnet– gelegenen St.-Matthäus-Gemeinde im Gebiet des heutigen Kulturforums, das bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs auch als „Millionärsviertel“ bezeichnet wurde.
Geschichte der St.-Matthäus-Gemeinde
Das im Zweiten Weltkrieg fast völlig zerstörte „Millionärsviertel“ war vor allem in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts eine der wohlhabendsten Gegenden in Berlin. Dort wohnten unter anderem reiche Kaufleute, Künstler, Wissenschaftler und höhere Beamte.
Die St.-Matthäus-Gemeinde entstand als Abspaltung der evangelischen Dreifaltigkeitsgemeinde, nachdem sich die Mitglieder der Parochie, die weitab der Dreifaltigkeitskirche an der heutigen Mohrenstraße in Berlin-Mitte lebten, dazu entschlossen, eine eigene Gemeinde mit eigener Kirche zu errichten. Am 5.Oktober 1843 wurde ein Kirchbauverein gegründet, der diese Aufgabe übernehmen und vorantreiben sollte, den Vorsitz führte der Geheime Rat Emil von Koenen (1796–1883). Ein Bauplatz für die St.-Matthäus-Kirche wurde dem Verein bereits im gleichen Jahr (am 9.Dezember) durch den Mediziner Vetter geschenkt, der das Gebiet zwischen der damaligen Tiergartenstraße und der Grabenstraße, dem heutigen Reichpietschufer, für den Bau erschließen wollte. Die Kirche sollte zentral in diesem Gebiet gebaut werden, damit die Matthäi-Kirchstraße mit dem Matthäi-Kirchplatz angelegt werden konnte. Am 1.Januar 1844 schickte von Koenen ein Schreiben an den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. mit der Bitte um die Baugenehmigung für die Kirche. Diese erfolgte bereits am 27.Januar 1844, gemeinsam mit der Baugenehmigung für die Straße des Vetter. Der Kirchenbau erfolgte im Anschluss durch den Oberbaurat Friedrich August Stüler bis zum Oktober 1845. Als Pfarrer der neuen St.-Matthäus-Kirche wurde Carl Büchsel aus Brüssow berufen. Die Trennung der Parochie in die alte Dreifaltigkeitsgemeinde und die neue St.-Matthäus-Gemeinde erfolgte mit der Erklärung eines eigens dafür einberufenen Konsistoriums zum 5.Mai 1846 und die neue Kirche wurde am 17.Mai 1846 eingeweiht. Als Friedhof beider Gemeinden sollten allerdings weiterhin die Kirchhöfe der Dreifaltigkeitsgemeinde dienen.
Bis zum Jahr 1852 war die St.-Matthäus-Gemeinde durch das enorme Wachstum der Vorstädte Berlins auf über 15.000Menschen angewachsen. Carl Büchsel ersuchte deshalb den König um die Genehmigung für einen zweiten Kirchenbau in der Gemeinde, um den Ansprüchen der wachsenden Gemeinde zu entsprechen. Die Gemeinde erstand am 28.Dezember 1858 ein Baugrundstück an der Bernburger Straße, an der bis zum 17.März 1861 die Lukaskirche nach Entwürfen des Bauinspektors Gustav Möller und Vorentwürfen Stülers entstand. Diese wurde in den Anfangsjahren als Filialkirche betrieben, also durch die St.-Matthäus-Gemeinde geleitet. Eine Trennung der Gemeinden erfolgte am 1.Januar 1865, der St.-Matthäus-Friedhof wurde jedoch weiterhin von beiden Gemeinden genutzt.
Im Jahr 1863 wurde in südlicher Nachbarschaft der St.-Matthäus-Gemeinde die Zwölf-Apostel-Gemeinde gegründet, die ab 1864 in einer provisorischen Kirche ihre Gottesdienste abhielt. 1874 wurde der Kirchenbau der Zwölf-Apostel-Kirche in der Nähe des Nollendorfplatzes abgeschlossen, und die Kirchengemeinde legte den Zwölf-Apostel-Kirchhof an der Kolonnenstraße an. Im Jahr 2000 ging die St.-Matthäus-Gemeinde mit ihrem alten Kirchhof in die Zwölf-Apostel-Gemeinde auf, die seitdem neben ihren eigenen beiden Friedhöfen auch den Alten St.-Matthäus-Kirchhof unterhält.
Gründung und frühe Geschichte des St.-Matthäus-Friedhofs
Aufgrund der für die St.-Matthäus-Gemeinde ungünstigen Bedingungen bei der Nutzung der Friedhöfe der Dreifaltigkeitsgemeinde entstand bereits wenige Zeit nach der Trennung der beiden Parochien der Wunsch, einen eigenen Friedhof der Gemeinde anzulegen. 1853 ergab sich die Möglichkeit, ein großes Landstück des Gutsbesitzers Carl Friedrich Wilhelm Paetel am Hang zwischen den Anlagen der Berlin-Potsdamer Eisenbahn und der Berlin-Anhaltischen Eisenbahn zu kaufen und dort einen Friedhof anzulegen. Die Gemeinde erwarb das Gelände am 9.Juni 1854 für etwas mehr als 6000Taler und richtete den Friedhof ein. In der Folge entstand ein großes Totengräberhaus sowie eine Friedhofsmauer, die das gesamte Gelände umgab. Die erste Beerdigung fand am 25.März 1856 statt, bei der die Frau des Rittmeisters Krottnauer-Petersen beerdigt wurde – die Grabstelle ist allerdings nicht mehr auffindbar, da die frühen Jahrgänge der Totenbücher verschollen sind.
Bereits am 1.Oktober 1863 wurde der Friedhof erstmals vergrößert. Zu diesem Zweck wurde an der östlichen Friedhofsseite ein Gelände angekauft, das dem preußischen Militärfiskus gehörte. Am 6.Dezember 1866 erstand die Gemeinde an der westlichen Seite ein weiteres Grundstück des Grundbesitzers Johann Friedrich Ludwig Grunow. Eine letzte Erweiterung erfolgte 1884 auf der Westseite, auf der ein Grundstück verkauft wurde, danach war in der Umgebung kein Grundstück mehr zu bekommen. Aus diesem Grunde errichtete die Gemeinde 1895/1896 einen zweiten Friedhof, den heutigen landeseigenen Friedhof Priesterweg.
Neuere Geschichte des Friedhofs
In den Jahren 1907/1908 ließ die Gemeinde eine Kapelle als Zentralbau mit Kuppel in Barockmanier errichten, die von dem Architekten Gustav Werner entworfen und unter der Bauleitung von Baurat Carl Tesenwitz ausgeführt wurde.
Der Friedhof sollte im Rahmen der nationalsozialistischen Pläne für eine Welthauptstadt Germania aufgegeben werden. In den Jahren 1938 und 1939 wurde ein Drittel der Grabstätten im nördlichen Teil auf den Südwestkirchhof Stahnsdorf umgebettet. Um dem heutigen Besucher einen Eindruck vom Umfang der Veränderungen von 1938/1939 zu geben, wurde ein Gedenkstein am ehemaligen Standort des Erbbegräbnisses der Verlegerfamilie Langenscheidt aufgestellt. 2008 wurde dort durch EFEU e.V. mit Kunststudenten die Vorderansicht des Langenscheidt-Mausoleums als Wandmalerei an der Fassade eines angrenzenden Hauses angebracht. Das Mausoleum wurde 1938/1939 auf den Südwestkirchhof transloziert und ist dort erhalten.
Zu Beginn des 21.Jahrhunderts übernahm der eingetragene Verein Denk mal positHIV die Patenschaft für die ausgedehnte Grabstätte des Rentiers Albert Streichenberg, um einen Ort des Gedenkens und der Bestattung für Menschen mit HIV und AIDS in Berlin einzurichten. Das Marmorrelief eines Genius stammt von Rudolf Pohle. 2015 wurde die Grabstelle auf fünf Stellen vergrößert und erhielt durch einen Künstlerwettbewerb eine neue Gestaltung.
Im Jahr 2007 wurde der gemeinnützige Verein EFEU e.V. (Akronym für „Erhalten, Fördern, Entwickeln, Unterstützen“) gegründet, der sich seither für Erhalt und Pflege des Friedhofs sowie für Öffentlichkeitsarbeit durch Führungen, Ausstellungen und öffentliche Veranstaltungen einsetzt.[1][2]
Im April 2008 wurde der zu den Vereinsprojekten gehörende Garten der Sternenkinder eingeweiht, eine Ruhe- und Gedenkstätte für Fehlgeburten, Totgeburten und Babys, die während oder kurze Zeit nach der Geburt gestorben sind. Bis zum Sommer 2017 entstanden bereits acht Gräberfelder.[3]
Am Eingang des Friedhofs betreibt EFEU-Mitglied Bernd Boßmann, auch bekannt unter dem Künstlernamen Ichgola Androgyn, das Friedhofscafé Finovo. Es ist das erste Friedhofscafé Deutschlands und wurde im 2009er Restaurantführer der Zeitschrift Prinz als „Top-Location“ ausgezeichnet.[4] Über ihn und sein Engagement für Friedhof, EFEU e.V. und den Garten der Sternenkinder entstanden bereits mehrere Dokumentarfilme, Fernseh- und Radioberichte sowie Zeitungsartikel.
Auf dem Friedhof an der Großgörschenstraße befanden sich 2015 noch 43 Gräber prominenter Persönlichkeiten, die als Ehrengrabstätten anerkannt sind und für deren Pflege und Erhalt das Land Berlin sorgt.
Die monumentale Grabstätte der Familie Hansemann mit einem Atrium des Architekten Friedrich Hitzig stammt aus dem Jahr 1877, wurde 1902 von dem Architekten Hermann Ende um ein Mausoleum erweitert und 1986 restauriert. Bestattet sind dort unter anderem der Bankier und preußische Finanzminister David Hansemann, sein Sohn Adolph und dessen Ehefrau Ottilie, eine sozial engagierte Förderin der Frauenbewegung (Ottilie-von-Hansemann-Stiftung; Ottilie-von-Hansemann-Haus in Berlin-Charlottenburg).
Die Grabstätte im Stil der italienischen Renaissance des Ingenieurs und Papierfabrikanten Carl Hofmann (1836–1916) ist ein Werk des Architekten Bruno Schmitz. Die Marmorstatue stammt von Nikolaus Geiger. Das Grabmal wurde 1991/1992 im Auftrag der Stiftung Historische Kirchhöfe und Friedhöfe in Berlin und Brandenburg mit Hilfe der Stiftung Deutsche Klassenlotterie und im Jahr 2000 erneut restauriert und neu verpachtet. Dabei wurden der von Ernst Westphal gestaltete Namenszug „Hofmann“ im Giebelbereich und auch die „Inschriften für Amalie und Carl Hofmann“ beseitigt.
Hilde Radusch (1903–1994), aktiv im kommunistischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus sowie in der Frauen- und Lesbenbewegung, Mitglied der Berliner Lesbengruppe L74
Johannes Horkel (1820–1861), Rektor des Domgymnasiums Magdeburg
Urs Jaeggi (1931–2021), Soziologe, Schriftsteller und bildender Künstler
David Kalisch (1820–1872), Mitbegründer der Zeitschrift Kladderadatsch, Schwiegersohn des Besitzers von Albrechts Hof (Restaurant, Badeanstalt etc.) im Tiergarten (1990–2014: Ehrengrab)
Ernst Kamieth (1896–1951), Oberwagenwerkmeister der Deutschen Reichsbahn
Gerhardt Katsch (1887–1961), Arzt und Begründer der Diabetologie in Deutschland (bestattet im 1873 angelegten Erbbegräbnis der Familie Katsch, mit Skulptur von Rudolf Pohle)
Hermann Katsch (1853–1924), Maler, Vater von Gerhardt Katsch (bestattet im Erbbegräbnis der Familie Katsch)
Theodor Bartus (1858–1941), Seemann, Forschungsreisender, Museumstechniker, Konservator
Adolf Bastian (1826–1905), Arzt, Ethnologe, Gründungsdirektor des Museums für Völkerkunde Berlin (1938/1939 auf den Südwestkirchhof Stahnsdorf umgebettet, dort heute ein Ehrengrab)
Julius Becher (1842–1907), Arzt (1938/1939 auf den Südwestkirchhof Stahnsdorf umgebettet)
Karl Becker (1820–1900), Historienmaler, Präsident der Preußischen Akademie der Künste
Hugo Conwentz (1855–1922), Botaniker, Begründer der Naturdenkmalpflege (1938/1939 auf den Südwestkirchhof Stahnsdorf umgebettet; dort von 1952 bis 2014 Ehrengrab)
Otto Dambach (1831–1899), Jurist, Hochschullehrer (1938/1939 auf den Südwestkirchhof Stahnsdorf umgebettet)
August Dillmann (1823–1894), Theologe, Orientalist, Professor der Theologie
Ismael Gentz (1862–1914), Maler, Zeichner und Lithograf, Sohn von Wilhelm Gentz
Franz Goerke (1856–1931), Herausgeber, Fotograf, Direktor der Urania in Berlin
Heinrich Gottfried Grimm (1804–1884), Mediziner, Generalstabsarzt, Chef des Militärmedizinalwesens
Walter Gropius senior (1848–1911), Architekt, Baubeamter, Vater von Walter Gropius (1938/1939 auf den Südwestkirchhof Stahnsdorf umgebettet; dort auch das von Rudolf Scheibe entworfene Grabdenkmal)
François Haby (1861–1938), königlicher Hoffriseur, Parfümfabrikant (bald nach der Beisetzung auf den Südwestkirchhof Stahnsdorf umgebettet; nach 1945 auf den Friedhof Heerstraße umgebettet)
Justus von Olshausen (1844–1924), Jurist, Oberreichsanwalt, Sohn von Justus Olshausen
Otto Olshausen (1840–1922), Chemiker, Prähistoriker, Sohn von Justus Olshausen
Theodor Panofka (1800–1858), Archäologe, Historiker, Philologe
Talât Pascha (1874–1921), Innenminister und Großwesir des Osmanischen Reichs und Führer der Jungtürken, mitverantwortlicher Organisator für den Völkermord an den Armeniern. Er wurde am 25. Februar 1943 durch das Hitlerregime unter militärischen Ehrenbezeugungen von Berlin nach Istanbul überführt und dort am Abide-i Hürriyet, dem Denkmal der jungtürkischen Revolution von 1908, beigesetzt.
Bernhard Plockhorst (1825–1907), Maler (1938/1939 auf den Südwestkirchhof Stahnsdorf umgebettet)
Ferdinand von Richthofen (1833–1905), Geologe, Geograf, Forschungsreisender, Hochschullehrer, prägte den Begriff „Seidenstraße“ (1938/1939 auf den Südwestkirchhof Stahnsdorf umgebettet)
Claudia von Gélieu, Ilona Scheidle, Gabriele Wohlauf: Erinnerungskulturen – Der St. Matthäus Kirchhof. In: Frauengeschichte in Szene gesetzt: Personen. Orte. Ereignisse. Dokumentation der 16. Jahrestagung von Miss Marples Schwestern – Netzwerk zur Frauengeschichte vor Ort. Schriftenreihe Spurensuche. Berlin 2005, S.72–78, ISSN1860-0425.
Hans-Jürgen Mende: Alter St. Matthäus-Kirchhof Berlin. Ein Friedhofsführer. 3., überarb. und erw. Aufl. Edition Luisenstadt, Simon, Berlin 2012, ISBN 978-3-936242-16-4.
Hans-Jürgen Mende: Lexikon Berliner Grabstätten. Berlin 2006.
Karl-Heinz Barthelmeus: Gräber, Gründer und Gelehrte. Der Alte St. Matthäus-Kirchhof. Christian Simon Verlag, Berlin 2006, ISBN 3-936242-06-2.
Jörg Haspel, Klaus-Henning von Krosigk (Hrsg.): Gartendenkmale in Berlin. Friedhöfe. (=Beiträge zur Denkmalpflege in Berlin, Band 27.) Michael Imhof Verlag, Petersberg 2008, ISBN 978-3-86568-293-2.
Fred Wilhelm, Hildegund Wolff: Alter St. Matthäus-Kirchhof. 4. erweiterte Auflage, Berlin 1995.
Jörg Kuhn: Ein Friedhof als Außenseiter? In: Sigrun Caspar (Hrsg.): Außenseiter, konkursbuch 51, Berlin 2013, S.130ff., ISBN 978-3-88769-251-3.
Max Goldt:Ein Buch namens Zimbo: Texte 2007-2008, einer von 2006, vier von 2009; [Sie werden kaum ertragen, was Ihnen mitgeteilt wird]. Rowohlt, 2009, ISBN 978-3-87134-665-1, S.7–13 (google.de[abgerufen am 25.Juli 2022]).