Loading AI tools
österreichische Schriftstellerin Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Ingeborg Bachmann, gelegentliches Pseudonym Ruth Keller, (* 25. Juni 1926 in Klagenfurt am Wörthersee; † 17. Oktober 1973 in Rom, Italien) war eine österreichische Schriftstellerin. Sie gilt als eine der bedeutendsten deutschsprachigen Lyrikerinnen und Prosaschriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts. Ihr zu Ehren wird seit 1977 jährlich der Ingeborg-Bachmann-Preis verliehen.
Ingeborg Bachmann Schach spielend in Rom |
---|
1962 |
Fotografie |
Copyright: Heinz Bachmann/Familienarchiv Bachmann |
Ingeborg Bachmann war das erste Kind des Volksschullehrers Matthias Bachmann (1895–1973) und seiner Frau Olga, geborene Haas (1901–1998).[1] Die Mutter stammte aus Heidenreichstein in Niederösterreich, der Vater aus einer evangelischen Bauernfamilie in Obervellach im Kärntner Gailtal, wo die Familie in Ingeborg Bachmanns Kindheit oft ihre Ferien verbrachte. Das Gailtal, als Grenzgebiet und Schnittpunkt der drei großen europäischen Sprachfamilien, der germanischen, slawischen und romanischen, war prägend für Bachmanns Schaffen. Kurz vor ihrer Geburt zogen die Eltern nach Klagenfurt, wo sie die Volksschule und, obwohl evangelisch, das katholische Ursulinengymnasium besuchte. Schon in jungen Jahren begann sie zu komponieren und Gedichte zu schreiben. Zunächst strebte sie eine Musikerlaufbahn an.
Von 1945 bis 1950 studierte Bachmann Philosophie, Psychologie, Germanistik und Rechtswissenschaften an den Universitäten Innsbruck, Graz und Wien. 1946 erschien ihre Erzählung Die Fähre in der Kärntner Illustrierten, ihre erste Veröffentlichung.[2] Während des Studiums lernte sie Paul Celan, Ilse Aichinger und Klaus Demus kennen. In ihrer Doktorarbeit[3] setzte sie sich kritisch mit Martin Heidegger auseinander. Ihr Doktorvater war der Philosoph und Wissenschaftstheoretiker Victor Kraft, der letzte in Wien lehrende Philosoph des mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus in den 1930er Jahren aus Wien vertriebenen Wiener Kreises.
In den Jahren 1945 und 1946 war Bachmann in einen ehemaligen Angehörigen der britischen Armee, den Wiener Juden Jack Hamesh, verliebt.[4] Ende der 1940er Jahre hatte sie eine Liaison mit dem Essayisten und Literaturkritiker Hans Weigel.[5] Sie hatten sich am 5. September 1947 kennengelernt, als Bachmann Weigel vor einer Premiere um ein Interview bat.[6] In Weigels Roman Unvollendete Symphonie,[7] einem 1951 erschienenen Roman über seine Beziehung zu Bachmann, wird diese erstmals eine Figur im Werk eines männlichen Autors.[8] Auch mit dem Dichter Paul Celan verband sie im Mai 1948[9] ein Liebesverhältnis.[10]
In ihrer Zeit als Hörfunkredakteurin beim Wiener Sender Rot-Weiß-Rot (1951–1953) schrieb sie 1952 ihr erstes Hörspiel, Ein Geschäft mit Träumen. Außerdem verfasste sie elf Folgen der beliebten wöchentlichen Radiofamilie und je zwei weitere in Zusammenarbeit mit Jörg Mauthe bzw. Peter Weiser.[11][12] Im Jahr 1952 las sie erstmals auf der Tagung der Gruppe 47;[13] 1953 reiste sie zum ersten Mal nach Italien.
Ingeborg Bachmann erhielt 1953 den Literaturpreis der Gruppe 47 für den Gedichtband Die gestundete Zeit. Ab dem Spätsommer dieses Jahres lebte sie in Italien (Ischia, Neapel, schließlich Rom). Im August 1954 war ihr eine Titelgeschichte des Wochenmagazins Der Spiegel gewidmet, die sie einem breiteren Publikum bekannt machte.[14][15] In Zusammenarbeit mit dem Komponisten Hans Werner Henze, mit dem sie auf Ischia lebte, entstanden ab 1955 das Hörspiel Die Zikaden, die Textfassung für die Ballettpantomime Der Idiot und die Opernlibretti Der Prinz von Homburg und Der junge Lord. 1955 lernte sie auf einem Symposium in Harvard Henry Kissinger kennen, und es begann eine mehrjährige Liebesbeziehung zwischen ihnen.[16]
Im Jahr 1956 veröffentlichte Bachmann ihren zweiten Gedichtband, Anrufung des Großen Bären. Im Jahr darauf erhielt sie den Bremer Literaturpreis. Sie wurde Dramaturgin beim Bayerischen Fernsehen und zog nach München um. Sie engagierte sich gegen die Atomrüstung. 1958 entstand das Hörspiel Der gute Gott von Manhattan, das 1959 mit dem Hörspielpreis der Kriegsblinden ausgezeichnet wurde.[17] Begeistert schrieb Max Frisch einen Brief an sie, in dessen Folge sich beide im Juli 1958 in Paris erstmals trafen. Sie bezogen eine gemeinsame Wohnung in Uetikon am See bei Zürich und ab 1960 zusätzlich eine Wohnung in Rom.
Bachmann hielt am 17. März 1959 im Bundeshaus in Bonn die Dankesrede für die Verleihung des Hörspielpreises der Kriegsblinden mit dem sprichwörtlich gewordenen Titel Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar[18] und im Herbst eine einsemestrige Poetikvorlesung[19] an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main zu Problemen der zeitgenössischen Lyrik.
Ihr erster Erzählband, Das dreißigste Jahr, erschien 1961 und erhielt den Deutschen Kritikerpreis. Die zwei aus einer explizit weiblichen Perspektive erzählten Geschichten Ein Schritt nach Gomorrha und Undine geht gehören zu den frühesten feministischen Äußerungen in der deutschsprachigen Literatur der Nachkriegszeit. In diesem Jahr wurde sie zudem Mitglied der Akademie der Künste (Berlin).[20]
Bachmanns Beziehungen zu Hans Magnus Enzensberger im Jahr 1959 und zu Paolo Chiarini im Frühjahr 1962 gefährdeten die Partnerschaft mit Max Frisch, die schließlich zerbrach, als sich Frisch im Herbst 1962 in Marianne Oellers verliebte.[21] Frisch und Bachmann trennten sich im März 1963.[22] Darauf folgten mehrere Krankenhausaufenthalte Bachmanns. In Briefen an ihre Ärzte, die 2017 in Buchform erschienen, setzt sie sich mit dem Ende der Liebesbeziehung zu Frisch auseinander.[23] 2011 war bekannt geworden, dass sich im Max-Frisch-Archiv in Zürich rund 250 Briefe Bachmanns an Frisch befinden, ebenso Kopien seiner Briefe.[24] Der Briefwechsel „Wir haben es nicht gut gemacht.“ kam im November 2022 als Buch heraus.[25] In einem auf der Homepage des Suhrkamp Verlages veröffentlichten Video-Interview erklärte Heinz Bachmann, Ingeborg Bachmanns Bruder, warum die Familie einer Veröffentlichung des Briefwechsels zugestimmt habe: „Wir haben uns entschlossen, das zu machen, solange es noch möglich ist: dass eine gute Edition von Fachleuten gemacht wird, mit der nötigen Diskretion.“[26]
1963 wurde Bachmann von Harald Patzer für den Literaturnobelpreis nominiert. Sie zog mit einem einjährigen Stipendium der Ford Foundation nach Berlin, wo sie mit Unterbrechungen bis Ende 1965 blieb. Sie begann die Arbeit an der unvollendet gebliebenen Romantrilogie Todesarten. 1964 wurde Ingeborg Bachmann der Büchner-Preis zuerkannt. In Berlin lernte sie den jüdischen Philosophen Jacob Taubes kennen. 1981 erwähnte Taubes die Beziehung zu Bachmann in einem Brief an einen Rabbiner in Jerusalem und fügte hinzu: „Wir gingen zur Hölle hinab und zum Himmel hinauf, in Berlin, in Klagenfurt, in Prag und drei Monate in Rom.“[27]
1965 zog Bachmann zurück nach Rom. Sie veröffentlichte nur noch sporadisch Gedichte und litt unter einer Tabletten- und Alkoholabhängigkeit. 1967 verließ sie den Piper Verlag, der den ehemaligen HJ-Führer Hans Baumann mit einer Übersetzung von Anna Achmatowas Requiem beauftragt hatte. Sie wechselte zum Suhrkamp Verlag, dessen Leiter, Siegfried Unseld, sie seit langem kannte. In seinem letzten Brief an Bachmann vom 30. Juli 1967 bedankte sich Celan für ihr Eintreten in der „Achmatowa Affaire“; sie hatte ihn als Übersetzer empfohlen.[28]
Im Jahr 1971 veröffentlichte Bachmann Malina als ersten Band der geplanten Romantrilogie Todesarten. Ihr Erzählband Simultan erschien 1972, der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki verwarf ihn als „preziös-anachronistische Prosa“.[29] Die Erzählung Gier blieb ein Fragment. Das Spätwerk Bachmanns wird in der Frauenforschung als „Paradigma weiblichen Schreibens“ angesehen.[30]
In der Nacht vom 25. auf den 26. September 1973 erlitt Ingeborg Bachmann in ihrer römischen Wohnung schwere Verletzungen durch einen Brand, den sie beim Einschlafen mit einer Zigarette ausgelöst hatte. Alfred Grisel berichtete über einen Besuch bei Bachmann Anfang August 1973 in Rom:
„Ich war zutiefst erschrocken über das Ausmaß ihrer Tablettensucht. Es müssen an die 100 Stück pro Tag gewesen sein, der Mülleimer ging über von leeren Schachteln. Sie hat schlecht ausgesehen, war wachsbleich. Und am ganzen Körper voller Flecken. Ich rätselte, was es sein konnte. Dann, als ich sah, wie ihr die Gauloise, die sie rauchte, aus der Hand glitt und auf dem Arm ausbrannte, wußte ich’s: Brandwunden, verursacht von herabfallenden Zigaretten. Die vielen Tabletten hatten ihren Körper schmerzunempfindlich gemacht“[31]
Bachmann wurde ins Sant-Eugenio-Krankenhaus gebracht. Ihre starke Abhängigkeit von Beruhigungsmitteln (Barbiturate und Benzodiazepine[32][33]), von der die behandelnden Ärzte nichts wussten, löste epilepsieähnliche Konvulsionen aus. Am 17. Oktober 1973 starb Ingeborg Bachmann im Alter von 47 Jahren an den Entzugsfolgen.[34][35] Sie wurde am 25. Oktober 1973 auf den Friedhof Annabichl (Klasse I, Feld 25, Reihe 3, Grab 15) in ihrer Heimatstadt gebettet. Auch ihre Eltern sind dort begraben. Der frühere Grabstein aus Carrara-Marmor wurde später durch einen Stein aus Krastaler Rauchkristallmarmor ersetzt.[36] Ermittlungen wegen Mordverdachts wurden von den italienischen Behörden am 15. Juli 1974 eingestellt.[37]
Heinrich Böll bezeichnete sie in einem Nachruf im Spiegel als „brillante Intellektuelle“, die „in ihrer Poesie weder Sinnlichkeit einbüßte noch Abstraktion vernachlässigte“.[38]
Ihr 6000 Blätter umfassender Nachlass befindet sich seit 1979 in der Österreichischen Nationalbibliothek und ist dort im Literaturarchiv einzusehen. Seit 2018 befindet sich dort auch ein knapp 1000 Seiten umfassender Teilnachlass mit Schriften und Briefen aus ihrer Studienzeit.
Im Februar 2021 wurde der geplante Verkauf des Elternhauses Bachmanns in der Henselstraße 26 in Klagenfurt an die Kärntner Privatstiftung bekannt. Im Haus lagert noch unverändert Bachmanns Privatbesitz, den Heinz Bachmann nach ihrem Tod aus der römischen Wohnung hierher zurückgebracht hat. Es ist geplant, das Haus unter der Führung des Klagenfurter Musil-Museums[39] öffentlich zugänglich zu machen.[40][41]
Der Literaturkritiker Heinrich Vormweg kommentierte 1973, Bachmann habe „ihren Ruhm als die große junge Lyrikerin der fünfziger Jahre nahezu unbeschadet in den Ruhm als Erzählerin umpolen können“, später aber seien die „Fragwürdigkeiten“ von Bachmanns „existentialistisch-individualistischer, auf leicht verschobene Art egozentrischer Erzählgestik“ deutlicher hervorgetreten.[42]
Seit 1977 wird beim Klagenfurter Literaturwettbewerb jährlich der Ingeborg-Bachmann-Preis verliehen; er gilt als einer der bedeutendsten Literaturpreise im deutschsprachigen Raum.
Am 4. April 1978 enthüllte die Österreichische Gesellschaft für Literatur am Haus Beatrixgasse 26 in Wien-Landstraße eine Gedenktafel, wo sie laut Meldezettel[43] vom 9. Oktober 1946 bis 15. Juni 1949 bei der Familie Winkler wohnte.
Im Jahr 2000 hat die Stadtgemeinde Heidenreichstein im Waldviertel in Niederösterreich in der Litschauer Straße den „Ingeborg-Bachmann-Park“ gestaltet. Weiters wurde im Stadt- und Heimatmuseum der Stadt ein Bachmann-Zimmer eingerichtet. Die Schriftstellerin war in jungen Jahren mehrmals bei ihren Großeltern, dem Ehepaar Haas, zu Gast, die in Heidenreichstein eine Strickwarenerzeugung betrieben.
In Klagenfurt wurde im Stadtteil Villacher Vorstadt westlich des historischen Zentrums das Ingeborg-Bachmann-Gymnasium nach ihr benannt und 2006 im Schubertpark eine Büste Bachmanns von Tomasi Marco aufgestellt. In Wien-Donaustadt (22. Bezirk) wurden 2007 westlich der Wagramer Straße Ingeborg-Bachmann-Platz und -Park benannt.
Auch in Berlin wird Ingeborg Bachmann gewürdigt. Bereits seit Dezember 2008 war Ingeborg Bachmann Namenspatronin der Familienbibliothek in der Nehringstraße 10. Im Februar 2018 wurde in der Bezirksversammlung des Berliner Bezirks Charlottenburg-Wilmersdorf auf Antrag der Fraktionen von FDP, SPD und Grüne die Anbringung einer Gedenktafel am Haus Koenigsallee 25, dem letzten Wohnsitz Bachmanns in Berlin, beschlossen.[44][45]
Im Juni 2018 wurde am Dorfplatz in Obervellach ein vom Bildhauer Herbert Unterberger geschaffener Gedenkstein aus Krastaler Marmor mit der Inschrift Wohin aber gehen wir enthüllt.[46][47]
Im August 2021 beschloss der Stadtrat von Klagenfurt, ein Ingeborg-Bachmann-Museum einzurichten. Es soll im ehemaligen Elternhaus von Ingeborg Bachmann in der Henselstraße 26 eröffnet werden, weshalb die Immobilie, im Besitz der Bachmann-Familie, im September 2021 von der Stadt Klagenfurt und dem Land Kärnten angekauft wurde.[48][41] Das Haus erfuhr nach dem Tod Ingeborg Bachmanns Umbauarbeiten, damit das gesamte Mobiliar, Bachmanns Bücher und ihr weiterer Besitz dort untergebracht werden konnte.[49] Die Eröffnung ist für Juni 2025 zu den Tagen der deutschsprachigen Literatur geplant.[50]
Am 17. September 2021 wurde die Ingeborg-Bachmann-Kuppel, entworfen von Armin Guerino, mit einer Performance am Neuen Platz in Klagenfurt eröffnet. Die von einer Reihe von Stützen, ausgesteift mit Glaswänden, getragene Kuppel soll im Jahr 2022 für ein Gastspiel nach Wien wandern. Wunschort ist der Heldenplatz. Der Bau ging aus einer Ausschreibung des Kärntner Kulturfonds als Siegerprojekt hervor, erreicht 6 m Höhe und wiegt 3 Tonnen.[51]
Im Juni 2023 wurde der Garten des ORF-Landesstudios in Klagenfurt zum Ingeborg-Bachmann-Park, am Eröffnungstag des 47. Ingeborg-Bachmann-Preises wurde eine Tafel mit Ehrengästen enthüllt.[52] Im März 2024 wurde die Ingeborg-Bachmann-Passage in Hermagor eröffnet.[53]
In Deutschland und Österreich wurden zahlreiche Straßen nach Ingeborg Bachmann benannt. So gibt es etwa in München,[54] Dresden[55] und Düsseldorf[56] Ingeborg-Bachmann-Straßen, aber auch in kleineren Gemeinden wie etwa Fellbach[57] oder Blaustein.[58] In Freiburg ziert der Ingeborg-Bachmann-Weg ihren Namen.[59] Neben Villach und Wels verfügen noch vier weitere österreichische Gemeinden über eine Ingeborg-Bachmann-Straße.[60]
Komposition: Reiner Bredemeyer, Regie: Peter Groeger.
Seamless Wikipedia browsing. On steroids.
Every time you click a link to Wikipedia, Wiktionary or Wikiquote in your browser's search results, it will show the modern Wikiwand interface.
Wikiwand extension is a five stars, simple, with minimum permission required to keep your browsing private, safe and transparent.