Galeriegrab Züschen I
Großsteingrab in Deutschland Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Großsteingrab in Deutschland Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Das Galeriegrab Züschen I (auch Galeriegrab Lohne[1] oder Steinkammergrab von Züschen genannt) ist eine vorgeschichtliche megalithische Grabanlage, die im Feld zwischen den Fritzlarer Ortsteilen Züschen und Lohne im Schwalm-Eder-Kreis in Nordhessen liegt. Es ist ein Galeriegrab, eines der bedeutendsten Exemplare seiner Art, und stammt aus dem 4. bis 3. Jahrtausend v. Chr. Wegen seiner eingeritzten Bildzeichen nimmt es eine Sonderstellung unter den Megalithanlagen vom Typ Züschen der Wartberg-Kultur ein.
Galeriegrab Züschen I Galeriegrab Lohne, Steinkammergrab von Züschen | ||
---|---|---|
Lochstein und Vorkammer des Galeriegrabes von Züschen | ||
| ||
Koordinaten | 51° 10′ 26″ N, 9° 14′ 25,8″ O | |
Ort | Fritzlar OT Lohne, Hessen, Deutschland | |
Entstehung | 3500 bis 2800 v. Chr. |
Das Grab befindet sich etwa 900 m östlich von Züschen und 2 km westlich von Lohne auf einem Feld nahe der Gemarkungsgrenze auf dem Flurstück „Engelshecke“.[2] Das Gelände fällt hier sanft nach Südosten ab. Das Grab ist um 90° gegen die Hangneigung gedreht.[3] Möglicherweise war aber nicht die Lage im Gelände für die Orientierung des Grabes ausschlaggebend. Seine Längsachse scheint zum 4,9 km ostnordöstlich gelegenen Wartberg ausgerichtet zu sein.[4] Hier befindet sich eine bedeutende vorgeschichtliche Siedlung, die zum namensgebenden Fundort der Wartberg-Kultur wurde. Etwa 1 km ostsüdöstlich des Grabes befindet sich eine weitere befestigte Siedlung der Wartberg-Kultur auf dem Hasenberg.
In der näheren Umgebung gab es ursprünglich drei weitere Galeriegräber. 150 Meter nordwestlich des Steinkammergrabes befand sich das Galeriegrab Züschen II. Dieses wurde bereits 1894 völlig zerstört aufgefunden, Reste im Gelände sind heute nicht mehr erkennbar. Die Reste dieser Anlage wurden 1894, 1939 und 1949 gemeinsam mit Züschen I archäologisch untersucht.[5][6] 400 m östlich befand sich das Galeriegrab Züschen IV, das 1966 entdeckt wurde. Die ausgegrabenen Wandplatten dieses Grabes sind mittlerweile verschwunden.[7] 2,5 km östlich von Grab I lag das Galeriegrab Züschen III, das bereits um 1900 zerstört wurde.[7] Diese vier Anlagen sind alle nach dem Ort Züschen benannt, obwohl außer Züschen II alle Gräber in der Gemarkung Lohne liegen.
In etwas größerer Entfernung gibt es drei weitere Galeriegräber. 4,7 km nordnordwestlich von Züschen I befindet sich das Galeriegrab Altendorf, 5,1 km ostnordöstlich liegt das Galeriegrab Gleichen und 8,8 km ostnordöstlich das Lautariusgrab bei Gudensberg. Diese drei Anlagen bilden zusammen mit den vier Gräbern von Züschen die sogenannte Züschener Gruppe.
Der Müller Schmalz aus Züschen war beim Bestellen des Feldes schon Jahre vor der eigentlichen Entdeckung des Grabes auf eine ihn hindernde Reihe von Sandsteinen gestoßen. Er verschob die Steine vorläufig und begnügte sich damit, einige der Platten sich an der Oberkante abarbeiten zu lassen. Im Frühjahr 1894 sollten die Hindernisse endgültig entfernt werden. Dem Inspektor Rudolf Gelpke von der in Züschen im Bau befindlichen Garvensburg fiel das Vorkommen von Sandstein auf der Basaltkuppe als ungewöhnlich auf. Nach eingehender Besichtigung kam er zu der Überzeugung, dass es sich bei den zwei Reihen senkrecht stehender regelmäßiger Platten um einen vorgeschichtlichen Fund handeln musste. Gelpke setzte beim Besitzer des Feldes durch, dass dieser nur an den beiden Enden die Erde abheben ließ. Dabei kamen Scherben und Knochen zum Vorschein. Daraufhin wurde der Besitzer der Garvensburg, Wilhelm Garvens, benachrichtigt, der wiederum einen Archäologen, den Baron Felix von und zu Gilsa informierte. Dieser nahm den Fund in Augenschein, woraufhin unter Aufsicht des ehemaligen Direktors der Staatlichen Museen Kassel, Johannes Boehlau, das Grab freigelegt wurde.
Otto Uenze vom Amt für Bodenaltertümer in Marburg begann 1939 mit einer Nachuntersuchung der Gräber Züschen I und II. Bedingt durch den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs musste er seine Forschungen aber schon bald wieder einstellen und konnte sie erst 1949 wieder aufnehmen. Uenze konzentrierte sich vor allem auf den Abraum der Grabung von 1894. 1958 publizierte er seine Ergebnisse.
Hans Heintel konnte in den 1960er Jahren weitere Zeichnungen auf den Steinplatten des Grabes identifizieren.
Emmanuel Anati vom Centro Camuno di Studi Preistorici in Capo di Ponte (Lombardei/Italien) leitete 1974 eine weitere Untersuchung des Grabes. Deren Ziel war die vollständige Erfassung der Zeichnungen auf den Steinplatten. Dazu wurde das Grab zunächst von Vegetation und Flechtenbewuchs befreit. Anschließend wurde ein neuer Plan erstellt, die einzelnen Platten fotografisch erfasst, die Darstellungen auf Klarsichtfolie abgezeichnet und es wurden Latex-Abdrücke der Platten angefertigt.[8] Gemeinsam mit Mário Varela Gomes von der Universidade Nova de Lisboa legte Amati 2013 eine auf der Untersuchung von 1974 aufbauende Monografie vor, in der die Zeichnungen des Züschener Grabes umfangreich dokumentiert und in ihrem europäischen Kontext diskutiert werden.
1986 wurde das Grab saniert und aus konservatorischen Gründen mit einem Schutzbau versehen.[9]
Ein Forscherteam um Dieter Dirksen dokumentierte 2005 alle Platten des Grabes mit einem Streifenlichtscanner. Das hieraus erstellte 3D-Modell wurde allerdings nur ausschnittsweise publiziert.
Kerstin Schierhold publizierte in ihrer 2012 erschienenen Dissertation zur Megalithik in Hessen und Westfalen eine vollständige Zusammenstellung der aus dem Grab stammenden Funde.
Im Rahmen einer Bachelorarbeit an der Hochschule Mainz wurde das Grab 2015 erneut digital vermessen. Die komplette Anlage wurde mit einem terrestrischen Laserscanner erfasst, einzelne Steine wurden zusätzlich mit einem Streifenlichtscanner abgetastet.
Svend Hansen, Mehmet Karauçak, Jan Krumnow und Konstantin Scheele führten 2020 eine weitere digitale Vermessung des Grabes und seiner Umgebung durch. Mittels einer Drohne wurde eine digitale Höhenkarte erstellt. Das Grab wurde erneut mit einem terrestrischen Laserscanner vermessen. Die einzelnen Platten des Grabes wurden mit dem Structure-from-Motion-Verfahren fotogrammetrisch erfasst. Die Scans wurden 2021 vollständig publiziert.
Die rechteckige und in den Boden eingelassene Grabkammer ist 20 m lang und 3,50 m breit. Zusammengesetzt ist die Anlage aus rechteckigen Sandsteinplatten, die man auf dieser Talseite des Elbebaches nicht findet. Die Längswände bestehen aus zwei Reihen von je 12 Steinen, wovon einer fehlt. Die Schmalseiten bestehen je aus einer Platte.
Eine Abschlussplatte trennt die eigentliche Grabkammer von einem kleinen Vorraum mit 2,50 m Länge ab. Diese Platte hat in der Mitte eine kreisrunde Öffnung, das so genannte Seelenloch, von 50 cm Durchmesser, die als Zugang und als Tür zwischen Lebenden und Toten für die im Vorraum stattfindenden Opferhandlungen gedeutet werden kann. Ob die Öffnung geschlossen war, wie dies bei vergleichbaren französischen Anlagen der Fall ist, lässt sich nicht nachweisen. Der Boden des Vorraums besteht aus tennenartig festgetretenem Lehm. Reste einer im Inneren des Grabes liegenden Platte belegen die ursprüngliche Abdeckung der Anlage. Das Auffinden ortsfremder Steine lässt eine Hügelanschüttung vermuten.
Die zur Hessischen Senke gehörende Umgebung des Grabs ist von durch Basaltkuppen durchbrochenen Buntsandsteinflächen geprägt. Untersucht wurden 25 Steinplatten. Bei dem verwendeten Baumaterial handelt es sich um die Wilhelmshausen-Schichten der Solling-Folge, die dem Mittleren Buntsandstein zuzuordnen sind. Die Schichten stehen in mehreren Aufschlüssen nördlich und südlich der Anlage an. Aufgrund der geringen Entfernung und der Beschaffenheit der Schichten für einen Abbau unter neolithischen Bedingungen kommen zwei Stellen in Frage. Die ermittelten Entfernungen ergeben 1300 m nach Norden und 1000 m nach Süden. Da der Transportweg vom nördlicheren Aufschluss zum Grab weniger steil ist, ist dieser trotz der etwas größeren Entfernung der wahrscheinlichere. Bis vor wenigen Jahren wurde nördlich des Grabes Buntsandstein abgebaut, sodass die Schichten hier bis in große Tiefe offen liegen. Während des Neolithikums ist von einer oberflächennahen Entnahme auszugehen. Südlich der Anlage finden sich naturbelassene Aufschlüsse. Die an der Oberfläche liegenden Schichten sind stark verwittert und zeigen Risse, die auch der nördliche Aufschluss vor der modernen Ausbeutung gezeigt haben wird. Die Wilhelmshausen-Schichten eignen sich zum Gewinn von plattigem Baumaterial. Die Schichten bzw. Bänke sind natürlicherweise vertikal und horizontal durch Kluftsysteme und Schichtflächen getrennt und mit einfachen Mitteln abzubauen. Durch diese natürlichen Fugen war die Form des Werkstücks vorgegeben. Die Steine sind aufgrund der sandigen Struktur relativ weich und gut für eine Bearbeitung der Oberflächen geeignet. Das Anbringen des kreisrunden Seelenlochs im Türlochstein und die Verzierung mit Ritzzeichnungen bereiteten keine Schwierigkeit.
Der Schutt war mit zahlreichen menschlichen Knochen durchsetzt. Da man am Grund der Grabanlage nur 27 Skelettreste nachweisen konnte und die Knochen stark vermischt und nicht mehr im anatomischen Verband und in Reihe lagen, ist davon auszugehen, dass die ursprüngliche Anzahl der Bestatteten wesentlich größer war. Die frühe Zerstörung der Grabanlage und der Deckenplatten muss vor dem 10. bis 9. Jahrhundert v. Chr. erfolgt sein, da man die Überreste einer urnenzeitlichen Nachbestattung fand. Holzkohle und Asche wurden an verschiedenen Stellen, besonders bei den Knochenresten am Türlochstein und an der südwestlichen Abschlussplatte, gefunden. Die menschlichen Knochen weisen aber keinerlei Brandspuren auf. In der Mitte der Vorkammer wurde zudem eine zusammenhängende Ascheschicht entdeckt.
Die meisten Fundstücke stammen mit hoher Wahrscheinlichkeit aus der Hauptkammer und waren somit den Toten der Bestattung beigegeben. Neben den Skelettresten und Rinderknochen fand man, da das Grab schon frühzeitig zerstört worden war, sehr wenig Keramik, einige Stein- und Knochenwerkzeuge, eine tönerne Tasse und eine der nordischen Trichterbecherkultur zuzuordnende Kragenflasche. In dieser wurden vermutlich pflanzliche Öle oder Schwefel, die als Heilmittel Verwendung fanden, aufbewahrt. Zudem fand man ein Bruchstück einer Tasse, das den Funden des Grabes von Lohra ähnlich ist. Der so genannte Riesenbecher stammt vermutlich aus einer Nachbestattung. Aus Feuerstein hergestellte Messerklingen und Sicheleinsätze fand man ebenso wie kleine trapezförmige Beile aus Wiedaer Schiefer. An Knochengeräten wurden ein Meißel, eine Spitze und eine Pfeilspitze aufgefunden.
Zu den beeindruckenden Funden der Ausgrabung gehören die eingeritzten Zeichen. Mit einem womöglich frühen Metallgerät (?) wurden punktförmige Einschläge zu Linien gereiht. Ein wiederkehrendes Zeichen ist eine Linie mit einem aufgesetzten geöffneten Halbbogen, die als Rinderdarstellungen gedeutet wird. Meist sind zwei Rinder durch eine Linie mit zwei betonten Endpunkten miteinander verbunden. Die Darstellung könnte ein Pflug sein. Seltener verbinden sich die Zeichen durch ein Joch mit einer Deichsel zu Karren. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Rinderdarstellungen keinen Bezug zueinander haben. Es handelt sich vermutlich um eine Summierung von Einzelzeichen, was durch die Überschneidungen zu belegen ist. Sollte wirklich ein Karren dargestellt sein, wäre das eine der ältesten Raddarstellungen in der Geschichte der Menschheit überhaupt.
Des Weiteren ist auf dem Stein B2 ein Gesicht zu erkennen. Aufgrund von Vergleichen mit anderen Darstellungen in Frankreich wird dieses Gesicht als Bild der Großen Göttin bzw. Dolmengöttin gedeutet, deren Attribut ein von Rindern gezogener Wagen ist[10].
Als Rindergespanne vergleichbare Ritzzeichnungen sind unter anderem die entsprechenden aber weit jüngeren Zeichen auf Felsen in Valcamonica bei Capo di Ponte in Oberitalien und in den ligurischen Alpen von Mont Bégo, Frankreich.[11] Die Bildzeichen könnten die Vorstellungen einer steinzeitlichen Religion widerspiegeln.
Eine Nachbildung der Grabanlage befindet sich im hessischen Landesmuseum in Kassel.
Seamless Wikipedia browsing. On steroids.
Every time you click a link to Wikipedia, Wiktionary or Wikiquote in your browser's search results, it will show the modern Wikiwand interface.
Wikiwand extension is a five stars, simple, with minimum permission required to keep your browsing private, safe and transparent.