Hauswurzen
Gattung der Familie der Dickblattgewächse (Crassulaceae) Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
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Hauswurz (Sempervivum) ist eine Gattung in der Familie der Dickblattgewächse (Crassulaceae). Der botanische Name der Gattung leitet sich von den lateinischen Worten semper für ‚immer‘ und vivus für ‚lebend‘ ab. Der deutsche Trivialname Hauswurz hat seinen Ursprung im althochdeutschen Begriff Wurz, der damals für ‚Wurzel‘ oder ‚Pflanze‘ verwendet wurde.
Hauswurzen | ||||||||||||
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Systematik | ||||||||||||
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Wissenschaftlicher Name | ||||||||||||
Sempervivum | ||||||||||||
L. |
Von den bisher etwa 200 beschriebenen Arten werden je nach Autor zwischen 40 und 63 Arten anerkannt. Zudem gibt es mehr als 7000 Sorten in gärtnerischer Verwendung.
Hauswurzen wachsen als Horste (Rosetten-Polster) mehrjähriger, immergrüner, sukkulenter Pflanzen. Die Pflanzen sind hapaxanth (bzw. monokarp), das heißt nach der Blüte sterben die Rosetten ab, die geblüht haben. Die Größe der ballförmig geschlossenen, halbkugeligen oder sternförmig ausgebreiteten Rosetten liegt zwischen 0,5 cm (teilweise bei Sempervivum arachnoideum oder Sempervivum globiferum subsp. arenarium) und 22 cm (teilweise bei Sempervivum grandiflorum und bei Sempervivum tectorum-Hybriden und Auslesen), hauptsächlich aber bei 3–6 cm. Bei der Blütenbildung strecken sich die Internodien der Sprossachse zu einem Langtrieb. Die Blütenstände werden zwischen 3 cm (Sempervivum minutum) und 60 cm (Sempervivum tectorum) hoch, ragen meist aber sieben bis zwanzig Zentimeter in die Höhe.
Wie viele Dickblattgewächse (Crassulaceae) sind Hauswurz-Arten als Sukkulenten in der Lage, in ihren Blättern Wasser zu speichern. Die in der Regel sehr fleischigen Blätter sind seitlich zum Teil flaumig (pubeszent) behaart oder besitzen Randwimpern. Die Behaarung kann Drüsenhaare enthalten. Die Blattspitzen verfügen teilweise über Haarbüschel. Die Form der Blätter der verschiedenen Arten ist vielfältig. Sie können beispielsweise lanzettlich, elliptisch, länglich lanzettlich, verkehrt lanzettlich, eiförmig, verkehrt eiförmig, spitz, keilförmig oder länglich spatelig sein. Die Spitze kann ebenso verschieden gestaltet sein. Meist ist sie spitz zulaufend oder kurz-kleinspitzig. Die Pigmentierung der Blätter ist je nach Jahreszeit, Standort und Sorte variabel. Es gibt stark mit Anthozyanen angereicherte Blätter, diese sind dann rotbraun oder auch selten in Violetttönen gefärbt. Es können diverse Farbabstufungen auftreten wie grau-olivgrün, graugrün, aber auch sehr blasse Tönungen (pseudochlorotisch). In letzterem Fall sind die Blätter gelblich bis gelblichgrün. Die Färbung ist hauptsächlich von der Sonneneinstrahlung abhängig, zum Teil aber auch genetisch bedingt.
Der meist dichte Blütenstand besteht aus Zymen mit drei, selten zwei bis vier, Wickeln, die manchmal gegabelt sind. Die sitzenden oder fast sitzenden, zwittrigen Einzelblüten sind obdiplostemon. Ihre breit sitzenden, etwas aufrechten, lanzettlichen Kelchblätter sind an der Basis etwas miteinander verwachsen. Die rosafarbenen, purpurfarbenen oder gelb bis fast weißen, zur Blütezeit ausgebreiteten oder aufrechten Kronblätter sind an ihrer Basis nicht miteinander verwachsen und auf der Innenseite meist kahl.[1]
Die nur selten kahlen Staubfäden sind rot, purpurfarben, bläulich oder gelblich bis weiß, die Staubblätter rot oder gelb und der abgesetzte Griffel ist meist gebogen. Die Nektarschüppchen sind mehr oder weniger quadratisch und etwa 0,5 Millimeter groß.[1]
Die Rosetten blühen spärlich, die Blütezeit liegt zwischen Ende Mai und Ende August. Ihre Blüten weisen zuerst ein männliches Stadium auf (Proterandrie). Danach biegen sich die Staubblätter zur Seite und weg von den Fruchtblättern im Zentrum der Blüte. Auf diese Weise wird eine Selbstbestäubung erschwert.
Die Pollenkörner der Gattung sind prolat, das heißt, sie sind wie Rotationsellipsoide geformt. Die äußere Schicht der Wand des Pollenkorns, die Exine des Sporoderms, besitzt drei längsgestreckte Keimfalten, in deren Mitte sich je eine rundliche Keimpore befindet (tricolporat). Die Pollenkörner sind 14 bis 25 Mikrometer lang und 12 bis 21 Mikrometer breit. Die der Sektion Jovibarba sind 13 Prozent größer als die der Sektion Sempervivum, enthalten keinen Pollenkitt und unterscheiden sich außerdem im Aufbau der Pollenkornwand.[2]
Die vielsamigen, nur selten kahlen Früchte stehen aufrecht bis fast aufrecht und öffnen sich entlang einer Bauchnaht. Die darin enthaltenen braunen Samen sind ellipsoid, eiförmig oder birnenförmig und gerippt.[1]
Die Ausbreitung der Samen erfolgt durch den Wind (Anemochorie).
Die Chromosomengrundzahl variiert zwischen und . Etwa die Hälfte aller Arten ist polyploid, die meisten davon tetraploid. Sempervivum minutum ist hexaploid und eine weitere Art oktoploid.[1]
Die Gattung Sempervivum kommt von Marokko bis zum Iran vor. Ihr Verbreitungsgebiet erstreckt sich zwischen diesen Eckpunkten durch die spanischen Sierras, die Alpen, Karpaten, die Berge des Balkan, der Türkei und Armeniens. Die Gattung ist also hauptsächlich in den europäischen Gebirgen zu finden. Mit Sempervivum atlanticum aus dem Atlas-Gebirge und Sempervivum iranicum aus dem Elburs-Gebirge greift ihre Verbreitung wie die Spitzen einer Sichel bis nach Afrika und Asien hinein. Im Kaukasus, in Nordost-Anatolien, auf dem Balkan und in den Alpen sind besonders viele Hauswurz-Arten anzutreffen.[3] Sie leben hauptsächlich auf besonnten Felsen und in steinigen Gebieten der montanen, subalpinen und alpinen Zone. Einige haben humosere Standorte erschlossen.[4]
In den Alpen, einem der Gebiete, in denen eine Häufung von Hauswurz-Arten auffällt, sind die am meisten verbreiteten Arten die Spinnweb-Hauswurz (Sempervivum arachnoideum), die Berg-Hauswurz (Sempervivum montanum) und die Dach-Hauswurz (Sempervivum tectorum). Sie blühen rot. Die Dach-Hauswurz kann man außer in ihrer autochthonen Verbreitung auch auf Dächern und Mauern finden, meist angepflanzt, manchmal verwildert bzw. wild, mitunter sehr weit von ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet entfernt. Die Gewöhnliche Fransenhauswurz (Sempervivum globiferum) hat mit zwei Arealen in den Südwest-Alpen und mit Vorkommen in den Ostalpen ein insgesamt großes Verbreitungsgebiet, kommt dabei aber auffallend oft in den Randgebieten der Alpen vor.
Die Wulfen-Hauswurz (Sempervivum wulfenii) kommt endemisch in den Ostalpen vor, die ebenfalls gelb blühende Großblütige Hauswurz (Sempervivum grandiflorum) und die weißlich-blassrosa blühende Kalk-Hauswurz (Sempervivum calcareum) sind Endemiten der Westalpen und haben ein wesentlich geringeres Verbreitungsgebiet. Noch kleiner ist das Verbreitungsgebiet der rot blühenden Dolomiten-Hauswurz. Die Serpentin-Hauswurz (Sempervivum pittonii) ist nur auf zwei Berghängen in der Obersteiermark nahe Kraubath an der Mur in Österreich zu finden. Sie blüht gelb.
Während die Berg-Hauswurz, die Wulfen-Hauswurz und die Großblütige Hauswurz an saures Bodenmilieu angepasst sind, findet man die Kalk-Hauswurz und die Dolomiten-Hauswurz auf kalkhaltigem Substrat. Die Spinnweb-Hauswurz bevorzugt saure Bodenverhältnisse, die Dach-Hauswurz hat hierbei eine breitere Amplitude. Die Serpentin-Hauswurz ist auf serpentinitisches Substrat spezialisiert. Die Unterarten der Gewöhnlichen Fransenhauswurz sind teils an unterschiedliche Bodenverhältnisse angepasst.[5]
Ein weiteres Gebiet, in dem Sempervivum-Arten gehäuft vorkommen, ist das Bergland von Kleinasien. Eine ausgesprochene Hochgebirgsart ist Sempervivum pisidicum. Sie kommt bis über 2500 m vor. Ebenfalls alpine Arten sind Sempervivum armenum und Sempervivum minus, die in Höhenlagen über 2000 m zu finden sind. Auch Sempervivum gillianii wächst gerne südexponiert auf alpinen Matten. Auf vulkanischem Gestein ist Sempervivum brevipilum zu finden. Eine weite Verbreitung im inneren Ostanatolien hat Sempervivum davisii, eine Sammelart, die sowohl in alpinen, als auch in feuchteren und tieferen Lagen vorkommt, beispielsweise in der Nähe von Flussufern. Auch Sempervivum ekimii[6] und Sippen von Sempervivum davisii subsp. furseorum sind in eher feuchterem Klima zu finden. Sempervivum staintonii ist an niedere Lagen angepasst. Im östlichen Gebiet des Gebirges Kaçkar Dağlar ist Sempervivum herfriedianum heimisch.[7][8]
Im Kaukasus findet man Vertreter der Gattung hauptsächlich in Höhenlagen von 1200 bis 3000 m. Dort kommen sowohl Semperviven mit glatten Blattflächen, als auch solche mit beiderseits behaarten Blattflächen vor. Zu den Hauswurzen mit kahlen Blattflächen gehören die rot blühende Arten Sempervivum borissovae, Sempervivum caucasicum und Sempervivum ingwersenii. Gelb blühende Arten sind Sempervivum glabrifolium und Sempervivum sosnowskyi.
Behaarte Blattflächen und rote Blüten besitzen Sempervivum altum, Sempervivum annae, Sempervivum dzhavachischvilii, Sempervivum ermanicum, Sempervivum charadzeae, Sempervivum ossetiense und Sempervivum pumilum. Eine gelb blühende Art mit behaarten Blattflächen ist Sempervivum transcaucasicum, die auch in niederen Lagen bis 550 m vorkommt. Sempervivum charadzeae, eine Art mit bis zu 35 cm langen Ausläufern, kommt in submontanen Lagen vor.[9][10]
Ein weiteres Gebiet mit vielen Arten von Hauswurzen ist die Balkanhalbinsel. Aus der Sektion Jovibarba findet man im Gebiet vor allem viele Formen von Sempervivum heuffelii, aber auch Sempervivum globiferum kommt laut Literaturangaben im nördlichen Bereich des Balkans vor.
Aus der Sektion Sempervivum findet man dort als rot blühende Art häufig das sehr variable Sempervivum marmoreum. Eng verwandt mit dieser Art ist Sempervivum kosaninii, das auf Kalkstein in Mazedonien wächst. Die anderen Arten des Balkans blühen gelb.
Im nördlichen Bereich des Balkan wächst Sempervivum ruthenicum, dessen Verbreitungsschwerpunkt aber in Gebieten nördlich des Balkan liegt und das meist in tiefen Lagen vorkommt. Sempervivum leucanthum ist in Bulgarien und bergigen Gebieten südlich davon zu finden. Das Verbreitungsgebiet von Sempervivum zeleborii geht von Bulgarien und West-Rumänien südlich bis ins nördliche Griechenland. Die Petalen von Sempervivum ciliosum und Sempervivum leucanthum sind ausschließlich gelb gefärbt, während die anderen gelb blühenden Arten an der Basis der Kronblätter rötlich gefärbt sind. Die Unterart Sempervivum ciliosum subsp. octopodes wächst nur am Pelister im Süden Mazedoniens.[10] Auch Sempervivum thompsonianum kommt ausschließlich in einem eng begrenzten Gebiet im Süden Mazedoniens vor.
Sempervivum gehört zur Tribus Semperviveae in der Unterfamilie der Sempervivoideae der Dickblattgewächse. Phylogenetische Untersuchungen zeigen eine enge Verwandtschaft zur Gattung Petrosedum sowie einigen Arten der Untergattung Sedum subg. Gormania:[11]
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Wahrscheinlich stammt Sempervivum von einer alten Petrosedum-Linie ab, die einen vervielfachten Chromosomenbestand in den Zellen aufwies. Petrosedum wird außer als Ursprungsgruppe der Gattung Sempervivum auch als Ursprungsgruppe der Gattungen Aeonium, Aichryson und Monanthes angesehen.[12]
Gemäß Urs Eggli hat sich die Ordnung der Steinbrechartigen (Saxifragales) ab der letzten globalen – alpidischen – Gebirgsbildungsphase der Erdgeschichte und deren geologischen Auffaltung, also seit den letzten 135 Millionen Jahren konstituiert. Die Familie der Dickblattgewächse (Crassulaceae) ist jedoch viel jünger und noch jünger ist die Gattung Sempervivum. Wie alt diese Gattung innerhalb der Familie ist, ist eine ungelöste Frage. Wegen des verhältnismäßig kleinen Verbreitungsgebietes sowie ihrer relativ einheitlichen Morphologie und Pflanzenchemie wurde auch die Meinung vertreten, die Gattung Sempervivum könne als eine junge Gruppe innerhalb der Familie der Dickblattgewächse angesprochen werden. Das ist allerdings Spekulation. Da es hierzu keine Fossilien gibt, bestehen keine gesicherten Daten.[13]
Es gibt Hinweise, „dass einige heutige Verbreitungsmuster von Refugien der letzten eiszeitlichen Kaltzeit beeinflusst sind.“[14][15][16].
Offensichtlich befindet sich die Gattung in einer noch nicht stabilen Phase ihrer Evolution und sind alle ihre Mitglieder der Gattung sehr nahe miteinander verwandt. Dennoch zeigen die einzelnen Taxa oft eine große Variabilität. Als Konsequenz daraus wurden viele Unterarten, Varietäten und Formen beschrieben. Sie weisen mitunter keine gut definierten Abgrenzungen zueinander auf. Eine zweite Konsequenz ist, dass man innerhalb der Gattung eine hohe Zahl natürlicher Hybriden beobachten kann. Diese können sich oft wiederum rückkreuzen und so weiter – so dass eine fast ins Endlose gehende Vielfalt und Aufspaltung festzustellen ist.
Die Erstbeschreibung der Gattung Sempervivum erfolgte 1753 durch Carl von Linné in Species Plantarum.[17] Typusart der Gattung ist Sempervivum tectorum. Synonyme der Gattung sind Sedum Adans., Jovibarba (DC.) Opiz, Diopogon Jord. & Fourr. und ×Jovivum G.D.Rowley.
Die Gattung wird vor allem auf Grund von Unterschieden in der Blütenmorphologie in die Sektionen Sempervivum und Jovibarba unterteilt.[18] In der Sektion Sempervivum sind die Blüten sternförmig ausgebreitet und sie besitzen acht bis 18 Kronblätter. Bei den Arten der Sektion Jovibarba sind die Blüten glocken- bis röhrenförmig und weisen in der Regel sechs, selten sieben oder fünf, Kronblätter auf.
Arten
Die Gattung Sempervivum umfasst folgende Arten, Unterarten und Varietäten:[10]
Hybriden
Darüber hinaus sind folgende Hybriden gültig beschrieben:[10]
Die Dach-Hauswurz ist eine alte Heil-, Zauber- und Zierpflanze. Zahlreiche volkstümliche Bezeichnungen in vielen europäischen Sprachen[29] zeugen davon, wenngleich in deutscher Sprache die meisten Vernakularnamen vorkommen.[30] Einige deutsche Trivialnamen – meist für Sempervivum tectorum, mitunter auch für Sempervivum globiferum – sind beispielsweise Dachkraut, Dachlauch, Dachwurz, Dachzwiebel, Donnerbart, Donnerkopf, Donnerkraut, Donnerwurz, Dunnerknöpf, Gewitterkrut, Gottesbart, Grindkopf, Hausampfer, Jupiterbart, Donarsbart, Mauerkraut, Hauslaub, Ohrpeinkraut, Warzenkraut, Zidriwurzn.[31]
Karl der Große ordnete in seiner Landgüterverordnung Capitulare de villis an: et ille hortulanus habeat super domum suam Jovis barbam („und jeder Gärtner soll auf seinem Dach ‚Jupiterbart‘ haben“). Der Volksglaube besagte, dass diese Pflanze ein Haus vor Blitzschlag schützen könne. Jupiter und Donar galten als Götter, die den Blitz unter ihrer Kontrolle hatten, und Hauswurz sollte Blitzeinschlag und Brand fernhalten. Eine mögliche Erklärung für diese Vermutung könnte sein, dass Dächer, die mit Hauswurz bepflanzt waren, nicht mehr so trocken waren wie neu angelegte Dächer und deshalb nicht so leicht entflammten. Nebenher hatten die Hauswurze den Zweck, lose Ziegel- oder Strohdächer zusammenzuhalten und First wie Lehmdecken vor Auswaschung zu schützen.
Bei herannahendem Gewitter wurden zusätzlich Blätter im Ofen verbrannt, welche die abergläubischen Leute am Johannistag pflückten. An manchen Orten verbrannte man bei Unwetter „Palmkätzchen“ und Hauswurzbestandteile, die man am Johannistag vom Dach genommen hatte. In der Schweiz wurde die Hauswurz noch bis ins 20. Jahrhundert hinein als Zauberpflanze verwendet. Man pflanzte sie auf ein Brettchen, das auf einen Pfahl montiert war. Einzelne Pflanzen, die man in den Kamin hängte, sollten davor schützen, dass Hexen in den Kamin fuhren. Auf Viehställe gepflanzt, sollten sie dafür sorgen, dass die Tiere vor Seuchen bewahrt bleiben. Aus der Gegend von Weißenburg/Bayern ist bekannt, dass die Kühe vor dem ersten Weideaustrieb des Jahres drei Eichenblätter (auf dass ihnen Laub nicht schade), drei Blätter der Mauerraute (auf dass ihnen Kräuter nicht schadeten) und drei Blätter der Hauswurz bekamen (auf dass sie wieder in ihren Stall zurückfänden, auf dem vermutlich Hauswurz gepflanzt war). Die Verwendung der Hauswurz als Bestandteil einer Kombination von drei Heilkräutern (etwas rûte, Schöllkraut und Hauswurz), von denen eine Zubereitung mit jeweils drei Blättern dreimal zu trinken sei, um eine Gelbsucht zu therapieren, findet sich etwa im 15. Jahrhundert[32] unter dem Einfluss mittelalterlicher Zahlenspekulation auch in anderen Texten.
Häusern, auf denen Hauswurz wuchs, sollte dies Glück bringen. An manchen Orten wurde geglaubt, dass es Unglück bringe, wenn eine Hauswurzrosette blühe, dass zum Beispiel ein Bewohner des Hauses in diesem Jahr sterbe. In anderen Gegenden heißt es, dass lange Blütentriebe anzeigen, dass der Familie ein wichtiges Ereignis bevorstehe, weiße Blüten einen Todesfall und rote ein freudiges Ereignis ankündeten. Wenn man weiß, dass der alte Kultivar von Sempervivum tectorum weißlich-blassrosa blüht, dürfte diese Zuordnung manchmal Schwierigkeiten gemacht haben. Im Tiroler/Allgäuer Vilstal hieß es, dass das Glück fortziehe, wenn man die Hauswurz vom Dach entferne.
In Johannes Hartliebs Das Buch aller verbotenen Kunst aus dem Jahr 1465 wird ein Hexensalbenrezept überliefert, eine Flugsalbe, bei der sechs Pflanzen verwendet wurden. Dort heißt es, dass am pfintztag barban Jouis, also „am Donnerstag der Bart Jupiters“ gesammelt werden sollte.[33]
Es hieß auch, dass der Hauswurzsaft die Haut schön mache und Sommersprossen vertreibe. Von einem auf die Haut applizierten Gemisch aus Hauswurzsaft, Gummi, rotem Arsenik und Alaun glaubten manche, man könne unter seinem Schutz glühendes Eisen anfassen. Hildegard von Bingen merkte an, dass Hauswurzgenuss bei Mann wie bei Frau Begierde entbrennen lasse. Für zeugungsunfähige Männer empfahl sie in Ziegenmilch eingelegte Hauswurz. Bei Taubheit solle man Hauswurzsaft zusammen mit Frauenmilch ins Ohr träufeln.
Arten und Sorten der Hauswurzen werden häufig auf Mauerkronen und zur Dachbegrünung eingesetzt, meistens Sempervivum tectorum und dessen Sorten und Hybriden. Es gibt viele Hauswurz-Liebhaber und -sammler. Dabei liegt das Hauptinteresse nicht nur auf der Ausbildung der Blüten, sondern auch in der Vielfalt der Rosettenformen und -färbungen. Hier kann man verschiedene Ausformungen der Blätter beobachten, wie rund oder spitz. Mittlerweile gibt es Rosetten in den mannigfaltigsten Farbschattierungen wie rot, gelb und orange, natürlich auch grün, aber auch fast schwarz. Jede dieser Farben verändert sich im Laufe der Jahreszeiten, am intensivsten im Frühling und Herbst, die Ausfärbung ist aber auch abhängig von trockenem und nährstoffarmen Standort. Viele Sorten tragen aber auch eine mehr oder weniger ausgeprägte Behaarung, die meist von der Spinnweb-Hauswurz herrührt.
Erste Züchtungen lassen sich etwa auf das Jahr 1920 datieren[34]. Inzwischen wurden mehr als 7000 Sorten gezüchtet. 1927 brachte die Staudengärtnerei Georg Arends die Züchtungen Beta und Alpha auf den Markt. Zwei Jahre später folgte Gamma. Jedes Jahr kommen neue Sorten hinzu, viele sehen sich sehr ähnlich. Für Hauswurz-Sorten gilt: einmal ohne Sortennamen, immer ohne Namen. In Deutschland haben sich Liebhaber der Gattung in der Fachgruppe „Sempervivum/Jovibarba“ innerhalb der „Gesellschaft der Staudenfreunde“ (GdS) zusammengefunden.[35]
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