Stilrichtung der Bildenden Kunst Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Der Begriff Konkrete Kunst wurde 1924 von Theo van Doesburg eingeführt und 1930 in einem Manifest bei der Gründung der Gruppe Art concret programmatisch festgelegt für eine Richtung der Kunst, die im Idealfall auf mathematisch-geometrischen Grundlagen beruht. Sie ist im eigentlichen Sinne nicht abstrakt, da sie nichts in der materiellen Realität Vorhandenes abstrahiert, sondern im Gegenteil Geistiges materialisiert, keine symbolische Bedeutung besitzt und mehr oder weniger rein durch geometrische Konstruktion erzeugt ist. Richard Paul Lohse sprach eher von konstruktiver Kunst.[1] Vom Konstruktivismus und Abstrakter Kunst grenzt sich die konkrete Kunst durch ihr wissenschaftliches Denken (speziell die Erforschung geometrischer Gesetzmäßigkeiten), ihre Konzentration auf das Zusammenspiel von Form und Farbe und ihr Interesse an der Erforschung der Farbe ab. Manche Experten betonen dabei den Stellenwert von einfachen geometrischen Grundformen.[2] Allerdings ist die Verwendung solcher Elemente weder Alleinstellungsmerkmal noch notwendiger Bestandteil von Werken der Konkreten Kunst. Der Begriff wird historisch bedingt vor allem für Werke aus dem deutschsprachigen Kulturraum verwendet, obwohl es natürlich weltweit künstlerische Positionen gab und gibt, die der Konkreten Kunst entsprechen, namentlich in Italien, Frankreich, den Niederlanden, Tschechien und in Nordamerika. Diese werden aber üblicherweise meist unter anderen „Etiketten“ geführt.[3] Typisch für Künstler der konkreten Richtung ist, dass ihre Werke in der Regel vor ihrer Materialisierung zunächst im Kopf entstehen. Im Extremfall werden deren Entstehungsprinzipien so stringent im Kopf vorformuliert, dass sie sich fast wie mathematische Formeln darstellen ließen (siehe Zitate von R. P. Lohse). Die häufige Entstehung ganzer Werkserien wird dadurch gefördert. Einen wichtigen Beitrag zum theoretischen Überbau und zur Rezeption von Konkreter Kunst und Poesie vor allem in Deutschland leistete der Stuttgarter Philosoph Max Bense.
Theo van Doesburg
„Das Kunstwerk muß(!) im Geist vollständig konzipiert und gestaltet sein, bevor es ausgeführt wird. Es darf nichts von den formalen Gegebenheiten der Natur, der Sinne und der Gefühle enthalten. Wir wollen Lyrismus, Dramatik, Symbolik usf. ausschalten. Das Bild muß(!) ausschließlich aus plastischen Elementen konstruiert werden, d.h. aus Flächen und Farben. Ein Bildelement hat keine andere Bedeutung als sich selbst.
...Denn wir haben die Zeit des Suchens und der spekulativen Experimente hinter uns gelassen. Auf der Suche nach der Reinheit waren die Künstler gezwungen, die Naturform zu zerstören. Heute ist die Idee der Kunstform ebenso veraltet wie die Idee der Naturform.
Wir sehen die Zeit der reinen Malerei voraus. Denn nichts ist konkreter, wirklicher, als eine Linie, eine Farbe, eine Oberfläche... Konkrete und nicht abstrakte Malerei. Denn der Geist hat den Zustand der Reife erreicht. Er braucht klare, intellektuelle Mittel, um sich auf konkrete Art zu manifestieren.
...Die Farbe ist die Grundsubstanz der Malerei; sie bedeutet nur sich selbst. Die Malerei ist ein Mittel, um auf optische Weise den Gedanken zu verwirklichen: Jedes Bild ist ein Farbgedanke... Bevor das Werk in Materie umgesetzt wird, besteht es auf vollständige Art im Bewußtsein(!). Es ist auch nötig, daß(!) die Realisierung eine technische Perfektion aufweist, die der des geistigen Entwurfes ebenbürtig ist... Wir arbeiten mit den Größen der Mathematik - euklidisch oder nichteuklidisch - und der Wissenschaft, das heißt: mit den Mitteln des Denkens.“[4]
„Die Malerei ist ein Mittel, um auf optische Weise den Gedanken zu verwirklichen“.[5]
Richard Paul Lohse
„Die Zahl ersetzt das Individuelle, Themen übernehmen die expressive Funktion des Elements“ -…- „Die entscheidende Aufgabe besteht nun darin, den systematisch-logischen Ablauf derart zu aktivieren, daß(!) eine dynamische künstlerische Formulierung entsteht und die Ordnungsprinzipien sich als Mittel dieser Absicht einordnen.“[6]
Max Bill
Als Ziel der Konkreten Kunst formuliert Max Bill 1949 in seiner Einleitung zum Katalog der Ausstellung Zürcher konkrete Kunst: „... das ziel der konkreten kunst ist es, gegenstände für den geistigen gebrauch zu entwickeln, ähnlich wie der mensch sich gegenstände schafft für den materiellen gebrauch. […] konkrete kunst ist in ihrer letzten konsequenz der reine ausdruck von harmonischem maß und gesetz. sie ordnet systeme und gibt mit künstlerischen mitteln diesen ordnungen das leben.“[7]
Einführungstext der Homepage des Museums für Konkrete Kunst in Ingolstadt
„... Konkrete Kunst (ist) eine unmittelbare, auf sinnliches Erleben angelegte Kunstrichtung, die auch ohne jedes Vorwissen, aber notwendigerweise auch ohne Vorurteile, erfassbar ist. Es ist eine ungegenständliche Kunst in Malerei, Plastik, Film oder Installationen, die nicht die sichtbare Welt abbilden möchte. Daher kommen den Farben, Formen, der Linie und erweitert auch den Materialien eine besondere Bedeutung zu. (...) Erst 1930 setzte sich der Begriff der „Konkreten Kunst“ durch einen Text des Künstlers Theo van Doesburg für verschiedene ungegenständliche und geometrische Positionen durch. (...) Speziell durch die Reduktion auf die Rezeption in der Schweiz, den sogenannten „Zürcher Konkreten“, wurde die Konkrete Kunst sehr eng definiert. (...) Doch auch die logische Malerei von Richard Paul Lohse will mehr als nur mathematische Gesetze zu bebildern. Gerade Lohse hatte große gesellschaftliche Ziele und wollte mittels seiner Kunst Systeme und Strukturen sichtbar und dadurch reformierbar machen. (...) Die Künstlergeneration, die in den 1970er Jahren geboren ist, würde sich niemals mit dem Etikett „Konkrete Kunst“ bezeichnen lassen. Der Begriff ist historisch geworden, die Inhalte sind jedoch so aktuell wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts.“[8]
Um 1903 herum begann eine große Wende in der Kunst. Malerei und Plastik entfernten sich zusehends von der sichtbaren Wirklichkeit. Henri Matisse sagte, dass man beim Betrachten eines Bildes völlig vergessen müsse, was es darstelle. Es ist Kunst, die Form, Farbe und Bildgestaltung weitgehende Autonomie von Gegenständlichem zugesteht. Diese Absatzbewegung von der Welt des Sichtbaren wurde Abstraktion genannt. Es geht um die Konzentration auf das Wesentliche, das Notwendige.
Ab 1910 tauchte eine Kunst auf, die den Weg der Abstraktion konsequent weiterführte. Jeder Rest von Darstellung, bildlich oder figürlich, wurde abgelehnt: „Ließ sich eine solche – offensichtlich völlig unabhängig gewordene – Kunst noch als Extremform der Abstraktion, als integrale oder totale Abstraktion bezeichnen? Lag da nicht etwas grundlegend Neues vor, eine vollständige Autonomie des bildnerischen Gestaltens?“
Wassily Kandinsky stellte fest, die Kunst folge nur noch ihren eigenen, kunstimmanenten Gesetzmäßigkeiten. Es sei eine Kunst der reinen Gegenstandslosigkeit. Zitat:
„Die neue Kunst hat den Grundsatz in den Vordergrund gestellt, dass Kunst nur sich selbst zum Inhalt haben kann. So finden wir denn in ihr nicht die Idee von irgendetwas, sondern nur die Idee von der Kunst selbst, von ihrem Selbstinhalt. Die ureigene Idee der Kunst ist ihre Gegenstandslosigkeit.“
Künstler der Konkreten Kunst / Konstruktiven Kunst
Haus Konstruktiv, Zürich, Ausstellungen u.a. von Sol LeWitt (USA), Erik Steinbrecher (CH), Jan De Cock (B), Anton Stankowski (D), Verena Loewensberg (CH), Günter Umberg (D), Carsten Nicolai (D), Joanne Greenbaum (USA), Beat Zoderer (CH), Max Bill (CH).
Gerhard Leistner und Johanna Brade (Bearb.):Kunst als Konzept. Konkrete und geometrische Tendenzen seit 1960 im Werk deutscher Künstler aus Ost- und Südosteuropa. Regensburg 1996, ISBN 3-89188-074-X (Ausst.-Kat. Regensburg, Museum Ostdeutsche Galerie 1.9.-27.10.1996).
Dietmar Guderian, Marlene Lauter, Serge Lemoine, Beate Reese, Hella Nocke-Schrepper, Margit Weinberg Staber:Konkrete Kunst in Europa nach 1945. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2002, ISBN 3-7757-1191-0.
Jäger Gottfried, Rolf H. Krauss, Beate Reese:Concrete Photography: Konkrete Fotografie. Kerber Verlag, Bielefeld 2005, ISBN 3-936646-74-0.
Andreas Filler, Dietmar Guderian, Theo Grundhöfer und Nils Rosehr, Johanna Heitzer, Herbert Henning, Marlene Lauter, Timo Leuders, Matthias Ludwig, Jürgen Roth, Heinz Schumann, Hans-Georg Weigand, Christian H. Weiß, Thomas Weth, Jan Wörler:Ausgerechnet … Mathematik und Konkrete Kunst. Spurbuchverlag, Baunach 2007, ISBN 3-928155-51-2.:
Christoph Metzger, (Hrsg. im Auftrag des Internationalen Musikinstituts Darmstadt) Musik und Architektur, Pfau-Verlag, Saarbrücken, 2003, ISBN 3-89727-227-X
Sabine Fehlemann (Hrsg.), Die Sammlung Holze – Schenkung an das Von der Heydt-Museum, Ausstellungskatalog des Von der Heydt-Museums, Wuppertal, 2003, ISBN 3-89202-053-1
Tobias Hoffmann, Museum für Konkrete Kunst, Ingolstadt (Hrsg.): Die Idee Konkret, Wienand Verlag Köln, 2012, ISBN 978-3-86832-121-0, Überblick über Entwicklung, Wandlung und Wirkung Konkreter Kunst von den Anfängen bis zur Gegenwart
Sören Fischer und Dieter Scheid: Konkret Kunst, mit Beiträgen von Reinhard Ermen, Sören Fischer und Annette Reich sowie einem Vorwort von Steffen Egle, Ausst.-Kat. Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern, Kaiserslautern 2023, ISBN 978-3-89422-234-5.
Willy Rotzler: Annäherung an das Konkrete. In: Peter Volkwein (Hrsg.) Museum für Konkrete Kunst Ingolstadt. 1993, S. 47f., ISBN 3-89466-045-7, erstmals veröffentlicht 1990 im Katalog: Konkrete Kunst - die Sammlung Gomringer, Ulmer Museum, Ulm
zitiert nach Eugen Gomringer, Serie und Modul in den neuen Arbeiten von Richard Paul Lohse, in Das Werk – Architektur und Kunst, Heft 11, Seiten 739 bis 743, Band 55, 1968 , abgerufen am 27. April 2019