Rainer Marr

deutscher Wirtschaftswissenschaftler Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Rainer Marr (* 17. Juli 1942 in Gotha) ist ein deutscher Wirtschaftswissenschaftler. Er war von 1974 bis 2007 Professor an der Universität der Bundeswehr München und von 1991 bis 1995 Gastprofessor an der Technischen Universität Chemnitz. Von 2003 bis 2006 war er zudem Vorsitzender des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultätentages. Marr hat sich insbesondere auf dem Gebiet der Personalforschung hervorgetan. Er gilt als „MBA-Pionier“ in Deutschland und ist der „wissenschaftliche Vater“ des Personalmanagement-Professionalisierungs-Index (pix) der Deutschen Gesellschaft für Personalführung.

Akademischer Werdegang

Zusammenfassung
Kontext

Herkunft und betriebswirtschaftliches Studium

Rainer Marr wurde in Gotha, im damaligen Land Thüringen, geboren.[1] Er studierte von 1962 bis 1967 Betriebswirtschaftslehre an der Ludwig-Maximilians-Universität München und legte das Examen zum Diplom-Kaufmann ab.[2] Von 1968 bis 1973 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl des Produktions- und Kostentheoretikers Edmund Heinen, der das Institut für Industrieforschung und betriebliches Rechnungswesen leitete.[2] 1970 wurde er bei Heinen mit der Dissertation Industrielle Forschung und Entwicklung. Entscheidungs- und systemtheoretische Aspekte zum Dr. oec. publ. promoviert und 1974 habilitierte er sich, ebenfalls mit einer von Heinen betreuten Arbeit (Das Sozialpotential betriebswirtschaftlicher Organisationen. Zur Entwicklung eines Personalinformationssystems auf der Grundlage der innerbetrieblichen Einstellungsforschung).[3] Geprägt haben ihn in dieser Zeit die verhaltens- und entscheidungstheoretischen Entwicklungen innerhalb der Betriebswirtschaftslehre.[4]

Tätigkeit an der Universität der Bundeswehr München

Lehrstuhlinhaber, Gründungsdekan und Institutsleiter

Ab 1973 war er zunächst Vertreter des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre I und wurde ein Jahr später Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Entscheidungs- und Organisationsforschung, Personalwirtschaft an der Universität der Bundeswehr München in Neubiberg.[5] Nach mehr als dreißigjähriger Tätigkeit wurde er 2007 emeritiert.[5] Danach vertrat den Lehrstuhl Alexander Fliaster, ein Assistent Marrs, bis 2009 Stephan Kaiser Nachfolger wurde.[6] Marr war Gründungsdekan der Fakultät für Wirtschafts- und Organisationswissenschaften an der Bundeswehruniversität.[5] Er leitete dort das 19-köpfige Institut für Personal- und Organisationsforschung.[7] Die Studentenzahl betrug zwischen 35 und 40 Personen.[1] Marr betreute mehrere wissenschaftliche Arbeiten. Zu seinen akademischen Schülern und Mitarbeitern gehörten auch nachmalige Hochschulprofessoren u. a. Michael Stitzel (FU Berlin), Heidrun Friedel-Howe (UniBw München), Silke Wickel-Kirsch[8] (Hochschule RheinMain), Regine Graml[8] (Frankfurt University of Applied Sciences), Martin Elbe (HAM Erding), Alexander Fliaster (Otto-Friedrich-Universität Bamberg) und Andreas von Schubert[9] (Hochschule Wismar).

Münchner Personalforum

Das Institut organisierte ab 1987 das Münchner Personalforum, eine Dialogveranstaltung zwischen Wissenschaft und Praxis,[1] die sich mit aktuellen Fragen des Personalmanagements auseinandersetzte. 2007 wurde das Münchner Personalforum zuletzt zum 15. Mal ausgerichtet. Neben mehreren Personalvorständen von großen Unternehmen waren im Laufe der Zeit auch Landespolitiker[10] und Wissenschaftler wie Hans Jürgen Drumm[11] (Universität Regensburg), André Habisch[11] (Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt), Franz Josef Radermacher[12] (Universität Ulm), Ralf Reichwald[13] (TU München), Sonja A. Sackmann (UniBw München) und Rolf Wunderer (Universität St. Gallen) Referenten. Wiederholt berichtete das Handelsblatt von der Veranstaltung.[14]

Gesellschaft zur Förderung der Weiterbildung und MBA-Programme

Seit 1987 ist er Vorsitzender des Vorstands der gemeinnützigen und mit der Universität verbundenen Gesellschaft zur Förderung der Weiterbildung an der Universität der Bundeswehr München e. V. (gfw).[2] Er gilt gemeinsam mit der gfw und der Universität des Saarlandes als „Pionier“ für MBA-Programme in Deutschland.[15] 1989 war er „Spiritus rector[16] für den „Henley MBA (Distance Learning)“, ein berufsbegleitendes Fernstudium in Kooperation von gfw mit dem britischen Henley Management College in Reading.[17] In einer Zeitspanne von zehn Jahren sollen insgesamt 140 Absolventen den European Executive MBA durchlaufen haben.[18]

Darüber hinaus war er für weitere Konzeptionen verantwortlich. So initiierte er 2006 den ausschließlich für Offiziere zugeschnittenen international und praxisorientierten MBA „International Management“ an der Hochschule Reutlingen und der Universität der Bundeswehr München.[19] Dieser wird zu einem nicht unerheblichen Teil durch den Berufsförderungsdienst der Bundeswehr (BFD) getragen.[20] Federführend war er auch an der Ausarbeitung eines Human-Resource-Masters beteiligt, ursprünglich für die Bundeswehruniversität vorgesehen,[21] der nach Verzögerung mit erneuten Anlaufen 2011 als „Executive Master of Leadership in Human Resource Management“ unter der Leitung von Ingo Weller an der LMU München anlief.[22] Marr ist Mitglied im Beirat.[22]

Gastprofessur und weitere Verpflichtungen

Von 1991 bis 1995 wirkte er als Gastprofessor an der Technischen Universität Chemnitz-Zwickau,[1] wo er zunächst der Gründungskommission der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften angehörte.[5] Er baute die Fakultät mit auf, die bis heute einen Schwerpunkt auf Personal legt.[1] Marr war von 2009 bis 2014 Akademieleiter und Vorsitzender des Vorstands der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie e. V. (VWA) München.[23] 2011 wurde er in den Bundesvorstand der VWA gewählt.

Er begründete die Wissenschaftlichen Kommissionen „Personalwesen“ (1976) und „Organisation“ (1977) im Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft e. V. (VHB) mit.[24] Von 1980 bis 1982 war er Vorsitzender der Kommission Personalwesen und zuvor von 1975 bis 1982 Vorstandsbeiratsmitglied des Verbandes.[2] Gemeinsam mit Karl-Friedrich Ackermann und Eduard Gaugler und Praktikern aus der Wirtschaft erarbeitete er im Auftrag der Schmalenbach-Gesellschaft ein Curriculum zur Humanvermögensrechnung.[4]

Von 2003 bis 2006[25] war er Vorsitzender des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultätentages (WiSoFT).[5]

Veröffentlichungen

Marr ist Autor zahlreicher Bücher (erschienen auch in Russland und Spanien), von Beiträgen in Sammelbänden (ca. 50) und von Zeitschriftenaufsätzen (ca. 30).[26] So publizierte er in deutsch- und englischsprachigen wirtschaftswissenschaftlichen Fachzeitschriften u. a. in der Zeitschrift für Personalforschung, in Die Betriebswirtschaft, in Die Unternehmung, im Journal of Change Management und in Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung sowie in führenden Fachmagazinen für Personalwesen. Er verfasste Lexikonbeiträge in renommierten Nachschlagewerken wie der Enzyklopädie der Betriebswirtschaftslehre und der International Encyclopedia of Business and Management. Ab 1982 war er gemeinsam mit Ralf Reichwald (TU München) Herausgeber der Schriftenreihe Mensch und Arbeit im technisch-organisatorischen Wandel im Fachverlag Erich Schmidt.

Der von Marr bearbeitete Themenbereich umfasst u. a. Personalmanagement, Personalcontrolling und Human Resource Management.[27] Er widmet sich in seinen Schriften immer wieder der individuellen Führung in Organisationen.[28] In seiner Festschrift wird Marr ein Pragmatismus im Sinne Immanuel Kants attestiert, der auch auf die Sittlichkeit, d. h. Ethik und Moral, abstellt.[29]

Ein Teil von Marrs Nachlass befindet sich heute im Universitätsarchiv der Universität der Bundeswehr München.[30]

Studien- und Forschungsergebnisse

Zusammenfassung
Kontext

Marr wird der dritten Generation der Personalmanagementforschung zugerechnet.[31] Er steht als einer der wichtigsten Vertreter (gemeinsam mit Walter A. Oechsler aus Mannheim) in der ökonomischen Tradition von August Marx (1. Generation) und Eduard Gaugler (2. Generation).[31] Zentraler Bezugsrahmen dieses akademischen Ansatzes sind Planung und Verwaltung, wobei die Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, aber auch rechtliche und operative Aspekte einen wichtigen Platz einnehmen.[32]

Theoretische Arbeiten

Personalwirtschaft

Marr steuerte mehrere Buchkapitel zum Standardwerk Industriebetriebslehre (9. Auflage 1991) bei.[4] Erstmals wurde in ein betriebswirtschaftliches Lehrbuch eigens ein Abschnitt „Personalwirtschaft“ aufgenommen.[4] Marr und sein Kollege Peter Kupsch wurden damit 1972 durch ihren gemeinsamen Lehrer betraut.[33] Methodisch und didaktisch bauten sie das Kapitel um die Anreiz-Beitrags-Theorie (Simon/March 1958) auf.[33] Wie bereits Heinen lösten sie sich vom mechanistischen Menschenbild Erich Gutenbergs.[34]

Im Jahr 1979 arbeitete Marr mit seinem Schüler Michael Stitzel einen „konfliktorientierten Ansatz“ heraus.[33] Die Wissenschaftler ordnen die Personalwirtschaft einer sozialwissenschaftlich-interdisziplinär ausgerichteten Betriebswirtschaftslehre zu.[35] Konflikte, bestehend aus den zu unterscheidenden Dimensionen Sichtbarkeit, Intensität, Häufigkeit und Zeitpunkt,[36] seien aufgrund unterschiedlicher Zielkategorien ein unvermeidbarer Bestandteil des individuellen Verhaltens in Organisationen.[37] Sie müssten innerhalb der wissenschaftlichen Disziplin erklärt und interessenausgleichende Handlungsempfehlungen gefunden werden.[38] Der Ansatz hat Eingang in die Literatur gefunden und wird gelegentlich als „spezifische Ausprägung des Stakeholder-Ansatzes“ interpretiert.[39]

Arbeitszeitmanagement

Im Jahr 1987 erschien im Erich Schmidt Verlag der Sammelband Arbeitszeitmanagement. Grundlagen und Perspektiven der Gestaltung flexibler Arbeitszeitsysteme (3. Auflage 2001). Darin definierte Marr auch den Begriff Arbeitszeitmanagement.[40]

Europäisches Personalmanagement

Marr war 1991 Herausgeber des in der Wissenschaft positiv aufgenommenen Doppelbandes Euro-strategisches Personalmanagement, erschienen im Rainer Hampp Verlag. Darin wurde beleuchtet, wie sich der 1993 in Kraft tretende Europäische Binnenmarkt auf das Personalmanagement auswirken werde. Die Beiträge wurden verfasst von u. a. Fred G. Becker, Martin Hilb, Thomas R. Hummel, Peter Meyer-Dohm, Leo Kißler, Wolfgang Mayrhofer, Hans-Christian Pfohl, Wolfgang-Ulrich Prigge, Christian Scholz, Dieter Wagner und Hansjörg Weitbrecht. Marr selbst leitete das Werk dahingehend ein, dass es zu strategischen Herausforderungen kommen werde.[41][42]

Absentismus

Als Hilfestellung für Praktiker gab Marr 1996 im Verlag für Angewandte Psychologie einen Sammelband, der zum damaligen Zeitpunkt einzigartig war, zum Thema Absentismus heraus. In insgesamt acht Beiträgen wurden der empirisch-theoretische Bereich, die Anreize zur Begegnung von motivations- und krankheitsbedingt Fehlzeiten und die einzelnen Auswirkungen auf das Arbeitsrecht aufgezeigt. Marr selbst arbeitete im ersten Kapitel einen Variablenkatalog heraus und umriss präventive und therapeutische Eingriffsmöglichkeiten.[43]

Arbeitsverhältnisse

2003 erschien gemeinsam mit Alexander Fliaster das im Rainer Hampp Verlag veröffentlichte Werk Jenseits der „Ich AG“. Darin untersuchten die Autoren alternative Arten von Arbeitsverhältnissen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Sie orientierten sich dabei grundlegend am Begriff des Psychologischen Vertrages. Kritisch setzten sie sich insbesondere mit den Folgen einer möglichen Transformation von Unvollständigen Verträgen („relational“) hin zu transaktionalen Verträgen („transaktional“) auseinander. Marr und Fliaster ließen in ihre Arbeit auch die internationalen Entwicklungen der Idee der Corporate Governance einfließen.[44]

Empirische Arbeiten

Karriereanalyse von ehemaligen Offizieren

In dem Buch Kaderschmiede Bundeswehr? Vom Offizier zum Manager von 2001 (2. Auflage 2002) analysierte eine Gruppe um Rainer Marr vom Institut für Personal- und Organisationsforschung empirisch die Karriereperspektiven von Absolventen der Universitäten der Bundeswehr.[45] Marrs Analyseergebnisse wurden sowohl in der Militärsoziologie als auch in den überregionalen Medien aufgegriffen. Die zugrunde liegenden Befragungen wurden 1991 und 1996 durchgeführt.[45] Ehemalige Offiziere gelten oft als „high potentials“, die nach einer Eingewöhnungszeit in der zivilen Berufswelt zu Leistungsträgern avancieren können.[45] Der Personalforscher Michel Domsch (HSU/UniBw Hamburg) kam bereits 1987 zu vergleichbaren Ergebnissen.[45][46] Über 80 Prozent der Befragten von Marr wechselten nach ihrer Dienstzeit in die freie Wirtschaft.[47] Studierte Offiziere stiegen mit einer Wahrscheinlichkeit von 82,9 zu 59 Prozent eher in Führungspositionen auf, als zivile Hochschulabsolventen.[48] Fast die Hälfte erreichten die Ebene Geschäftsführer oder Vorstand.[49] Es entstehe ein Netzwerk, so Medienvertreter.[50] Marr räumte allerdings ein, dass unter den angeführten viele Selbständige seien.[49] Als einschlägige Branchen gelten die Metallindustrie, die Luft- und Raumfahrttechnik, die Elektrotechnik und die Computerindustrie.[51]

Studie zum Personalabbau

Marr veröffentlichte 2003 gemeinsam mit seiner Mitarbeiterin Karin Steiner im Deutschen Universitäts-Verlag eine Studie zu den Maßnahmen des Personalabbaus deutscher Unternehmen im Zuge gestiegenen Wettbewerbsdrucks.[52] Sie gilt als eine der wenigen empirischen Arbeiten auf diesem Gebiet.[52] Die Forscher untersuchten in Form von Befragungen von Führungskräften und deren Mitarbeitern im Detail den Verlust des Humankapitals im Zuge eines professionellen Trennungsmanagements.[53] Im Ergebnis konnten die ökonomischen Unternehmensziele wie die Senkung von Personalkosten allerdings von den befragten Unternehmen nicht erreicht werden.[53] Marr und Steiner widmeten sich ferner einer Gesamtbetrachtung von indirekten und sozialen Effizienzkriterien.[53] Der Erfolg hänge insbesondere vom jeweils eingesetzten weichen oder harten Instrumentarium (z. B. Einstellungsstopp, Nichtverlängerung von Zeitverträgen, Umsetzungen und Versetzungen, und Aufhebungsverträge[54]) und von der Gestaltung des Prozesses ab. Kritisch bewerteten sie, dass bei den Alternativen zum Personalabbau die Mitwirkungsmöglichkeiten der Arbeitnehmer sehr beschränkt seien.[53]

Personalmanagement-Professionalisierungs-Index

Für die Deutsche Gesellschaft für Personalführung (DGFP) entwickelte Marr den Personalmanagement-Professionalisierungs-Index (pix), der seit 2004 den Zusammenhang zwischen Personalmanagement und Unternehmenserfolg messen soll.[55] Im Zuge der Einführung des Index gab es eine wissenschaftliche Fachdiskussion, die in der Zeitschrift für Personalforschung ausgetragen wurde.[56]

Schriften (Auswahl)

Monografien

Sammelbände

Gespräche / Interviews

Literatur

Einzelnachweise

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