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Detlev von Liliencron wandte sich nach einer kurzen Militärkarriere und einigen Jahren in der Verwaltung seiner Leidenschaft zu und wurde freier Schriftsteller. 1883 erschien sein erster Lyrikband Adjutantenritte und andere Gedichte. Es folgten Eine Sommerschlacht (1887), Unter flatternden Fahnen (1888) und Der Heidegänger (1893). Seine Lyrik gilt als bedeutende Wegmarke des aufkommenden Naturalismus des späten 19.Jahrhunderts.
Jugendjahre (1844–1875)
Detlev von Liliencron war ein Sohn des in dänischen Diensten stehenden Zollbeamten Louis Freiherrvon Liliencron (1802–1892) und dessen Ehefrau Adeline von Harten (1808–1872). Er war ein Neffe von Rochus Freiherr von Liliencron, dem Herausgeber der Allgemeinen Deutschen Biographie. Sein Vater war ein Sohn des Kapitäns und Oberkriegskommissars der dänischen Krone Andreas von Liliencron (1774–1823) und einer Leibeigenen. Wegen dieser „unstandesgemäßen“ Ehe war der Großvater Andreas von seiner Familie enterbt worden. Seine Mutter Adeline war eine Tochter des deutsch-amerikanischen Kapitäns (nach von Liliencron zuletzt General) Frederick (Friedrich) von Harten und einer Portugiesin.
Nachdem er die Ausbildung am humanistischen Gymnasium (der Kieler Gelehrtenschule) ein Jahr vor dem Abitur abgebrochen hatte, absolvierte Liliencron die Realschule in Erfurt und trat 1863 in die BerlinerKadettenanstalt ein. Sein Wunsch, Kavallerieoffizier zu werden, scheiterte an fehlenden finanziellen Mitteln. Als preußischer Infanterieoffizier nahm er am Deutschen Krieg (1866) und Deutsch-Französischen Krieg (1870/71) teil, wo er mehrfach ausgezeichnet wurde, seine jugendliche Kriegsbegeisterung freilich einbüßte. Wegen Glücksspiels und der daraus resultierenden Schulden (von denen er auch später nie loskam) war er gezwungen, den aktiven Militärdienst, erstmals 1871 und 1875 dann endgültig, im Rang eines Premierlieutenants (Oberleutnant) zu quittieren.
Verwaltungsdienst (1875–1885)
Die folgende Emigration nach Amerika, wo er ab 1875 seinen Lebensunterhalt als Klavier- und Sprachlehrer bestritt, dauerte nicht lange. 1877 kehrte er zurück nach Deutschland. Auf Initiative seines Vaters hin wurde er weitgehend rehabilitiert (Erhalt einer kleinen Militärpension und Verwundetenzulage). Er fand 1878 eine Anstellung in der preußischen Verwaltung und heiratete Helene von Bodenhausen.
Anfang 1882 wurde Liliencron zum Hardesvogt –einer Art Stellvertreter des Landrats vor Ort– auf der nordfriesischen Insel Pellworm ernannt, die mittlerweile zu Preußen gehörte. Hier entstand sein wohl berühmtestes Gedicht Trutz, blanke Hans, daneben aber auch experimentelle, innovative Verse wie Betrunken. Ebenfalls in diesem Jahr wurde er als ehemals aktiver, dann der Reserve zugeteilter Offizier zum Hauptmann der Landwehr befördert. Im Oktober 1883 wurde er zum Kirchspielvogt in Kellinghusen (Holstein) ernannt.
Der Lebemann und Spieler Liliencron war chronisch verschuldet und musste deshalb schon 1885, nachdem es zur Pfändung seiner Dienstbezüge gekommen war, aus dem Staatsdienst ausscheiden. Im selben Jahr wurde seine Ehe mit Helene von Bodenhausen aufgrund seiner Untreue geschieden.
Freier Schriftsteller (1885–1901)
Von nun an lebte Liliencron als freier Schriftsteller. Er lernte die Gastwirtstochter Augusta Brandt kennen, die er 1887 ehelichte. In dieses Jahr fiel die Veröffentlichung des Werkes Arbeit adelt. Im Jahr darauf knüpfte er erste Kontakte zu den Dichtern des Friedrichshagener Dichterkreises. Auch der Breslauer Dichterschule war Liliencron als externes Mitglied verbunden; sein Freund Paul Barsch, Redakteur der Vereinszeitschrift, sammelte Spenden, um dem Dichter einen Schreibtisch zu kaufen.[1] Mit finanzieller Unterstützung der Schillerstiftung verbrachte Liliencron 1890/1891 einige Zeit in München, wo einige seiner Gedichte in der Zeitschrift Die Gesellschaft veröffentlicht wurden. Dort pflegte er unter anderem Umgang mit Otto Julius Bierbaum, der in seinem Reisebericht Eine empfindsame Reise im Automobil von 1903 ein Briefkapitel an ihn adressiert.[2]
1891 zog Liliencron nach Altona-Ottensen und nach der Scheidung von Augusta Brandt 1892 an die Palmaille, in ein anderes Viertel der damals noch holsteinischen Stadt Altona. Er lernte Gustav Falke kennen und zählte ihn bald zu seinen Freunden. Hier verfasste er unter anderem sein Hauptwerk Poggfred und lernte Richard Dehmel kennen, mit dem ein reger Kontakt entstand.
Seine Schulden verfolgten ihn weiter, und er versuchte 1898, mit Vortragsreisen etwas Geld zu verdienen. 1899 erfolgte seine dritte und letzte Eheschließung, mit der Bauerntochter Anna Micheel. Aus akuter Geldnot schloss er sich ein Jahr später dem literarischen KabarettÜberbrettl an.
Detlev von Liliencron mit seiner dritten Frau Anna (1866–1945) und seinem Sohn Wulff
Tochter Abel (* 29. Juni 1894 in Hamburg †1969 / verh. Funder)
Sohn Wulff (* 28. März 1900 † 1966)
Letzte Jahre (1901–1909)
1901 kam etwas Ruhe in das bewegte Leben Liliencrons. Mit Hilfe seiner Freunde gelang es ihm, eine Wohnung in Alt-Rahlstedt zu finden, und er erhielt von Kaiser WilhelmII. ein jährliches Ehrengehalt von 2.000 Goldmark. Zugleich erreichte sein Ruhm als Dichter einen Höhepunkt. Zu seinem 60.Geburtstag 1904 wurde er mit einer deutschen und österreichischen Festschrift geehrt, an der sich die bekanntesten Schriftsteller der Zeit beteiligten und die vom Maler und Illustrator Heinrich Lefler gestaltet wurde.
Liliencron war einer der bedeutendsten Lyriker seiner Zeit. Sein Werk ist dabei äußerst vielgestaltig und lässt sich nur schwer einer bestimmten Literaturepoche zuordnen. Seine Gedichte sind geprägt durch die Spannung zwischen Naturalismus und Neuromantik. Die Werke weisen Ähnlichkeiten mit der von Friedrich Nietzsche propagierten „pessimistischen Kulturkritik“ auf. Während Liliencron als Prosaautor unbedeutend blieb, beeinflusste seine Lyrik unter anderem den jungen Rainer Maria Rilke genauso wie Hugo von Hofmannsthal. Obwohl Liliencron vor allem durch Balladen wie Trutz, blanke Hans oder Pidder Lüng einem breiteren Publikum bekannt wurde, übten insbesondere jene Gedichte, in denen das moderne Leben thematisiert wird, erhebliche Wirkung auf die Frühzeit des Expressionismus aus.
Liliencrons Großstadtgedichte wie Broadway in New York greifen bereits viele Themen auf, die von späteren Expressionisten behandelt werden. Experimentelle Gedichte wie insbesondere das als Bewusstseinsstrom gestaltete Betrunken (entstanden 1883, veröffentlicht 1893) spielen mit der Auflösung der Form und weisen bereits auf die literarische Moderne voraus.
Der 1883 erschienene Gedichtband Adjutantenritte, der auch lyrische Prosa beinhaltet, wurde von den Naturalisten, die in Liliencron einen der Ihren sahen, als eine neue lyrische Kunst bejubelt. Schon mit seinen ersten Veröffentlichungen zeigt Liliencron, dass er die Dichtkunst souverän beherrscht. Ohne Probleme verwendet er die schwierigen Formen und Vorgaben der hohen Lyrik. Er experimentiert beispielsweise mit Rondeau und Ghasel. Aber schon die erste Sammlung zeigt auch den eigenwilligen Stil Liliencrons, der ihn von den Klassizisten ebenso wie von den Naturalisten abhebt. Liliencron reagiert feinfühliger als viele Naturalisten auf die modernen Lebensgewohnheiten. Er vermischt die verschiedenen Sinneswahrnehmungen zu einer Synästhesie und setzt diese literarisch um. Durch diese subjektiven Wahrnehmungen und Widerspiegelung seines Inneren entwickelt er seinen persönlichen Schreibstil. Er selbst distanzierte sich von den Naturalisten explizit mit dem Gedicht Den Naturalisten. Er forderte von der Dichtkunst, sie solle „Humor und die feinste Künstlerhand“ umfassen.
Seine Schulden und die damit verbundenen Probleme machen sich in den Werken Liliencrons bemerkbar. So hatte er, gleich den Ästheten, eine Abneigung gegen den Lebensstil des Bürgertums. Nicht zuletzt durch diese am eigenen Leibe erfahrenen Unannehmlichkeiten schloss er sich Nietzsches Kulturpessimismus an. Liliencron hielt nicht viel von den meisten modernen Errungenschaften, vielmehr spielt in vielen seiner Gedichte die Flucht aus dem Treiben der Großstadt in eine romantisierte Landschaft eine zentrale Rolle.
In Hamburg gibt es eine Liliencronstraße und einen Liliencronpark mit einem Denkmal. Ferner bestand früher ein Liliencronweg, dieser trägt heute den Namen Hemmingstedter Weg.
Gegen die Umbenennung des in Hamburg gelegenen Gymnasiums Rahlstedt in „Detlev-von-Liliencron-Gymnasium“, die 2007 von dessen Schulleiter Volker Wolter vorgeschlagen wurde, setzte sich eine Gruppe von ehemaligen Lehrern erfolgreich zur Wehr, indem sie den Autor als Militaristen, Antisemiten und Frauenfeind darstellten, für den sich Schüler ohnehin nicht interessierten.[8]
Im Naturschutzgebiet Störkathener Heide gibt es einen Findling zu seinem Gedenken.
In dem Roman Die Höllenmühle von Hermann Krieger ist Liliencron Vorbild für den „Vers-, Jagd- und Rittmeister Baron von Lautenschlager“.[9]
Elisabeth Assmann: Die Entwicklung des lyrischen Stils bei Detlev von Liliencron. Königsberg 1936, DNB571771661 (Philosophische Dissertation Universität Königsberg 1936, XVI, 145 Seiten).
Anna B. Blau: Stil und Abweichungen: einige syntaktisch-stilistische Merkmale in den Dichtungen Detlev von Liliencrons, Georg Trakls und Ingeborg Bachmanns (= Acta Universitatis Upsaliensis, StudiaGermanistica, Band 19). Universität Uppsala / Almqvist och Wiksell [in Kommission], Stockholm 1978, ISBN 91-554-0812-5, OCLC31057157, (Dissertation Uppsala, Universität, 1978, 223 Seiten).
Kornelia Küchmeister (Hrsg.): Detlev von Liliencron in seiner Zeit.Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek, Kiel 1984. (Katalog zur gleichnamigen Ausstellung).
Hans Leip: Liliencron (= DieDichter der Deutschen, Folge 2 [Nr. 3]), Cotta’sche Buchhandlung, Stuttgart 1938.
Mathias Mainholz, Rüdiger Schütt, Sabine Walter u.a.: Artist, Royalist, Anarchist. Das abenteuerliche Leben des Baron Detlev Freiherr von Liliencron. Bautz Verlag, Herzberg 1994, ISBN 3-88309-049-2. (Katalog zur gleichnamigen Ausstellung)
Detlev von Liliencron und Theobald Nöthig, Band 1: Briefwechsel 1884–1909, Band 2: Anmerkungen, Hrsg. Jean Royer, Bautz, Herzberg 1986, ISBN 3-88309-022-0.
Friedrich Ernst Peters: Detlev von Liliencron. In: Im Dienst der Form. Deuerlichsche Verlagsbuchhandlung, Göttingen 1947, S.28–48. UB Potsdam
Jan Schlürmann: „Helene, wie sehr bin ich doch mit Leib und Seele Soldat…“. Detlev von Liliencron als Soldat. In: Detlev von Liliencron (1844–1909). Facetten eines bewegten Dichterlebens. Hrsg. von der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek. Kiel 2009, S.41–53.
Emma-Amoene Schmid: Die Natur im Gedicht bei Detlev von Liliencron. In: Jahrbuch der Philpsophischen Fakultät Leipzig. 1921, o.O. o. J. DNB365072753 (Philosophische Dissertation Universität Leipzig 1921, S. 32–33).
Günter Häntzschel: Kritik an der Lyrik seiner Zeit und Suche nach neuen Möglichkeiten. Detlev von Liliencron: An meinen Freund, den Dichter. In: Günter Häntzschel (Hrsg.): Gedichte und Interpretationen. Vom Biedermeier zum Bürgerlichen Realismus. Band 4. Reclam, Stuttgart 1983 (Erstauflage 1983), ISBN 3-15-007893-8, S.419–432.
Mia Henning u.a.: ‘‘Detlev von Liliencron – Pellwormer Novellen‘‘, Husumer Druck- und Verlagsgesellschaft Husum, 2023, ISBN 978-3-96717-126-6.
Erich Maletzke: Detlev von Liliencron: Poet und Schuldenbaron. Wachholtz, Neumünster 2011, ISBN 978-3-529-06114-1.
Joachim Kersten, Friedrich Pfäfflin: Detlev von Liliencron. Entdeckt, gefeiert und gelesen von Karl Kraus (= Bibliothek Janowitz, Band 23). Wallstein, Göttingen 2016, ISBN 978-3-8353-1782-6.
hinterlassene Novellen: Eine Soldatenphantasie, Der Blanke Hans, Das Muttermal, Vor Tagesanbruch, Der gelbe Kasten, Das Ehepaar Quint, Der alte Wachtmeister vom Dragonerregiment Anspach-Bayreuth veröffentlicht postum bei Schuster & Löffler, Berlin 1909, Vorbemerkung des Nachlaßverwalters: Die letzten sechs Novellen hat Liliencron selbst noch druckfertig gemacht. Nur die erste, aus seiner frühesten Dichterzeit stammende, ist von mir seiner letztüblichen Interpunktionsmethode und Orthographie angepaßt worden. R. Dehmel.
Hans-G. Hilscher, Dietrich Bleihöfer: Liliencronstraße. In: Kieler Straßenlexikon. Fortgeführt seit 2005 durch das Amt für Bauordnung, Vermessung und Geoinformation der Landeshauptstadt Kiel, Stand: Februar 2017 (kiel.de).
Torben, Dannhauer: „Hier draußen sind die Nächte Feste!“ – Leben und Werk Hermann Kriegers. In: Edition Literatur im Strom. 1. Auflage. Band 1. Verlag Zeitkartell, Hamburg 2019, ISBN 978-3-9819059-0-8, S. 439.