Familie im Reich Viren (Virus) Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Die Phycodnaviren, wissenschaftlich Phycodnaviridae (von griechisch φῦκοςphŷkos „(See-)Tang“, „(Rot-)Algen“ und DNA), bilden eine Familie großer Doppelstrang-DNA-Viren mit einem Genom von 160 bis 560kb. Sie infizieren Meeres- und Süßwasser-Algen und gehören zu einem Phylum großer Viren, das vom International Committee on Taxonomy of Viruses (ICTV) im März als Nucleocytoviricota (veraltet Nucleocytoplasmaviricota oder Nucleocytoplasmic large DNA viruses, NCLDV) offiziell bestätigt wurde.
Jüngste Untersuchungen der Phycodnavirus-Genome haben bei diesen Viren ausgeklügelte Mechanismen der Virus-DNA Replikation und Transkriptions-Vorgänge gefunden. Ebenfalls wurde ein neuer Typ von Kaliumkanälen entdeckt. Es wurden auch Gene gefunden, die an der Apoptose der Wirtszelle sowie an den komplexen Signalpfaden, Transkritpionsmechanismen und für die Glykosylierung viraler Proteine beteiligt sind. Alle Phycodnaviren haben Gene, die für DNA-Polymerasen codieren. Dennoch ist bislang nicht klar, ob Phycodnaviren einen kompletten Replikations-Komplex herstellen können. Wahrscheinlich benötigen sie für die Replikation die Unterstützung der Wirtszelle.
Äußere Systematik
In älteren Arbeiten findet sich noch die Bezeichnungsweise Megavirales (vom Rang einer Ordnung), vom Umfang her entweder für das gesamte Phylum NCLDV oder nur für die gemeinsame Klasse (jetzt Megaviricetes) mit der Ordnung Imitervirales der Familie Mimiviridae. Diese Bezeichnungen sind mit der Master Species List #35 des ICTV vom März 2020 überholt.
Innere Systematik
Zu den Phycodnaviren gehören laut ICTV mit Stand 30. April 2024 offiziell folgende Gattungen:[3][4]
„Yellowstone Lake Phycodnaviruses“ (YSLPV)[7] offenbar gelegentlich als Yellow Lake Phycodnavirus (YLPV) fehlgeschrieben[6][8]
„Yellowstone Lake Phycodnavirus 1“, „2“, „3“ (YSLPV1, YSLPV2, YSLPV3)[7][9] Die Bezeichnungen Ylpv-A, Ylpv-B bei Kinyanyi etal. (2018) beziehen sich offenbar auf YSLPV1, YSLPV2 wie in Hao Chen etal. (2018) Fig.2b genannt.[8][7]
„Dishui Lake Phycodnavirus 1“ (DSLPV1)[7][10] bis „Dishui Lake Phycodnavirus 4“ (DSLPV4).[11][A. 2] Fundort: Dishui Lake 30,8972°N, 121,9353°O30.897227121.935294, ein künstlich angelegter See in der Modellstadt Nanhui New City, Pudong, Schanghai.
„Micromonas pusilla virus 02T“ (MpV-02T)
„Micromonas pusilla virus 04T“ (MpV-02T)
„Micromonas pusilla virus 05T“ (MpV-02T)
„Micromonas pusilla virus 07T“ (MpV-02T)
„Micromonas pusilla virus 13T“ (MpV-02T)
„Micromonas pusilla virus 38T“ (MpV-02T)
„Micromonas pusilla virus 40T“ (MpV-02T)
„Micromonas pusilla virus 41T“ (MpV-02T)
„Micromonas virus MiV93“ (MiV93)
„Micromonas virus MiV100“ (MiV100)
„Micromonas virus MiV130“ (MiV130)
„Clandestinovirus ST1“ und „Usurpativirus LCD7“[12] werden heute eher bei den Mamonoviridae (früher Medusaviridae) angesiedelt als bei den Phycodnaviridae.
Kladogramm (Schulz)
Die folgende Systematik folgt F. Schulz etal. (2018) und Hao Chen etal. (2018):[6][A. 3]
Das Kladogramm wurde ergänzt um die neuen Kandidaten aus dem Dushui Lake nach Shengzhong Xu etal. (2020):[11]
BpV = „Bathycoccus prasinos virus“
DSLPV = „Dishui Lake Phycodnavirus“
MpV = „Micromonas pusilla virus“
YSLPV = „Yellowstone Lake Phycodnavirus“
Greiner etal. (2018) sehen YLPV2 (alias YSLPV2, Yellowstone Phycodnavirus 2) jedoch nicht in der Klade der Viren vom Chlorovirus-Typ.[15]
Kladogramm (Zhang)
Neuere Vorschläge deuten darauf hin, dass die Phyodnaviridae polyphyletisch sind: Koonin etal. (2019),[2] Rolland etal. (2019, 2021),[12][16] Aylward, Koonin etal. (2021)[17] und Zhang etal. (2023):[18]
Nach den beiden letzten Studien sieht die Systematik der Klasse Megaviricetes wie folgt aus.
Für die Klade der Phycodnaviridae vom Chlorovirus-Typ (per Vorschlag =„Prasinoviridae“) ergibt sich nach Koonin etal. (2019)[2] und Rolland etal. (2019, 2021),[12][16] ein Stammbaum, in den sich die Dishui-Lake-Phycodnaviren nach Xu (2020)[11] ebenfalls integrieren lassen:
In diesen neueren Vorschlägen zur Taxonomie der Megaviricetes gruppieren die „Pandoraviridae“ also in einer eigenen Ordnung „Pandoravirales“, zusammen mit den Mamonoviridae[19] und Mamonoviridae.[18]
Raphidovirus und „Usurpativirus“ sind hier berücksichtigt, es fehlen dagegen Prymnesiovirus und „Sylvanvirus“.[A. 4]
Umgruppierungen
Zur (oben nicht dargestellten) Gattung Prymnesiovirus: Inzwischen gelten einige früher für Phycodnaviridae (speziell etwa Prymnesioviren) gehaltene Kandidaten zur Ordnung Imitervirales innerhalb der gemeinsamen Klasse Megaviricetes, da sie den Mimiviridae nahestehen. Dazu gehören folgende im April 2023 vom ICTV geschaffenen bzw. bestätigten drei Familien:[22][23]
Familie Mesomimiviridae (früher Gruppe der Organic Lake Phycodnaviruses, OLPG) um die mögliche Gattung „Organic Lake Phycodnavirus“ (OLPV).[7][A. 2] Vermutlich gehören dazu:
„Organic Lake Phycodnavirus 1“ und „2“ (OLPV1, OLPV2)
„Prymnesium kappa virus“ mit PkV-RF01 und PkV-RF02[35][36][28]
Für die gesamte Gruppe der betroffenen Kandidaten wurde ursprünglich der Rang einer Unterfamilie namens Mesomimivirinae innerhalb einer erweiterten Familie Mimiviridae (entspricht der heutigen Ordnung Imitervirales) vorgeschlagen.[25][37]
Spätere Vorschläge erhoben diese Gruppe in den Rang einer Familie Mesomoimiviridae. Zunächst war noch unklar, ob die drei heutigen Familien überhaupt eine gemeinsame Klade neben den Mimiviridae bilden, oder ob sie einzeln nacheinander basal innerhalb der Imitervirales abzweigen. Letzteres scheint zwar nicht der Fall zu sein, aber die drei Gruppen liegen so weit auseinander, dass das ICTV im April 2023 drei eigene Familien eingerichtet hat.[22][23]
Früheren Vorschlägen, die Gattung Raphidovirus (zumindest der Vertreter Heterosigma akashiwo virus strain HaV53) in einer eigenen Klade nicht innerhalb der Algavirales, sondern auch bei den Schizomimiviridae (nämlich Aureococcus-anophagefferens-Virus, ggf. auch „Choanovirus“) anzusiedeln,[38][13] sind die neuen Systematiken seit Koonin etal. (2019) nicht gefolgt.
J. L. Van Etten, R. H. Meints: Giant viruses infecting algae. In: Annu Rev Microbiol. 53, 1999, S.447–494. Review. PMID 10547698. (Open Access version)
L. M. Iyer, S. Balaji, Eugene V. Koonin, L. Aravind: Evolutionary genomics of nucleo-cytoplasmic large DNA viruses. In: Virus Research. 117(1), Apr 2006, S.156–184. PMID 16494962
Didier Raoult, S. Audic, C. Robert, C. Abergel, P. Renesto, H. Ogata, B. La Scola, M. Suzan, J.M. Claverie: The 1.2-megabase genome sequence of Mimivirus. In: Science. 306(5700), 19. November 2004, S.1344–1350. doi:10.1126/science.1101485PMID 15486256
Fumito Maruyama, Shoko Ueki: Evolution and Phylogeny of Large DNA Viruses, Mimiviridae and Phycodnaviridae Including Newly Characterized Heterosigma akashiwo Virus. In: Front. Microbiol., 30. November 2016; doi:10.3389/fmicb.2016.01942 (englisch).
Willie Wilson, James L Van Etten, D. S. Schroeder, Keizo Nagasaki etal.: Family: Phycodnaviridae, 8th ICTV Report, auf: Elsevier/Academic Press, Januar 2005, S.163–175.
Curtis A. Suttle, Amy M. Chan: Family: Phycodnaviridae, 9th ICTV Report, auf: Elsevier/Academic Press, Januar 2011, S.1269–1273; doi:10.1007/978-0-387-95919-1_207 (englisch).
Die Gattungen Prymnesiovirus (mit Spezies Chrysochromulina brevifilum virus PW1, CbV-PW1) und Raphidovirus (mit Spezies Heterosigma akashiwo virus 01, HaV01) sind in diesen Arbeiten nicht berücksichtigt, Phaevirus bei Schulz etal. (2018) ist als Phaeovirus zu lesen. YLPV ist offenbar als YSLPV zu verstehen, denn die Schreibweise Yellow Lake Phycodnavirus (Ylpv-A, Ylpv-B) findet sich sonst nur bei Kinyanyi etal. (2018). Nach Hao Chen etal. (2018) Fig.2b muss damit YSLPV1 und YSLPV2 gemeint sein. Zur Klärung siehe auch Zhang etal. (2015).
Die von den Autoren angegebenen Speziesnamen sind zur Vereinfachung durch die zugehörigen Gattungen ersetzt.
Den Vorschlägen gemeinsam ist, dass die Molliviren und Pandoraviren eine gemeinsame Klade weiterentwickelter Abkömmlinge der (bisherigen) Phycodnaviren-Gattungen Coccolithovirus und Phaeovirus darstellen. Ein Unterschied besteht lediglich in der genauen Beziehung dieser Gruppen zueinander.
Übereinstimmend sind die Coccolithoviren (und Phaeoviren) genetisch nur relativ weitläufig mit der gemeinsamen Klade aus Chlorovirus und Prasinovirus verwandt, zu der ofenbar auch Raphidovirus gehört.
In den neueren Vorschlägen seit Koonin etal. (2019) hat die Gruppe der Pandoraviren immerhin noch einen gemeinsamen Vorfahren mit den Coccolithoviren innerhalb der weit gefassten Familie Phycodnaviridae,[20] d.h. der gemeinsamen Klade aus den Rest-Algavirales und den „Pandoravirales“.
Für die hier informell (ad hoc) bezeichneten Kladen benutzen bereits früher manche Autoren Unterfamilien-Bezeichnungen, etwa „Chlorovirinae“ alias Phycodnaviruses s.l. (Koonin) und „Coccolithovirinae“ (Allen etal. 2006).[21]
Eugene V. Koonin, Natalya Yutin: Evolution of the Large Nucleocytoplasmatic DNA Viruses of Eukaryotes and Convergent Origins of Viral Gigantism. In: Advances in Virus research, Band 103, AP 21. Januar 2019, doi:10.1016/bs.aivir.2018.09.002, S.167–202. In Fig.4 ist phycodnaviruses wohl im engeren Sinne (s.s.) zu verstehen und dürfte der Chlorovirus/Prasinovirus/‚YLPV‘-Gruppe bei Schulz etal. (2018) entsprechen.
Shengzhong Xu, Liang Zhou, Xiaosha Liang, Yifan Zhou, Hao Chen, Shuling Yan, Yongjie Wang; Julie K. Pfeiffer (Hrsg.): Novel Cell-Virus-Virophage Tripartite Infection Systems Discovered in the Freshwater Lake Dishui Lake in Shanghai, China. In: Journal of Virology, 18. Mai 2020; doi:10.1128/JVI.00149-20, PMID 32188734 (englisch).
Clara Rolland, Julien Andreani, Amina Cherif Louazani, Sarah Aherfi, Rania Francis, Rodrigo Rodrigues, Ludmila Santos Silva, Dehia Sahmi, Said Mougari, Nisrine Chelkha, Meriem Bekliz, Lorena Silva, Felipe Assis, Fábio Dornas, Jacques Yaacoub Bou Khalil, Isabelle Pagnier, Christelle Desnues, Anthony Levasseur, Philippe Colson, Jônatas Abrahão, Bernard La Scola: Discovery and Further Studies on Giant Viruses at the IHU Mediterranee Infection That Modified the Perception of the Virosphere. In: MDPI: Viruses, Band 11, Nr.4, März/April 2019, pii: E312; doi:10.3390/v11040312, PMC6520786 (freier Volltext), PMID 30935049, MDPI (englisch); siehe Fig.2a.
FumitoMaruyama,ShokoUeki:Evolution and Phylogeny of Large DNA Viruses, Mimiviridae and Phycodnaviridae Including Newly Characterized Heterosigma akashiwo Virus. In: Frontiers in Microbiology. 7. Jahrgang, 30.November 2016, ResearchGate:311160794, S.1942, doi:10.3389/fmicb.2016.01942, PMID 27965659, PMC5127864 (freier Volltext) – (englisch).
Timo Greiner, Anna Moroni, James L. Van Etten, Gerhard Thiel: Genes for Membrane Transport Proteins: Not So Rare in Viruses. In: MDPI: Viruses, Band 10, Nr.9, Special Issue Algae Virus, 26 August 2018, 456; doi:10.3390/v10090456 (englisch).
Clara Rolland, Julien Andreani, Dehia Sahmi-Bounsiar, Mart Krupovic, Bernard La Scola, Anthony Levasseur: Clandestinovirus: A Giant Virus With Chromatin Proteins and a Potential to Manipulate the Cell Cycle of Its Host Vermamoeba vermiformis. In: Frontiers in Microbiology, Band 12, 10. August 2021, Nr.715608; doi:10.3389/fmicb.2021.715608, PMID 34447361, PMC8383183 (freier Volltext) (englisch).
Frank O. Aylward, Mohammad Moniruzzaman, Anh D. Ha, Eugene V. Koonin: A phylogenomic framework for charting the diversity and evolution of giant viruses. In: PLOS Biology, 27. Oktober 2021; doi:10.1371/journal.pbio.3001430 (englisch).
Ruixuan Zhang, Masaharu Takemura, Kazuyoshi Murata, Hiroyuki Ogata: “Mamonoviridae”, a proposed new family of the phylum Nucleocytoviricota. In: Archives of Virology, Band 168, Nr.80, 5. Februar 2023; doi:10.1007/s00705-022-05633-1, PMID 36740641 (englisch).
Luke A. Sarre, Iana V. Kim, Vladimir Ovchinnikov, Marine Olivetta, Hiroshi Suga, Omaya Dudin, Arnau Sebé-Pedrós, Alex de Mendoza: DNA methylation enables recurrent endogenization of giant viruses in an animal relative. In: ScienceAdvances, Band 10, Nr.28, 12. Juli 2024; doi:10.1126/sciadv.ado6406 (englisch).
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Sailen Barik: A Family of Novel Cyclophilins, Conserved in the Mimivirus Genus of the Giant DNA Viruses. In: Computational and Structural Biotechnology Journal, Band 16, Juli 2018, S.231–236; doi:10.1016/j.csbj.2018.07.001 (englisch).
Mohammad Moniruzzaman, Alaina R. Weinheimer, Carolina A. Martinez-Gutierrez, Frank O. Aylward: Widespread endogenization of giant viruses shapes genomes of green algae. In: Nature, 18. November 2020; doi:10.1038/s41586-020-2924-2. Dazu:
Kendall Daniels: Lurking in genomic shadows: How giant viruses fuel the evolution of algae, vtnews, SciTechDaily, Quelle: Virginia Tech, 18. November 2020.
Christopher R. Schvarcz, Grieg F. Steward: A giant virus infecting green algae encodes key fermentation genes. In: Virology, Band 518, Mai 2018, S.423–433; doi:10.1016/j.virol.2018.03.010 (englisch).
Lucie Gallot-Lavallee, Guillaume Blanc, Jean-Michel Claverie: Comparative genomics of Chrysochromulina Ericina Virus (CeV) and other microalgae-infecting large DNA viruses highlight their intricate evolutionary relationship with the established Mimiviridae family. In: J. Virol., 26 April 2017; doi:10.1128/JVI.00230-17 (englisch).
Yoshitoshi Ogura, Tetsuya Hayashi, Shoko Ueki: Complete Genome Sequence of a Phycodnavirus, Heterosigma akashiwo Virus Strain 53. In: Microbiology, September 2016, doi:10.1128/genomeA.01279-16, PMID 27834719, mra.asm.org@1@2Vorlage:Toter Link/mra.asm.org(Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im April 2024. Suche in Webarchiven)Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. (PDF).
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