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Romanische Landkirchen mit profanem Obergeschoss, meist errichtet in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, finden sich regional gehäuft in bestimmten Regionen Altbayerns. Es handelt sich um einen seltenen Kirchentypus, der sich durch ein zusätzliches Geschoss für profane Zwecke über einem romanischen Kirchenraum auszeichnet. Die Kirchen sind vermutlich Teil eines Landerschließungsplanes der Burggrafen von Regensburg und der Landgrafen von Stefling, aus der Familie der Pabonen.
Nicht verwechselt werden dürfen diese Kirchen mit romanischen Doppelkapellen oder Doppelkirchen, wie sie sich nicht selten als Burgkapellen oder Beinhäuser und gehäuft auch im Alpenraum nachweisen lassen.
Es handelt sich meist um kleine, aber oft sehr hohe, einschiffige Saalkirchen mit Westempore und eingezogener Rundapsis im Osten, seltener mit einem Rechteckchor bzw. einem Chorturm. Letztere Variante findet sich vor allem im westlichen Verbreitungsgebiet. Die oft sehr dicken Mauern dieser Kirchen sind meist in sorgfältiger Technik aus Großquadern errichtet, welche das Niveau sonstiger Landkirchen und auch profaner Gebäude der Romanik bei weitem überschreitet,[1] dagegen finden sich an ihnen nur vereinzelt romanische Zierelemente. Als Baumaterial diente das Gestein der näheren Umgebung, d. h. je nach Region Granit, Sandstein, Dolomit oder Kalkstein. Dort, wo kein entsprechendes Naturgestein zur Verfügung stand, wurde auch Ziegelstein verwendet.
Als konstruktive, typenbestimmende Gemeinsamkeit besitzen die Kirchen über dem romanischen Kirchenraum ein profanes Obergeschoss, welches zum Teil über einen schmalen Innenaufgang innerhalb der Mauer, zum größeren Teil über einen Außenzugang in mehreren Metern Höhe (ohne Treppenkonstruktion) erreicht werden kann. Dieser Außeneingang, der heute meistens zugesetzt ist, erschließt zunächst die Westempore und gestattet den weiteren Aufgang zum Obergeschoss, welches mitunter nur einen Kniestock, oft aber auch komplette Geschosswände aufweist und dem Gesamtbau zu eindrucksvoller Höhe verhilft. Später wurde diese Höhe oft wieder aufgegeben oder durch neuere Dachkonstruktionen ersetzt, vereinzelt wurde auch nachträglich ein weiteres Obergeschoss aufgesetzt. Wenige Kirchen wurden zu Doppelkapellen umgewandelt.[2]
In kleineren Kirchen der genannten Bauart finden sich auch profane Obergeschosse im Chorturm, selten auch in einem westlichen Querbau oder Westturm.[3]
Über die Entstehungszeitpunkte und -umstände gibt es nur sehr selten urkundliche Informationen.[4] Aufgrund der in Süddeutschland gerade eingeführten Quadertechnik und stilistischer Merkmale werden mit wenigen Ausnahmen alle Kirchen in die 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts datiert.
Die Kirchen liegen meistens in Einzellage oder sind von einem sehr kleinen Dorfensemble umringt, sie finden sich nie in Städten oder bei Klöstern. Die meisten Kirchen sind heute Filialkirchen. Nur wenige sind heute Zentrum eines größeren Dorfensembles oder dienen als Pfarrkirchen.
Neben ausgesprochenen Tallagen[5] kommen des Öfteren auch Hanglagen,[6] Geländeterrassen,[7] sehr selten auch Gipfellagen[8] vor. Ein Teil der Kirchen war einst von einer ringförmigen Wall-Graben-Anlage umgeben,[9] wovon sich heute oft nur noch geringe oder gar keine Spuren finden. Häufig lagen die Kirchen im Mittelalter an einem Gutshof, der später nicht selten in mehrere Hofstellen geteilt wurde.[10]
Die allermeisten Kirchen finden sich in Sichtweite einer größeren Burganlage, deren Ursprung in dieselbe Zeit zurückdatiert,[11] ganz wenige sind in eine solche nachträglich integriert worden.[12] Häufig ist ein unmittelbar an der Kirche gelegener Edelsitz nachweisbar, allerdings meistens nur indirekt erschlossen aus der späteren, urkundlichen Nennung von Aftervasallen, die zu dem Kapellenort gehörten. In wenigen Fällen wurde eine Kirche mit Aufsatz von zwei Obergeschossen zu einer förmlichen Turmburg erweitert.
Die Kirchen finden sich überwiegend in Altbayern. In auffallender Häufung trifft man sie im Hügelland der östlichen Oberpfalz und des bayerischen Vorwaldes an, z. T. in der Nähe alter Heer- und Handelsstraßen. Weitere Schwerpunkte sind das mittlere Altmühltal, die Donauniederungen östlich und südwestlich von Regensburg und die Hallertau. Vereinzelt finden sich die Kirchen auch in der westlichen Oberpfalz, im Alpenvorland, in der ehemaligen Ostmark (im heutigen Niederösterreich), singulär auch in Oberfranken, bei Bamberg.
Die Erbauung der Kirchen, z. T. in erstaunlicher Größe und in sorgfältigster Quadertechnik ausgeführt, war so kosten- und aufwandintensiv, dass die Mittel eines einzelnen Landsassen nicht ausreichten. Die flächendeckende Errichtung der Kirchen – in Teilen der Oberpfalz und Niederbayerns kann man geradezu von einem Netz sprechen – erforderte ein Raumkonzept, welches nur von den Größen des Landes erarbeitet und umgesetzt werden konnte. Doch genau darüber herrscht bei den allermeisten Kirchen dokumentarische Stille. Nur im Fall einer typengleichen Kirche in St. Oswald in Niederösterreich wurde Gründungszweck, Gründungsdatum und Gründungsperson urkundlich festgehalten. Diese Kirche wurde von den Burggrafen von Regensburg erbaut und im Jahr 1160 mitsamt allen Besitzungen als Zentrum eines neuen Kirchdorfes und Pfarrsprengels dem Bistum Passau unterstellt.
Auffallenderweise liegen nahezu alle hier aufgeführten Kirchen im Einflussgebiet der Burggrafen von Regensburg, wie obenstehende Karte verdeutlicht. Ihre Hauptsitze lagen in Regensburg, Riedenburg an der Altmühl und Stefling am Regen und – in kognatischen Seitenlinien – auch in Abensberg und auf Burg Rotteneck in der Hallertau. In deren Umfeld lassen sich die Kirchen in besonderer Dichte und Häufigkeit nachweisen. Nur vereinzelt finden sich Kirchen dieser Bauart außerhalb ihrer Einflusssphäre. Es liegt deshalb auf der Hand, in den Vertretern dieses hochadeligen Geschlechts die Initiatoren der Doppelkirchen zu sehen. Die Burggrafen von Regensburg sind genealogisch der Familie der Pabonen zuzurechnen.[13] Noch deutlicher wird der Zusammenhang der Kirchen mit dem Geschlecht der Pabonen, wenn man den herben Kontrast zu Nachbar-Grafschaften in Betracht zieht: So ist zum Beispiel im Gebiet der Grafen von Bogen, die traditionsgemäß die Domvogtei von Regensburg innehatten, nicht eine einzige Kirche des angesprochenen Bautypus anzutreffen, und auch im Machtbereich der Diepoldinger, mit Sitz in Cham, findet sich nur eine Kirche mit potentiellen Obergeschoss. Dasselbe gilt auch für die noch recht umschriebenen Einflusszonen der Wittelsbacher, die zur Erbauungszeit der Kirchen kurz vor der Übernahme der Herzogsmacht in Altbayern standen (im Jahr 1180), und anderer Grafengeschlechter Bayerns.
Zu beachten ist, dass die Kirchen in einem zeitlich eng gesteckten Rahmen erbaut wurden, der sich wiederum in auffallender Weise mit dem Geschick der Burggrafen von Regensburg deckt. Entstanden sind sie überwiegend unter der Herrschaft Burggraf Heinrichs III. und Friedrichs II. und sie fallen in eine Zeit, als diese auch zahlreiche Großprojekte anderer Art förderten und finanzierten. Das Geschlecht, welches sich 1143 in eine burggräfliche und eine landgräfliche Linie aufgespaltete, erlosch in der burggräflichen Linie 1185 und in der landgräflichen Linie 1196. Zu diesem Zeitpunkt kam auch die Entwicklung der doppelgeschossigen Landkirchen vollständig zum Erliegen.
Der geschichtliche Rahmen erklärt plausibel, dass in den Standardwerken der Kunstgeschichte[14] ein Großteil dieser Kirchen bautypologisch auch als „Doppelkapelle an einem Herrensitz“ angesehen wird. Demnach sei in unmittelbarer Nachbarschaft der jeweiligen Kirche ein Herrenbau zu postulieren. Die ansässige Ministerialen-Familie habe zum Gottesdienst die Westempore der Kirche über eine Brückenkonstruktion, die vom Burggebäude zum oberen Außeneingang der Kirche führte, betreten, während das Gesinde und Landvolk den unteren Eingang und den unteren Kirchenraum benutzen mussten.
Mangels dokumentarischer Hinweise ist die eigentliche Funktion der profanen Obergeschosse nicht abschließend geklärt. Es existieren mehrere Theorien über ihre primäre Zweckbestimmung.
Die historische Ansicht F. Maders, dass die profanen Obergeschosse als permanente Speicherräume für die beiliegenden Höfe, quasi als Scheune, gedient haben könnten, gilt inzwischen als widerlegt. Wie an den überkommenen Beispielen zu erkennen ist, verfügten die Kirchen nicht über Giebeltore und Flaschenzüge, die das Einbringen von Heu und Getreide o. Ä. ermöglicht hätten, sondern nur über relativ enge und für den Gütertransport ungeeignete Innentreppen.
Eine weitere Erklärung fanden die Obergeschossräume in der Vergangenheit als Beherbergungsort für Landfahrer und Pilger, die für eine Übernachtung die jeweiligen Obergeschosse aufgesucht hätten, ohne den Kirchenraum selbst betreten zu müssen. Die Pilgerstätten-Theorie wurde von A. Trapp vehement in Abrede gestellt, weil hier ein Konflikt mit dem sehr privaten Herrschaftstrakt auf der Westempore bestünde.
Nach A. Trapp handelt es sich bei den Obergeschossen um Räume des Kirchenasyls, welches in der Zeit des Schismas zwischen 1160 und 1177 und des weiter schwelenden Konflikts zwischen Regnum und Sacerdotium besondere Bedeutung erlangte. Demnach sollen sich verfolgte Geistliche, die offen der Papstkirche in Rom (vor allem unter Papst Alexander III.) anhingen, in die Kirchen geflüchtet haben. Die Schergen seien insofern abgehalten worden, als sie zum Betreten der profanen Asylgeschosse immer den Sakralraum über die Westempore durchkreuzen und dadurch entweihen mussten.
Dass bei den allermeisten Kirchen die Obergeschossräume den örtlichen Adelsfamilien auf Dauer als Wohn- und Residenzräume dienten, ist nicht anzunehmen, denn mit wenigen Ausnahmen[15] sind sie zu einfach in ihrer Ausführung und zu umständlich und unbequem im Aufstieg. Man kann jedoch annehmen, dass die profanen Oberräume primär als passagerer Zufluchtsort im Angriffsfall dienten. Für eine aktive Verteidigung waren die Kirchen in keinem Fall ausgelegt.
Für einen Teil der profanen Obergeschossräume muss eine Nutzung als Stützpunkte der großen Ritterorden, der Templer und Johanniter, ins Auge gefasst werden, benötigt für deren weitläufige Unternehmungen.
Zum Teil liegen die Kirchen entlang der vormaligen Aufmarschrouten der Ritterheere nach Regensburg, in Tagesritt-Abständen entlang der Täler von Donau und Altmühl und an den alten Handels- und Heerstraßen, so dass eine Nutzung durch die Kreuzfahrer selbst in Frage kommt, als Übernachtungsort und Zwischenstation.
Trotz Abwägung aller möglichen Gesichtspunkte gelingt es heute nicht, eine primäre Einzelfunktion der profanen Obergeschosse eindeutig festzulegen. Wahrscheinlich konnten die Oberräume allen möglichen profanen Zwecken dienen und mal für den einen, mal für den anderen Bedarf genutzt werden, als Übernachtungsort, als Rückzugs- und Zufluchtsraum, als Asylraum für Verfolgte. In jedem Fall ging es jedoch, wie die Konstruktionsart aufzeigt, um Befriedigung eines Sicherheitsbedürfnisses.
Dominierend und für die Errichtung ausschlaggebend war der Sakralraum der Kirchen. Es ist wenigstens in einem Einzelfall eindeutig urkundlich belegt, dass die Kirchen dazu ausersehen waren, den künftigen Entwicklungskern von Pfarrgemeinden darzustellen und in ihrer Multifunktionalität die geistliche und weltliche Erschließung Altbayerns und der Ostmark voranzutreiben.
Davon unabhängig repräsentierten die hohen Steinbauten neben dem geistlichen auch den weltlichen Herrschaftsanspruch, den Status und Nimbus der übergeordneten Landesherren. In der Regel war es den ansässigen Landedelleuten möglich, alsbald größere Herrenhäuser an den Kirchen zu errichten oder die Kirchen in Burganlagen zu integrieren. Ein anderer Teil der Kirchen nahm an dieser gewünschten Entwicklung nicht teil, d. h. eine Dorfgemeinschaft kam nicht in Entwicklung, die Edelsitze und Burgen wurden zerstört oder zerfielen, nur die Kirchengebäude blieben zurück.
Hinter dem ehrgeizigen Projekt standen vorwiegend die Pabonen, die Burggrafen von Regensburg und Landgrafen von Stefling, die über fast zwei Jahrhunderte die Geschicke des Landes entscheidend mitbestimmten, ehe sie zum Ende des 12. Jahrhunderts plötzlich ausstarben.
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