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Derivate der Barbitursäure; Schlaf- und Narkosemittel Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Barbiturate sind Salze und Derivate der Barbitursäure. Im pharmazeutischen Sinne sind sie Barbitursäureabkömmlinge mit einer nennenswerten Wirkung an GABAA-Rezeptoren und damit Angehörige der Gruppe der GABAergika. In der Regel haben sie eine dämpfende Wirkung auf das Zentralnervensystem.
Barbiturate waren ab dem frühen 20. Jahrhundert für viele Jahrzehnte der Inbegriff des Schlafmittels. Aufgrund unerwünschter Nebenwirkungen sind sie in Deutschland und der Schweiz seit 1992 als Schlafmittel nicht mehr zugelassen und in der modernen psychopharmakologischen Verschreibungspraxis vor allem durch Benzodiazepine, Z-Drugs und Neuroleptika verdrängt worden. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, unterliegen sie in Deutschland der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV). Thiopental und Methohexital stehen als Kurzzeit-Injektionsnarkotika zur Verfügung. Barbital dient in der Biochemie als Puffer in Form des Veronal-Acetat-Puffers.
Barbitursäure (Malonylharnstoff) wurde erstmals 1864 von Adolf von Baeyer hergestellt.[1] Das erste Barbiturat mit schlafanstoßender Wirkung, Barbital, wurde 1902 von Emil Fischer synthetisiert[2] und als Veronal bekannt. Als Mononarkotika und Einschlafmittel bei Kombinationsnarkosen fanden N-alkylierte und Thiobarbiturate dann größte Verbreitung.[3][4] Mehr als 2500 Derivate sind heute bekannt. Nicht-GABAerge Barbiturate werden in ihrer Wirkung auf Enzyme[5][6] und in ihren antioxidativen Eigenschaften[7] erforscht.
Der Wirkungsmechanismus ist noch nicht in allen Einzelheiten geklärt. Erkannt wurde eine Wirkung an ionotropen Rezeptoren. Die Interaktion vollzieht sich im membranären Rezeptorabschnitt an den Schnittstellen (Interfaces)[A 1] der Untereinheiten.
An GABAA-Rezeptoren vom synaptischen Typ αβγ entfalten Barbiturate ähnliche Wirkungen wie Etomidat und Propofol. Es gibt Hinweise, dass sie die Etomidat-homologe Bindungsstelle an γ+β−[A 2] besetzen und dort als allosterische Co-Agonisten wirken.[8] Sie verlängern die Dauer der durch den Neurotransmitter GABA bewirkten Öffnung des Kanals, vergrößern moderat dessen Lumen und erhöhen damit den Anioneneinstrom in die Zelle. Charakteristisch ist die Linksverschiebung der GABA-Dosis-Wirkungs-Kurve und die gleichzeitige moderate Erhöhung der GABA-Effizienz (Emax).[9] Stärke und Richtung der Modulation hängen ab von den Substituenten in Molekülstellung 5. In der Regel und in therapeutisch erwünschter Weise erhöhen sie die Funktion des Rezeptors. Demgegenüber sind Barbiturate bekannt, welche die GABAA-Rezeptorfunktion hemmen und z. B. Konvulsionen bewirken.[10] Dieser Effekt, der in der Regel dem R(+)-Isomer innewohnt, ist bemerkbar bei sterisch sperrigeren und konformationell starreren Substituenten, z. B. Phenyl. Bei (ehemals) arzneilich genutzten Razematen schlägt eine derartige anti-GABAerge Wirkung nicht durch, es überwiegt die pro-GABAerge Wirkung.
An Nikotinrezeptoren vom Typ Torpedo α2βγδ wirken Barbiturate am γ+α−-Interface.[11]
In subanästhetischer Dosierung hemmen Barbiturate den exzitatorischen (erregenden) glutamatergen AMPA-Rezeptor, in anästhetischen Dosen hemmen sie zudem bestimmte (tetrodotoxinempfindliche) spannungsabhängige Natriumkanäle.[12]
Die Natur der Substituenten prägt die Pharmakokinetik der Verbindungen, indem sie den Grad der Lipophilie bestimmt. Innerhalb gewisser Grenzen wird die Lipophilie begünstigt durch den Einbezug eines Aromaten, eine hohe Anzahl an Kohlenstoffatomen in den Seitenketten und den Ersatz eines Carbonyl-Sauerstoffatoms gegen Schwefel. Je lipophiler das Derivat ist, desto effizienter überquert es die Blut-Hirn-Schranke, desto schneller ist sein Wirkungseintritt, und desto kürzer wirkt es insgesamt, weil es sich schneller umverteilt (verschiedene Kompartimente). Ein mehr lipophiles Derivat wird mehr hepatisch metabolisiert, ein mehr hydrophiles wird eher unverändert renal ausgeschieden.[12] Die Metabolisierungsrate ist stereoselektiv.
Aus der Affinität zu verschiedenen Rezeptortypen ergibt sich auch ein breites Wirkspektrum. Sie wirken dosisabhängig, von sedierend über hypnotisch (Schlaf) bis zu narkotisch. Daneben wirken sie auch antikonvulsiv (gegen Epilepsie) und hyperalgetisch (schmerzfördernd).[12]
Eines der größten Probleme bei der Therapie mit Barbituraten ist die Tatsache, dass sie eine sehr geringe therapeutische Breite besitzen, das heißt, es kann leicht überdosiert werden. Dabei besteht die Gefahr einer zentralen Atemlähmung (siehe Intoxikation). Eine versehentliche paravenöse oder arterielle Injektion von stark basischen Barbituratsalzen kann Gewebsschäden verursachen.
Da die meisten Präparate aus dem Verkauf genommen wurden, werden im Wesentlichen nur noch drei medizinisch verwendet:
Im Vergleich zu Benzodiazepinen wirken Barbiturate nicht nur schlafanstoßend, sondern, in höherer Dosierung, schlaferzwingend, so dass sie in sehr seltenen Ausnahmesituationen im zulassungsüberschreitenden Einsatz bei ansonsten nicht beherrschbaren Schlafstörungen eingesetzt werden können. Barbiturate wurden in den meisten Anwendungsbereichen von den Benzodiazepinen verdrängt.
Schnell wirksame Barbiturate werden in den Vereinigten Staaten in Kombination mit anderen Wirkstoffen auch zur Hinrichtung mittels Injektion verwendet. Im Rahmen der Sterbehilfe in der Schweiz wird beispielsweise Pentobarbital von den Sterbehilfeorganisationen EXIT und Dignitas verwendet. In der Tiermedizin wird es zum Einschläfern von Tieren verwendet.
Barbiturate induzieren bei chronischer Anwendung Cytochrom-p450-3A-Enzyme in der Leber und beschleunigen dadurch ihren eigenen Abbau – was zu vermehrter Toleranzentwicklung führt – sowie jenen einiger weiterer Medikamente und schwächt somit deren Wirkung ab. Dazu gehören u. a. orale Gerinnungshemmer vom Cumarin-Typ, orale Kontrazeptiva (Anti-Baby-Pille), verschiedene andere Antiepileptika, Glucocorticoide, u. v. m.[15]
Daneben interagieren Barbiturate natürlich mit allen anderen sedierenden und atemdepressiven Medikamenten wie Alkohol, Benzodiazepinen, Opiaten u. a. Valproinsäure und Monoaminooxidase-Hemmer jeglicher Art verstärken die Barbituratwirkung.[12]
Die Eliminierung wird durch Alkalisierung des Blutes mit Natriumhydrogencarbonat gefördert. Bei langwirkenden Barbituraten ist die forcierte Diurese empfehlenswert.[16] Darüber hinaus können verschiedene Maßnahmen getroffen werden, das Gift aus dem Körper zu entfernen: Magenspülung unter Intubationsschutz, Aktivkohle, osmotische Laxantien, Dialyse bei voraussichtlich langer Narkose.[12]
Die Suizidgefahr war ein großes Problem bei der Therapie mit Barbituraten. Ende der 1960er Jahre starben in Großbritannien durchschnittlich 3 Menschen pro Tag durch einen Suizid mit dem Schlafmittel. Dies war auch ein Grund für den großen Erfolg der weniger toxischen Benzodiazepine.[17]
Barbiturate lassen sich aus (di)substituierten Malonsäureestern durch Kondensation mit Harnstoff oder Dicyandiamid synthetisieren. Bei Verwendung von Thioharnstoff werden analog Thiobarbiturate erhalten.[18]
Den GABAergen Barbituraten ist gemein, dass sie am fünften Ringatom des Barbitursäurerings mit organischen Resten zweifach substituiert sind (R1, R2). Das Sauerstoffatom am zweiten Ringglied ist bei Thio-Barbituraten durch Schwefel ersetzt.
Name | Struktur | R1 | R2 | |
---|---|---|---|---|
Barbitursäure1) | Barbiturate | –H | –H | |
Allobarbital | –CH2–CH=CH2 | –CH2–CH=CH2 | ||
Amobarbital | –C2H5 | –(CH2)2–CH(CH3)2 | ||
Barbital | –C2H5 | –C2H5 | ||
Butabarbital | –C2H5 | –CH(CH3)–C2H5 | ||
Butalbital | –CH2–CH=CH2 | –CH2–CH(CH3)2 | ||
Cyclobarbital | –C2H5 | –C6H9 (Cyclohexenyl-1) | ||
Heptabarbital | –C2H5 | –C7H11 (Cycloheptenyl-1) | ||
Methohexital1) | ||||
Pentobarbital | –C2H5 | –CH(CH3)–C3H7 | ||
Phenobarbital1)2) | –C2H5 | –C6H5 (Phenyl) | ||
Secobarbital | –CH2–CH=CH2 | –CH(CH3)–C3H7 | ||
Vinylbital | –CH=CH2 | –CH(CH3)–C3H7 | ||
Thialbarbital | Thio-Barbiturate | –CH2–CH=CH2 | –C6H9 (Cyclohexenyl-1) | |
Thiobarbital | –C2H5 | –C2H5 | ||
Thiopental1) | –C2H5 | –CH(CH3)–C3H7 |
1) Noch als Arzneistoff im Handel
2) Das reine R(+)-Isomer wirkt prokonvulsiv. Siehe Distomer.
Weitere Derivate sind nicht mehr als Medikament erhältlich, darunter Aprobarbital, Alphenal, Barbexaclon, Brallobarbital, Butobarbital, Butallylonal, Crotylbarbital, Cyclopal, Ethallobarbital, Hexethal, Hexobarbital, Mephobarbital, Metharbital, Methylphenobarbital, Narcobarbital, Probarbital, Propallylonal, Proxibarbal, Proxibarbital, Reposal, Secbutabarbital, Talbutal, Thiamylal, Thiobutabarbital und Vinbarbital.
Mittels Zwikker-Reaktion werden mit jenen Barbituraten, die am Stickstoff nicht substituiert sind, farbige Komplexe gebildet. Zur Analyse angewendet werden des Weiteren chromatographische Methoden (Dünnschicht- und Gaschromatographie), Massenspektrometrie und Radioimmunassays.[18]
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