Eine ungewöhnlich detaillierte Momentaufnahme der Herrschaft und des Besitzes der Grafenfamilie bietet der 1166 zusammengestellte Codex Falkensteinensis. Damals besaß das Grafenhaus unter Siboto IV. die vier Burgen Falkenstein über dem Inn, Neuburg an der Mangfall, Hartmannsberg bei Hemhof am Chiemsee und Hernstein bei Baden in Niederösterreich. Um jede dieser Burgen gruppierte sich ein Herrschaftsraum mit verschiedenen Besitztümern (z.B. Grundbesitz) und Rechten (z.B. Vogtei und Gericht), der von einem Verwalter (Procurator bzw. Praepositus) im Auftrag der Familie verwaltet wurde.[1]
Hinzu kamen später auch Altenburg, Herantstein in Oberösterreich, Antwurt (heute Antwort) bei Endorf. Weitere Verwaltungsorte waren u. a. Aibling und Prien.
Die Falkensteiner gehen vermutlich auf den Anfang des 11. Jahrhunderts lebenden Patto von Dilching zurück.[2]Reginolt de Valchensteine ist der im Jahr 1115 erste urkundlich erwähnte Falkensteiner.
Der allodiale Besitz der Falkensteiner, auf den die Familie ihre adelige Herkunft zurückführte und der nicht durch Passivlehen erworben war, lag bei Geislbach (heute Teil der Gemeinde Taufkirchen an der Vils) im Tal der Großen Vils. Bei den Gütern am Inn soll es sich um später erworbenen Besitz handeln, der dem ursprünglichen Inhaber entfremdet worden sei, als er nach den Ungarneinfällen verlassen war.
Durch Heirat erfolgte im Jahre 1125 die Verschmelzung mit der Weyarn-Neuburger Grafenlinie. Kurz darauf gründeten die Falkensteiner das Kloster Weyarn (1133).[3]
Das 12. Jahrhundert war die Blütezeit des Adelsgeschlechts. Die Neuburg-Falkensteiner hatten damals weite Besitzungen, die Burgen, Orte und Ländereien in Oberbayern, Niederbayern, Tirol, Oberösterreich und Niederösterreich umfassten. Daneben nahmen sie Verwaltungsaufgaben im Auftrag des Erzbistums Salzburg wahr. Der Salzburger Erzbischof Eberhard I. hatte Siboto von Neuburg-Falkenstein[4] 1158 die Verwaltung der Propstei Chiemsee, über die erzbischöflichen Ländereien dieser Region sowie die Verwaltung des Stifts Weyarn übertragen.[5] Durch die enge Verbindung mit dem Kloster Weyarn befanden sich darüber hinaus auch zahlreiche bayerische Klöster und Kirchengüter im mittelbaren Einflussbereich der Falkensteiner.
Das Geschlecht der Falkensteiner erlosch im Jahre 1272 mit Siboto IV., nachdem dessen Vater Siboto III. in einer Fehde zwischen Kaiser Friedrich II. und Papst Innozenz IV. alle Besitztümer verloren hatte. Nach anderen vorliegenden Quellen sollen die Neuburg-Falkensteiner erloschen sein, als Sigebothus VI. im Jahre 1272 im Bad erstochen wurde.[6] Der bayerische Schriftsteller und Arzt Julius Mayr verarbeitete dieses Ereignis in den 1930er Jahren in der Tragödie „Sigbot von Falkenstein“ unter Anspielung auf die Mordtaten der Nationalsozialisten.
1166 entstand durch Kanoniker des Stifts Herrenchiemsee im Auftrag Graf Sibotos IV. der bekannte, heute in München aufbewahrte Codex Falkensteinensis als Urbar und Lehensverzeichnis, aber auch als Memorialbuch der Familie. Das illustrierte Verzeichnis gilt als einzig erhaltenes Traditionsbuch einer weltlichen Herrschaft in Mitteleuropa aus dem Hohen Mittelalter.
Die mangelhafte, oft fehlerhafte, Quellenlage betrifft den gesamten Zeitraum aller Familienzweige. Gesicherte Daten sind urkundlich genannt, Geburts- und Sterbedaten o.g. Zeiträume jedoch oft ungesichert und nach höchstmöglicher Wahrscheinlichkeit der oft abweichenden Datenquellen unter Vorbehalt zu betrachten. Es bleiben genealogische Details, sogar die Zuordnung von Mitgliedern des Hauses, ungeklärt.
Der erste bekannte Vertreter des Hauses war Patto von Dilching[7][8], Herr von Dilching (1012–1020), Graf von Weyarn[9], Vogt von Kloster Tegernsee (um 1010–), (⚔[10] (1040)); ⚭ () N.N. Sie hatten folgende Nachkommen:
A1. SigibotoI.[7][11], Graf an der Mangfall (1067–1068), Vogt von Kloster Tegernsee (1048–1068), Graf von Weyarn (1078–1084); ⚭ () Liutgard N.N., (▭[10] im Kloster Tegernsee)
C2. Gertrud[7][13], († 25. Dezember (1132)); ⚭ (um 1125) Rudolf von Falkenstein († nach 9. Juli 1133 im Kloster Seeon als Mönch)
C3. (illegitim mit N.N.) Berthold[7][14], Graf von Mörmoosen, urkundlich vor 1133 und um 1135), († um 1147); ⚭ () Benedicta N.N., nobilis (um 1135–1150), († nach 1150)
D1. Sigiboto[7][15] von Mörmoosen, Ministerial des Markgrafen Engelbert von Kraiburg (1168–1169/um 1189), († um 1190); ⚭ () Liutgard von Braunau, (um 1190), Schwester von Konrad von Braunau
A2. HerrandI.[7][16] von Falkenstein[17], Herr von Griggingen, urkundlich 1099 und um 1105
B1. Rudolf[7][18] von Falkenstein, Herr von Griggingen (1099), Graf (1121–1126), Vogt von Kloster Seeon, († nach 9. Juli 1133 im Kloster Seeon als Mönch); ⚭ (um 1125) Gertrud von Weyarn († 25. Dezember (1132)), Tochter von Graf SigibotoII. von Weyarn (–1136) und Adelheid N.N. (–)
C1. SigibotoIV.[7][19], Graf von Neuenburg-Falkenstein-Hartmannsberg, Vogt von Kloster Herrenchimsee (1158), urkundlich 1196, (* (1126); † (1200)); ⚭ () Hildegard von Mödling († 29. März 1196), Tochter von KunoIII. von Mödling (–(1182/1183)) und Sophie N.N. (–1170)
D1. Kuno[7] von Falkenstein-Neuenburg, (um 1155), († (1190), Dritter Kreuzzug)
D2. SigibotoV.[7][20], Graf von Falkenstein-Neuenburg-Hartmannsberg-Hernstein, Vogt von Kloster Herrenchimsee, urkundlich um 1155/1222 bis 1226, († vor 1231); ⚭ (um 1196) Adelheid von Valley, Tochter von Graf KonradII. von Valley (–(1198/1200)) und Mathilde von Ortenburg (–nach 1198)
E1. SigibotoVI.[7], Graf von Falkenstein-Neuenburg-Hartmannsberg-Hernstein, Vogt von Kloster Herrenchimsee, urkundlich 1231, (⚔[10] vor 1. Februar 1245)
E2. Konrad[7], Graf von Falkenstein-Neuenburg-Hartmannsberg-Hernstein, Vogt von Kloster Herrenchimsee (1257–1258), urkundlich 1231 bis 1257, (†† vor 30. Oktober 1260)
→ Geschlecht im Mannesstamm erloschen
E3. Adelheid[7], urkundlich 1222 bis 1226, († nach 1226); ⚭ I: () Berthold von Pottenstein; ⚭ II: () HeinrichI.von Kuenring, Marschall von Österreich, urkundlich 1204 bis 1232, (* vor 1204; † vor 1233; ▭[10] im Stift Zwettl), Sohn von HadmarII. von Kuenring (vor 1156–1217/1218) und Offemia von Mistelbach (–nach 1175/August 1214)
C2. HerrandII.[7], Herr von Hernstein (1142), Herr von Falkenstein (um 1145), Herr von Antwort (um 1150), Vogt von Kloster Seeon, († 13. April (1155)); ⚭ () Sophie von Vohburg († 12. März 1176), (⚭ II: (um 1155) Graf KonradII. von Peilstein (* um 1135/1140; † 12. November (1195)), Sohn von KonradI. von Peilstein (um 1116–1168) und Adela von Orlamünde (–1155)), Tochter von Markgraf DiepoldIII. von Vohburg, Rapotonen, (1075–1146) und Kunigunde von Beichlingen (–)
D3. Judith[7], urkundlich 1182; ⚭ I: (vor 1176) Nizo von Raitenbuch, Ministerialer der Burggrafen von Regensburg, urkundlich 1180/1182, († nach 1182); ⚭ II: (vor 13. Juni 1190) AlberoIV. Wolf von Bocksberg–Lengenfeld–Gögglbach, nobilis homo (1190/1206), († (1210), Sohn von RupertIV. Wolf von Gögglbach (–um 1176) und N.N. (–)
B4. Adelheid[7] von Weyarn, (um 1140); ⚭ () Poto von Pottenstein, urkundlich 1133
Das redende Wappen der Grafen von Neuburg-Falkenstein zeigte auf rotem Grund einen golden bewehrten silbernen Falken mit aufgehenden Flügeln auf einem schwarzen Dreiberg. Dieses Wappen wird heute noch in fast unveränderter Form von mehreren bayerischen Orten und Gemeinden verwendet.
In einer anderen Version ist ein rot bewehrter goldener Falke mit rotem Halsband auf blauem Grund dargestellt. Diese Fassung, die auf die Darstellung im Codex Falkensteinensis zurückgeht, findet sich heute im Wappen der Gemeinde Oberaudorf.
Zahlreiche weitere Orte und Gebietskörperschaften führen als Zeichen ihrer historischen Verbindung mit der Grafschaft Falkenstein in ihrem Wappen einen Falken:
John B. Freed: The Counts of Falkenstein. Noble Self-Consciousness in Twelfth-Century Germany. Philadelphia 1984 (Transactions of the American Philosophical society; 74, 6).
John B. Freed: The Falkensteins. Losers and Winners in Medieval Bavaria. Anton Hiersemann, Stuttgart 2023, ISBN 978-3-7772-2305-6.
Elisabeth Noichl: Codex Falkensteinensis. Die Rechtsaufzeichnungen der Grafen von Falkenstein. Beck, München 1978, ISBN 3-406-10388-X, (Quellen und Erörterungen zur bayerischen Geschichte N. F. 29).
Karl Ramp: Studien zur Grundherrschaft Neuburg-Falkenstein auf Grund des „Codex diplomaticus Falkensteinensis“. Grießmayer, Neuburg an der Donau 1926 (München, Univ., Diss., 1925 [1926]).
Werner Rösener: Codex Falkensteinensis. Zur Erinnerungskultur eines Adelsgeschlechts im Hochmittelalter. In: Ders.: (Hrsg.): Adelige und bürgerliche Erinnerungskulturen des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2000, ISBN 3-525-35427-4, (Formen der Erinnerung 8), S. 35–55.
Werner Rösener: Beobachtungen zur Grundherrschaft des Adels im Hochmittelalter. In: Ders. (Hg.): Grundherrschaft und bäuerliche Gesellschaft im Hochmittelalter. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1995 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte; 115), ISBN 3-525-35652-8, S.116–161.
Werner Rösener: Beobachtungen zur Grundherrschaft des Adels im Hochmittelalter. In: WernerRösener (Hrsg.): Grundherrschaft und bäuerliche Gesellschaft im Hochmittelalter. Göttingen 1995, S.116–161.
J. B. Freed, The Counts of Falkenstein: Noble Self-Consciousness in Twelfth-Century Germany. The American Philosophical Society, Philadelphia 1984, ISBN 0-87169-746-7
K. Weidemann, Hof, Burg und Stadt im östlichen Oberbayern während des frühen und hohen Mittelalters. In: Römisch-Germanisches Zentralmuseum Mainz (Hrsg.), Führer zu vor- und frühgeschichtlichen Denkmälern, Band 18: Miesbach, Tegernsee, Bad Tölz, Wolfratshausen, Bad Aibling. Verlag Philipp von Zabern, Mainz am Rhein 1971
Historische und topographische Darstellung der Pfarren, Stifte, Klöster, milden Stiftungen und Denkmähler im Herzogthume Oesterreich, Band 1, Wien 1826, S. 38.
Historische und topographische Darstellung der Pfarr, Stifte, Klöster, milden Stiftungen und Denkmähler im Herzogthume Oesterreich, Band 5, Wien 1826, S. 179.
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