Im Wintersemester 2007/2008 war Durs Grünbein Heine-Gastprofessor an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, 2009 Stipendiat in der Villa Massimo in Rom. Im Herbst 2006 hielt er die Zürcher Poetikvorlesungen zum Thema: „Fröhliche Eiszeit. Drei cartesische Mediationen“. Im Wintersemester 2009/2010 hielt er die Frankfurter Poetik-Vorlesungen zum Thema: „Vom Stellenwert der Worte“.
Grünbein tritt auch mit gesellschaftspolitischen Kommentaren in Erscheinung. So wandte er sich vehement gegen Günter Grass’ Gedicht Was gesagt werden muss, das eine „krasse historische Dummheit“ sei. Grass zeige in dem Pamphlet seine Gefühlsblindheit gegenüber dem Judenstaat als staatgewordener Überlebensstrategie.[3] Im Februar 2015 kritisierte er die fremden- und islamfeindlichen „Pegida“-Demonstrationen als Offenbarung der „Dresdner Seele“, die im Rufe „Wir sind das Volk“ genau wisse, „wer dazugehört und wer nicht“.[4]
In seinen Werken setzt sich Durs Grünbein mit den Gebieten der Naturwissenschaft (der Quantenphysik, der Neurologie) und der Philosophie auseinander[5], es finden sich aber ebenso Reise- und Liebesgedichte, etwa das oft zitierte Gedicht Après l’amour. 1988 debütierte er mit Gedichten in der von der Akademie der Künste (Berlin) herausgegebenen Literaturzeitschrift Sinn und Form, mit der er seither eng verbunden ist und zu deren zeitgenössischen Hauptautoren er zählt.[6]
Grünbein ist mit der Schriftstellerin Eva Sichelschmidt verheiratet. Das Ehepaar hat drei Töchter.[7]
Durs Grünbein gehört zu den anerkannten Dichtern des wiedervereinigten Deutschlands. Er wurde mehrfach ausgezeichnet und erhielt bereits mit 33 Jahren den Georg-Büchner-Preis. Seine frühe Lyrik wurde als Ausdruck der mangelnden Eindeutigkeit nach dem Zerfall des West-Ost Konflikts gedeutet wie Emanzipation der Literatur aus dem Gebiet der ehemaligen DDR von ihrer Vergangenheit. Die Hinwendung zur deformierten Körperlichkeit und Urbanität macht den Einfluss der Dichtung Gottfried Benns deutlich, welcher unter anderem von Heiner Müller, aber auch zahlreichen jungen Schriftstellern in der DDR studiert wurde, die weder staatsnah waren, noch zur politisch harmlosen Opposition der sogenannten Prenzlauer-Berg-Connection gehörten. Die ersten zwei Gedichtbände Grauzone morgens und Schädelbasislektion führten den kühlen Sound wie die Montagelyrik Gottfried Benns eigenständig fort. Durs Grünbein distanzierte sich nachträglich von seinem Frühwerk, obgleich diese Gedichte große Anerkennung in der zeitgenössischen Literaturwissenschaft genießen und eine breite Rezeption erfuhren.
Grünbeins theoretische Vorarbeiten zur eigenen Lyrik brachte ihm die Anerkennung als Poeta doctus ein, wenngleich manche Kritiker eine inhaltliche Überfrachtung der nachfolgenden Gedichte geltend machten. Grünbeins Hinwendung zur antikisierenden Dichtung Mitte der letzten Dekade des Jahrhunderts, die 1981 von Gerhard Falkners Reformulierung des hohen Tons eingeleitet wurde, begrüßten einige Kritiker, während andere einen Eskapismus, gar Regression zum Frühwerk bemerken wollten. Fritz J. Raddatz überschrieb in seiner Rezension zu Koloss im Nebel (2012) „Durs Grünbein – die dichtende Luftnummer“ und konstatierte „Verse ohne Rätsel, ohne Geheimnis, ohne Erschütterung für den Leser“, in denen „das eigene Ich unter Schuttmassen von Angelesenem“ begraben werde. Diese „halbgebildete[n] Verblüffungseffekte“ seien ein „regelrechter Defekt seiner poetischen Architektur“, da sie in der Belehrung „jegliche Stille“ störten.[8] Sein Dichterkollege Thomas Kling spottete: „Wenn den Antikenfreund das Fell juckt, er aber kein Gefühl für Geschichte hat? Dann bekommt man Kostümfilm – Sandalenfilme aus den Grünbein-Studios.“[9] Laut Ulrich Greiner besteche Grünbein insbesondere durch „höchste Sprachfähigkeit und einen Reichtum an fachlicher Kenntnis“, welche ihn zu dem „ wohl am meisten gebildeten Poeten unseres Sprachraums“ mache.[10] Er sieht in solcher Kritik die Verachtung des Bildungsbürgerlichen und den Unmut über einen, der „mehr weiß als sie“, aufscheinen: „Wer Bildungsreisen nicht verachtet, sollte sich Grünbein anvertrauen […].“[10] Der Literaturwissenschaftler Ernst Osterkamp, selbst Interpret einiger Gedichte Durs Grünbeins, hatte zum Erscheinen des Gedichtbandes Nach den Satiren die hohe Zahl der Gedichte kritisch bemerkt,[11] um anlässlich des Bandes Aroma resigniert zu konstatieren, Grünbein habe nach seiner Residenz in der Villa Massimo „mit der marktgerechten Hurtigkeit, die man von diesem Dichter mittlerweile leider gewohnt ist, schon wenige Monate später einen stattlichen Band mit den literarischen Erträgen seines Aufenthalts“ vorgelegt.[12]
Neben seinen frühen Gedichten finden seine Liebesgedichte Anerkennung. Der Schweizer Literaturwissenschaftler und Kritiker Peter von Matt gab Grünbeins Liebesgedichte als eigenständige Sammlung 2008 heraus.
Die Götter Griechenlands. Peter Cornelius (1783–1867). Die Kartons für die Fresken der Glyptothek in München aus der Nationalgalerie Berlin. Mit einer Textsammlung ausgewählt von Durs Grünbein. Dumont Verlag, Berlin/Köln 2004, ISBN 978-3-8321-7502-3.
Antike Dispositionen. Aufsätze. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-518-41715-0.
Porzellan. Poem vom Untergang meiner Stadt. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-518-41722-3.
Der Misanthrop auf Capri. Historien und Gedichte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-518-22394-1.
Strophen für übermorgen. Gedichte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-518-41908-3.
Unfreiheit. Rede in der Frauenkirche zu Dresden am 6. Oktober 2009. In: Deutschland-Archiv, Jg. 42, 2009, H. 6, S. 983–992.
Dieser besondere Kreis. Dankrede zur Aufnahme in den Orden Pour le mérite. Vortrag am 6. Juni 2009 vor den Mitgliedern des Ordens Pour le mérite für Wissenschaften und Künste in Berlin. In: Sinn und Form 3/2010, S. 422–426
in: Dichtung des 20. Jahrhunderts: Meine 24 sächsischen Dichter. Hrsg. Gerhard Pötzsch. 2 CDs. Militzke Verlag, Leipzig 2009, ISBN 978-3-86189-935-8.
Werke in englischer Sprache
Ashes for Breakfast – Selected Poems. Auswahl aus folgenden Werken übersetzt von Michael Hofmann: Grauzone, morgens, Schädelbasislektion, Falten und Fallen, Nach den Satiren, Erklärte Nacht. Farrar, Straus & Giroux, New York 2005, ISBN 978-0-374-53013-6.
The Bars of Atlantis – Selected Essays. (Hrsg. von Michael Eskin). Farrar, Straus & Giroux, New York 2010, ISBN 978-0-374-26062-0.
Descartes' Devil – Three Meditations. Übersetzt von Anthea Bell. Upper West Side Philosophers, New York 2010, ISBN 978-0-9795829-4-3.
The Vocation of Poetry. Übersetzt von Michael Eskin. Upper West Side Philosophers, New York 2011, ISBN 978-0-9795829-9-8.
Mortal Diamond: Poems. Übersetzt von Michael Eskin. Upper West Side Philosophers, New York 2013, ISBN 978-1-935830-07-8.
Porcelain: Poem on the Downfall of My City. Übersetzt von Karen Leeder. Seagull Books, Kalkutta 2020, ISBN 978-0-85742-781-6 (Übersetzung ausgezeichnet mit dem Schlegel-Tieck Prize 2021).
For the Dying Calves. Beyond Literature: Oxford Lectures. Übersetzt von Karen Leeder. Seagull Books, Kalkutta 2021, ISBN 978-0-85742-954-4.
Übersetzungen
Stefan Themerson: Bayamus und das Theater der Semantischen Poesie. Roman. Übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Durs Grünbein. Reclam, Leipzig 1992 (Reclam-Bibliothek Band 1441), ISBN 3-379-01441-9.
Hinrich Ahrend: „Tanz zwischen sämtlichen Stühlen“. Poetik und Dichtung im lyrischen und essayistischen Werk Durs Grünbeins. Königshausen & Neumann, Würzburg 2010 (= Epistemata. Würzburger Wissenschaftliche Schriften: Reihe Literaturwissenschaft 687), ISBN 978-3-8260-4168-6.
Florian Berg: Das Gedicht und das Nichts. Über Anthropologie und Geschichte im Werk Durs Grünbeins. Königshausen & Neumann, Würzburg 2007, ISBN 978-3-8260-3526-5.
Alexander Joist: Der Tod als Schicksal des Körpers im Werk von Durs Grünbein. In: Alexander Joist: Auf der Suche nach dem Sinn des Todes. Todesdeutungen in der Lyrik der Gegenwart. Matthias-Grünewald Verlag, Mainz 2004, ISBN 3-7867-2521-7.
Sonja Klein: „Denn alles, alles ist verlorne Zeit.“ Fragment und Erinnerung im Werk von Durs Grünbein. Aisthesis Verlag, Bielefeld 2008, ISBN 978-3-89528-678-0.
Alexander Müller: Das Gedicht als Engramm. Memoria und Imaginatio in der Poetik Durs Grünbeins. Igel Verlag, Oldenburg 2004, ISBN 3-89621-197-8 (zugleich Diss. Marburg 2004).
Annette Simonis: Durs Grünbein im Zoo. Spuren eines zerstreuten Bestiariums im Oeuvre des Dichters. In: dies.: Das Kaleidoskop der Tiere. Zur Wiederkehr des Bestiariums in Moderne und Gegenwart. Aisthesis, Bielefeld 2017, ISBN 978-3-8498-1207-2, S. 124–151.
Bernd Urban: „Aporie Augustinus (Über die Zeit)“. Anmerkungen zu einem Gedicht Durs Grünbeins. In: Erbe und Auftrag 80 (2004) S. 223–235.
Ron Winkler: Dichtung zwischen Großstadt und Großhirn. Annäherungen an das lyrische Werk Durs Grünbeins. Verlag Dr. Kovac, Hamburg 2000, ISBN 3-8300-0211-4.
Claus Zittel: Tauchen im Schnee von gestern. Grünbeins Descartes-Lektüren und ihre Folgen. In: Laura Auteri, Alfred Noe, Hans-Gert Roloff (Hrsg.): Die Bedeutung der Rezeptionsliteratur für Bildung und Kultur der frühen Neuzeit (1400–1750) IV (= Jahrbuch für Internationale Germanistik. Reihe A, Bd. 126). Bern 2016, S. 493–521.
Durs Grünbein, Dieser besondere Kreis. Dankrede zur Aufnahme in den Orden Pour le mérite. Vortrag am 6. Juni 2009 vor den Mitgliedern des Ordens Pour le mérite für Wissenschaften und Künste in Berlin. In: Sinn und Form 3/2010, S. 422–426
Tomasz Różycki: Dichter der Vergegenwärtigung. Laudatio auf Durs Grünbein. In: Sinn und Form 4/2021, S. 568–569. Aus dem Polnischen von Bernhard Hartmann. (Laudatio zur Verleihung des Zbigniew-Herbert-Preises an Durs Grünbein am 15. September 2020 in Warschau.)
Über dieses Buch und seine Bedeutung im Gesamtwerk führte Michael Eskin mit Durs Grünbein ein ausführliches Gespräch: Tauchen mit Descartes. In: Sinn und Form 3/2011, S. 389–402.