durch den Jesuitenorden getragene Bildungseinrichtungen Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Jesuitenschulen sind Schulen, die vom Jesuitenorden im Zuge der Gegenreformation gegründet wurden, um den eigenen Nachwuchs auszubilden und Einfluss auf die Erziehung und Ausbildung zukünftiger Entscheidungsträger zu nehmen. Die Schulen gehören zu einer dauerhaften Niederlassung, dem Jesuitenkolleg, als gemeinsamen Wohnhaus der Ordensangehörigen. Dazu gehört ferner in der Regel eine vom Orden betreute Jesuitenkirche. An der Spitze des Kollegs steht ein ernannter Oberer, der Rektor.
Der Jesuitenorden leitet seine Erziehungsgrundsätze von der Welt- und Lebenssicht des Ignatius von Loyola her. 1599 entstand aus der pädagogischen Arbeit des jungen Ordens heraus und für die wachsende Zahl der Kollegien die Ratio Studiorum, eine Art Studienordnung für Jesuitenschulen. Die von den Jesuiten gegründeten Schulen und Universitäten sollten gewährleisten, dass kommende Generationen fest verwurzelt im katholischen Glauben heranwuchsen – modern ausgedrückt, sicherten sie sich damit langfristig die kulturelle Hegemonie. Die Organisation wurde 1558 in den Konstitutionen festgeschrieben. Mit dem jahrzehntelangen Verbot des Ordens gab es 1773 zwar einen starken Einschnitt, doch bestehen weltweit heute wieder jesuitische Bildungseinrichtungen. Auch diese sind von Missbrauchsfällen betroffen.[1]
Die Jesuiten spielten lange eine dominierende Rolle im Bildungssystem Europas. Die Anregung zur Einrichtung von Bildungsstätten ging auf Ignatius von Loyola selbst zurück, der 1551 vorschlug, dort außer Theologie auch Logik und die antiken Klassiker zu lehren; später kamen noch Mathematik, Astronomie, Physik und Philosophie hinzu. Zu Beginn des 18.Jahrhunderts gab es in ganz Europa zahlreiche Schulen, an denen z.B. die Söhne von Adligen unterrichtet wurden, deren Zahl insgesamt um 5% aller Schüler lag. Aber auch Schüler von niedrigerer sozialer Herkunft (10 bis 30%) konnten mit Hilfe der Ausbildung sozial aufsteigen und bis in Regierungsämter gelangen. Die meisten waren Bürger-, Beamten- und Handwerkersöhne.[2]
Obwohl sich die Jesuiten den Zielen der Aufklärung wie Toleranz, Fortschrittsglaube und Skepsis gegenüber allem, was rationaler Kritik nicht standhält, entgegenstemmten, bot das breite Bildungsangebot des Jesuitenordens der Epoche eine Grundlage. Bis heute ist die jesuitische Bildung weltweit als besonders breitgefächerte, humanistische und aufgeklärte Ausbildung bekannt.
Als wichtiger Beitrag konnte in Publikationen des Ordens wie dem Journal de Trévoux öffentlich zeitgenössische Literatur diskutiert werden, ohne dabei Inquisition oder Zensur zu fürchten. Aus diesem Grund bedauerte selbst Voltaire den Niedergang des Ordens im späteren Verlauf des 18.Jahrhunderts.
Weltweit unterhalten die Jesuiten heutzutage Hochschulen, Schulen und Internate, in denen sie insgesamt mehr als 2 Millionen jungen Menschen allgemeine Bildungsinhalte vermitteln, um sie dabei zugleich auf ihr späteres Leben nach den Grundsätzen des (katholisch-)christlichen Menschenbildes vorzubereiten: zu „Menschen für andere“ sollen sie heranreifen.
Die Ratio Studiorum ist ein Leitfaden oder eine Anleitung zum Lernen. Der Originaltitel lautet Ratio atque Institutio Studiorum Societatis Iesu. Seit 1599 ist die Ratio Studiorum die maßgebliche Anleitung jesuitischer Erziehung und Ausbildung weltweit. Sie regelte das gesamte Unterrichtswesen der Societas Jesu und blieb bis zur Aufhebung des Ordens 1773 verbindlich.
Die Anleitung hat mehrere internationale Autoren, jedoch ist die Päpstliche Universität Gregoriana aus Rom federführend zu nennen. Die Ursprünge reichen schon auf Aufzeichnungen von Ignatius von Loyola selbst zurück. Erste Anweisungen zur Selbstreflexion an seine frühen Gefährten schrieb Ignatius bereits 1522 bzw. 1541 nieder und bilden bis heute die Grundlage von Exerzitien.
Der Aufbau eines schulischen Netzwerkes war zur Zeit der Gründung der Gesellschaft Jesu noch nicht geplant. Dies entwickelte sich erst später aus der täglichen Arbeit der jungen Ordensgemeinschaft. Der schnell an jungen Männern wachsende Orden benötigte ein ebenso schnell wachsendes System der Ausbildung. In wenigen Jahren entstand in ganz Europa ein dichtes Netz an Schulen und Universitäten, ausgehend von Messina in Sizilien 1548. Schnell folgten Palermo, Rom (1551) und Köln. Bis zum Tode von Ignatius 1556 betrieb der Jesuitenorden bereits 74 Schulen, Ende des Jahrhunderts waren es bereits über 1000 Schulen weltweit. Das jesuitische Schulsystem war ursprünglich ausgerichtet auf die Ausbildung des eigenen Ordensnachwuchses, erst Ende des 16.Jahrhunderts öffnete es sich auch für weltliche Schüler.
Unter dem Ordensgeneral Claudio Acquaviva 1581 wurde ein Komitee aus zwölf Jesuitenpatern einberufen, ohne nennenswerte Ergebnisse zu erarbeiten. Deshalb wurde 1584 ein neues Komitee aus folgenden sechs Patres einberufen: Johann Azor (Spanien), Gaspar González (Portugal), James Tyrie (Schottland), Peter Busée (Holland), Anthony Ghuse (Flandern), und Stephan Tucci (Sizilien). Dieses Gremium entwickelte bis 1586 einen Entwurf, der in die verschiedenen Ordensprovinzen geschickt wurde, um ihn von praktizierenden Lehrern kommentieren zu lassen. Noch war der Einsatz im praktischen Unterricht nicht vorgesehen. 1591 entstand aus dem Entwurf und den eingeflossenen Reflexionen eine Vorabversion, die innerhalb von drei Jahren in allen Jesuitenschulen eingeführt werden sollte. In den Folgejahren wertete das Komitee die Ergebnisse aus und veröffentlichte 1599 das finale Werk.
Die Ratio Studiorum zeichnet sich durch Einheit, Festigkeit und Klarheit in Ziel und Mitteln sowie durch planmäßige Ordnung in Ausbildung der geistigen Fähigkeiten der Schüler aus. Sie ist kein systematischer Aufbau des Erziehungs- und Unterrichtswesens an den Jesuitenkollegien, sondern bietet den Lehrstoff und die Lehrmethoden in Form einer Sammlung von praktischen Regeln für die Leiter der Universitäten und Gymnasien und deren ausführende Organe. Sie richtet sich an die Provinziäle, Rektoren, Studienpräfekten und Professoren und enthält Anweisungen über die Organisation des Lehrbetriebes an den Kollegien, über Unterrichtsinhalte, Ziele und Methoden. Sie grenzt die Kompetenzen der verschiedenen Leiter ab, gibt Bedingungen für die Aufnahme und den Austritt und regelt das Vorgehen bei Prüfungen und Preisverteilungen.[3]
Es gab fünf Klassen nach Lernfortschritt im Sprachunterricht in Latein und Griechisch, darüber in größeren Einrichtungen eine Philosophie-Klasse und eine bis zu vier Jahren umfassende Theologie-Klasse. Die Unterrichtssprache war immer Latein, es sollte auch außerhalb des Unterrichts benutzt werden. Andere Fächer wie Mathematik wurden auch einbezogen, besonders wenn einzelne Patres sich des Faches annahmen, aber insgesamt nachgeordnet. Geschichte kam nur als Lektüre antiker Schriftsteller vor, doch hat Torsellini ein erstes Geschichtsbuch für den Unterricht geschrieben. Pädagogische Pioniere waren Jesuitenschulen in der Wertschätzung von Wettbewerben unter den Schülern, kindgemäßer Anpassung des Schulstoffs, Veranschaulichung über Embleme sowie Spiel und Theater. Manches übernahmen sie von den Brüdern vom gemeinsamen Leben.[4]
Bis zur Ratio Studiorum gab es zunächst kein ausdrückliches pädagogisches Programm, doch wiesen die Jesuitenschulen eine Reihe von Gemeinsamkeiten auf:[3]
Verzicht auf Schulgeld, um auch für die Armen zugänglich zu sein;
Vereinbarkeit des Christentums mit dem zeitgenössischen Humanismus, d.h. ein optimistisches Menschenbild zu vertreten und sich an den Klassikern zu orientieren;
Vermittlung des Lehrstoffes in ansprechender Form, d.h. durch Disputationen und Theater;
Angebot eines profilierten religiösen Programms neben dem schulischen Angebot;
Betonung des persönlichen Vorbildes.
All diese Regelungen sind von der Erziehungsidee der Jesuiten getragen. Charakteristisch für eine Jesuitenschule sind:
Wertschätzung des Einzelnen
Fähigkeit zur Reflexion
Verpflichtung zur Gerechtigkeit
Wachhalten der Frage nach Gott.
Eine internationale Arbeitsgruppe des Ordens hat die Grundzüge jesuitischer Erziehung in den vergangenen Jahren neu reflektiert und 1986 formuliert. Hier eine schematische Übersicht:[5]
Ignatius sieht in Gott als seinem Schöpfer und Herrn die wichtigste und absolute Realität. Jesuitische Erziehung ist in ihrer Grundstimmung welt- und lebensbejahend. Das zeigt sich in einer grundsätzlichen Offenheit gegenüber allen Fragen; auch in der Bereitschaft, die Welt in ihrer innersten Wurzel als gut anzusehen. Jesuitische Erziehung zielt auf ganzheitliche Bildung des einzelnen ab. Diese Erziehung hat eine religiöse Dimension, die die gesamte Erziehung mitbestimmt.
Jeder Mensch ist von Gott erkannt und geliebt. Diese Liebe fordert zu einer persönlichen Antwort auf, die in voller Freiheit gegeben werden muss. Jesuitische Erziehung legt Gewicht auf individuelle Zuwendung und Sorge für jeden einzelnen Schüler. Sie betont die Eigeninitiative und hält dazu an, ein Leben lang weiter zu lernen.
Beim Menschen stellt sich diese freie Antwort nicht von selbst ein. Grund dafür sind die Sünde und ihre Folgen. Es gilt die Hindernisse zu erkennen und zu überwinden, die der Freiheit entgegenstehen. Jesuitische Erziehung zielt auf die Fähigkeit ab, klar und kritisch zu unterscheiden und eine freie, verantwortliche Entscheidung zu treffen.
Jesus Christus steht im Mittelpunkt. Er ist Mensch wie wir und fordert uns auf, liebend den Willen des Vaters zu suchen und ihm im Zeichen des Kreuzes nachzufolgen. Jesuitische Erziehung sieht in Jesus Christus das Vorbild menschlichen Lebens. Gebet, Gottesdienst und Einsatz für den Nächsten versteht sie als Ausdruck des Glaubens.
Eine liebende, freie Antwort kann nicht bloß Theorie bleiben; sie muss unbedingt zu entschiedener sozialer Aktion führen. „Die Liebe muss mehr in die Werke als in die Worte gelegt werden“. Jesuitische Erziehung sucht „Männer und Frauen für andere“ heranzubilden, die ein Gespür für soziale Gerechtigkeit entfalten und die auch bereit sind, ihre Ideale in die Tat umzusetzen.
Ignatius lebt in entschiedener Verbundenheit mit der Kirche. Jesuitische Erziehung ermutigt zu aktivem Mitleben mit der kirchlichen Gemeinschaft und unterstützt das ökumenische Anliegen.
Die Antwort auf Gottes Ruf soll „von jeweils größerem Wert und von größerer Bedeutung“ sein. Jesuitische Erziehung sucht die Bereitschaft zum „jeweils größeren und besseren“ zu wecken. Das bedeutet eine möglichst vollkommene Entfaltung der Fähigkeiten, verbunden mit der Bereitschaft, sie für andere einzusetzen.
Ignatius sammelt Gefährten: Als Gemeinschaft für das Reich Gottes zu arbeiten ist weit wirksamer, als es einzeln oder in kleinen Gruppen zu tun. Jesuitische Erziehung betont die Zusammenarbeit von Jesuiten und Nichtjesuiten in einer gemeinsamen Sendung und Aufgabe. Sie erfordert Einigkeit in der Zielsetzung und im pädagogischen Einsatz und geschieht in einer Struktur, die Gemeinschaft fördert.
Ignatius und seine Gefährten fällen Entscheidungen in einem von Gebet begleiteten Prozess individueller und gemeinschaftlicher „Unterscheidung“. Gefällte Entscheidungen werden reflektiert, überprüft und neuen Gegebenheiten angepasst. Jesuitische Erziehung ist in ihren Mitteln und Methoden anpassungsfähig, um ihre Ziele so effektiv wie möglich zu erreichen. Sie unterstützt die jeweils erforderliche Fortbildung, insbesondere der Lehrer.
Nach der raschen Gründungswelle in der Frühen Neuzeit nahm die Zahl der Institute im 18. Jahrhundert wieder ab, der Höhepunkt lag 1710 bei 612 Kollegien.[6] Außerhalb Russlands mussten die Schulen spätestens 1773 wegen des Verbotes schließen. Die manchmal nur zeitweilige Wiederzulassung wurde zu verschiedenen Zeitpunkten je nach Staat erreicht.
Jesuitenkolleg St. Paul Regensburg. Das Jesuitenkolleg wurde 1811 mit dem städtischen, protestantischen Gymnasium poeticum vereinigt zum „Vereinigten paritätischen Gymnasium“, das 1880 umbenannt in „Altes Gymnasium“ zum Vorläufergymnasien des heutigen Albertus-Magnus-Gymnasiums wurde
Christoph Bruns: „Für Gott, die Kirche und das Vaterland“. Spiritualität und Pädagogik der Jesuiten im Spiegel des Gymnasiums Mariano-Josephinum in Hildesheim (1595-1773) (Kirchengeschichtliche Quellen und Studien Bd. 3), Hildesheim u.a. 2023.
Markus Friedrich:Die Jesuiten. Aufstieg, Niedergang, Neubeginn. München 2018, ISBN 978-3-492-31282-0.
Das heutige Rudi-Stephan-Gymnasium ging aus einer Fusion mit der lutherischen, städtischen Ratsschule und dem römisch-katholischenBischöflichen Gymnasium hervor, das von 1613 bis 1773 (mit Unterbrechungen) als Schule durch das Jesuitenkolleg Worms geführt und zuvor als Domschule vom Domkapitel Worms betrieben worden war (Jutta Kling: Das Jesuitenkollegium und das Fürstbischöfliche Gymnasium als höhere katholische Schulen des 17. und 18. Jahrhunderts und ihre Probleme in der protestantischen Freien Reichsstadt Worms. In: Burkard Keilmann (Hg.): 475 Jahre Rudi-Stephan-Gymnasium Worms. Festschrift zum Schuljubiläum = Humanitas Bd. 47. ZDB-ID548409-1. Selbstverlag des Rudi-Stephan-Gymnasiums Worms, Worms 2002. Ohne ISBN, S. 53–65).