Loading AI tools
Reaktion, bei der eine funktionelle Gruppe überführt wird Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Eine polymeranaloge Reaktion ist eine Reaktion, bei der an Polymeren eine funktionelle Gruppe FG1 durch eine chemische Reaktion in eine andere funktionelle Gruppe FG2 überführt wird:[1]
Dabei werden grundsätzlich zwei Arten von polymeranalogen Reaktionen unterschieden:
Bei diesen Reaktionen ändert sich die molare Masse und gegebenenfalls auch die Konstitution der Polymere, der Polymerisationsgrad bleibt aber erhalten.[1] Eine komplette Umsetzung der reaktiven Gruppen ist normalerweise nicht möglich, eine Ausnahme bilden Reaktivpolymere und Ionenaustauscher, die durch die Durchführung der Umsetzung sehr hohe Umsätze ermöglichen. In vielen Fällen ist eine komplette Umsetzung zudem nicht gewünscht, hier bilden Polyvinylalkohol/Polyvinylamin Ausnahmen, bei denen man neben teilhydrolysierten auch möglichst komplett hydrolysierte Typen anstrebt. Da sich die physikalischen und chemischen Eigenschaften der Produkte mit dem Substitutionsgrad ändern, versucht man in Fällen wo bestimmte Substitutionsgrade angestrebt werden diese gezielt durch die Reaktionsführung zu erreichen, um die gewünschten Eigenschaften zu erhalten. So sinkt in der Regel ab einem bestimmten Substitutionsgrad bei Cellulose- und Stärkederivaten die Löslichkeit bzw. Quellfähigkeit und auch die biologische Abbaubarkeit. Ab welchem Grad dies geschieht, hängt u. a. von der Größe und Hydrophobie des Substituenten ab.
Von der polymeranalogen Reaktion ist die Vernetzung zu unterscheiden. Hier reagiert ein Polymer mit einem niedermolekularen Vernetzer oder einem anderen Polymer zu größeren Aggregaten, die nach der Reaktion eine weit größere Molmasse und Polymerisationsgrad haben als das Ausgangspolymer.
Bis ins 19. Jahrhundert hinein wurden natürliche Polymere wie Baumwolle, Wolle, Seide und Leinen selten gezielt chemisch behandelt, um ihre Eigenschaften zu verändern. Nur beim Färben wurde, abhängig von der Faser und dem Farbstoff bzw. der Färbemethode, mit Laugen, Salzen oder anderen Substanzen ein besseres Färbeverhalten erzielt, das sog. Beizen.[2] Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurden Cellulosederivate wie 1846 die Schießbaumwolle (Christian Friedrich Schönbein[3]) und 1865 das Celluloseacetat (Paul Schützenberger[4]) gewonnen. Erst im 20. Jahrhundert, als von Hermann Staudinger die Natur der Polymere aufgeklärt wurde und erste künstliche Polymere wie Bakelit (1909), Polyvinylchlorid (ab 1913), Polyester (ab den 1920ern), Polyethylen (ab 1933) und Polyamide (ab 1935) in größeren Mengen hergestellt und verwendet wurden, kamen Methoden auf, diese Polymere durch gezielte chemische Behandlung zu modifizieren.
Da es eine Vielzahl von Anwendungen gibt, die in einem breiten Feld von Reaktionsarten und Anwendungsgebieten liegen, lässt es sich nur schwer quantitativ abschätzen, welche Umsatzzahlen Prozesse, die polymeranaloge Reaktionen beinhalten haben, zumal eine Polymeranaloge Reaktion oft nur einen Teil der Wertschöpfungskette darstellt. Die DECHEMA hat im Jahr 2004 in einem Positionspapier die Polymer-Modifikation in Extrudern/Schneckenmaschinen als Spezialfall der Polymeranalogen Reaktion als besonders vielversprechende Technologie herausgestellt.[5][6] Aus der Vielzahl der Anwendungen lässt sich aber grob abschätzen, dass es sich jährlich weltweit um dreistellige Millionen bis Milliardenbeträgen (in €) handelt.
Im Gegensatz zu den meist homogenen Reaktionen in Lösemitteln liegen bei polymeranalogen Reaktionen meist heterogene Verhältnisse vor. Im Inneren des Polymerknäuels ist die Konzentration reaktiver, polymergebundener Gruppen hoch, im umgebenden Lösemittel sehr niedrig, bis zu Null. Zudem kann es durch die räumliche Nachbarschaft von noch nicht reagierten Gruppen zu schon reagierten zu Nachbargruppeneffekten kommen, die reaktionsbeschleunigend, oder reaktionsverlangsamend wirken können.[7] Folgende Fälle können unterschieden werden:
Durch polymeranaloge Reaktion werden Polymere hergestellt, die nicht direkt aus den (formalen) Monomeren synthetisiert werden können, weil diese Monomere nicht stabil oder existent sind, oder die formalen Monomere andere Polymere liefern als die gewünschten.
Ein kommerziell wichtiges Beispiel ist Polyvinylalkohol (PVA). Der hypothetisch zugrunde liegende Vinylalkohol liegt in einem tautomeren Gleichgewicht mit Acetaldehyd vor, wobei die Gleichgewichtlage nahezu vollständig auf Seiten des Aldehyds liegt:[8]
PVA wird hergestellt, indem aus dem stabilen Monomer Vinylacetat zuerst Polyvinylacetat hergestellt wird. Aus diesem wird mit Butanol oder Methanol durch eine Umesterung der Polyvinylalkohol erhalten. Die dabei anfallenden Ester (Butylacetat und Methylacetat) sind wertvolle Lösemittel.[9] Meist wird eine möglichst quantitative Umesterung angestrebt, Es gibt aber auch teilweise hydrolysierte Polyvinylalkohole, die beispielsweise als Klebstoffe Verwendung finden.[10] Die Löslichkeit in Wasser hängt aber neben dem Hydrolysegrad von anderen Faktoren wie Molmasse und Taktizität ab:[11]
Ähnliches gilt für Polyvinylamin, das Vinylamin läge auch hier mit Ethylidenimin in einem Gleichgewicht vor, in diesem Fall einem Imin-Enamin-Tautomerie-Gleichgewicht, allerdings sind beide Verbindungen instabil.[12]
Polyvinylamin wird aus N-Vinylformamid hergestellt, das zu Polyvinylformamid polymerisiert und durch dessen Verseifung gewonnen wird.
Mit p-Toluolsulfonsäuremethylester als Initiator lassen sich 2-alkyl-substituierte 2-Oxazoline zu N-substituierten Polyethylenimin polymerisieren. Nach Verseifung entsteht daraus ein lineares Polyethylenimin.[13]
Polyethylen wird in Suspension – katalysiert durch Schwermetallsalze – chloriert. Dabei strebt man meist einen Substitutionsgrad von < 30 % an.[15]
PVC wird in Lösung bis zu einem Chlorgehalt von ca. 64 % chloriert:[15]
Das Reaktionsprodukt wird für die Herstellung von Fasern, Lacken und Klebstoffen genutzt.[15]
Acrylnitril-Butadien-Kautschuk wird zur Verbesserung der Alterungsbeständigkeit hydriert:[14]
Ionenaustauscher sind meist vernetzte Polystyrolharze oder Cellulose, die anionische oder kationische Gruppen tragen. Als anionische Gruppe dient bei den starken Kationenaustauschern meist eine Sulfonsäuregruppe, bei den schwachen eine Carboxylatgruppe. Die kationischen Gruppen sind je nach Anwendung stark basische quartäre Ammoniumverbindungen, oder tertiäre, sekundäre oder primäre (= schwach basische) Amine.[16]
Bei der polymeranalogen Reaktion von Cellulose werden nicht alle Wasserstoffatome ersetzt, sondern es entstehen mehrere Reaktionsprodukte. Diese enthalten wie in den schemenhaften Abbildungen gezeigt unterschiedlich viele Ammoniumverbindungen und Carboxylatgruppen.
Schematische Darstellung für einen Anionenaustauscher:
Schematische Darstellung für einen Kationenaustauscher:
Die Reaktionen an den Reaktivpolymeren und deren Regeneration erfolgen analog wie bei Ionenaustauschern in Säulen, was durch die großen Konzentrationsgradienten sowohl die Reaktion als auch die Regeneration mit großen Ausbeuten durchführbar machen.
Bei der Merrifield-Synthese wird an einem vernetzten Polystyrol mit einer Chlormethyl-Gruppe (CH2-Cl) schrittweise ein Peptid synthetisiert.[18]
Die Sequenz beginnt damit, dass eine am N-Terminus geschützte Aminosäure an die CH2-Cl Gruppe des Harzes gekoppelt und anschließend die Schutzgruppe entfernt wird. An diese Aminogruppe kann wieder eine Aminosäure unter Ausbildung einer Peptidbindung gekuppelt werde. Um den Umsatz hoch zu gestalten, wird üblicherweise mit einem großen Überschuss der zu koppelnden Aminosäure gearbeitet. Durch Wiederholung diese Sequenz können Peptide mit einer Länge von maximal ca. 100 Aminosäuren hergestellt werden.[19]
Seitdem Peptide routinemäßig mit genetischen Methoden hergestellt werden können, hat die Merrifield-Synthese, von Spezialfällen wie beispielsweise dem Einbau von nichtkanonischen Aminosäuren abgesehen, keine praktische Bedeutung mehr.
Durch eine intramolekulare Polymerisation kann man geeignete Polymere zu Leiterpolymeren umsetzen. Ein geeignetes Grundpolymer ist beispielsweise isotaktisches 1,2-Polybutadien, bei dem die seitenständigen Vinylgruppen cyclisiert werden.[20] Die folgende Abbildung gibt einen schematisierten und idealisierten Ablauf der Reaktion an.
Polymeranaloge Reaktionen bei nativer, oder manchmal auch gezielt abgebauter Cellulose liefern wichtige Produkte der Kunststoffindustrie.
Bei technischen Produkten liegt der Substitutionsgrad meist zwischen zwei und fünf pro Cellobioseeinheit und wird gezielt angestrebt, weil die unterschiedlichen Substitutionsgrade den Derivaten unterschiedliche Eigenschaften verleihen.
Da bei dieser Reaktion nicht alle Hydroxygruppen reagieren, entstehen Gemische mit unterschiedlich hohem Substitutionsgrad. Auch der Substitutionsgrad der einzelnen Stärkebausteine innerhalb eines Polymers kann unterschiedlich hoch ausfallen. Analoge Gemische entstehen bei den folgenden Reaktionen.
Bei der Herstellung von Hydroxypropylmethylcellulose, Hydroxypropylcellulose und Hydroxyethylcellulose kann es immer zur Bildung von mehrgliedrigen Seitenketten aus Polyethylenoxid bzw. Polypropylenoxid kommen, noch bevor alle OH-Gruppen der Cellulose substituiert sind. Reaktionstechnisch lässt sich nicht vermeiden, dass ein relativ uneinheitliches Produkt entsteht.
Im Gegensatz zu Cellulose ist Stärke und viele ihrer Derivate von Menschen verdaubar und daher gibt es eine Vielzahl von Stärkederivaten, die in großem Maß in der Lebensmitteltechnologie zur Modifikation von Lebensmitteln.[32][33] sowie bei der Papierherstellung[34] eingesetzt werden. Die Verdaulichkeit nimmt mit steigendem Substitutionsgrad allerdings ab und einige sehr hoch substituierte Derivate sind unverdaulich. Meist wird keine native, sondern oxidativ oder enzymatisch abgebaute Stärke eingesetzt, weil die Molmassen nativer Stärken speziell bei Amylopektinen oft so hoch sind, dass die Löslichkeit schlecht, oder die Lösungsviskositäten sehr hoch sind, dass Derivatisierungen stark erschwert werden.
Kationische Stärke wird in großem Umfang für die Herstellung von Papier eingesetzt. Dort dient sie u. a. als Retentionsmittel und zur Trockenverfestigung.[35] Aufgesprühte kationische Stärke verbessert die Bedruckbarkeit.[34] Im Gegensatz zu anderen Stärkederivaten haben kationische Stärken einen sehr niedrigen Substitutionsgrad, der typischerweise zwischen 0,03 und 0,1 liegt.[36]
Da bei dieser Reaktion nicht alle Hydroxygruppen reagieren, entstehen Gemische mit unterschiedlich hohem Substitutionsgrad. Auch der Substitutionsgrad der einzelnen Stärkebausteine innerhalb eines Polymers kann unterschiedlich hoch ausfallen. Analoge Gemische entstehen bei den folgenden Reaktionen.
Posttranslationale Proteinmodifikationen (PTM) sind Veränderungen von Proteinen, die nach der Translation stattfinden. Auf diesem Weg können Aminosäuren in Proteine eingebaut werden, die kein eigenes Kodon besitzen. So besitzt Hydroxyprolin kein Kodon und kann nicht direkt in Proteine eingebaut werden, sondern wird in Kollagen durch Prolyl-4-Hydroxylase aus Prolin hergestellt.
Posttranslationale Modifikation lassen sich in folgende Gruppen einteilen
Bei dieser Einteilung gibt es allerdings Überschneidungen und Uneindeutigkeiten, weil es eine empirische und nicht streng systematische Einteilung ist und nicht alle Posttranslationale Modifikationen Polymeranaloge Reaktionen sind.[53]
Ohne Posttranslationale Modifikationen könnten viele Proteine ihre Aufgaben nicht erfüllen, weil sie sonst eine andere als die geforderte Konfiguration hätten, zu hydrophil, oder hydrophob wären, oder andere Eigenschaften nicht erfüllten. Die meisten Posttranslationale Modifikationen sind enzymkatalysierte Reaktionen und keine, die durch DNA/RNA gesteuert werden. Sie können an unterschiedlichen Stellen der Zellen stattfinden, nicht nur in den Ribosomen.
Zur Kontrolle der Genexpression wird DNA in Lebewesen chemisch modifiziert. Eine sowohl in Pro- als auch Eukaryoten vorkommende Variante davon ist die Methylierung von Cytosin durch ein Enzym aus der Gruppe der DNA-Methyltransferasen. Das Enzym überträgt eine Methylgruppe von S-Adenosylmethionin (SAM) auf Cytosin (hier dargestellt an einer freien Pyrimidinbase):
Dabei entstehen S-Adenosylhomocystein (SAH) und 5-Methylcytosin. Mit den Folgen dieser und anderer chemischer Modifikationen am Genom beschäftigt sich die Epigenetik.[54]
Chitosan wird aus Chitin durch Verseifung oder enzymatischer Deacetylierung hergestellt. Auch Chitosan hat eine sehr breite Anwendung.[55]
Das Vulkanisieren (Vernetzen) von Kautschuk zu Gummi zählt nicht zu den Polymeranalogen Reaktionen, sondern zu den Vernetzungen, weil die Molmasse des vulkanisierten Produktes um ein Vielfaches höher ist als die des Eduktes.[56] Dies ist ein Beispiel, dass ein Polymer mit einem niedermolekularen Vernetzer (Schwefel) zu einem Netzwerk reagiert.
Schematische Präsentation von zwei Polyisoprenketten (blau und grün) nach der Vulkanisation mit Schwefel (n = 0, 1, 2, 3 …). Die Polyisoprenketten sind hier über zwei Schwefelbrücken miteinander verknüpft
Es gibt Systeme, bei denen sowohl polymeranaloge Reaktionen, als auch Vernetzungen stattfinden. Beispiele sind die Herstellung von Polyamidoamin-epichlorhydrinharzen und die Herstellung von Kohlenstofffasern. Bei den Stärkeestern mehrbasiger Säuren liegt je nach Stöchiometrie eine Polymeranaloge Reaktion oder eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Vernetzung vor.
Distärkephosphat[57] und Phosphatiertes Distärkephosphat[58] gehören zu den teilweise vernetzten Polymeren, weil die Phosphatgruppen mehrere Ketten miteinander verbinden können. Auch die Stärkesuccinate und Stärkeadipate gehören zu den teilweise vernetzten Polymeren.[38]
Polyamidoamin-epichlorhydrinharze werden u. a. als Nassfestmittel bei der Papierproduktion verwendet. Hier wird aus Adipinsäure und Diethylentriamin (oder anderen Polyaminen) durch Polykondensation ein Prepolymer hergestellt, das in einer polymeranalogen Reaktion mit Epichlorhydrin zu einem reaktiven Prepolymer umgesetzt wird, das anschließend vernetzt werden kann.[59] Dies ist ein Beispiel, bei dem reaktive Polymere miteinander zu einem Netzwerk reagieren.
Kohlenstofffasern werden zum größten Teil aus Polyacrylnitril (PAN) hergestellt. Dazu wird PAN gesponnenen und verstreckt und diese Fasern in einer polymeranalogen Reaktion zu einem Leiterpolymer umgesetzt. Diese Vorreaktion verläuft in zwei Schritten. Im ersten werden unter sauerstofffreien Bedingungen die CN-Gruppen bei 200–300 °C cyclisiert und in einem zweiten Schritt durch Oxidation mit Sauerstoff dieses Polymer aromatisiert. In einem weiteren Schritt wird es unter Eliminierung von HCN oder Stickstoff graphitisiert, = vernetzt.[60] Die folgenden Abbildungen geben einen schematisierten und idealisierten Ablauf der Reaktionen an. Zur besseren Anschaulichkeit wurde die lineare Nitrilgruppe gewinkelt dargestellt.
Seamless Wikipedia browsing. On steroids.
Every time you click a link to Wikipedia, Wiktionary or Wikiquote in your browser's search results, it will show the modern Wikiwand interface.
Wikiwand extension is a five stars, simple, with minimum permission required to keep your browsing private, safe and transparent.