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Fahndungsliste im Dritten Reich Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Die Sonderfahndungsliste G.B. (Sonderfahndungsliste Großbritannien) war ein im Frühjahr 1940 im Reichssicherheitshauptamt (RSHA) zusammengestelltes Verzeichnis mit den Namen und Personalien von 2820 Personen. Zu diesem Zeitpunkt wurde eine Invasion der britischen Inseln durch die die deutsche Wehrmacht in Erwägung gezogen (siehe Unternehmen Seelöwe). Die Personen auf der Sonderfahndungsliste G.B. sollten im Falle einer erfolgreichen Invasion von Sondereinheiten der SS, die dicht auf die Invasionstruppen folgen sollten, systematisch aufgespürt und verhaftet werden.
Einige Exemplare wurden 1945 von den alliierten Besatzungstruppen in den Ruinen des RSHA aufgefunden. Im englischsprachigen Raum wurde die Sonderfahndungsliste als the Black Book bekannt (wörtlich „das Schwarze Buch“, vgl. den Ausdruck „Schwarze Liste“).
Die Liste wurde unter Oberaufsicht des SS-Geheimdienstexperten Walter Schellenberg aus Einzelfahndungslisten verschiedener Amtsgruppen des Reichssicherheitshauptamts zusammengeführt.
Die Liste wurde dem sogenannten „Informationsheft G.B.“ als Appendix (104 Seiten Umfang) beigefügt. Das Informationsheft G.B. war ein 144-seitiges Handbuch, das in Großbritannien zum Einsatz kommenden Agenten, Besatzungsfunktionären usw. als Orientierung bei ihrer Tätigkeit mitgegeben werden sollte. Insgesamt wurden 20.000 Exemplare des Informationsheftes gedruckt, die jedoch bei einem Luftangriff auf Berlin verbrannten.
In Großbritannien operierende Sonderkommandos der SS sollten nach der angestrebten Machtübernahme die vom RSHA gesuchten Personen ausfindig machen und in Gewahrsam nehmen. Dabei sollte ihnen die Liste als eine Art Checkliste dienen und eine effektive „Abarbeitung“ der betreffenden Namen bzw. Personen ermöglichen.
Zwei Originale der Sonderfahndungsliste fielen 1945 in britische Hände. Auszüge wurden noch 1945 in der britischen Presse veröffentlicht. Auf diese Weise erfuhren einige der in der Liste verzeichneten Personen von der „Ehre“, dass sie auf der Schwarzen Liste der Nationalsozialisten gestanden hatten. Der Karikaturist David Low, der Adolf Hitler Jahre lang mit ihn verspottenden Zeichnungen, die in britischen Zeitungen veröffentlicht wurden, lächerlich gemacht hatte, quittierte die Mitteilung, dass sein Name sich auf der Liste befinde, beispielsweise mit dem Kommentar: „Das geht schon in Ordnung. Ich hatte sie auch auf meiner Liste.“ („That is all right. I had them on my list too.“).[1]
Eines der in Berlin aufgefundenen Exemplare befindet sich heute im Imperial War Museum in London. Das Museum veröffentlichte 1989 eine Faksimile-Ausgabe der Liste mit einem erläuternden Vorwort.
Die Sonderfahndungsliste enthält in kompakter Form die Namen und weitere Daten zu den gesuchten Personen. Die Namen sind alphabetisch nach Nachnamen sortiert. Neben Angaben zur Funktion bzw. dem Tätigkeitsgebiet der jeweiligen Person enthalten die Einträge auch die Angabe, welches Referat des RSHA an der Person besonders interessiert war und an wen sie daher nach ihrer Verhaftung zu übergeben sei. Der Großteil der verzeichneten Personen hätte an die Amtsgruppe IV (Gestapo) übergeben werden sollen.
Die Liste umfasst zwei Hauptgruppen von Personen: I.) Gesuchte Briten und II.) gesuchte Emigranten aus anderen Ländern, die in Großbritannien vermutet wurden.
Die erste Hauptgruppe besteht aus Einträgen mit den Namen und Daten führender Angehöriger der britischen Regierung, des britischen Parlaments, der britischen Armee und des öffentlichen Lebens in Großbritannien (Journalisten, Schriftsteller usw.), die nach einer Invasion Großbritanniens in Haft genommen werden sollten.
In der zweiten Hauptgruppe fand sich eine größere Zahl von Einträgen zu Emigrantinnen und Emigranten aus dem Deutschen Reich sowie aus den bis 1940 von Deutschland besetzten Staaten Europas, von denen angenommen wurde, dass sie sich in Großbritannien aufhielten. Das RSHA suchte diese Personen zumeist, weil es sie als besonders gefährlich oder wichtig ansah, obschon sie als Geflohene im Regelfall über keine nennenswerten Machtmittel verfügten, die sie gegen den NS-Staat einsetzen konnten.
Die Einträge zu Personen, die aus den ab 1938 von Deutschland besetzten Ländern stammten, umfassten belgische, französische, niederländische, polnische, österreichische und tschechoslowakische Politiker, Militärs usw., denen es gelungen war, sich bei der Besetzung ihrer Heimatländer dem Zugriff der Besatzungsmacht durch Flucht zu entziehen. Bekannte Beispiele hierfür sind der ehemalige tschechoslowakische Regierungschef Edvard Beneš und der französische General Charles de Gaulle.
Die in der Liste verzeichneten Persönlichkeiten aus Deutschland und Österreich waren größtenteils Politiker, Beamte, Journalisten Kulturschaffende und Wissenschaftler, die in den 1930er Jahren ins Exil in Großbritannien gegangen waren und die den Nationalsozialisten aus ideologischen oder persönlichen Gründen besonders verhasst waren. Gründe für die feindliche Einstellung der Nationalsozialisten diesen Personen gegenüber waren beispielsweise, dass diese den Nationalsozialismus vor 1933 bekämpft hatten oder dass sie (bei Schriftstellern und Künstlern) in ihren Werken Ideen und Werte bzw. (bei Wissenschaftlern) Lehren vertraten, die die Nationalsozialisten als ihrer Ideologie entgegengesetzt betrachteten. Beispiele hierfür sind die Schriftsteller Heinrich Mann und Stefan Zweig, deren Werke in ihrem humanitär-liberalen Geist im Gegensatz zur nationalsozialistischen Weltanschauung standen, und der Psychologe Sigmund Freud, dessen Theorie (die Psychoanalyse) die Nationalsozialisten scharf ablehnten.
Insbesondere in Hinblick auf Wissenschaftler, die als Zielpersonen in der Liste verzeichnet standen, waren häufig, anstatt von ideologischen Gründen, pragmatische Gründe dafür bestimmend, dass diese in die Liste eingetragen wurden. Das heißt: Sowohl britische Wissenschaftler, als auch aus anderen Ländern stammende Wissenschaftler, die in Großbritannien vermutet wurden, waren ins Visier der SS-Nachrichtendienste geraten und auf die Liste gesetzt worden, weil sie als führende Experten auf ihren jeweiligen Gebieten über Know-how verfügten, das deutscherseits als kriegsrelevant angesehen wurde. Dies galt zumal für führende Physiker, Biologen und Chemiker sowie für Ingenieure und sonstige Techniker.
Erkennbar lag den Erstellern der Sonderfahndungsliste die 1936 von dem „Emergency Committee in Aid of Displaced German Scholars“ herausgegebene List of Displaced German Scholars vor und wurde von ihnen als Quelle benutzt: Zahlreiche Einträge der Sonderfahndungsliste, die Wissenschaftler betreffen, die aus Deutschland stammten, basierten nämlich ersichtlich auf dieser Publikation. Und zwar in der Weise, dass fast alle in der Displaced German Scholars-Publikation stehenden Personen, in den Einträgen zu welchen eine Adresse des/der Betreffenden in Großbritannien vermerkt ist, als zu verhaftende Personen in die Sonderfahndungsliste übernommen wurden und die in der Displaced German Scholars-Publikation stehende Adresse als ihr vermuteter Aufenthaltsort in die Sonderfahndungsliste übernommen wurde. Infolge dieser schematisch-automatischen Übernahme fast aller Personen aus dem Werk von 1936, zu denen ein Wohnsitz in Großbritannien angegeben wird, finden sich unter den zur Fahndung ausgeschriebenen deutschen Wissenschaftlern auch Forscher, die 1940 (noch) von eher nachrangiger Bedeutung in ihren Forschungsgebieten waren, nämlich junge Forscher, die damals noch sehr am Anfang ihrer Laufbahn standen und Personen des akademischen Mittelbaus, die es in die Emigration verschlagen hatte.
Weiter sind in der Liste Personen verzeichnet, von denen angenommen wurde, dass sie als Wissensträger über wichtige Kenntnisse zu bedeutsamen Vorgängen oder Projekten verfügten: Neben Personen (v. a. Wissenschaftlern), von denen vermutet wurde, dass sie kriegsrelevante Kenntnisse auf technischem Gebiet (Aufbau und Funktionsweise von Waffen, Kommunikationsmitteln etc.) besaßen, oder Personen, von denen aufgrund ihrer Tätigkeit im Staatsapparat angenommen wurde, dass sie Kenntnisse über aus deutscher Sicht wichtige Vorgänge (geheime Pläne der britischen Regierung etc.) besaßen, fielen in diese Kategorie auch Personen, wie Bankiers, die über den Verbleib von Vermögenswerten befragt werden sollten, die sie verschoben hatten, um sie vor dem Zugriff der Nationalsozialisten zu schützen.
Zuletzt finden sich in der Sonderfahndungsliste auch eine Anzahl von eher obskuren, der Öffentlichkeit praktisch unbekannten Namen. Ein Grund, weshalb solche Personen in die Liste aufgenommen wurden, war beispielsweise, das von ihnen angenommen wurde, dass sie sich vor 1939 in Deutschland als britische Agenten betätigt hatten.
Die nachfolgende Liste wurde durch Rückübersetzung einer fehlerhaften englischen Übersetzung der Sonderfahndungsliste erstellt. Dies hat zur Folge, dass der Text an vielen Stellen nicht mit dem originalen Wortlaut übereinstimmt. Korrekturen und Ergänzungen wurden in eckigen Klammern […] hinzugefügt. Dennoch sind derzeit noch zahlreiche Fehler enthalten. Dies kann auch die Schreibweise von Namen oder das Geburtsdatum betreffen. Im Zweifel ist das originale deutschsprachige Dokument maßgeblich (ein Digitalisat ist unter #Weblinks abrufbar).
Kursiv sind Namen von Personen geschrieben, zu denen so wenig bekannt ist, dass es wahrscheinlich auch künftig keinen Wikipedia-Artikel zu der Person geben wird.
Die hinter dem Hinweis „gesucht von“ angegebenen Abteilungen/Referate des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) lassen sich anhand der Geschäftsverteilungspläne des RSHA aufschlüsseln. Die initiale römische Zahl steht für die Amtsgruppe im RSHA, der die gesuchte Person übergeben werden sollte, der folgende Großbuchstabe für die zuständige Abteilung und die folgende Ziffer für das jeweilige Referat innerhalb der betreffenden Abteilung. Beispiel: Die Kennung IVA1 steht für das Referat 1 in Abteilung A der Amtsgruppe IV des RSHA. Ein ggf. noch am Schluss der Kennung folgender kleiner Buchstabe steht für ein zuständiges Sachgebiet innerhalb des Referats.
Eine größere Zahl von auf der Sonderfahndungsliste G.B. verzeichneten Personen hielt sich tatsächlich im Jahr 1940 nicht in Großbritannien, sondern in anderen Ländern auf. Einige waren niemals nach Großbritannien gelangt, andere hatten sich zwar zeitweise dort aufgehalten, waren aber im Jahr 1940 bereits an andere Orte weitergezogen.
Aufenthalt in kontinentaleuropäischen Ländern
Die meisten derjenigen Personen, die 1940 irrtümlich in Großbritannien vermutet wurden, hielten sich in Ländern des europäischen Kontinents auf, vor allem in Frankreich (z. B. Alfred Adolph, Hermann Harke, Günther Isidor Michalowski und Otto Niebergall), den Niederlanden (z. B. Alfred Mozer) und Belgien. Maria von Hohenberg war zu dieser Zeit in Österreich, Wilhelm Kasper in Deutschland, David Katz in Schweden, Hans Neubeck in der Sowjetunion. Nachfolgend werden vier Gruppen mit verschiedenen Schicksalen betrachtet.
Aufenthalt in anderen Ländern
Einige der in der Sonderfahndungsliste verzeichneten Personen hielten sich 1940 in Übersee auf und gerieten daher niemals in die Gewalt der Nationalsozialisten. Die meisten von ihnen lebten zu dieser Zeit in den USA, darunter David Baumgardt, Emanuel Feuermann, Hermann Fränkel, Sergei I. Gaposchkin, Andreas Gemant, Olaf Helmer, Wolfgang Kraus, Otto Krayer, Emanuel Reichenberger, Erich Rinner, Sergei Yakobson und Herbert Kurt Zassenhaus. Aufenthalt in anderen überseeischen Ländern: Fritz Moosberg (Südamerika), Helmut Rehbein (Neuseeland). Aufenthalt in Palästina: Adalbert Farkas.
Die folgenden Personen, die 1940 auf der Sonderfahndungsliste verzeichnet wurden, waren zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben: Lascelles Abercrombie († 1938 in UK), Hugh Shakespear Barnes († Februar 1940 in UK), Bernhard Baron († 1929 in UK), Lytton Strachey († 1932), Osmond D’Avigdor-Goldsmid († im April 1940), Dora Fabian († 1935 verstorben), Sigmund Freud († 1939 in UK), Hermann Horstmann († 1938), Albrecht Mendelssohn-Bartholdy († 1936), Cyril Regnart († 1920), Sidney Reilly († 1925 in der Sowjetunion) und Philip Pembroke Stephens († 1937) und Friedrich Wilhelm Weidmann († 1934).
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