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Verfahren von Staaten oder nichtstaatlichen Gruppen, bestimmte Inhalte des Internets zu kontrollieren, zu unterdrücken oder im eigenen Sinn zu steuern Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Als Zensur im Internet, Internetsperren oder Netzsperren werden verschiedene Verfahren von Staaten[1] oder nichtstaatlichen Gruppen bezeichnet, deren Ziel es ist, die Publikation von bestimmten Inhalten über das Internet zu kontrollieren, zu unterdrücken oder im eigenen Sinn zu steuern. Vor allem Nachrichten und Meinungsäußerungen sind davon betroffen, in einigen Staaten auch Webseiten mit erotischem oder religiösem Inhalt. Die Zensur im Internet unterscheidet sich damit nicht grundsätzlich von der Zensur anderer Massenmedien.
Daraus, dass im Internet problemlos Daten über Staatsgrenzen übertragen werden können, ergibt sich eine hohe Komplexität rechtlicher Fragen, da Unvereinbarkeiten zwischen Rechtssystemen nicht lösbar sind. Regierungen und staatliche Organe können durch das Abschalten oder anderweitige Sanktionieren von Webseiten, die in ihrem Rechtsbereich liegen, auch die Bürger anderer Staaten von diesen Informationen abhalten, jedoch können sie nicht verhindern, dass die Bürger sich Zugang zu illegalen Informationen verschaffen, die im Ausland liegen.
In Deutschland sind zum Beispiel die Verherrlichung der NS-Kriegsverbrechen oder die Holocaustleugnung verboten. Auf Servern in den USA hingegen können diese Dinge ungestraft verbreitet werden, da sie nach US-Recht von der Meinungsfreiheit abgedeckt sind. Ende der 1990er wurde von konservativer Seite der Medien-Enquete-Kommission des Bundestages gefordert, dem Internet „eine Redaktion vor[zu]schalten, die auswählt, was ins Netz geht“.[2] Einen weiteren Vorstoß in Richtung Zensur gab es 2001 durch die Bezirksregierung Düsseldorf (siehe Jürgen Büssow), der zwar mit geringen technischen Kenntnissen umgehbar war, vor Gericht aber durch mehrere Instanzen Bestand behielt. Im Jahr 2000 hatte der Bundesgerichtshof in einem Grundsatzurteil entschieden, dass beispielsweise ein australischer Staatsangehöriger für eine holocaustleugnende Website, die in Australien gehostet ist, in Deutschland dafür strafrechtlich belangt werden kann.[3][4] Auch die Seite Schnittberichte.de musste in Deutschland wegen der Darstellung gewaltverherrlichender Szenen aus in Deutschland indizierten oder beschlagnahmten Filmen im Mai 2002 geschlossen werden. Sie ist seitdem unter der Adresse schnittberichte.com erreichbar und befindet sich auf einem österreichischen Server. Da sowohl der Inhaber der Domain als auch der Mieter des Servers österreichischer Nationalität sind, untersteht die Seite nunmehr nur dem österreichischen Recht. Ebenfalls im Jahr 2002 wurde die Seite BMEzine in Deutschland für rechtswidrig erklärt und war nicht über deutsche Suchmaschinen verfügbar. BME gilt als Hauptmedium der internationalen Körpermodifikationsszene.
Im Oktober 2007 verpflichtete das Landgericht Frankfurt am Main aus wettbewerbsrechtlichen Gründen den deutschen Internetzugangsanbieter Arcor per einstweiliger Verfügung, den Zugang seiner Kunden zur ausländischen Website YouPorn zu unterbinden.[5] Im weiteren Verlauf des Verfahrens wurde diese Entscheidung von einer anderen Kammer des Landgerichts wieder aufgehoben.[6]
In der Europäischen Union werden mit Unterstützung von Europol Webseiten, die Darstellungen von Kindesmissbrauch enthalten und von denen die Behörde Kenntnis erlangt hat, mit dem „Child Sexual Abuse Anti Distribution Filter“ (CSAADF) des CIRCAMP-Projekts, einer Domain-Name-System-Blockadeliste (DNS), gesperrt.[7] Das Sperren der Webseiten soll verhindern, dass missbrauchte Kinder noch einmal dadurch missbraucht werden, dass Bilder oder Filme ihres Missbrauches weiterhin im Internet kursieren („Re-Victimization“).[8] Im März 2010 wird der CSAADF in Dänemark, Finnland, Italien, Neuseeland, Norwegen, Schweden und der Schweiz eingesetzt. Das Vereinigte Königreich sperrt diese Webseiten mit dem Contentfiltersystem Cleanfeed.[9]
Der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) hat im Oktober 2009 in dem Entwurf eines Rahmenbeschlusses zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern eine Verpflichtung für Internetdiensteanbieter festgehalten, den Zugriff auf Seiten, die den sexuellen Missbrauch von Kindern dokumentieren, zu sperren sowie die Herangehensweise aller 27 Mitgliedsstaaten zu harmonisieren. Dieser neue Gesetzgebungsvorschlag soll ein bestehendes Dokument aus dem Jahr 2004 ersetzen, das nicht von allen Mitgliedsstaaten in vollem Umfang umgesetzt worden ist und bei dem auch in einigen Schlüsselthemen keine Harmonisierung erreicht wurde. Die Europäische Kommission geht davon aus, dass dadurch verhindert wird, direkt auf kommerzielle Kinderpornografie zuzugreifen. Es sollen auch extraterritoriale Maßnahmen ergriffen werden, um Webseiten zu löschen. In den Aussagen der Mitteilung der Kommission vom Juni 2009,[10] einen „Bereich für Freiheit, Sicherheit und Gerechtigkeit zu schaffen, der den Bürgern dient“, werden diese Inhalte ebenfalls aufgegriffen „um Mechanismen [zu schaffen] um die IP-Adresse von kriminellen ISPs aufzuspüren und die rasche Sperre von außereuropäischen Webseiten zu vereinfachen“.[11]
Es wurden bereits mehrfach die Ausweitung der Sperrmaßnahmen auf weitere Internetinhalte wie Glücksspielangebote, gewaltverherrlichende, rechtsextreme oder urheberrechtlich bedenkliche Webseiten und Filesharing-Netzwerke gefordert, wie dies Frankreich mit eigenen Spezialgesetzen bereits umsetzt.[12]
In Finnland wird kritisiert, dass auch politisches Material gesperrt wurde. Nach vier Jahren Erfahrung mit Internetsperren kam die schwedische Polizei zu dem Fazit: „Unsere Sperrmaßnahmen tragen leider nicht dazu bei, die Produktion von Webpornografie zu vermindern.“[13]
Im April 2011 wurde auf europäischer Ebene das Projekt Clean IT gestartet. Es beruht auf dem Konzept der Public Private Partnership zwischen europäischen Sicherheitsbehörden und unterschiedlichsten IT-Unternehmen. Ziel ist es, Vorgaben für die IT-Industrie zu entwickeln, deren Einhaltung durch die Unternehmenspartner, zur Verhinderung des Endbenutzerzugriffs auf terroristische Inhalte, auf freiwilliger Basis befolgt wird. So soll die „terroristische Nutzung des Internets eingeschränkt“ und die „illegale Nutzung des Internets bekämpft“ werden.[14] Es verfolgt ausdrücklich einen nicht-legislativen Ansatz. Die Anhörung nationaler und supranationaler Parlamente ist ausdrücklich nicht vorgesehen.[15] Ziel der Maßnahme ist eine flächendeckenden Kontrolle der Netzinhalte zunächst auf europäischer, später nach Möglichkeit auch auf globaler Ebene.
Ab März 2022 verbot die EU den Zugang zu den russischen Nachrichtenportalen Sputnik und Russia Today mit der Verordnung 833/2014. Den Portalen wurde vorgeworfen, in diesem Krieg Propaganda für die Russische Föderation zu betreiben. Es handelt sich jeweils um Sender des staatlichen russischen Medienunternehmens Rossija Sewodnja.[16][17] Reporter ohne Grenzen und der EU-Abgeordnete Patrick Breyer kritisierten das Verbot und warnten vor Gegenmaßnahmen durch Russland.[18]
Indem das Familienministerium unter der damaligen Führung von Ursula von der Leyen vor Internetdienstanbietern und Journalisten Kinderpornografie präsentierte, stellte die deutsche Bundesregierung am 22. April 2009 ihren Plan vor, durch eine Änderung im Telemediengesetz den Zugang zu Internetinhalten mit Kinderpornografie zu sperren („Access Blocking“).[19][20] Das Bildungsministerium fordert des Weiteren zur „Verbesserung des Schutzes und der Sicherheit“ im Zusammenhang mit Amokläufen die Eindämmung Gewalt fördernder Elemente.[21] Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat in einer Studie festgestellt, dass der Vorschlag, problematische Inhalte im Internet durch Sperrverfügungen unsichtbar zu machen, verfassungsrechtlich bedenklich ist.[22] Thilo Weichert, der Landesbeauftragte für den Datenschutz in Schleswig-Holstein forderte eine öffentliche Diskussion.[23] Er sah in dem neuen Gesetzentwurf einen „Frontalangriff auf die freie Kommunikation im Internet“. Auch Provider und Juristen aus der Internetwirtschaft übten massive Kritik an der Initiative.[24]
Einer Kinderschutzorganisation ist es Anfang März 2009 gelungen, 16 von 20 ausgewählten Internetdomains, die eine im Internet veröffentlichte, über ein Jahr alte dänische Sperrliste als kinderpornografisch einstufte, innerhalb von acht Stunden abschalten zu lassen. Vier andere enthielten legale Inhalte.[25] Der Arbeitskreis gegen Internetsperren und Zensur (AK Zensur), analysierte im Mai 2009 mit automatischen Verfahren verschiedene europäischen Sperrlisten und schrieb die Provider an, auf deren Servern sich Material mit dokumentiertem Kindesmissbrauch befinden sollte. Er erreichte innerhalb von 12 Stunden nach Aussenden der Mails die Löschung von 60 bis dahin zugänglichen Webauftritten.[26]
Am 18. Juni 2009 beschloss der deutsche Bundestag das später dann für ein Jahr ausgesetzte[27] Zugangserschwerungsgesetz,[28] um alle großen deutschen Internetanbieter zu entsprechenden Sperren zu verpflichten.[28] Allerdings hätten Anwender noch die Möglichkeit, durch DNS-Spoofing realisierte Sperren mittels alternativer DNS-[29] oder Proxyserver zu umgehen.[30] Im April 2011 entschied die Bundesregierung, das bereits beschlossene, aber nie zur Anwendung gelangte Gesetz wieder aufheben zu lassen;[31] am 1. Dezember 2011 wurde es von einer breiten Mehrheit im Bundestag endgültig aufgehoben.[32]
In der Schweiz gab es bislang nur vereinzelte gerichtliche Netzsperren. 2007 hatte beispielsweise das damalige Waadtländer Untersuchungsrichteramt gegenüber schweizerischen Internet Access Providern verfügt, die justizkritischen Websites de.geocities.com/justicecontrol, www.appel-au-peuple.org, www.freejustice.de und www.swiss-corruption.com zu sperren, sowie den Domainnamen appel-au-peuple.org so zu modifizieren, dass die Seite mittels Geotargeting den nachfolgenden Text in vier Sprachen anzeigt:
«Der Zugriff auf diese Seite ist aufgrund der richterlichen Verfügung des Untersuchungsrichters des Kantons Waadt vom 18.12.2007 gesperrt.»[33]
Lange setzte die Schweiz auf die freiwillige Sperrung von mutmasslich kinderpornographischen Inhalten durch grosse Internet Access Provider. Dafür stellt das Bundesamt für Polizei eine rund 1100 Einträge enthaltende Sperrliste mit zu sperrenden URLs zur Verfügung.[34] Beim Zugriff auf einer dieser Internet-Adressen erfolgt eine Weiterleitung auf die Adresse www.stopp-kinderpornografie.ch/blocking. Mit einer Revision des Fernmeldegesetzes wurden per 1. Januar 2021 alle Internet Access Provider verpflichtet, verbotene pornographische Inhalte zu sperren. Anfang Juli 2024 wurde die Website der Gratiszeitung «20 Minuten» während einigen Stunden durch einen Fehler beim Bundesamt für Polizei in diesem Rahmen gesperrt.[35]
Mit dem am 29. September 2017 durch das Parlament verabschiedeten Bundesgesetz über Geldspiele (Geldspielgesetz, BGS), das in der Volksabstimmung vom 10. Juni 2018 mit 72,9 % Ja-Stimmen angenommen wurde, waren in der Schweiz bereits per 1. Januar 2019 erstmals gesetzliche Netzsperren eingeführt worden. Beim BGS geht es darum, dass ausschliesslich landbasierte Casinos in der Schweiz zu Online-Geldspiel-Angeboten berechtigt sind, weshalb der Zugang zur ausländischen Online-Konkurrenz gesperrt werden soll. Die Definition dieser Netzsperren ist im Gesetzestext sehr offen formuliert, obwohl in den Debatten meistens von DNS-Sperren gesprochen wurde.
Weitere Netzsperren werden auch im Urheberrecht und bei weiteren Themen gefordert, wurden bislang aber noch nicht umgesetzt.[36]
Der Zugriff mittels nicht zensierter, meist ausländischer DNS-Server und Mirror Sites ist in der Schweiz weiterhin möglich.[37][38]
In Österreich werden Fälle von Overblocking aufgrund geteilter IP-Adressen seit 2009 diskutiert.[39][40] Die von der Urheberrechtsorganisation LSG (Wahrnehmung von Leistungsschutzrechten GmbH) erwirkte Sperre habe dem Musikportal CannaPower gegolten.[41]
Eine Liste aktiver Netzsperren findet sich bei der Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH.[42]
Die Open Net Initiative (ONI), die sich aus Gruppen von Forschern der Universitäten von Toronto, Oxford, Cambridge und der Harvard Law School zusammensetzt, beobachtet eine weltweite Zunahme der Zensur im Internet.[43]
Die von der US-Regierung finanzierte Organisation Freedom House kommt im März 2009 in ihrer 15 Länder umfassenden Studie Freedom on the Net[44] zu dem Ergebnis, dass in allen untersuchten Ländern Internetinhalte reguliert oder zensiert werden. Mit Ausnahme Großbritanniens sei das Internet allerdings noch insgesamt weniger reguliert als die Presse. Einige Regierungen beschäftigen nach Angaben der Organisation auch sogenannte Cyberclaqueure zur Manipulation von Inhalten in Onlinediskussionen. Bei vielen Nutzern stellte sie einen „staatsbürgerlichen Aktivismus“ fest vermehrt aktiv Gegenmaßnahmen zu entwickeln. Allerdings werde ihrer Ansicht nach mit dem Fortschreiten der technischen Entwicklung auch die Zensur in autoritären wie demokratischen Staaten weiter zunehmen. Als bedenklich wurde die zunehmende Auslagerung der Zensurmaßnahmen an die Internetdiensteanbieter eingeschätzt.
Am 12. März 2011 stellte Reporter ohne Grenzen in einem Bericht zum Welttag gegen Internetzensur fest, dass weltweit jedem dritten Internetnutzer der freie Netzzugang verwehrt bleibe, und bezeichnete zehn Staaten wegen ihrer rigiden Netzpolitik als „Feinde des Internet“.[45][46] Eine aktualisierte Liste erschien ein Jahr später, am 12. März 2012.[47]
Neben der offenen Zensur gibt es im Zusammenhang mit der Meinungsfreiheit im Web weltweit verschiedene Praktiken und Vorhaben.
Große Internetanbieter leisten nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen Beihilfe zur Zensur in Ländern mit eingeschränkter Meinungsfreiheit. In Myanmar liefert nach Angaben von Reporter ohne Grenzen das US-Unternehmen Fortinet die Technologie zur Blockierung von oppositionellen Webseiten. Führende US-Internetunternehmen wie Yahoo, Cisco Systems, Microsoft und Google werden von den Organisationen Reporter ohne Grenzen und Amnesty International der Zusammenarbeit mit chinesischen Zensurbehörden beschuldigt. Derartige Beschuldigungen bestehen im Zusammenhang mit Google.de in Deutschland nicht, jedoch wird der Benutzer von Google.de darauf hingewiesen, falls ein Suchergebnis aus „Rechtsgründen“ nicht angezeigt wird.
Auch nichtstaatliche Gruppen versuchen, mit juristischen Mitteln kritische Informationen zu unterbinden wie zum Beispiel Scientology (siehe Scientology gegen das Internet). Suchmaschinen wie Google entfernen Webseiten aus den Suchergebnissen, die nicht im Einklang mit den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Suchmaschine sind.[94] Webseiten, die mit einer „Google-Strafe“ belegt wurden, können von den meisten Nutzern angesichts Googles Marktmacht von über 90 % in Deutschland praktisch nicht gefunden werden. Gegner dieser Vorgehensweise fordern Suchneutralität. Beides ist jedoch keine Zensur im juristischen Sinne.
Am 17. April 2009 schlossen fünf deutsche Internetprovider (Deutsche Telekom, Vodafone Kabel Deutschland, O2, Arcor und Alice)[95] freiwillige Verträge zum Sperren von Webseiten in Deutschland mit der Bundesregierung ab, wonach diese sich verpflichten, Seiten mit Dokumentationen missbrauchter Kinder zu blockieren. Die Verträge sehen vor, dass das Bundeskriminalamt (BKA) täglich aktualisierte, geheime und verschlüsselte Sperrlisten von Webseiten mit problematischen Inhalten an die Provider übermittelt.[96]
Die Effektivität der Zensur hängt vom betriebenen Aufwand ab. Eine DNS-Sperre ist von den Internet-Anbietern verhältnismäßig einfach umzusetzen und kann ebenso einfach von deren Kunden umgangen werden[97]. Hingegen ist die Internetzensur in der Volksrepublik China, bekannt als Great Firewall of China, ein ausgefeiltes System[98], das sogar VPN-Server anhand der spezifischen Kommunikation in Echtzeit erkennt und dann blockiert[99].
Open Observatory of Network Interference (OONI) ist eine Non Profit-Organisation, die die Internetzensur weltweit dokumentiert. Sie wurde bis 2018 mit insgesamt 1.286.070 $ durch den Open Technology Fund gefördert.[100] Mit der App „OONI Probe“[101] aus dem Google Play Store kann die Internet-Zensur in jenem Land ermittelt werden, in dem man sich gerade aufhält. Die App führt verschiedene Tests durch, z. B. welche Websites aufgerufen werden können und übermittelt die Ergebnisse an OONI. Die gesammelten Ergebnisse werden auf deren Website für jedes Land im Detail dargestellt, z. B. welcher Internet-Provider welche Websites blockiert oder ob er Umgehungen wie Psiphon oder Tor zu erkennen versucht.
Auch Reporter ohne Grenzen veröffentlicht Berichte zur Presse- und Informationsfreiheit über eine einzelne Länder[102] und eine Weltkarte „Feinde des Internets“.[103]
Ferner zeigt Freedom House, eine Nichtregierungsorganisation in den USA, eine Weltkarte des „Internet Freedom Status“ auf ihrer Website.[104]
Oft werden die blockierten Inhalte im Zuge des Bekanntwerdens der Zensur von Zensurkritikern auf einer Vielzahl von Webseiten außerhalb des Zugriffsbereichs des Zensors gespiegelt und so der Zugang weiterhin ermöglicht. Durch die Zensur und die damit verbundene Medienberichterstattung gewinnt zudem ein größerer Personenkreis überhaupt erst von den zensierten Inhalten Kenntnis (Streisand-Effekt).
Werden die Zugangssperren zu einzelnen Webpräsenzen durch Blockieren von IP-Adressbereichen umgesetzt, kann auch der Zugriff auf legale Angebote und Inhalte, Websites und E-Mail-Adressen unterbrochen sein (Overblocking). Die Beschränkung einer Zugangssperre ausschließlich auf die vom Zensor beanstandeten Inhalte ist technisch aufwändig, kostenintensiv und mit Leistungseinbußen verbunden[105].
Letztlich ist es ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen Blockierern und Blockadebrechern[106]. In Ländern, in denen technische Gegenmaßnahmen wie VPNs verboten sind, kann deren Einsatz auch juristische Konsequenzen nach sich ziehen.
Um eine Sperrung zu umgehen, ist ein Grundverständnis der Funktionsweise des Internets erforderlich.
Wird eine URL einer Domain wie https://www.dw.com/ in die Adressleiste des Webbrowsers eingegeben, fragt er einen DNS-Server nach der IP-Adresse. Der DNS-Server liefert beispielsweise die IP-Adresse 194.55.30.46 zurück, so dass auch http://194.55.30.46 in die Adressleiste des Webbrowsers hätte eingegeben werden können. Daraufhin holt der Webbrowser die Inhalte von dem Server, auf dem die Website liegt. Die IP-Adresse einer Domain kann durch Traceroute oder Whois-Dienste ermittelt werden.
Je nachdem wie die Blockierung realisiert wurde, gibt es verschiedene Ansätze, sie zu umgehen[107].
Verbindet sich ein Router oder ein Smartphone mit dem Internet, teilt der Internet-Provider dem Router bzw. dem Smartphone seinen DNS-Server mit. Beim Aufruf einer unerwünschten Website lässt der Internet-Provider seinen DNS-Server statt einer IP-Adresse nur eine Fehlermeldung liefern. Trägt man in seinen Router oder sein Smartphone händisch einen anderen DNS-Server ein, der diese Website nicht blockiert, erhält man wie üblich den Inhalt der so blockierten Website.
Beispiel: Websites, die in Deutschland blockiert werden, nicht aber in den USA, sind zugänglich, indem beispielsweise der DNS-Server von Google dns.google benutzt wird. Man kann ihn im Smartphone[108][109], im Windows-PC[110], im Browser[111] oder im Router[112] eintragen.
Der Internet-Provider kann auch direkt die IP-Adresse einer unerwünschten Website blockieren. Übermittelt ein Webbrowser eine solche IP-Adresse, liefert der Internet-Provider eine Fehlermeldung, statt den Inhalt vom Server zu holen, wo die Website gehostet wird. Manche Länder blockieren die Websites deutscher Medien anhand ihrer IP-Adresse.
Auch der Server der Website kann sich weigern, den Inhalt auszuliefern. Beispielsweise darf das Fernsehprogramm wegen Urheberrechten nur in Deutschland gezeigt werden. Erkennt der Server durch Geo-Location eine abfragende IP-Adresse aus dem Ausland, weigert er sich das Fernsehprogramm zu streamen (Geoblocking).
In solchen Fällen braucht man einen Internet-Zugangspunkt in einem Land, in dem diese IP-Adresse nicht blockiert wird.
Hierfür kommen beispielsweise in Frage:
Durch Deep Packet Inspection kann ein Kommunikationsstrom nach Schlüsselwörtern durchsucht und ggf. das weitere Laden unterbunden werden. So entsteht der Eindruck, dass das Internet bis auf wenige Webseiten ganz normal funktioniert. Mithilfe von Deep Packet Inspection wird auch nach charakteristischen Merkmalen einer VPN-Verbindung im Kommunikationsstrom gesucht und dann die Verbindung blockiert. IP-Adressen bekannter Anbieter eines VPN-Service werden ohnehin blockiert.
Solche Fälle erfordern ausgefeiltere Gegenmaßnahmen:
Einige Dienste wie das Tor-Netzwerk[124], I2P und Anonymizer, die zum Schutz der Anonymität im Internet entwickelt wurden, können darüber hinaus wie Proxy-Server zur Überwindung von Zugriffssperren verwendet werden[125].
Der Global Online Freedom Act sollte US-amerikanische Softwareunternehmen wie Google oder Microsoft davon abhalten, an einer Zensur als Mittel repressiver Politik in bestimmten Ländern mitzuwirken.
Der Wunsch nach Zensur kann durch entsprechende Berichterstattung über als unmoralisch empfundene Webinhalte auch in der breiten Bevölkerung geweckt werden. Ein Beispiel ist der Fall Chester’s guide to: Picking up little girls, bei dem eine englische Zeitung eine Moralkampagne mit falschen Informationen initiierte, der Leser und Politik unkritisch folgten.
Verschiedene Anbieter von Diensten zur Umgehung der Zensur im Internet speichern und verkaufen Daten, die zur Identifikation der Nutzer geeignet sind.[126]
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