Richard Dehmel entstammte einer Handwerkerfamilie, die in der Gegend von Hirschberg (Schlesien) beheimatet war. Seine Eltern waren Fedor Dehmel (1835–1932) und dessen Ehefrau Louise geb. Fließschmidt (1829–1905). Sein Vater war Revier- und Stadtförster in Hirschberg und bei Kremmen (Mark).
Leben
Seine Kindheit verbrachte Richard Dehmel in der Stadt Kremmen, wo der Vater die Stelle des Stadtförsters innehatte. Richard Dehmel ging in Kremmen zur Schule und wohnte im alten Forsthaus an der Straße nach Sommerfeld.
1872 erhielt er die Gelegenheit, auf das Sophien-Gymnasium in Berlin zu wechseln. Aufgrund einer Auseinandersetzung mit dem dortigen Direktor musste Dehmel diese Schule wieder verlassen und wechselte an das städtische Gymnasium in Danzig.[1] Nach dem Abitur in Danzig 1882 studierte er in Berlin Naturwissenschaften, Nationalökonomie und Philosophie. Er beendete sein Studium mit der Promotion in Leipzig 1887 zu einem Thema aus der Versicherungswirtschaft. Während des Studiums wurde er 1882 Mitglied der Burschenschaft „Hevellia Berlin“.[2][3] Danach arbeitete er als Sekretär im Verband der Privaten Deutschen Versicherungsgesellschaften in Berlin und verkehrte im Umkreis des Berliner Naturalismus.
Im Jahr 1889 heiratete Dehmel die Märchendichterin Paula Oppenheimer, mit der er zusammen auch Kinderbücher verfasste. Kurz darauf erschienen seine ersten Gedichtbände Erlösungen (1891) und Aber die Liebe (1893). 1894 war er Mitautor bei der Zeitschrift PAN, was ihm sein Freund und Mitherausgeber des PAN Otto Julius Bierbaum ermöglichte.[4]
Im folgenden Jahr gab er seine Stellung beim Versicherungsverband auf und lebte fortan als freier Schriftsteller. Er lernte seine spätere zweite Frau Ida, geborene Coblenz, verheiratete Auerbach, kennen. 1896 veröffentlichte er in dem Gedichtband Weib und Welt das Gedicht Venus Consolatrix (lat. für Venus als Trösterin), in dem er einen mystischen Geschlechtsakt mit einer Frauenfigur schildert, in der Maria, die Mutter Jesu, Venus und Maria Magdalena verschmelzen.[5] Daraufhin erstattete Börries von Münchhausen Anzeige wegen Blasphemie:[6] Der Text musste geschwärzt werden, der Skandal machte Dehmels Namen aber bekannter.
Nach der Trennung von seiner ersten Frau Paula 1899 unternahm Dehmel mit Ida Auerbach weite Reisen durch Europa. 1901 nahm er seinen Wohnsitz in Hamburg in der Nähe seines engen Freundes Detlev von Liliencron und heiratete Ida Auerbach. 1912 regte er die Kleist-Stiftung dazu an, den Kleistpreis nicht nach Mehrheitsbeschluss zu vergeben, sondern durch Entscheidung eines Vertrauensmannes, der für jedes Jahr neu bestimmt wurde. Im selben Jahr bezog er in Blankenese das nach seinen Vorgaben von Walther Baedeker gebaute Dehmel-Haus. Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 meldete sich Dehmel freiwillig zum Militäreinsatz (Infanterie-Regiment „Graf Bose“ (1. Thüringisches) Nr. 31) und diente bis 1916. Er gehörte zu den 93 Unterzeichnern des im Oktober 1914 veröffentlichten Manifests An die Kulturwelt. Kurz vor Kriegsende 1918 forderte er die Deutschen in einem Aufruf noch zum Durchhalten auf. Er starb am 8.Februar 1920 an einer im Krieg zugezogenen Venenentzündung.
Familie
Er heiratete 1889 Paula Oppenheimer (1862–1918), eine Tochter des Rabbiners der jüdischen Reformgemeinde Berlin Julius Oppenheimer († 1909). Sie war die Schwester von Franz Oppenheimer (1864–1943) und Carl Oppenheimer (1871–1941). Richard und Paula Dehmel hatten einen Sohn und zwei Töchter sowie einen Adoptivsohn. Die Tochter Vera (1890–1979) heiratete 1918 den Maler und Schriftsteller Otto Tetjus Tügel.
Nach seiner Scheidung heiratete er 1901 in London Ida Coblenz (1870–1942), geschiedene Auerbach, eine Tochter des Kommerzienrates und Weingroßhändlers Coblenz († 1910) aus Bingen. Das Paar hatte keine Kinder.
Dehmel galt in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg als einer der bedeutendsten deutschsprachigen Lyriker.
Seine oft sinnliche und erotische Lyrik zeigt „vitalistische[s] Ungestüm“ und thematisiert oft „Lust und Abschiedsschmerz“, hat dabei aber insgesamt verklärende Züge und weist „ornamentale[s] Sprachdekor“ auf.[7]
Literatur
Der Einfluss Richard Dehmels auf die jungen Dichter seiner Zeit, einschließlich der Expressionisten, war „enorm“.[8] Inspiriert zeigte sich auch der junge Thomas Mann; die von ihm herausgegebene Schülerzeitung versprach „Gedichte im Stile Dehmels“.[9]
Richard Strauss war auch Gast im Hause von Dehmel.
Auch einige der erhalten gebliebenen Liedkompositionen von Alma Mahler-Werfel vertonen Texte von Dehmel. Der Komponist Heinrich Kaspar Schmid (1874–1953) hat von seinen Gedichten Schutzengel für Singstimme und Klavier op. 20 vertont. Ferner in Liederspiel zur Laute oder auch Klavier op. 31 die Gedichte Erntelied, Die Getrennten, Wiegenlied für einen Jungen, sowie für Männerchor op. 49 das Gedicht Nicht doch (Walter Homolka, Heinrich Kaspar Schmid Archiv Landau/Isar). Der Komponist Alexander von Zemlinsky vertonte Dehmels Gedicht Die Magd unter dem Titel Maiblumen blühten überall für Sopran und Streichsextett.
Bildende Kunst
Franz M. Jansen / Richard Dehmel: Zwei=Menschen=Bilder. Holzschnitte. Zusammengestellt und mit einem Nachwort versehen von Wolfgang Delseit. Köln/Münster 1996.
Erlösungen. Eine Seelenwandlung in Gedichten und Sprüchen. 1891.
Aber die Liebe. Ein Ehemanns- und Menschenbuch. Mit Deckelzeichnung von Hans Thoma und Handbildern von Fidus. 1893.
Lebensblätter. Gedichte und Anderes. Mit Randzeichnungen von Joseph Sattler. 1895.
Der Mitmensch. Drama. 1896.
Weib und Welt. Gedichte und Märchen. 1896; 1901
Lucifer. Ein Tanz- und Glanzspiel. 1899.
Fitzebutze. Allerhand Schnickschnack für Kinder von Paula und Richard Dehmel. Mit Bildern von Ernst Kreidolf. 1900
Zwei Menschen. Roman in Romanzen. 1903
Der Buntscheck. Ein Sammelbuch herzhafter Kunst für Ohr und Auge deutscher Kinder. Mit Bildern von Ernst Kreidolf. 1904.
Schöne wilde Welt. Neue Gedichte und Sprüche. 1913.
Volksstimme Gottesstimme. Kriegsgedichte. 1914.
Die stille Stadt. 1896
Kriegs-Brevier. Insel-Bücherei, 1917.
Die Menschenfreunde. Drama. 1917.
Hundert ausgewählte Gedichte. S. Fischer Verlag, Berlin 1909.
Zwischen Volk und Menschheit. Kriegstagebuch, 1919.
Die Götterfamilie. Kosmopolitische Komödie. 1921.
Der Vogel Wandelbar. Ein Märchen. Pestalozzi-Verlag, 1924.
Der kleine Held. Eine Dichtung für wohlgeratene Bengels und für Jedermann aus dem Volk. Pestalozzi-Verlag, 1924
Mein Leben. Autobiografie, 1922 (postum)
Catherine Kramer (Hrsg.): Eine deutsch-französische Brieffreundschaft: Richard Dehmel – Henri Albert. Briefwechsel 1893–1898. Bautz, Herzberg 1998.
Ida Dehmel: „Ihr Leben war bis zum Rand erfüllt.“ Die Familienkorrespondenz (1887–1942). Hrsg. von François van Menxel und Hans-Joachim Hoffmann. Tectum Verlag, Baden-Baden 2024, ISBN 978-3-689-00089-9.
Walther Furcht: Richard Dehmel: seine Bedeutung, sein Verhältnis zu Goethe, Lenau und zur Moderne. Minden 1899.
Julius Bab: Richard Dehmel. Gose & Tetzlaff, Berlin 1902.
Emil Ludwig: Richard Dehmel. Fischer, Berlin 1913.
Julius Bab: Richard Dehmel. Die Geschichte eines Lebenswerkes.Hermann Haessel, Leipzig 1926.
Fritz Horn: Das Liebesproblem in Richard Dehmels Werken. Kraus, Nendeln 1967.
Paul vom Hagen: Richard Dehmel: Die dichterische Komposition seines lyrischen Gesamtwerks. Kraus, Nendeln 1967.
Elisabeth Veith: Fiktion und Realität in der Lyrik: literarische Weltmodelle zwischen 1890 und 1918 in der Dichtung Max Dauthendeys, Richard Dehmels und Alfred Momberts. Univ., Diss., München 1987.
Sabine Henning, Annette Langwitz, Mathias Mainholz, Rüdiger Schütt, Sabine Walter: WRWlt – o Urakkord. Die Welten des Richard Dehmel. Bautz, Herzberg 1995. ISBN 3-88309-061-1
Roland Stark: Die Dehmels und das Kinderbuch. Bautz, Nordhausen 2004, ISBN 978-3-86945-278-4.
Björn Spiekermann: Literarische Lebensreform um 1900: Studien zum Frühwerk Richard Dehmels. Ergon, Würzburg 2007.
Marek Fialek: Dehmel, Przybyszewski, Mombert. Drei Vergessene der deutschen Literatur. Mit bisher unveröffentlichten Dokumenten aus dem Moskauer Staatsarchiv. Berlin 2009.
Carolin Vogel: Richard Dehmel in Blankenese, Edition A.B. Fischer, Berlin 2017, ISBN 978-3-937434-82-7.
Carolin Vogel: Das Dehmelhaus in Blankenese. Künstlerhaus zwischen Erinnern und Vergessen, Hamburg University Press 2019, auch als freier Volltext unter doi:10.15460/HUP.191
Carolin Vogel (Hrsg. für die Dehmelhaus Stiftung): Schöne wilde Welt. Richard Dehmel in den Künsten. Wallstein, Göttingen 2020, ISBN 978-3-8353-3614-8.
Zum literarischen Netzwerk
Julia Ilgner: Wiener vs. Berliner Moderne. Die kompetitive ›Dichterfreundschaft‹zwischen Arthur Schnitzler und Richard Dehmel. In: Studia austriaca. XXIX (2021), S. 5–68. Online
Zu einzelnen Werken
Jens Aden: Der Wille zum Ornament. Lebens- und Kunstauffassung des Jugendstils am Beispiel von Richard Dehmels Gedicht „Im Fluge“. München 2015, ISBN 978-3-668-10562-1 [erweiterte Druckfassung eines Vortrags von 1993].
Julia Ilgner: Postkartenpoetik. Richard Dehmels „Eine Rundreise in Ansichtspostkarten“ (1906). In: Johannes Görbert, Nikolas Immer (Hrsg.): Ambulante Poesie. Formationen deutschsprachiger Reiselyrik seit dem 18. Jahrhundert. J. B. Metzler, Stuttgart/Weimar 2020, S. 259–299.
Roland Stark: Allerhand Schnickschnack für Kinder. Paula und Richard Dehmels Fritzebutze. In: Wolfgang Wangerin (Hrsg.): Der rote Wunderschirm. Kinderbücher der Sammlung Seifert von der Frühaufklärung bis zum Nationalsozialismus. Wallstein-Verlag, Göttingen 2011, ISBN 978-3-8353-0970-8, S. 167–169.
Roland Stark: Ein Sammelbuch herzhafter Kunst. Richard Dehmels Buntscheck. In: Wolfgang Wangerin (Hrsg.): Der rote Wunderschirm. Kinderbücher der Sammlung Seifert von der Frühaufklärung bis zum Nationalsozialismus. Wallstein-Verlag, Göttingen 2011, ISBN 978-3-8353-0970-8, S. 170–172.
Jürgen Viering: Ein Arbeiterlied? Über Richard Dehmels „Der Arbeitsmann“. In: Harald Hartung (Hrsg.): Gedichte und Interpretationen. Bd. 5: Vom Naturalismus bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts (= RUB. Nr. 7894). Reclam, Stuttgart 2011 [zuerst 1983], ISBN 978-3-15-007894-5, S. 53–66 [mit Literaturhinweisen].
Hans-Joachim Böttcher:Otto Julius Bierbaum – Ein Poetenleben voller Ruhm und Tragik. Gabriele Schäfer Verlag, Herne 2022, ISBN 978-3-944487-94-6, S.93ff.
Martina Mehring: [Werkgruppenartikel] Das lyrische Werk. In: Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): Kindlers Literatur Lexikon. 3., völlig neu bearbeitete Auflage. 18 Bde. Metzler, Stuttgart/Weimar 2009, ISBN 978-3-476-04000-8, Bd. 2, S. 464–466, hier 465.
Martina Mehring: [Werkgruppenartikel] Das lyrische Werk. In: Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): Kindlers Literatur Lexikon. 3., völlig neu bearbeitete Auflage. 18 Bde. Metzler, Stuttgart/Weimar 2009, ISBN 978-3-476-04000-8, Bd. 2, S. 464–466, hier 466.