Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Halle
Außenstelle des Ministeriums für Staatssicherheit in Halle (Saale) Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
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Die Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Halle (abgekürzt: BVfS Halle) war eine regionale Außenstelle des Ministeriums für Staatssicherheit in der Deutschen Demokratischen Republik, gemeinhin bekannt als „Stasi“. Der Hauptsitz befand sich seit 1971 in Halle-Neustadt am Gimritzer Damm. Zuletzt arbeiteten dort 3.170[1] hauptamtliche Mitarbeiter, 750 davon im operativen Dienst. Hinzu kamen 11.089 inoffizielle Mitarbeiter.[2] Gemessen an der Zahl ihrer 23 Kreisdienststellen war sie die größte Bezirksverwaltung für Staatssicherheit in der DDR.
Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Halle BVfS Halle | |
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Ehemaliges Hauptgebäude der Stasi-Bezirksverwaltung Halle, 2006 | |
Daten | |
Ort | Halle |
Architekt | Richard Paulick |
Bauherr | Ministerium für Staatssicherheit |
Baustil | Sozialistischer Realismus |
Baujahr | 1971 |
Abriss | Teilabriss nach 1990 |
Grundfläche | ca. 8 ha, Hauptgebäude: 14.000 m² |
Koordinaten | 51° 29′ 22,6″ N, 11° 56′ 37,9″ O |
Besonderheiten | |
„Stadt in der Stadt“, weitgehend unverändert erhaltener, geschlossener DDR-Baukomplex | |
Zuständigkeitsgebiet der BVfS Halle |
Die BVfS Halle wurde 1952 im Zuge einer Verwaltungsreform gegründet und war bis zu ihrer Auflösung Ende 1989 tätig. Neben repressiven Überwachungsmaßnahmen gegen die Bevölkerung zählte die Vertuschung von Umweltbelastungen durch die Kombinate des Chemie-Dreiecks (Buna, Leuna, Bitterfeld)[3] zu ihren Haupttätigkeitsfeldern. Eine weitere Aufgabe war die Umsetzung der Direktive 1/67, die im Mobilmachungsfall die Überführung oppositioneller DDR-Bürger in Isolierungs- und Internierungslager vorsah.[4][5] Zuständig war sie auch für die Spionage in Teilen der Bundesrepublik (Niedersachsen, unter anderem in Borkum, Emden sowie Aurich, und Baden-Württemberg, unter anderem in Stuttgart).[6] Die BVfS Halle war auch sehr aktiv in Bezug auf die zahlreichen Besuche Hans-Dietrich Genschers in seiner Heimat.
Nach der Besetzung am 5. Dezember 1989 durch Teilnehmer der Montagsdemonstrationen verlor die Bezirksverwaltung ihre Funktion. Als Besonderheit wurde 1992 eine Liste mit den Klar- und den Decknamen von 4.500 Inoffiziellen Mitarbeitern der BVfS Halle publiziert; diese wurde u. a. in der Bild-Zeitung gedruckt.
Das ehemalige Hauptgebäude wurde von 1995 bis 2016 vom Finanzamt genutzt. Seit seinem Leerstand[7] wird nach einer Möglichkeit für eine langfristige Nachnutzung gesucht.[8] Ein Nebengebäude beherbergt seit 1992 die Außenstelle Halle des Bundesarchivs mit etwa 7000 laufenden Metern an Unterlagen.[9][10]
Die BVfS Halle (Saale) befand sich zunächst am Robert-Franz-Ring in Halle.[11] Im Jahr 1971 zog sie auf das etwa 8 bis 10 Hektar große Grundstück zwischen Halle und Halle-Neustadt am Gimritzer Damm um. Die Bauten der Bezirksverwaltung wurden auf einer Höhe von 78 m westlich der Peißnitzinsel errichtet. Der Gebäudekomplex befand sich auf einer Stelle, die auf fast gleicher Höhe über der Saale-Aue, direkt gegenüber der etwa 850 m entfernten Burg Giebichenstein (87 m), einer 961 erstmals genannten Burganlage, liegt. Schon durch ihre Lage an der nordwestlichen Ecke von Halle-Neustadt war die BVfS für die beiden Städte Halle und Halle-Neustadt zuständig, was im Laufe der Zeit durch die Unterstellung von drei Kreisdienststellen realisiert wurde. Dabei hatte die Kreisdienststelle Halle ihren Sitz im Zentrum der Altstadt der Bezirkshauptstadt Halle. Diese wurde von 1954 bis 1973 unter der Bezeichnung „KD Halle-Saalkreis“ geführt und 1973 in die „KD Halle“ und die „KD Saalkreis“ getrennt. Dienstort der KD Saalkreis wurde ein separates Gebäude in der Dr.-Richard-Sorge-Str. 18/19 auf dem gemeinsamen Grundstück mit der KD Halle. Als Besonderheit verfügte die „KD Saalkreis“ über keine Kreisstadt.[12] Diese Neugliederungen wurden durch das stetige Ansteigen der Einwohnerzahl infolge des Baus der Chemiearbeiterstadt Halle-Neustadt seit 1964 verursacht.[13] Halle-Neustadt war das größte geschlossene städtebauliche Vorhaben der DDR. Die im August 1968 gegründete Operativgruppe (OG) Halle-Neustadt wurde ab 1971 im Gebäude der Bezirksverwaltung Halle am Gimritzer Damm untergebracht. Im Jahr 1973 wurde aus der bisherigen Operativgruppe die „KD Halle-Neustadt“ gebildet, die sich weiterhin am Gimritzer Damm befand.[14] Obwohl das Gelände der BVfS Halle eine eigene „Stadt in der Stadt“ bildete, war es auf dem offiziellen Stadtplan von Halle nicht eingezeichnet.[15]
Der Gesamtkomplex der Bauten wurde als Baudenkmal mit der Objektnummer 09418799 definiert. Auf dem etwa 8 Hektar großen ehemals eingezäunten Gelände der BVfS Halle gab es neben den Verwaltungsgebäuden einige Funktionsgebäude für ein medizinisches Zentrum mit Ärzten, Zahnärzten sowie einer Röntgenabteilung, weiterhin Bauten für einen Friseur, eine Sauna und in größerer Zahl Garagen für Pkw, Lkw und Schützenpanzerwagen. Dazu kamen eine eigene Autowerkstatt und mehrere Gebäude der Abteilung „Kader und Schulung“ (KuSch). Das meiste sind im Original erhaltene Mehrzweckgeschossbauten vom Typ „Leipzig“ mit charakteristischer Aluminiumverkleidung. Auf dem östlich anschließenden Gelände, außerhalb der Ummauerung, befand sich eine Sporthalle mit Judohalle.
Das Gelände wird an der Ostseite dominiert vom Hauptgebäude mit einer Länge von 130 m, einer Breite von 13,4 m, was bei sieben Etagen und einer Kelleretage einer Fläche von 14.000 Quadratmetern entspricht. Die beiden überdimensionalen Treppenhauser sind 7 m breit und eine Etage höher als das restliche Bauwerk. Sie befinden sich jeweils in der Mitte der zwei 65 m langen aneinandergesetzten Gebäudeteile. Ein Eingang zum Hauptgebäude befand sich im rechten Turm, der zu DDR-Zeiten mit großen runden weißen Symbolen verziert war.[16] Dieser Haupteingang hatte einstmals eines der längsten Vordächer der DDR, was aber nur dazu diente, den Blick von oben auf den Eingang zu verhindern. Im linken Gebäudeteil sind die ersten fünf Fenster von links in der dritten Etage im originalen Bauzustand vermauert. Am Hauptgebäude ganz rechts außen strahlte ständig Licht aus zwei Fenstern der BVfS, die deshalb im Volksmund die „allwissenden Augen“ genannt wurden.[17] Auf der linken Seite des Hauptgebäudes befand sich ein weiterer Eingang zu einem Verbindungsbau zum großen Sozialgebäude mit einer Grundfläche von 58 mal 37 m. Daran schloss sich nach Süden ein Bau für „Kader und Schulung“ (KuSch) an, der über einen eigenen Eingang von außen verfügte. Es folgte weiter nach Süden ein kleiner Torbereich mit dem (heute noch erhaltenen) Turm und dann ein großer Torbereich. Das Tor führte zum Gebäude mit dem medizinischen Zentrum (44 × 15 m) auf der rechten Seite und zum fünfstöckigen Gebäude der Wach- und Sicherungseinheit und der Rückwärtigen Dienste (76 × 14,5 m). Der so aufgespannte Winkel umfasst drei große Garagengebäude, von denen das größte 110 × 65 m groß ist, das zweitgrößte 110 × 25 m und das dritte etwa 100 × 15 m. Weitere ehemalige Lagerhallen, Garagen oder Schulungsräume wurde mittlerweile abgerissen. Etwas versetzt in der Verlängerung des Hauptgebäudes steht das 50 × 12 m große Gebäude der BStU und dahinter das 42 × 42 m große zugehörige Archivgebäude.
Auf dem Gelände befindet sich eine bis heute erhaltene Bar,[18] die bereits in den 1980er Jahren für betriebsinterne Feierlichkeiten verwendet wurde.[19]
Die BVfS Halle verfügte im Jahr 1989 über Ferienobjekte in Alexisbad (MfS-Ferienheim „Habichtstein“) sowie in Günserode (MfS-Ferienheim „Kapellmühle“).[20] Das Kontingent der BVfS Halle lag 1969 bei 406 Plätzen, während die Auslastung mit 412 Übernachtungen zu 101 Prozent angegeben wurde. 1970 waren es nur 95 Prozent Auslastung (643 Kontingent/609 Auslastung) und 1971 stieg die Auslastung auf 106 Prozent (485 Kontingent/515Auslastung).[21]
Die BVfS Halle war militärisch durch Mauern und Wachtürme sehr gut abgesichert. Einer der Gründe dafür könnte in der Verhinderung von Stürmungen durch das Volk wie 1953 gelegen haben. Nach der erfolgreichen und langwierigen Besetzung der SED-Zentrale in Halle durch Demonstranten während des Aufstandes vom 17. Juni 1953 wurden zur Verteidigung der BVfS Halle im Krisenfall sehr konkrete Pläne erarbeitet. Über die im Fall der sogenannten „verstärkten Sicherung“ bzw. „Verteidigung“ vorgesehenen Standorte der Bewacher und deren notwendige Bewaffnung liegen detaillierte Listen und Pläne vor. Danach soll es 20.911 Maschinenpistolen (Wieger) mit über 9 Millionen Schuss Munition, 3163 Maschinengewehre, 120 Scharfschützengewehre, 834 Flak-MG, 30 Zwillingsflaks, 42 Schützenpanzerwagen gegeben haben. Die Zahl der Handgranaten wird mit 3400 beziffert.[1] Unterschieden wurde nach Innensicherung, Außensicherung und Bewachung im Verhältnis 1 : 2 : 24.[22] Die Südseite war mit drei Toröffnungen versehen, weshalb sie mit zwei Wachtürmen gesichert wurde, von denen einer heute noch steht. Die gegenüberliegende Nordseite sollte im Krisenfall durch Streifposten auf der Innenseite der Mauer gesichert werden. Die stabile Energieversorgung der Anlage war durch eine eigene Notstromanlage gewährleistet. Das Wachregiment „Feliks Dzierzynski“ bestand 1988 aus über 11.000 Mann, die direkt der Arbeitsgruppe des Ministers Erich Mielke unterstanden. Einheiten des „Kommando 1“ des Wachregiments wurden in Berlin-Adlershof wie auch in den Standorten der Bezirksverwaltungen eingesetzt.
1952 wurde im Rahmen einer Verwaltungsreform in der DDR die Bezirksverwaltung Halle des MfS eingerichtet. Insgesamt arbeiteten in der Bezirksverwaltung Halle zuletzt 3.130 hauptamtliche Mitarbeiter, von denen sich 750 im direkten operativen Dienst befanden. Hinzu kommt eine Zahl von etwa 11.089 inoffiziellen Mitarbeitern.[23]
Während des Aufstands am 17. Juni 1953 zählte der Bezirk Halle zu den Zentren des Aufruhrs. „Den Personalchef der Bezirksverwaltung Halle, Franz Hahn, degradierte die Staatssicherheit und versetzte ihn als einfachen Mitarbeiter nach Schwerin, weil er sich am 17. Juni wegen Urlaubs ‚nur kurz auf der Dienststelle sehenlassen‘ hatte und dann wieder gegangen sei.“[24] Als Demonstranten an dem Tag die SED-Bezirksleitung in Halle stürmten, schlossen sich die Funktionäre aus Angst in ihren Büros ein. Eine Gruppe der Kasernierten Volkspolizei, die das Gebäude wieder unter Kontrolle bringen sollte, scheiterte. Dies setzte später Untersuchungen in Gang.[25] Vor der BVfS am Robert-Franz-Ring wurde gegen 20.15 Uhr auf die Demonstranten geschossen, wobei ein junger Arbeiter starb. Daraufhin löste sich der Demonstrationszug auf.[26]
Gegen den Kunsthistoriker Wolfgang Hütt eröffnete die Bezirksverwaltung Halle bereits 1956 einen „Operativen Vorgang“ wegen „Aufweichungs- und Zersetzungstätigkeit innerhalb der Universität Halle“. Deshalb folgte Hütt dem Ruf des Rektors Professor Johannes Jahn an das Institut für Kunstgeschichte der Universität Leipzig und setzte dort seine wissenschaftliche Arbeit von 1959 bis 1961 als Oberassistent fort. Aber auch in Leipzig ging die Observation durch die Bezirksverwaltung Leipzig weiter und gipfelte im Verdacht der Organisation einer „staatsfeindlichen Gruppenbildung“.
Im Jahr 1963 beschloss das Politbüro des Zentralkomitees der SED die Neuerrichtung einer Chemiearbeiterstadt im Industriegebiet Halle-Merseburg-Bitterfeld östlich von Halle. 1964 wurde der Grundstein für das größte geschlossene städtebauliche Vorhaben der DDR gelegt, dem durch einen Erlass des DDR-Staatsrates im Jahr 1967 der Namen „Halle-Neustadt“ zugewiesen wurde. Eine Operativgruppe (OG) „Halle-Neustadt“, die Basis der späteren Kreisdienststelle, wurde im August 1968 gegründet.[27]
Am 6. September 1965 kam es im Bereich der BVfS zu einer „[t]ätliche[n] Auseinandersetzung mit sowjetischen Soldaten in Lossa“.[28] Am 13. Dezember 1965 kam es zu einem „Schusswechsel der Volkspolizei mit sowjetischem Deserteur in Merseburg“.[29]
1976 Absturz eines GST-Schulflugzeuges in der Nähe der Kindereinrichtung „Goldener Schlüssel“.[30]
1966 eröffnete das Hotel Stadt Halle (ab 1992 Maritim Hotel Halle) als Interhotel. „Das Hotel am damaligen Thälmann-Platz gehörte zu den modernsten in der DDR und sollte vor allem der Unterbringung von Leipziger Messegästen dienen – mit 382 Betten und 950 Plätzen in der Gastronomie.“ Die zweckmäßig eingerichteten Zimmer waren mit Radio und Telefon ausgestattet.[31] Als Hans-Dietrich Genscher 1989 in im Interhotel Halle übernachtete, waren bis zu 100 Stasi-Mitarbeiter im Einsatz.[32][33] Weigerten sich Mitarbeiter des Hotels als Zuträger für die Staatssicherheit tätig zu werden, führte das oft zu einem vorzeitigen Ende der Karriere.[34] Für den Zutritt zum Hotel „Stadt Halle“ erhielten die Stasimitarbeiter spezielle Berechtigungskarten.[35]
Im Jahr 1976 kam es zur öffentlichen Selbstverbrennung des evangelischen Pfarrers Oskar Brüsewitz (1929–1976) in Zeitz.[36] Am 26. August 1976 wurde Brüsewitz in Rippicha beerdigt. Trotz unterbliebener Veröffentlichung des Beisetzungstermins erschienen rund 400 Personen aus allen Teilen der DDR, wobei die Trauerfeier unter scharfer Beobachtung stand. Die Zufahrtswege nach Rippicha wurden von der Volkspolizei und den Mitarbeitern der Staatssicherheit überwacht. Kritische Auslandsberichterstattung sollte vermieden werden. Dennoch fanden sich Pressevertreter aus dem Westen vor Ort ein. Unter den Teilnehmern waren neben der Familie zahlreiche evangelische und katholische Pfarrer, Manfred Stolpe und Probst Friedrich Wilhelm Bäumer, der auch die letzten Worte[37] sprach.[38]
„Dennoch verfügt die Hallenser Stasi-Bezirksverwaltung über genügend Material im Archiv, um am 17. Juni 1979 den Operativ-Vorgang Ring gegen den unbequemen aber erfolgreichen Wissenschaftler zu eröffnen.“[39]
1976 wurde Wolf Biermann nach einem Konzert in Köln die Wiedereinreise in die DDR verweigert und er wurde ausgebürgert. Dies führte in Ost- und Westdeutschland zu breiten Protesten, die auch in Form von Graffiti ausgedrückt wurden. Ein solches unvollendetes Graffito zur Ausbürgerung Biermanns wurde in Halle-Neustadt von Mitarbeitern der BVfS untersucht und dokumentiert.[40]
Am 15. Januar 1981 verschwand in Halle-Neustadt ein siebenjähriger Junge, dessen Leiche zwei Wochen später in einem Koffer gefunden wurde. Da sich in dem Koffer noch einige alte Zeitungen mit ausgefüllten Kreuzworträtseln befanden, wurden während der intensiven polizeilichen Untersuchungen in diesem Kreuzworträtselmord über 551.198 Schriftproben systematisch von allen Bewohnern Halle-Neustadts eingeholt. Wenn sich jemand weigerte, seine Schriftprobe freiwillig abzugeben, wurde diese von den Mitarbeitern der Bezirksverwaltung und der Kreisdienststelle Halle des Ministeriums für Staatssicherheit konspirativ beschafft.[41]
Die drei größten DDR-Chemiekombinate „Chemische Werke Buna“, „Leunawerke Walter Ulbricht“ und „Chemiekombinat Bitterfeld“ wurden jeweils als „Objektdienststellen“ (OD) der Stasi allein im Jahr 1989 von 118 hauptamtlichen Mitarbeitern überwacht, zu deren Aufgaben die Vertuschung von Umweltbelastungen gehörte.[3] Ein Störfall im Buna-Werk forderte im Jahr 1985 drei Todesopfer und zahlreiche Verletzte. Die bei der Explosion zerstörte Anlage war über drei Jahre mit einer Ausnahmegenehmigung betrieben worden. Die Gefährdung der Menschen war der Stasi bewusst, so meldete die OD Buna am 7. Januar 1987 „ein Ansteigen der Anzahl von Havarien mit Personenschäden“ und zunehmende Gesundheitsschädigungen durch hochgiftige Stoffe, was die Fluktuation von Arbeitskräften erhöhte.[3] Da die hohe Planerfüllung Vorrang vor Umwelt- und Gesundheitsproblemen hatte, wurden auch Strafgefangene eingesetzt, wo die Arbeitsbedingungen für „normale“ Werktätige gar nicht mehr verantwortbar waren. Erst als 1982 bereits der zweite Häftling an einer Quecksilbervergiftung gestorben war, wurde eine Untersuchung angeordnet.[3]
Seit Februar 1989 hatte eine „Koordinierungsgruppe“ die „Absicherung“ der Kommunalwahlen vorbereitet. Im Mai 1989, 24 Stunden vor Eröffnung der Wahllokale, lief die „Aktion Symbol 89“ an.[42] Bis Ende Oktober 1989 kam es regelmäßig zu Verhaftungen während der Demonstrationen. Im Gegensatz zu anderen Städten wie Leipzig kam es in Halle zu zahlreicheren Demonstrationen, aber mit weniger Teilnehmern. Es wurde versucht, gezielte Gegenmaßnahmen zu ergreifen, aber während der Montagsdemonstration am 30. Oktober 1989 mit 50.000 Menschen fiel die von der SED geplante Gegendemonstration „Rote Fahnen gegen weiße Kerzen“ wegen mangelnder Beteiligung aus.[43]
Datum | Art | Teilnehmer | Besonderheiten |
---|---|---|---|
7. Oktober 1989 | Demonstration | 100 | 48 Verhaftungen[45] |
9. Oktober 1989 | Schweigemarsch | 2000 | 85 Verhaftungen[46] |
16. Oktober 1989 | Demonstration | 2000 | [47][48] oder 20.000[49] |
26. Oktober 1989 | Kundgebung | 7300 | [50] |
28. Oktober 1989 | Demonstration | 50 Frauen | mit Kindern.[51] |
30. Oktober 1989 | Demonstration | 50.000 | [52] |
2. November 1989 | Demonstration | 10.000 | [53] |
6. November 1989 | Demonstration | 80.000 | [54] |
12. November 1989 | Demonstration | 1000 | [55] |
13. November 1989 | Demonstration | 8000 | [56] |
17. November 1989 | Schweigemarsch | 7000 | [57] |
20. November 1989 | Demonstration | 50.000 | [58] |
27. November 1989 | Demonstration | 50.000 | [59] |
30. November 1989 | Demonstration | 1500 | in Halle-Neustadt[60] |
1. Dezember 1989 | Demonstration | 2000 | [61] |
4. Dezember 1989 | Demonstration | 20.000 | [62] |
11. Dezember 1989 | Demonstration | 35.000 | [63] |
8. Januar 1990 | Demonstration | [64] | |
9. Januar 1990 | Demonstration | Handwerker[65] | |
18. Januar 1990 | Demonstration | 3000 | Sportler[66] |
22. Januar 1990 | Demonstration | 20.000 | [67] |
28. Januar 1990 | Kundgebung | 3500 | [68] |
29. Januar 1990 | Demonstration | 20.000 | [69] |
1. Februar 1990 | Demonstration | 400 | [70] |
2. Februar 1990 | Demonstration | 200 | [71] |
3. Februar 1990 | Demonstration | 4000 | [72] |
5. Februar 1990 | Demonstration | 3000 | Hans Dietrich Genscher spricht[73] |
12. Februar 1990 | Demonstration | 2500 | [74] |
19. Februar 1990 | Demonstration | 5000 | [75] |
13. März 1990 | Demonstration | 1000 | [76] |
Im November 1989 unterzeichnete der letzte Leiter der Bezirksverwaltung, Generalmajor Heinz Schmidt, eine Anweisung mit dem Titel „Zur Abwehr überraschender Angriffe auf die Bezirksverwaltung“, um die Dienststelle mit Waffengewalt zu verteidigen.[77]
Am 5. Dezember 1989 ergriff eine Gruppe des Neuen Forums die Initiative zur Auflösung der Strukturen der MfS-Bezirksverwaltung.[78] Ab Mitte November 1989 war Heinz Schmidt Leiter des Bezirksamtes für Nationale Sicherheit. Am 9. Dezember 1989 wurde er von der Funktion entbunden und bis zur Entlassung aus dem aktiven Dienst beurlaubt. Nachfolger wurde sein bisheriger 1. Stellvertreter, Oberst Rolf Schöppe. Schmidt wurde zum 31. Januar 1990 aus dem Dienst entlassen.
Am 31. März 1990 wurde die BVfS Halle endgültig aufgelöst. Allerdings erhielten noch acht Offiziere befristete Verträge beim „Bezirksarbeitsstab für Auflösung“ und vier weitere für das Staatsarchiv Magdeburg.[79]
Die Gründung der Grünen Partei Ost erfolgte seit November 1989. Die Spaltung der kirchlichen Umweltszene lag ganz im Interesse des MfS, das zu diesem Zweck mit Falk Zimmermann, dem späteren Parteisprecher Henry Schramm, dem späteren Finanzgeschäftsführer der Grünen Partei Mario Hamel und anderen Personen inoffizielle Mitarbeiter in die Arche eingeschleust hatte.[80] Involviert war „IM Gerhard“ alias Walter alias Rolf Hansen alias Henry Schramm.[81] Der Zweitplatzierte auf der Kandidatenliste der DDR-Grünen für die Bundestagswahl gab zu, jahrelang für die Stasi gearbeitet zu haben.[82]
Eine anonyme Mitarbeiterin des Neuen Forums in Halle stellte im Sommer 1992 eine Liste mit den Namen von 4.500 Inoffiziellen Mitarbeitern der BVfS Halle zusammen und legte diese öffentlich aus. Kurz darauf druckte die Bild-Zeitung sie in ungekürzter Form ab.[83] Im Gegensatz zu allen anderen gleichartigen Veröffentlichungen enthielt diese Liste als einzige sowohl Klarnamen als auch Decknamen. Anschließende Diskussionen mit ebenso vielen Verdächtigungen wie Rechtfertigungen führten dazu, dass fortan Anwärter im öffentlichen Dienst auf eine ehemalige Tätigkeit bei der Staatssicherheit überprüft wurden. Noch bis 1994 war in den jährlichen Verfassungsschutzberichten des Landes Sachsen-Anhalt eine Rubrik zu den Aktivitäten des offiziell aufgelösten Dienstes zu finden.[79]
Nach der Besetzung der Gebäude wurden diese bis Mitte der 1990er Jahre von der Martin-Luther-Universität genutzt.[84] Anschließend zog das Finanzamt Halle bis Ende 2015 ein. Danach stand der Baukomplex leer. Zum Schutz waren seine Eingänge zugemauert worden.
Im Jahr 2017 wurden zwei bronzene Figuren eines Kunstwerkes des halleschen Bildhauers Gerhard Geyer (1907–1989), die noch am Eingang der Stasizentrale standen, von Schrottdieben gestohlen. Die 1972 entstandenen Skulpturen galten als Kulturdenkmal der DDR (Kunstwerk 094 56601). Eine zugehörige dritte Figur war nach einem Diebstahlversuch bereits in den 1990er Jahren eingelagert worden.[85] Obwohl die polizeibekannten Räuber bei einer Routinekontrolle in Teutschenthal gestellt werden konnten, fehlte von den Plastiken jede Spur.[86] Der Versuch, im Jahr 2020 auch die dritte bisher sichergestellte Figur zu stehlen, misslang. Dabei tauchten jedoch Fragmente einer der gestohlenen Figuren wieder auf.[87] Seit 2023 werden die erhaltenen Figuren bzw. Fragmente im Stadtmuseum präsentiert.[88]
Auf dem Gelände finden regelmäßige Führungen für Touristen statt[89] und im Jahr 2021 wurde hier das „Festival Werkleitz 2021“ veranstaltet.[90] In einem Nebengebäude das Komplexes brannte es im Dezember 2021.[91]
Im Februar 2024 wurde vorgeschlagen, auf den 20.000 Quadratmetern des Hauptgebäudes einen „Ort des kreativen Arbeitens und Lebens“ als eine Art „Gemeinschaftsamt“ einzurichten. Dabei sollten 100 Ateliers, Studios mit Proberäumen, ein Social Innovation Lab und ein FAB-Lab entstehen.[92]
Das IM-Netz in den Bezirksverwaltungen war unterschiedlich dicht: In Cottbus kommt 1985 ein IM auf 79 Einwohner (1986: 1:80); anders in Halle, wo im gleichen Jahr auf einen IM 156 Einwohner (1986: 1:159) kommen. Die Cottbuser Staatssicherheit verfügte also relativ betrachtet über »doppelt so viele IM« wie die in Halle.[93]
Die BVfS Halle bestand aus 35 Abteilungen, Arbeitsgruppen, Einheiten oder Referaten.[94]
Leiter der BV Generalleutnant Heinz Schmidt | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
(Zentrale SED-Parteileitung d. BV) Oberstleutnant Gerhardt WOLFF | Beauftragter des Leiters der BV Oberstleutnant Hugo NOHL | Verantwortungsbereiche der 4 Stellvertreter | Verantwortungsbereiche des Leiters der BV | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
1. Stv. Operativ Oberst Rolf SCHÖPPE | Stv. Operativ Oberst Udo HAHN | Stv. operative Technik/Sicherstellung (OT/S) Oberst Hans-Dieter PFEIFFER | Stv. Aufklärung Oberst Eckhard SCHILLER | Abt. IX (Untersuchungsorgan) Oberstleutnant Jürgen STENKER | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Abt. XVIII (Absicherung Volkswirtschaft) Oberst Karl-Heinz SCHÖNIG | Abt. VI (Passkontrolle, Tourismus) Oberstleutnant Herbert-Peter ROMANOWSKI | Abt. III (Funkaufklärung) Oberstleutnant Henry MÜLLER | Abt. XV (Auslandsaufklärung) Oberst Eckhard SCHILLER | Abt. XIV (Unters.- Haftanstalt) Oberstleutnant Konrad LORENZ | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Abt. XIX (Absicherung Verkehr, Post u. Nachrichtenwesen) Oberstleutnant Hans-Joachim HOFMANN | Abt. VII (Absicherung Volkspolizei, Min. d. Innern) Oberstleutnant Rudibert JONAK | Abt. XI (Chiffrierwesen) Oberstleutnant Willi SCHIEMA | Abt. 26 (Abhörmaßn.) Oberstleutnant Jürgen STOLLBERG | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Abt. XX (Absicherung Staatsapparat, staatl. Institutionen, Kirchen, Kultur) Oberst Joachim GRÖGER | Abt. VIII (Beobachtung, Ermittlung) Oberstleutnant Wilfried Rohland | SR BCD (Selbstst. Referat Bewaffnung/Chemischer Dienst) Oberstleutnant Edmund KUHN | Abt. Finanzen Oberstleutnant Herbert OEHMIG | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
AG G (Arbeitsgruppe Geheimnisschutz) Oberstleutnant Johannes ECKARDT | AG XXII (Arbeitsgruppe Terrorabwehr) Oberstleutnant Heinz SCHLANSTEDT | BdL (Büro der Leitung) Oberstleutnant Oswald SOLTER | WSE (Wach- und Sicherungseinheit) Major Hans-Joachim WEIß | AGL (Arbeitsgruppe des Leiters) Oberstleutnant Kurt ZACHARIAS | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
OD
CK Bitterfeld Oberstleutnant Peter PRÜFER | SR AWK (Selbstst. Referat Abwehr, Wehrkommando) Oberstleutnant Horst SCHEIBE | Abt. N (Nachrichtenwesen) Major Jörg ECKSTEIN | Abt. XII (Auskunft, Speicher, Archiv) Oberstleutnant Josef RAUCH | AKG (Auswertungs.- u. Kontrollgruppe) Oberstleutnant Herbert HEBESTREIT | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
OD
Buna Oberstleutnant Klaus-Ulrich EHRICH | BKG (Bezirkskoordinierungsgruppe) Oberstleutnant Peter HERZOG | Abt. OT (Operative Technik) Major Kurt DEMUTH | Abt. Medizin. Dienst Oberstleutnant Dr. Peter HERRMANN | Abt. KuSch (Kader und Schulung) Major Jürgen OCH | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Abt. RD (Rückwärtige Dienste) Major Eberhard WÖLK | Kreisdienststellen | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
OD Leuna Oberstleutnant Walter SCHLECHTER | Abt. II (Spionageabwehr) Oberstleutnant Karl-Heinz KITTLER | Abt. M (Postüberwachung) Oberstleutnant Rüdiger PORTIUS | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Der BVfS Halle unterstanden insgesamt 23 Kreisdienststellen für Staatssicherheit (KDfS), deren Leiter alle Oberstleutnant (OSL) waren.[96] Die Zahlen der Hauptamtlichen (HA) und der Inoffiziellen Mitarbeiter (IM) enthalten alle Mitarbeiter zum Stand 31. Oktober 1989.[97]
Hinzu kamen drei Objektdienststellen (OD) in den großen Kombinaten.[121]
Der Rote Ochse ist eine Justizvollzugsanstalt in Halle, Am Kirchtor 20, die ab Juli 1945 als Haft- und Internierungslager des NKWD genutzt wurde. Bis 1950 fanden im Roten Ochsen sowjetische Militärgerichtsverfahren gegen mehrere tausend Gefangene statt. Anschließend teilten sich das Ministerium des Innern und das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR die Nutzung des Gebäudes als Untersuchungshaftanstalt. Neben der Verwendung für den Strafvollzug mit 470 Haftplätzen für weibliche Gefangene aus der gesamten DDR diente der Rote Ochse seit 1952 als Untersuchungshaftanstalt des MfS. Während des Aufstands des 17. Juni wurde der Doktorand Gerhard Schmidt (1926–1953) aus dem Gefängnisbau heraus erschossen. Der Rote Ochse war Dienstsitz der MfS-Abteilungen VIII (Beobachtung und Ermittlung), IX (Untersuchungsorgan) und XIV (Untersuchungshaft und Strafvollzug) sowie der Arbeitsgruppe XXII (Terrorabwehr) der BVfS Halle. Bis 1989 durchliefen hier über 9.000 Personen eine Untersuchungshaft.
Die ehemalige Ausweichführungsstelle des BVfS Halle[125] befand sich in einem geheimen Stasi-Bunker in Ostrau.[126] Die als Objekt „Fasan“ bezeichnete Bunkeranlage, die in den Jahren von 1969 bis 1971 gebaut worden war, wurde für den Fall eines Atomkriegs oder eines konventionellen Angriffs konzipiert. Der massive Stahlbeton-Bunker mit 580 Quadratmetern Fläche (16 Gänge mit 14,03 m Länge) lag in 5 bis 6 m Tiefe, wobei die Bedeckung mit Erde rund 2,50 m betrug. Neben Arbeits- und Schlafräumen gab es sanitäre Einrichtungen, Küche, Krankenstation, Notstromaggregate, Luftfilter und Nachrichtentechnik. Die 16 Räume sind dabei zu zweimal acht Zinken wie bei einem Kamm angeordnet, wobei jeder Raum 2 × 14 m groß ist.[127] Als Legendierung des Bunkers wurde verbreitet, es handele sich um eine Obstplantage mit Doppelwohnhaus.[128] Die Anlage wurde auch vor anderen bewaffneten Organen der DDR geheim gehalten, was zu kuriosen Vorfällen führen konnte. So versuchte der Offizier einer VP-Bereitschaft mit Schützenpanzerwagen auf das Objekt zu gelangen, um hier eine Übung abzuhalten, was vom Objektkommandant verhindert wurde.[129]
Stand 1989 gab es 447 konspirative Wohnungen und 68 Dienst- und Ferienobjekte, die der BVfS Halle unterstanden.[1] Ein Treff in der Mittelstraße war Anlaufpunkt für 36 IM, ein anderer in der Brüderstraße für 25. Ob die konspirativen Wohnungen effektiv waren, könnte eine Analyse der über 400 Akten zu den Objekten in Halle erbringen.[130][131]
Die streng geheime „Direktive 1/67“, die seit Ende Juli 1967 geplant worden war, sah eine konzertierte Aktion aller Bezirks- und Kreisdienststellen des Ministeriums für Staatssicherheit innerhalb von 24 Stunden vor. Die Direktive unterschied bei den Vorbeugemaßnahmen zwischen „Internierung“ und „Isolierung“. Interniert werden sollten Ausländer und Transitreisende, die sich auf dem Gebiet der DDR aufhielten. Dafür sollten insgesamt 35 Internierungslager mit einer Kapazität von 21.000 Personen und einer Maximalkapazität von 26.000 Personen eingerichtet werden; jedes sollte mindestens 60 km von der innerdeutschen Grenze entfernt sein. Auch Internierungslager für 855 Diplomaten und Korrespondenten in Berlin sollten eingerichtet werden. Die „Isolierung“ richtete sich ausschließlich gegen die eigene Bevölkerung und wurde als Vorbeugekomplex bezeichnet. Im Dezember 1988 waren 85.939 Personen für diese Maßnahmen erfasst, davon 2.955 zur Inhaftierung in den MfS-Untersuchungshaftanstalten, 10.726 Personen zur Inhaftierung in den Isolierungslagern, 937 „unzuverlässige“ Leiter waren für eine verstärkte Überwachung mit dem Ziel ihrer späteren Ablösung vorgesehen und weitere 71.321 Bürger waren als „feindlich-negative Personen“ registriert. Aus dem Bezirk Halle sind die meisten namentlichen Übersichten der zu Isolierenden vernichtet worden. „Im Bezirk Halle, das geht aus den Unterlagen hervor, waren 1985 368 Personen in die Kennziffer 4. 1. 1. einklassifiziert, wobei der Großteil der Festnahmen im Verantwortungsbereich der Kreisdienststellen erfolgen sollte“. Zuletzt waren 502 Personen zur Inhaftierung vorgesehen.[132] Im Bezirk Halle war beispielsweise ein geplantes Isolierungslager im „Objekt Seeburg“ bei Eisleben vorgesehen.[133]
Der Art. 31 der Verfassung der DDR von 1968 schützte das Postgeheimnis als unverletzbar. Es durfte nur auf gesetzlicher Grundlage eingeschränkt werden, wenn es die Sicherheit des sozialistischen Staates oder eine strafrechtliche Verfolgung erfordern. Die Mitarbeiter und Beauftragten der Deutschen Post der DDR waren nach § 18 des Gesetzes über das Post- und Fernmeldewesen verpflichtet, das Post- und Fernmeldegeheimnis zu wahren.[134] Das unbefugte Öffnen von Briefsendungen oder Telegrammen während der Beförderung oder die Mitteilung des Inhalts von Nachrichten, die der Deutschen Post anvertraut waren, durch Mitarbeiter oder Beauftragte der Deutschen Post an Nichtberechtigte wurde gem. § 202 StGB (DDR) als Straftat gegen den Nachrichtenverkehr bestraft. Als Straftat gegen Freiheit und Würde des Menschen wurde bestraft, wer sich vom Inhalt eines verschlossenen Schriftstückes oder einer anderen verschlossenen Sendung unberechtigt Kenntnis verschaffte (§ 135 StGB-DDR).[135] Dennoch erfolgte eine systematische Kontrolle aller Postsendungen aus oder in die Bundesrepublik oder West-Berlin durch die Abteilung M des Ministeriums für Staatssicherheit.[136] Diese arbeitete mit der Deutschen Post der DDR zusammen. Innerhalb der Post firmierte die Postkontrolle unter der Tarnbezeichnung „Abteilung 12“ oder „Dienststelle 12“. Mit Hilfe der Automatisierung der Heißdampföffnung war eine Öffnungsrate von 90 Prozent der Postsendungen „Inland“ und „Abgang“ sowie von bis zu 60 Prozent aller Post der Verkehrsrichtung „Eingang“ geplant.[137]
Neben den Bezirken Rostock, Gera, Neubrandenburg, Frankfurt (Oder) und Karl-Marx-Stadt wurde auch im Bezirk Halle „jeder zweite Brief“ geöffnet. Selbst noch am 19. Januar 1990 meldete der westdeutsche Geheimdienst, dass die Postkontrolle des Amtes für Nationale Sicherheit (AfNS), „wieder in alter Stärke“ arbeite.[138]
Während es in der gesamten DDR im Jahr 1988 etwa rund eine Million private Telefonanschlüsse gab, was 16,4 Prozent der Haushalte entsprach, waren es in Halle 13,2 Prozent der Haushalte.[139] Errichtung einer Chiffrierstelle.[140]
Personenüberwachung und Verhöre gehörten zur Haupttätigkeit der Staatssicherheit. Zu Beginn standen vor allem Vertreter der Kirchen im Fokus. Als Beispiel sei der hallesche Studentenpfarrer Johannes Hamel (1911–2002) genannt, der wegen Boykotthetze am 12. Februar 1953 verhaftet worden war und verhört wurde. Erst aufgrund sowjetischer Intervention sah sich die SED gezwungen, ihren „offenen kirchenpolitischen Liquidationskurs aufzugeben“.[141] Nach heftigen (auch internationalen) Protesten gegen die Inhaftierung wies Erich Mielke am 9. Juli die Freilassung an, die am Tag darauf erfolgte.[142]
Für die Verhöre wendeten die Stasimitarbeiter Isolationshaft, Nachtverhöre und Schlafentzug an. Zudem sollten psychische und anfangs auch physische Gewalt die Gefangenen zu Geständnissen zwingen.[143] Im Zusammenhang mit den Verhören gab es die sogenannte „Linie 9“, ein mit kriminalpolizeilichen Befugnissen und geheimdienstlichen Möglichkeiten ausgestattetes eigenes „Ermittlungsorgan“. In den 1980er Jahren erreichte diese Abteilung bei den ersten Verhören eine Geständnisquote von über 80 Prozent, die 1988 auf 95 Prozent gesteigert wurde.[144]
Die Zersetzung war eine geheimpolizeiliche Methode des MfS zur Bekämpfung vermeintlicher und tatsächlicher politischer Gegner. Als repressive Verfolgungspraxis bestanden die Zersetzungsmethoden aus umfangreichen, heimlichen Steuerungs- und Manipulationsfunktionen und subtilen Formen ausgeklügelten Psychoterrors bis in die persönlichsten und intimsten Beziehungen der Opfer hinein. Das MfS griff dabei auf ein Netz Inoffizieller Mitarbeiter, staatliche Einflussmöglichkeiten auf alle Arten von Institutionen sowie die „Operative Psychologie“ zurück.
Das MfS blieb auch nach seiner formellen Gleichberechtigung mit dem KGB im Jahr 1958 ein „Diener zweier Herren“. Es agierte zugleich als „Schild und Schwert“ der SED wie als Dienstleister für die sowjetischen „Freunde“. Dabei prägte informelle Unterwerfung des MfS die Kooperation mit dem KGB.[145] Die Zusammenarbeit in Halle erfolgte unter anderem mit der KGB-Residentur und dem Haus der DSF. Die Residenturen hatten eine Doppelfunktion, einerseits waren sie für den Kontakt zur Staatssicherheit zuständig, gleichzeitig waren aber die dort Entsandten Mitarbeiter der Auslandsspionage des KGB.[146]
Verbindungsoffizier des KGB war von November bis Dezember 1955 Oberstleutnant Anatoli Nikolajewitsch Burenin (БУРЕНИН Анатолий Николаевич)[147]
In der Kardinal-Albrecht-Straße 6 in Halle wurde 1951 das Haus der „Haus der DSF A. S. Puschkin“, in der Öffentlichkeit kurz „Puschkinhaus“ genannt, an die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft (DSF) übergeben.
In der KGB-Residentur des Bezirks Halle war in den Jahren 1965 bis 1970 und 1972 bis 1977 der KGB-Offizier Aleksej Rostowzew eingesetzt. Der in Dresden tätige KGB-Agent Viktor Adianow hatte ein Jahr an der Universität Halle studiert „und über Lessings Dramentheorie und den Verfremdungseffekt bei Brecht geschrieben“.[148]
Einen Fokus der Überwachung bildeten die Mitarbeiter und Studierenden der Martin-Luther-Universität Halle. Im Jahr 1981 kamen auf 90 Studenten zwei IMs.[149] Demgegenüber fällt eine höhere Zahl von IM unter Studenten im Bereich der Medizinischen Fakultät auf.[141] In den 1980er-Jahren gab es laut Reichert etwa 500 Inoffizielle beziehungsweise Gesellschaftliche Mitarbeiter und mehr als 110 konspirative Wohnungen.[150]
Oftmals waren solche Anwerbungen mit strafrelevantem Verhalten verbunden. So ist der Fall bei einem Theologiestudenten gelagert, der Mitte der 1960er Jahre wegen „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ (vermutlich Exhibitionismus) als Informant zur Aufdeckung der einschlägigen Szene zunächst Inoffizieller Mitarbeiter der Kriminalpolizei, später der Staatssicherheit wurde. „In kurzer Zeit entwickelte er sich zum wichtigsten Zuträger an einer mitteldeutschen Fakultät und geriet in ein Abhängigkeitsverhältnis zum MfS, aus dem er sich nicht befreien konnte. [...] Da er als Theologe anerkannt war und kurz nach seinem Studium Assistent wurde, plante das MfS, ihn in eine Dozentur oder Professur zu bringen.“ Die Stasi wähnte sich seiner laut Unterlagen so sicher, dass man ihn sogar in den Westen reisen ließ, von wo er jedoch nicht zurückkehrte.[151]
Im Jahr 2014 übernahm Marit Krätzer die Leitung der Außenstelle Halle des BStU. Sie folgt auf Uta Leichsenring, die seit 2005 die Außenstelle führte. In Halle sind 56 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zuständig für insgesamt mehr als sieben Kilometer Unterlagen der ehemaligen Bezirksverwaltung und der Kreisdienststellen im Bezirk Halle. Hinzu kommen verfilmte Akten auf mehr als 6.000 Rollfilmen und knapp 85.000 Mikrofiches sowie mehr als 2,3 Millionen Karteikarten.[9] Weiterhin sind 6.230 Karten/Pläne und Plakate der BVfS überliefert.[162] Die Zahl der überlieferten Fotografien (Fotopositive, Fotonegative, DIAs) der BVfS beträgt insgesamt: 116.211 Stück.[163] Die 779 überlieferten Tonaufzeichnungen der BVfS Halle werden in der Zentralstelle des Stasi-Unterlagen-Archivs in Berlin aufbewahrt.[164] Seit der Eröffnung der Außenstelle im Jahre 1992 sind mehr als 160.000 Anträge auf persönliche Akteneinsicht in Halle eingegangen.[9] Die Unterlagen umfassen Teilbestände der Diensteinheiten der BV sowie die Bestände der Kreisdienststellen, aber auch die von der Bezirksverwaltung archivierten so genannten MfS-Archivbestände der Abt. XII. Zu einigen Diensteinheiten sind zurzeit keine Unterlagen nachweisbar.[165]
Die 38 (teilweise vergriffenen) Publikationen der Schriftenreihe „Sachbeiträge“, die oft einen direkten Bezug zur Geschichte der BVfS Halle enthalten, können auf der Webseite der Landesbeauftragten Sachsen-Anhalt als PDF-Datei heruntergeladen werden.[167]
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