portugiesischer Architekt (1933-) Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Álvaro Joaquim de Melo Siza Vieira (* 25. Juni1933 in Matosinhos, Portugal), zählt zu den bedeutendsten zeitgenössischen europäischen Architekten. In Portugal gilt Siza als Hauptvertreter der Moderne.
Álvaro Siza Vieira wurde 1933 in Portos Hafenvorstadt Matosinhos geboren. In Porto lebt und arbeitet er, lehrt an der Architekturfakultät und betreibt seit 1958 sein Architekturbüro. Von 1949 bis 1955 studierte er Architektur an der Kunstwissenschaftlichen Fakultät (Escola Superior de Belas Artes do Porto), der Universität Porto. Bis 1958 arbeitete er im Büro seines Professors Fernando Távora. Von 1966 bis 1969 hatte er eine Assistentenstelle an der Universität Porto, ab 1976 eine Professur. Zusammen mit Távora und Eduardo Souto de Moura zählt er zu den führenden Vertretern der Schule von Porto.
Kurz nach der Nelkenrevolution erhielt der damals 41-jährige Architekt die Möglichkeit, mit der SAAL-Sozialsiedlung Bouça in Porto ein Vorzeigequartier zu gestalten, dessen Reihenhauszeilen zusammen mit den davorgesetzten Einzelbauten intime Gassenräume aufspannen und damit zu einer dörflichen Situation wachsen.
Für den Wiederaufbau des durch einen Großbrand 1988 zerstörten Lissaboner Altstadtviertels Chiado erhielt er 1992 den Pritzker-Preis.[1]
Am Werk Siza Vieiras lässt sich die Entwicklung der Architektur der Moderne bis zum 21. Jahrhundert hin ablesen, das architektonische Erbe der europäischen Avantgarde der 1920er und 1930er Jahre ist darin ebenso lebendig wie deren Umformungen durch die Architektur seit den 1960er-Jahren. Seine den lokalen Fragestellungen verpflichteten Bauten machten ihn zu einem führenden Vertreter des kritischen Regionalismus.
In seinen Planungen für Eigenheime, Sozialwohnungen, Wohnkomplexe, öffentliche Bauten, Stadtviertel und Sanierungsgebiete geht er sensibel auf die Gegebenheiten von Landschaft, Stadtumgebung und traditioneller Baukultur ein, um sie in einer strengen, modernen Formensprache umzusetzen.
Seine Gebäude scheinen sich in ein Gleichgewicht unsichtbarer Kräfte einzuordnen, die der Landschaft entspringen. Auf diese Weise erreicht er eine Haltung größtmöglichen Respektes der Natur gegenüber, und die Künstlichkeit des Eingriffs, den jedes architektonische Projekt mit sich bringt, kann so Rechtfertigung erlangen. Bemerkenswert ist die Konsequenz dieser Integration, die sich in allen Maßstäben und architektonischen Themen niederschlägt.
Siza Vieira ist berühmt für seine Skizzen. In ihnen hält er komplexe Situationen fest und erleichtert deren Verständnis. Sie stellen eine Dialektik zwischen seiner kreativen Intuition und dem Nachweis der architektonischen Qualität her und werden so zum wichtigsten Kreativ-Werkzeug des Architekten. Schon in den ersten Skizzen zu seinen Projekten findet man viele der späteren Qualitäten des Entwurfes wieder.
Verwirklicht hat Siza Vieira seine Projekte vor allem im nachrevolutionären Portugal (also nach 1974), später auch in den Niederlanden, in Frankreich, Italien, Spanien und Deutschland.
1961–1966 Strandbad Leça da Palmeira
Die als Terrassenlandschaft konzipierte Poolanlage Piscinas de Marés befindet sich wenige hundert Meter vom Teehaus Boa Nova entfernt. Zum Komplex gehören zwei Bassins, ein Café, Wasch-, Toiletten- und Umkleidekabinen und technische Anlagen zur Kontrolle der Wasserqualität.[2]
Das archaisch-brutalistische Betonbauwerk formt, wie eine Skulptur nahtlos in die Felsenlandschaft eingebettet, Bassins, die es ermöglichen, im Wasser des Atlantiks und dennoch geschützt vor der hier typischen tosenden Brandung zu baden. Dabei lässt sich betrachten, wie immer wieder größere Wellen in das Becken schwappen und das sonst ruhige, angewärmte Wasser ein wenig anregen und so dem künstlich geschaffenen Bad einen poetischen Hauch von Natur zurückgeben.
Die ungewöhnliche Homogenität von Bauwerk und Landschaft betont Siza Vieira durch die Materialien: der Sichtbeton besteht aus einem sehr körnigen Zement, dem der zerstoßene Fels der Küste beigemengt ist. Dadurch entsteht eine erstaunliche Wirkung der Einbettung des ebenen Gebäudes in die zerklüfteten Felsen.
1958–1963 Casa de Chá da Boa Nova, Leça da Palmeira
Das Casa de Chá da Boa Nova (Teehaus von Boa Nova) ist Siza Vieiras erstes großes und eigenständiges Werk. Nachdem Siza Vieira den Wettbewerb zum Teehaus noch als Mitarbeiter Fernando Távoras begann, zeichnet er für die Ausführung des Projektes bereits eigenständig.
Der Pavillon liegt an der Atlantikküste nördlich der Douro-Mündung unweit Siza Vierias Geburtsorts Matosinhos. Riesige, rundgewaschene Steine wechseln sich hier mit Sandstrand ab. Fast versteckt, sehr weiß und geduckt auf einer schmalen Landzunge, liegt der flache Bau zwischen den Felsbrocken und zieht sich unter sein großes Ziegeldach zurück. Von drei Seiten vom Meer umschlossen, gewährt eine Doppelverglasung auf der Seeseite Schutz gegen Sturm, Gischt und das Tosen des Ozeans. Die Terrasse zum Meer hin liegt eingebettet in die Flora der Steinküste.
Die Küche und Lagerräume befinden sich an der Landseite. Im Innern teilt sich das Gebäude in einen Speisesaal und eine Lounge-artige Teestube. Aus beiden Räumen hat man einen wunderschönen Blick über den Atlantik. Das breite Fensterband lässt sich versenken, dann verwandelt sich der Raum in einen Balkon, eine große Freilichtbühne mit dunkel gebeiztem Holz und braunen Ledersesseln.
Das Gebäude wurde bis Ende der 2000er Jahre von einem Restaurant genutzt, nach dessen Geschäftsaufgabe geriet es sehr schnell in einen schlechten Zustand: das Inventar und die Kupferdachrinnen wurden geplündert, das Dach beschädigt. 2011 wurde es jedoch als nationales Denkmal eingetragen[3] und bis Juli 2014 unter Mitwirkung von Siza restauriert und zu einem gehobenen Restaurant umgebaut. Dabei wurde selbst das verlorene Mobiliar nach den Originalentwürfen Sizas wiederhergestellt.[4]
1980–1984 Haus Avelino Duarte
Anhand des Entwurfs für das Haus Avelino Duarte in Ovar wird Siza Vieira häufig mit Adolf Loos in Verbindung gebracht, der als Pionier der Moderne in der Architektur gilt. Der äußerlich sehr schlichte verputzte Bau schafft im Innern durch die gekonnte Benutzung von Holz und Naturstein atmosphärische Räume.
Das Siza Vieira Loos studiert hat steht außer Frage, doch geht Siza Vieira über die Theorien Loos’ hinaus. War Loos im Umgang mit Materialien noch strikt flächenorientiert und beschäftigte sich mit deren Schichtung, was sicher nicht zuletzt durch die Einflüsse des Jugendstils in Österreich und Süddeutschland zustande kam, gegen den er sich wandte, so führt Siza Vieira scheinbar dessen Tradition fort, doch in einer viel räumlicheren Denkweise.
1980–1984 Wohnhaus Schlesisches Tor – „Bonjour Tristesse“
Das Wohnhaus Schlesisches Tor steht an der Schlesischen Straße Nr. 7 im Berliner Stadtteil Kreuzberg. Es wurde 1982/83 erbaut und schließt eine Kriegslücke im Altbaubestand der Straße. Der Entwurf Siza Vieiras sah eine Ausstattung mit pro Etage vier großen Wohnungen vor, die durch vier Treppenhäuser erreichbar sein sollten, außerdem sollten in das Erdgeschoss verschiedene soziale Einrichtungen integriert werden. Aus Kostengründen wurde der Plan jedoch modifiziert. Heute bestehen zwei Treppenhäuser, über die 46 Wohnungen erreichbar sind.
Den Namen „Bonjour Tristesse“ bekam das Wohnhaus nicht vom Architekten, sondern durch einen unbekannten Sprayer, der diese Worte auf den gut sichtbaren Giebel des Eckhauses sprühte. Dies sollte als Kritik an der grauen Fassade und den eintönigen Fenstergestaltungen mit immer gleichen Abständen innerhalb des abwechslungsreichen Straßenbildes verstanden werden. Eine erkennbar abgesetzte Sockelzone oder einen Dachabschluss, wie er in der 90 Jahre älteren, umgebenden Architektur üblich war, gibt es nicht. Die einzige Abwechslung wird durch eine leicht geschwungene Bauform sowie eine hohe Attika erreicht.[5]
1988 Universitätsbibliothek Aveiro
Die Universität Aveiro wurde direkt nach der Nelkenrevolution 1974 gegründet und ist so Ausdruck von Reformen in Gesellschaft und Bildungssystem eines im Umbruch befindlichen Portugals. Dies kommt auch in städtebaulicher und architektonischer Hinsicht zum Ausdruck. Der Campus besteht aus streng geordneten gleich großen Zeilenbauten, die sich um einen zentralen Platz anordnen, dies jedoch ohne zu hierarchisieren. Ein räumliches Konzept, das in starkem Gegensatz zu den traditionellen über Jahrhunderte gewachsenen Universitäten Portugals steht. Nur wenige Baukörper brechen aus dieser Ordnung aus, darunter die Bibliothek. Ihr Volumen scheint denen der anderen Körper zu ähneln, doch ist sie um 90 Grad gedreht und orientiert sich dadurch zur weitläufigen Ria-Landschaft. Ihr Äußeres wird durch den Kontrast roter Ziegelflächen zu hellem Naturstein bestimmt, ein verbreitetes Materialthema auf dem Campus.
2003 Städtebaulicher Entwurf Alcântara, Lissabon
Siza Vieira schlug im Rahmen eines von ihm angefertigten städtebaulichen Entwurfs vor, drei Hochhäuser im Stadtteil Alcântara von Lissabon zu errichten. Nahe der historischen Brücke Ponte 25 de Abril würden die Türme den Stadteingang über die Tejobrücke flankieren. Der höchst umstrittene Vorschlag wurde jedoch abgelehnt. Manche Quellen unterstellten Siza Vieira Polemik und behaupteten, der Vorschlag wäre niemals ernst gemeint gewesen, sondern als Anstoß einer Diskussion des Hochhausthemas im historischen Stadtgefüge gedacht.
Jorge Figueira (Hrsg.): Álvaro Siza. Modern Redux. Texte von Alexandre Alves Costa, Jorge Figueira, Hans Ibelings, Guilherme Wisnik. Hatje Cantz, Ostfildern 2008, ISBN 978-3-7757-2298-8 (englisch, deutsch) und ISBN 978-3-7757-2276-6 (englisch, portugiesisch). Stellt die Projekte aus den Jahren 1998–2008 vor.
Raul Betti e Greta Ruffino: Álvaro Siza, Viagem sem Programa. Red Publishing, 2012, ISBN 978-88-88492-22-3. Interview und 53 Zeichnungen aus der Sammlung Viagem sem Program sowie aus Sizas privaten Notizbüchern.
Having a cigarette with Álvaro Siza. Dokumentarfilm von Iain Dilthey. solofilmproduktion, Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2016, 52 Minuten.
Casa de Chá da Boa Nova (IPA.00020302), 25.Mai 2011, Eintrag in der Datenbank des Sistema de Informação para o Património Arquitectónico (portugiesisch, abgerufen am 13.März 2016).
Hans-Jürgen Mende, Kurt Wernicke (Hrsg.): Berliner Bezirkslexikon Friedrichshain-Kreuzberg; Stichwort: Wohnhaus Bonjour Tristesse. Haude&Spencer, Berlin 2003, Seiten 402/403, ISBN 3-7759-0474-3