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künstlicher Bewässerungskanal Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Ein Waal ist ein vom Menschen angelegter Bewässerungskanal oder -graben, der Wasser, meist aus einem Bach und nur ganz selten aus einem See, zu den oft hiervon sehr weit entfernt gelegenen landwirtschaftlichen Kulturen leitet. Die Bezeichnung ist gebräuchlich unter anderem für die in Tirol/Südtirol zur Bewässerung der Fluren künstlich angelegten Kanäle. Besonders im Südtiroler Vinschgau sind die Niederschlagsmengen wegen der geografischen Lage so gering, dass die Landwirtschaft vor allem am Sonnenberg auf künstliche Bewässerung angewiesen ist. Aus diesem Grund entstand dort eines der ausgedehntesten Bewässerungssysteme in den Alpen.
Die Anlage von Bewässerungskanälen dieser Form ist weltweit und seit dem Beginn der Landwirtschaft verbreitet und findet sich in diesem Sinne für funktional ähnliche Anlagen in lokaler Ausprägung, etwa als Suone, Bissen, Wasserfuhren oder Wasserleiten im Schweizer Kanton Wallis, Fluder im Österreichischen, Wuhr im Südschwarzwald, Fléizen in den luxemburgischen Ardennen, Levada auf Madeira und den kanarischen Inseln, Ru im Aostatal, Bief oder Bisse in den französischen Seealpen[1][2] oder Faladsch in Oman. Die folgenden Benennungen sind die, die im Tirolischen und angrenzenden Raum gefunden werden:[3]
Waal aus lateinisch aqualis oder keltisch boul, ein künstlich angelegter Bewässerungskanal, -graben, künstliche Rinne.[4] Aqualis bedeutet ursprünglich ‚Wasserkrug‘, in spätrömischer Zeit ‚Wasserlauf‘ und auch ‚Bach, Kanal‘. Im Vinschgau sind im Jahr 1359 die Bezeichnungen Haroesseval, Rafinechswal und Walitteval für drei historische, inzwischen abgegangene Waale in Schlanders urkundlich bezeugt.[5] Im Engadin und Münstertal sind die gebräuchlichen bündnerromanischen Bezeichnungen für Bach ual oder aual, im Unterengadin kommt die Bedeutung Bewässerungsgraben hinzu. Im ladinischen Gadertal heißt die Entsprechung agà und für Gröden aghèl. Im Fassatal heißt der Bewässerungsgraben im oberen Talbereich egacél, unterfassanerisch agacál, in der Gegend von Moena egaciàlch. Am Nonsberg und im Friaul sind mit acàl und gài aqualis-Ableitungen belegt. Im oberen Inntal ist für die Ortschaft Pettnau bei Telfs die Aussprache Qual bezeugt.
Kandel oder Kååndl ist auf das lateinische canale zurückzuführen. Für das Deutsche findet sich althochdeutsch chánali, mittelhochdeutsch kanel, neudeutsch einerseits der mit größerem Bedeutungsumfang versehene hochsprachliche Kanál und andererseits der semantisch auf die ‘Rinne aus Holz zu Zwecken der Bewässerung’ eingeschränkte, dialektale Kándl. Die unterschiedliche Betonung auf der ersten Silbe beim dialektalen Wort und auf der Endsilbe beim hochsprachlichen Wort zeugen vom unterschiedlichen Zeitpunkt der Übernahme des Wortes aus dem Romanischen (in dem generell die Endsilbe betont wird) ins Germanische (in dem seit ca. 1000 n. Chr. die erste Silbe betont wird). Kándl, das den Akzentsprung mitgemacht hat, muss also vor dem Übergang zur Erstsilbenbetonung ins Deutsche gekommen sein, Kanál erst danach. Analog zu den Vinschgauer Formen existieren im westlich angrenzenden Graubünden die rätoromanischen Formen chanal, chanel (im Engadin), canal (in der Surselva). So sind westlich und östlich des Reschen Reliktwörter aus lat. canale in der Bedeutung ‚Rinne aus Holz, zum Zwecke der Bewässerung‘ fassbar. Ableitungen vom Etymon canale leben auch weiter östlich, in den ladinischen Tälern der Dolomiten und am Nonsberg, fort, bezeichnen dort aber nicht explizit die 'Holzrinnen zur Bewässerung', sondern sind semantisch weiter gefasst. Diese Tatsache rührt wohl auch von dem Umstand her, dass in diesen weiter östlich gelegenen Gebieten durch die dortigen Niederschlagswerte die Bewässerung nicht die zentrale Rolle spielt wie im niederschlagsarmen Gebiet um den Reschen.
Lawad oder Lawåd ist ein anderes Wort romanischen Ursprungs zur Bezeichnung einer Holzrinne. Als Etymon kann die feminine Form des Partizips angesetzt werden: levata, zu levare ‚heben‘ an. Die Lawad ist somit ‚die Gehobene‘. Im deutschsprachigen Tirol ist Lawad bereits 1713 für Taufers als runst oder lafath belegt und noch heute im Vinschgau in der Form Lawad oder Lawåd gebraucht. Auch im angrenzenden, romanischsprachigen Gebiet westlich des Reschen ist das Wort heute noch lebendig, so ist lavá:da als ‚Wassergraben, Gerinne aus Brettern‘ in der Val Müstair gebräuchlich.
Road oder Rode stammt vermutlich vom lateinischen rota und hat mit Rotation, mit der Abfolge von Turnussen zu tun. Bei der Bewässerung sind damit die alten, verbrieften Rechte gemeint, die die Wasserverteilung reihum zwischen den Mitgliedern auf das Genaueste regeln, wann (Roadtog) und in welchen Zeitintervallen (Weilen) wie viel Wasser (Fürch) abgeleitet werden darf. Um Streitigkeiten zu verhindern, wurde die Abfolge der Wasserableitungen oft durch Auslosung festgelegt: aus einem Sack wurden Holzstäbchen mit der Erkennungsmarke der Betroffenen wie bei einer Tombola gezogen und so die Turnusabfolge, die Road festgelegt. Die Turnusse waren in der Regel eng mit dem Hof oder mit dem Grund und nicht mit den darauf lebenden Personen verbunden. Sie konnten nicht veräußert wohl aber mit einer Hypothek belastet werden. Daher der Spruch: „Ein Hof ohne Wasser ist nichts wert“. Derselbe Wortstamm findet sich im mittelalterlichen Rodfuhrwesen in Tirol. Damals unterlagen die Waren durchziehender Kaufleute dem Niederlagsrecht bestimmter Städte (Rodstation). Nicht nur – sie hatten sich zudem der lokalen Fuhrleute zu bedienen, die in festgelegter Reihenfolge (Rod) die Waren von Rodstation zu Rodstation transportierten.
Hauptfunktion der Waale ist die Bewässerung. Der Waal „trägt“ das Wasser in die zu bewässernden Wiesen und Felder, daher der manchmal verwendete Name Tragwaal. Waale wurden zum Betreiben von Mühlen und Sägen verwendet, da sich steilere Geländeführungen für solche Zwecke geradezu anboten. Sie liefern das Wasser für die Tränken der Tiere und in früheren Zeiten sogar das Trink- und häusliche Gebrauchswasser für ganze Ortschaften. Sie werden eventuell auch als praktisches Vehikel zum Ausbringen des Mistes auf den Feldern genutzt. Werden Waale ausschließlich für die Bewässerung eingesetzt, wird die Wasserzufuhr nur in der Vegetationsperiode aufrechterhalten. Im Laufe des Oktobers wird das Wasser abgestellt, und im April/Mai werden solche Waale wieder in Betrieb gesetzt. Im Vinschgau gab es früher ein fast 600 km langes Hauptwaalnetz, das flächendeckend alle landwirtschaftlich genutzten Fluren versorgte.
Die einfachste Form ist ein in das Gelände gegrabener Kanal. In steileren Hanglagen oder in erosionsgefährdetem Gelände werden der Boden und die Wände des Waales durch Verbauungen befestigt. Im felsigen Gelände können das in den Fels gehauene Kanäle oder Tunnels sein. Kürzere felsige Hindernisse und quer verlaufende kleine Gräben werden meist mit Hilfe von Holzrinnen, sogenannten Kandeln, Lawaden oder Nueschen, überwunden. In seiner Konzeption einzigartig ist der Laaser Kandlwaal, der die Etsch auf einem 600 m langen hölzernen Aquädukt auf 32 bis zu 15 m hohen Steinpfeilern überquerte, bis er 1907 von einem Brande zerstört wurde. Auf steinschlag-, muren- oder lawinengefährdeten Strecken werden die Waale in Karnillen oder Dolen geführt, das sind mit Steinplatten und Erdreich abgedeckte unterirdische Waalabschnitte. In diesen Karnillen angebrachte Kontrollschächte, die Fenster, erlauben es, den Zustand des unterirdischen Verlaufs zu kontrollieren. Um die vom Wasser mittransportierten Sedimente und Gegenstände möglichst gering zu halten, werden Sandfangbecken, Siebanlagen und rudimentäre Fangrechen zwischengeschaltet. Waalverzweigungen, Waalableitungen werden teilweise mit stationären verriegelbaren und mit Schraubvorrichtungen ausgestatteten Schwellbrettern versehen, mit deren Hilfe das Umleiten des Wassers genau regelbar ist.
Das Wasser wird beim Wassern mit Hilfe von Schwellbrettern aus dem Tragwaal eventuell in kleinere Nebenkanäle, in die Pingger umgeleitet, die ihrerseits schmale Wiesenkanäle, Wurzelkanäle oder Ilzen genannt, speisen. Die Bewässerung leicht abschüssiger Wiesen und Felder erfolgt in einer Art Rieselverfahren, wobei mit Wasserblechen, Wasserbrettern oder Wasserhunden die Fließrichtung des Wassers in kurzen Abständen immer wieder neu einreguliert wird, so dass es überall auf dem Feld ausgebracht werden kann. Der jahrhundertelang mitgeführte Schwemmsand lagert sich neben den Ilzen ab und bildet in den Wiesen häufig niedere, lang gezogene Geländerücken, die Bichl oder Egger. Mancher Bauer legt sich bis zur nächsten Road (bis er wieder an die Reihe kommt) einen Wasservorrat in einem künstlichen Becken an, das Tschött oder Hilbe genannt wird. Tschött werden auch sehr große Reservebecken genannt, die heute Trockenperioden überbrücken helfen, in deren Folge sich die Wasserschüttung der angezapften Bäche vermindert.
Die Ursprünge dieser Bewässerungstechnik liegen mit Sicherheit sehr weit zurück. Die ältesten Dokumente stammen aus dem 12. Jahrhundert und bestätigen zum Teil nur ältere Rechte. Fakt ist, dass der Bau, die Erhaltung und der Betrieb solcher Anlagen von einzelnen Bauern nicht zu schaffen waren. Sie entstanden als Gemeinschaftswerk und hatten als Rechtsgrundlage meist sehr komplizierte und ausgeklügelte Vertragswerke (Weistümer), die trotz allem oft jahrelange, ja sogar jahrhundertelange Rechtsstreitigkeiten oder mit brachialer Gewalt ausgetragene Händel ums Wasser nicht verhindern konnten.
Verantwortlich für die Abwicklung der Rechtsgeschäfte ist der Waalmeister. Er verwaltet die Bücher, trifft alle für die ordentliche Geschäftsführung üblichen Entscheidungen und vertritt die Gemeinschaft bei Rechtsstreitigkeiten und Prozessen. Die einzelnen Mitglieder der Genossenschaft erbringen ihre Beiträge in Gestalt von Arbeitsleistungen oder eventuell in Geld. Die Wartung des Waales obliegt dem Waaler. Er beaufsichtigt den Waal, führt Instandsetzungsarbeiten durch und hat das Funktionieren des Waals rund um die Uhr zu gewährleisten. Aus diesem Grund wohnte der Waaler früher direkt in einer Waalerhütte neben dem Waal, wenn dieser sehr lang war, und bediente sich auch akustischer Hilfsmittel wie der Waalschelle. Der Waaler war ein wichtiger und meist geachteter Mann und wurde von der Gemeinschaft am ersten Fastensonntag für ein Jahr mit seiner Aufgabe betraut. Das Mandat wurde jedes Jahr verlängert, sofern die Gemeinschaft mit seiner Arbeit zufrieden war. Jedes Jahr beim Beginn der Vegetationsperiode muss der Waal funktionstüchtig gemacht und vom ganzen Unrat gesäubert werden, den die Winterwitterung abgelagert hat. Das Auftun wird häufig von einem Trupp der Gemeinschaft erledigt.
Die Bewirtschaftung und Wartung der Waale ist sehr arbeitsintensiv. Das Gleiche gilt für die traditionelle Art der Bewässerung. Die Waale sind sehr störungsanfällig, können bei Gewittern überlaufen und Erosionen im Gelände verursachen. Es ist nur allzu verständlich, dass mit Beginn in der Zwischenkriegszeit und nach dem Zweiten Weltkrieg massiv in moderne Bewässerungsmethoden investiert wurde. Viele Waale wurden aufgelassen und durch Rohrsysteme ersetzt. Die Betten mancher Waale dienen heute nur noch als Unterlage für Rohrleitungen. Trotzdem gibt es noch Waale, die in Betrieb sind und liebevoll instand gehalten werden.
Auf dem Kamm des talwärts gerichteten Waaldammes wurde in der Regel ein Waalsteig angelegt, der früher nur für das Wartungspersonal gedacht war. Als der Tourismus verstärkt einsetzte und Gäste die Seitenhänge zu durchwandern begannen, fanden sie an vielen Stellen schon eine geeignete Infrastruktur vor, auf der die Hänge ohne große Steigungen und relativ bequem und sicher durchquert werden können, die Waalwege. Heute gehören viele dieser aufmerksam restaurierten und sorgfältig mit Geländern versehenen Waalwege zur touristisch propagierten und angepriesenen Südtiroler bzw. Vinschger Kulturlandschaft.
Das Wasser der Waale, das hauptsächlich der Bewässerung der Wiesen diente, wird in Südtirol als «Wasserwosser» bezeichnet, das Wasser zum Wässern – und nicht etwa zum Trinken oder für andere Zwecke. Es wurde nach einem besonderen Schlüssel unter den Beteiligten verteilt. Das Südtiroler Vintschger Museum in Schluderns, Vinschgau, widmet dem lebenswichtigen Nass, dem kostbaren Wasser aus den Bergen, eine seiner Dauerausstellungen: WAWO – s’Wosser zum Wassern – Acqua per irrigar.[6][7]
Schnalswaal zwischen Tschars und Schloss Juval (Vinschgau) |
In den inneralpinen Trockengebieten im Tiroler Oberland wird die Bewässerung über Waale in acht Gemeinden praktiziert. Die Methode wurde 2018 unter der Bezeichnung Rieselbewässerung im Tiroler Oberland in die Liste des immateriellen Kulturerbes in Österreich aufgenommen.[10]
Der Kaunerberger Hangkanal in den Gemeinden Kaunerberg und Kauns ist rund 12 km lang[11] und führt durch einen knapp 1 km langen Stollen.
In Oberschwaben existieren heute noch drei Benediktiner-Waale in Klosteranlagen:
In der Folge Weichende Erben der Fernsehreihe Der Bozen-Krimi spielen ein Waal und dessen Waaler eine zentrale Rolle.
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