Spannungsrisskorrosion

Rissbildung in Werkstoffen Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Spannungsrisskorrosion

Spannungsrisskorrosion ist die transkristalline (durch das Gefügekorn) oder interkristalline (entlang der Korngrenzen des Gefüges) Rissbildung in Werkstoffen unter dem gleichzeitigen Einfluss einer rein statischen Zugspannung oder mit überlagerter niederfrequenter Zugschwellspannung sowie eines speziellen Korrosionsmediums. Auch Zugspannungen in Form von Eigenspannungen sind wirksam.[1]

Thumb
Spannungsrisskorrosion an einer Rohrleitung aus 1.4541

Korrosionsmechanismus

Für das Auftreten von Spannungsrisskorrosion müssen drei Bedingungen erfüllt sein:[1]

  • Der Werkstoff muss einen Anriss haben
  • Zugspannungen müssen vorliegen, z. B. Eigenspannungen
  • Ein spezielles Elektrolyt muss vorhanden sein.

Versetzungsbewegungen führen zu Gleitstufen an der Oberfläche, welche die korrosionshemmenden Deckschichten (Passivierung), z. B. eine Oxidschicht, durchbrechen. Der spezielle Elektrolyt verhindert die Neubildung der Deckschicht, so dass der örtliche Korrosionsangriff weitergeht. Ein so entstandener Tunnel kann auch durch Ionen hervorgerufen werden, welche die Deckschicht durchdringen können.

Die Rissinitiierungszeit und die Rissfortschrittsgeschwindigkeit hängen ab von

Eine Zone mit hoher Versetzungsdichte wird bevorzugt anodisch aufgelöst.

Bei der Spannungsrisskorrosion (SpRK) treten im Allgemeinen keine sichtbaren Korrosionsprodukte auf. Die Trennung ist verformungsarm, das Versagen kann spontan eintreten.[3]

Werkstoffe

Zusammenfassung
Kontext
Thumb
Spannungsrisskorrosion, induziert durch Schweißspannungen an einem Stutzenverstärkungsblech
Thumb
Acrylglas (PMMA) mit zahlreichen Spannungsrissen unter­schiedlicher Größe
Thumb
Spannungsrisskorrosion an Spannstahl, der einer Brücke entnommen wurde (Mikroskopie sowie Anschliff)

Gegen Spannungsrisskorrosion sind bestimmte Werkstoffgruppen empfindlich:

Eine bedeutende Rolle haben SpRK-beständige Stähle u. a. in der Erdöl-/Erdgas-Industrie. Dort gab und gibt es nämlich häufig Fehler bei der Wahl eines geeigneten Werkstoffes in H2S-haltigen Medien. H2S ist in relativ vielen Erdgaslagerstätten zu finden oder auch im Begleitgas von Erdöllagerstätten. Es kann bereits bei sehr geringen Partialdrücken zum Versagen von Stählen führen: 600 ppm H2S können irreparable Schäden verursachen, in manchen Lagerstätten werden jedoch bis zu 20 % (d. h. 200.000 ppm) H2S gefördert. Fälschlicherweise werden noch immer häufig Legierungen wie Stähle mit 13 % Cr-Anteil verwendet. In vielen Fällen muss man jedoch zu Duplex, Super-Duplex oder ähnlich teuren Werkstoffen greifen.

Die Zeit bis zum vollständigen Durchreißen des Bauteils, also bis zum Versagen, kann zwischen Minuten und mehreren Jahren liegen.[4] Bei Goldschmuck mit 333er-Feingehalt kann im Extremfall schon nach einmaligem Tragen ein Angriff der Legierung stattfinden.[5]

Unfälle

Zusammenfassung
Kontext

Durch Spannungsrisskorrosion hat es einige spektakuläre Unfälle gegeben:

  • Die Kongresshalle Berlin („Schwangere Auster“) ist am 21. Mai 1980 wegen Spannungsrisskorrosion der Spannbeton-Stahldrähte teilweise eingestürzt,
  • Am 9. Mai 1985 ist infolge von Spannungsrisskorrosion durch chloridhaltige Feuchtigkeit die Betondecke des Hallenbades in Uster/CH abgestürzt, die an Ankern aus austenitischem Stahl aufgehängt war.[6][7][8] 12 Personen starben, 19 wurden verletzt
  • Am 14. Februar 2004 stürzte das Transvaal Park in Moskau wegen Spannungsrisskorrosion von Bauteilen aus nichtrostendem Stahl A4 (1.4404) ein. Es gab 28 Tote und 198 Verletzte.[9]
  • Am 4. Dezember 2005 stürzte das Delphin-Schwimmbad in Chusovoy (RU) aufgrund von Spannungsrisskorrosion von Bauteilen aus nichtrostendem Stahl ein. Es kam zu 14 Toten und 38 Verletzten.[9]
  • Am 1. November 2011 stürzten in der Schwimmhalle de Reeshof in Tilburg (NL) zwei Lautsprecherboxen auf ein Baby und seine Mutter, das Baby starb, die Mutter wurde an Kopf und Bein verletzt. Die Ursache war Spannungsrisskorrosion von nichtrostendem Stahl 1.4529 (Edelstahl mit 6 % Molybdän).[9][10][11]
  • Am 11. September 2024 stürzte ein Teil der Carolabrücke in Dresden wegen Spannungsrisskorrosion der Spannglieder ein.[12]

Abhilfe

Um Spannungsrisskorrosion zu vermeiden, muss mindestens eine der drei Bedingungen vermieden werden. Man kann also:

  • das Angriffsmittel (Korrosionsmedium) fernhalten; dies ist oft jedoch nicht möglich. So genügt bei Kupfer-Zink-Legierungen oft schon die allgemeine Luftverschmutzung, ein Bauernhof in der Nähe (Ammoniak aus dem Misthaufen) oder die Aufbewahrung eines ammoniakhaltigen Haushaltsreinigers in der Nähe des Bauteils. Auch im Fall „Hallenbad Uster“ (s. o. Unfälle) war die Chloridbelastung kaum zu vermeiden.
  • die Zugspannungen vermeiden; auch dies ist oft nicht möglich, wie die o. g. Aufhängung der Hallenbaddecke zeigt.
  • einen Werkstoff wählen, der gegen Spannungsrisskorrosion unempfindlich ist.
  • Bauteile spannungsfrei glühen, insbesondere nach vorheriger Kaltverformung von >12 %.

Untersuchung

Eine direkte Untersuchung erscheint derzeit nicht möglich. Risse oder Brüche an Spannstählen infolge Spannungsrisskorrosion lassen sich mit dem magnetischen Streufeldverfahren orten, siehe Spannstahlbruchortung.

Siehe auch

Einzelnachweise

Normen

Wikiwand - on

Seamless Wikipedia browsing. On steroids.