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Fels- und Schuttbewegung aus steilen Bergflanken Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Ein Bergsturz ist eine großvolumige, schnell vonstattengehende Fels- und Schuttbewegung aus steilen Bergflanken. Auch stabil erscheinende Felswände können betroffen sein, wenn sie von Klüften durchzogen sind. Bei Bergstürzen verhält sich das Gestein großräumig wasserähnlich, kann auf einer geneigten Gleitbahn eine Geschwindigkeit von über 100 km/h erreichen und sogar an gegenüberliegenden Hängen aufbranden, wie beispielsweise im Oberinntal mehrfach zu sehen ist. Die Untersuchung von Bergstürzen und ihrer Ursachen ist ein interdisziplinäres Thema zwischen mehreren Fachgebieten, v. a. Geologie, Felsmechanik, Ingenieurvermessung und Geomorphologie, während zugehörige Warnsysteme in jüngst entstandenen Kooperationen zwischen Geotechnik und Geodäsie entwickelt werden.
Die Ablagerungsgebiete können Volumina von mehreren Millionen Kubikmetern und Flächenausdehnungen von mehr als 10 Hektar erreichen. Eine umfassende Definition von Bergstürzen stammt vom Geografen Gerhard Abele (1974): Bergstürze sind „Fels- und Schuttbewegungen, die mit hoher Geschwindigkeit in Sekunden oder Minuten aus Bergflanken niedergehen und im Ablagerungsgebiet ein Volumen oberhalb von einer Million Kubikmeter besitzen, sowie eine Fläche von über 10 Hektar bedecken. Kleinere Ereignisse bezeichnet man als Felsstürze“.[1]
Frank Ahnert definiert sie im Lehrbuch Geomorphologie (1996) stattdessen auf der subjektiven Ebene: „Die von der Bewegung erfasste Hangfläche und die bewegte Gesteinsmasse (bzw. Volumen) muss groß genug sein, um der Bezeichnung „Bergsturz“ in der Auffassung der umwohnenden Bevölkerung und der das Ereignis untersuchenden Geomorphologen gerecht zu werden“.[2]
Bergstürze sind demnach groß dimensionierte Felsstürze mit teils verheerenden Auswirkungen. In den zurückbleibenden Schuttmassen können sich zudem kleinere Stauseen bilden, bisweilen auch größere Abdämmungsseen. Eine Sonderart von Felssturz ist der Eissturz mit weit überhöhter Schadensfläche, da das Eis (zusammen mit Schutt) weiter transportiert wird, das Eis, auch Sturzeis genannt,[3][4] dabei durch die Reibungshitze schmilzt oder gar verdampft und damit ein Effekt ähnlich dem bei einem Luftkissenfahrzeug entstehen kann.
Bergstürze entstehen in der Regel an der Grenze zweier oder mehrerer Gesteinsschichten und an tektonischen Störungslinien, wenn derartige Grenzflächen durch Erdbeben, extreme Wetterereignisse (heftige Niederschläge oder Temperaturschwankungen) geschwächt werden oder auch wenn ein Gletscher abschmilzt und dessen Gegendruck fehlt. Zunehmende Steinschlagaktivität kann ein Hinweis auf bevorstehende Bergsturzereignisse sein. Eingriffe des Menschen in die Natur (Hangrodung, zu breite Forstwege, Rohstoffabbau) können diese Vorgänge beschleunigen, wie exemplarisch beim Bergsturz von Elm 1881. Fels- und Bergstürze stellen neben Muren und Lawinen die Hauptgefahr natürlicher Phänomene im Gebirge dar.
Man unterscheidet zwischen den häufiger vorkommenden Schlipfstürzen und den selteneren Fallstürzen. Ein Schlipfsturz beginnt mit einer Gleitbewegung, bei der die rutschende Masse weitgehend im Verband bleibt oder völlig in Kleinteile zerfällt. Durch eingeschlossene Luft, die wie ein Luftpolster zwischen dem festen Untergrund und der abrutschenden zerfallenden Gesteinsmasse wirkt, können Schlipfstürze selbst in Gesteinspartien ohne größeren Wassergehalt auftreten. Beim Fallsturz hingegen erfolgt praktisch unmittelbar ein Abbruch, bei dem sich das Gestein im freien Fall befindet.[5]
Der mit dem Klimawandel verbundene Temperaturanstieg und das damit einhergehende Auftauen des bis anhin stabilisierenden Permafrosts erhöht die Gefahr von Bergstürzen. Die historische Geologie kennt Bergstürze mit diesen Ursachen bereits aus früheren Warmzeiten.
Das bei Bergstürzen zurückbleibende Material bildet eine Sturzhalde, in der Schweiz Bergsturzkegel genannt; zur Orientierung in solchen Blockhalden (etwa bei Vermessungen oder Umweltprojekten) werden größere Felsblöcke oft mit roten Nummern markiert. Nach längeren Zeiträumen können durch Bergstürze auch reizvolle Landschaften entstehen. Typisch für das Ablagerungsgebiet ist ein kleinhügeliges Relief (sogenannte Tomahügel) mit meist deutlicher Abgrenzung zur Umgebung.
Die Geschwindigkeit eines Bergsturzes beim Auftreffen aufs Gelände kann – abhängig von der Fallhöhe – 100 km/h übersteigen. Auf einer stark geneigten Gleitbahn kann die Geschwindigkeit der Gesteinslawine weiter auf 200 km/h anwachsen, auf einem Gletscher auch noch mehr. Sie hängt von der Gesamtmasse, vom Material und dessen Verdampfen sowie von der Gleitreibung des Untergrunds ab.
Ein Bergsturzereignis bewirkt sowohl im Abbruchgebiet als auch im Ablagerungsgebiet markante Änderungen. Im Abbruchgebiet kann es zum Beispiel zu Nachstürzen und zu Sackungsbewegungen am oberen Rand der Abrisswände kommen. Weitere Folgen von Bergstürzen können sein:
Besonders in dichter besiedelten Gebieten werden auch Kulturbauten und Menschenleben gefährdet, insbesondere durch
Zur Einschätzung der Größe und Auswirkung von Berg- und Felsstürzen werden in der Regel Angaben zu den Volumina der umgelagerten Gesteinsmassen und zur Flächenausdehnung ihrer Ablagerungsgebiete gemacht. Bei Bergstürzen geht es dabei um Volumina im Bereich von Millionen bis zu Milliarden Kubikmetern und Ablagerungsflächen von einem Dutzend bis zu über tausend Hektar. Bei mittelgroßen bis großen Felsstürzen betragen die Volumina einige tausend bis zu einigen hunderttausend Kubikmetern mit Ablagerungsflächen im Hektar-Bereich.
Für Sturzmassen, die bis in den Talgrund gelangt sind und ggf. ein Fließgewässer aufgestaut haben, finden sich häufig Angaben, auf welcher Länge und bis zu welcher Höhe über dem Talboden das Tal verlegt wurde und bis zu welcher Höhe die Gesteinsmasse am gegenüberliegenden Prallhang emporgebrandet ist.
Für die Einschätzung der bei einem Berg- bzw. Felssturz umgesetzten Energie (von Lageenergie in Wärme, Verformungsarbeit und im abgelagerten Gestein gebundene chemische Energie) sind Angaben zur mittleren Sturzhöhe erforderlich, die über die Höhe und Massenverteilung im Abriss- und Ablagerungsgebiet geschätzt werden können. Für die größten bekannten Bergsturzereignisse wie den Flimser Bergsturz kommen vorsichtige Abschätzungen zu umgesetzten Energien jenseits von 100 Petajoule (1017 Joule).
Die Umrechnung zwischen verschiedenen Einheiten und die damit verbundenen Größenordnungsunterschiede geben die folgenden Tabellen wieder.
Größenordnung | Umrechnung in kleinere Einheit | Anschauliche Entsprechung | |
---|---|---|---|
tausend Kubikmeter (1.000 m³) | Rauminhalt eines Würfels mit | 10 m Kantenlänge | |
1 Million Kubikmeter (1.000.000 m³) | 100 m Kantenlänge | ||
1 Kubikkilometer (1 km³) | 1 Milliarde Kubikmeter bzw. 1000 Millionen Kubikmeter |
1 km Kantenlänge |
Größenordnung | Umrechnung in kleinere Einheit | Anschauliche Entsprechung | |
---|---|---|---|
1 Hektar (1 ha) | 10.000 Quadratmeter (10.000 m²) | Flächeninhalt eines Quadrates mit | 100 m Kantenlänge |
1 Quadratkilometer (1 km²) | 100 Hektar (100 ha) bzw. 1 Million Quadratmeter (1.000.000 m²) |
1 km Kantenlänge |
Prähistorische Bergstürze können aufgrund der geologischen Beschaffenheit des Bodens und der Oberflächenformen im Abbruchgebiet und im Ablagerungsgebiet erkannt werden.
Im Jahr 1895 wurde der Ötztaler Pfarrer Adolf Trientl, der auch Naturkundler war, darauf aufmerksam, dass Zimmerleute zum Holzschleifen heimischen vermeintlichen „Bimsstein“ verwendeten, dessen Herkunft der angefragte Innsbrucker Geologieprofessor Adolf Pichler auf die Tätigkeit eines örtlichen Vulkans zurückführte. Diese Theorie ließ sich aber ebenso wenig erhärten wie die Idee eines großen Meteoriteneinschlages. Der an Meteoriteneinschlägen besonders interessierte Mineraloge und Petrologe Ekkehard Preuss[37] aus Regensburg erforschte ab 1962 die vermeintlichen Bimssteinfundstellen und die Oberflächenform des Bergsturzes genau und kam zu dem Schluss, dass die für die Theorie nötige Reihenfolge – erst Meteoriteneinschlag, dann Bergsturz – nicht stimmen könne.
Aufgeklärt wurde das Phänomen der vermeintlichen Bimssteinvorkommen dann von Theodor H. Erismann, dem damaligen Direktor der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Versuchsanstalt in Dübendorf bei Zürich. Als vor ca. 8000 Jahren 3 km3 Gestein vom Köfels in das Ötztal rutschten, erreichten die Rutschmassen Geschwindigkeiten von 150 bis 200 km/h. Die Reibung im Bereich der Gleitfläche führte unter dem hohen Gewichtsdruck zu einer so großen Hitzeentwicklung, dass der Gneis schon nach 100 m Wegstrecke zu schmelzen begann. Am Köfels überschritten die Temperaturen 1700 °C. Während der Gneis schmolz, wurde der darin in geringen Mengen enthaltene Calcit durch die Hitze in Branntkalk und Kohlendioxid zerlegt. Das so entstandene Gaspolster und die Gesteinsschmelze bildeten ein ausgezeichnetes Gleitmittel für die ganze Masse. Der „Bimsstein“ aus dem Ötztal wird heute nach seinem Fundort Köfels als Köfelsit bezeichnet. Der Überbegriff lautet, erstmals 1977 benannt nach der Reibung, Friktionit.
Ein ähnliches Szenario fand der bereits erwähnte Preuss 1973 nach Hinweisen früherer Himalaya-Expeditionen im nepalesischen Langtang-Tal vor, ca. 60 km nördlich der Hauptstadt Kathmandu und am Himalaya-Hauptkamm gelegen, wo vor ungefähr 40.000 Jahren im Bereich des heutigen Tsergo Ri 10–15 km3 Gestein abgerutscht waren. Eine so große Massenbewegung setzte gemäß einer Berechnung der Wissenschaftler genug Energie frei, um eine Masse von der Größe der Cheops-Pyramide in eine Erdumlaufbahn zu schießen. Es wird vermutet, dass das Massiv um Yala Peak und Tsergo Ri die Überreste eines durch den Bergsturz zusammengebrochenen Achttausenders sind. Als wahrscheinlicher Auslöser wird ein starkes Erdbeben an der zentralen Hauptstörung (engl. Main Central Thrust) des Himalayas vermutet.[8]
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