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Teil der Genetik Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Die Zytogenetik (auch Cytogenetik, Zellgenetik) ist das Teilgebiet der Genetik, das die Chromosomen vorwiegend mit dem Lichtmikroskop analysiert. Untersucht werden Anzahl, Gestalt, Struktur und Funktion der Chromosomen, denn die DNA eines Chromosomensatzes im Zellkern enthält den größten Teil der Erbinformation (des Genoms) eines Lebewesens. Anomalien der Chromosomen versucht man mit deren phänotypischer Auswirkung zu verbinden.
Sowohl während der Meiose in Prophase 1 (Zygotän, Pachytän, Diplotän, Diakinese), Metaphase 1 und Metaphase 2, als auch während der mitotischen (Pro-)Metaphase lassen sich Chromosomen individuell erkennen und der Karyotyp erstellen. Nach Endoreplikation sind vergrößerte Chromosomen in Endometaphasen und während des ganzen Zellzyklus als Polytänchromosomen sichtbar. Der DNA-Gehalt eines Chromosomensatzes erschließt die Genomgröße eines Organismus, zeigt das Ausmaß von eventueller Endoreplikation und lässt auch selektive Endoreplikation ermessen.
Die Länge eines stabil vererbbaren Chromosomen-Armes ist durch die Ausdehnung der Spindelachse in der Anaphase begrenzt.[1] Deswegen sind die Elemente eines Karyotyps als Kompartimente eines großen Genoms zu verstehen. Frühe Versuche, ihre Anzahl beim Menschen zu bestimmen, ergaben 46 bis 48 Chromosomen; lediglich über das XX/XY-System der Geschlechtsbestimmung war man sich einig.[2][3] Reproduzierbare Analysen in den 1950er-Jahren verschafften der normalen menschlichen Karyotyp-Formel 2n = 46 allgemeine Anerkennung.[4][5]
Theodor Boveri und Walter Sutton entwickelten unabhängig voneinander die Chromosomentheorie der Vererbung. Sie besagt kurzgefasst: Individuelle Chromosomen enthalten unterschiedliche Erbfaktoren (Gene).[6] Die polare Auftrennung der homologen Chromosomen eines Bivalentes erfolgt in der Meiose zufällig und unabhängig von der anderer Bivalente. Entsprechend zufällig werden die Gene der Bivalente verteilt. Dies entspricht den Regeln von Gregor Mendel. Innerhalb der einzelnen Chromosomen sind die Gene jedoch „gekoppelt“.[7]
Der Erfolg der Zytogenetik hing von der Einsicht ab, dass man Gewebe nicht mit dem Mikrotom zerschneiden durfte, sondern deren Zellen in hypotonischer Lösung mit feinen Nadeln möglichst voneinander trennen sollte. Sanftes Quetschen drückt die Chromosomen in eine Ebene. Farbstoffe wie Karmin, Orcein oder das Giemsa-Gemisch machen Chromosomen zu Farbkörpern, um sie vom Zytoplasma abzuheben. Besonders deutlich gelingt dies mit der Feulgenreaktion (Feulgen-Prozedur), weil sie spezifisch die chromosomale DNA (Kern-DNA) anfärbt.
In der pathologischen Routine werden Schnittpräparate menschlicher Gewebe begutachtet. Um für zytogenetische Probleme eine Fraktion unverletzter mitotischer Zellkerne zu erhalten, ist das Mikrotom auf 15 μm Schnittdicke einzustellen.[8]
Die klassischen Methoden erlaubten jedoch nicht, die menschlichen (Metaphase-)Chromosomen zweifelsfrei zu unterscheiden. Dies gelang erst durch besondere Bänderungstechniken an Nicht-Interphasekernen. So ruft der fluoreszierender Farbstoff (Fluorochrom) Quinacrin ein Bandenmuster hervor, das die einzelnen Chromosomenpaare identifiziert.[9] Charakteristische Bandenmuster entstehen auch, wenn die DNA in den Chromosomen etwas denaturiert wird.[10][11] Ein genormtes Kürzelsystem bezeichnet jeden Abschnitt der technisch gebänderten Chromosomen.[12] Das p steht für petit (franz. klein) und bezeichnet den kurzen Arm eines Chromosoms. Für den langen Arm wählte man den nachfolgenden Buchstaben q. So können nicht nur anomale Chromosomenzahlen (wie Trisomie 21) festgestellt, sondern auch strukturelle Chromosomenänderungen (Deletionen, Duplikationen, Translokationen) erfasst werden.
Um die Interphase im Zellzyklus zu studieren, bot man lebenden Zellen radioaktiv markierte Moleküle an. Einbau von 3H-Uridin, spezifisch für RNA, wies die Genexpression aktiver Chromosomenorte nach.[13] Einbau von 3H-Thymidin, spezifisch für DNA, zeigte die chromosomale DNA-Synthese in der S-Phase.[14] Als Betastrahlung hinterließen Elektronen jeweils ihre Spuren als Autoradiografie in einem den Zellen aufgelegten Film.
Die Isolierung zahlreicher DNA-Restriktasen bedeutete für die Zytogenetik und für die Genetik allgemein einen revolutionären, nachhaltigen Durchbruch. Diese meist aus Bakterien gewonnenen Enzyme sind molekulare Scheren: Sie zerschneiden DNA an kurzen, definierten Basensequenzen.[16][17][18][19] Die Restriktasen und die Polymerase-Kettenreaktion (PCR) sind die beiden Pfeiler der modernen molekularen Genetik und Gentechnik.[20] Sie ermöglichen, ganze Genome zu sequenzieren oder verschiedene Arten der Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) durchzuführen. Für letztere werden DNA- oder RNA-Proben mit Fluorochromen markiert und auf komplementäre DNA-Sequenzen der angepeilten Chromosomen hybridisiert. Zur Diagnose ist ein Fluoreszenzmikroskop erforderlich.
Für das „Bemalen“ werden gleichzeitig mehrere Sonden (englisch probes), mit unterschiedlichen Fluorochromen markiert, auf Metaphasen hybridisiert. So erhält jedes Chromosomenpaar im Karyotyp durch das Chromosome painting einen eigenen Farbton.[21] Zu diesem Zweck gibt es zwei Verfahren.
Die Chromogene in-situ Hybridisierung (CISH, auch: Duale ISH) ist eine günstige Alternative für FISH. Sie wird angewendet bei der Suche nach einer bestimmten Mutation auf einem bestimmten Chromosom. Gegenüber FISH bietet CISH mehrere Vorteile: Verwendung von zwei stabilen, absorbierenden Farben, die nicht bleichen; Diagnose am Hellfeld-Mikroskop, damit schneller und billiger. Fragestellung bei Brustkrebs und anderen soliden Tumoren: Ist das Gen HER2 auf Chromosom 17q12 für den Rezeptor 2 des humanen epidermalen Wachstumsfaktors amplifiziert? Dazu wird die HER2-DNA-Probe mit der ersten Farbe hybridisiert, und zwar auf einen Zellkern in Interphase. Mit zweiter Farbe wird gleichzeitig CEN-17 als Referenz-DNA für das Zentromer in Chromosom 17 hybridisiert. Das Verhältnis 2 oder größer bedeutet HER2-Amplifikation, verbunden mit schlechter medizinischer Prognose.[25][26]
Comparative Genomic Hybridisation (CGH) entdeckt quantitative Sequenzänderungen in einem Genom empfindlicher als FISH. Für die CGH wird die DNA aus Zellen, die untersucht werden sollen, mit einem ersten Fluorochrom markiert. Ebenso markiert man DNA aus normalen Zellen mit einem zweiten Fluorochrom unterschiedlicher Emissionswellenlänge. In gleichen Mengen werden Proben-DNA und Referenz-DNA gleichzeitig auf gespreitete, normale Metaphasen hybridisiert. „Normal“ bedeutet einen, soweit bekannt, gesunden Organismus als Spender. Bei der CGH „streiten“ (kompetitieren) die beiden DNAs um dieselben Bindungsstellen in den Ziel-Chromosomen. Entlang der Metaphase-Chromosomen wird die komplexe Fluoreszenz gemessen. Stimmen beide DNA-Proben überein, ist ihr Verhältnis 1,0. Das erste Fluorochrom (an die Proben-DNA gebunden) ergibt bei Duplikationen in einem Chromosom den Wert 1,5. Sind beide homologen Chromosomen an derselben Stelle verdoppelt, ist der den Wert 2,0. Bei Deletionen in einem Chromosom (Verlust der Heterozygotie) ist der Wert 0,5. Sind beide homologen Chromosomen deletiert, ist der Wert 0,0 (kein Signal vom ersten Fluorochrom).[27][28][29] Die molekulare Zytogenetik, auch die CGH, kann einen einzelnen Zellkern analysieren[30] oder die DNA-Unterschiede der beiden geschlechtsgekoppelten Chromosomen offenbaren.[31]
Die Anzahl mitotischer oder meiotischer Chromosomen ist für eine Art und ihre Individuen konstant: „Die Geschlechtszellen (Eier oder Spermatozoën) eines Organismus enthalten halb so viele Chromosomen als die erste Embryonalzelle, aus welcher dieser Organismus entstanden ist.“[32] Diese Zahlenkonstanz ist ein Artmerkmal.[33] Die einfache (haploide) Anzahl n wird in der Regel von 2n Chromosomen einer mitotischen Metaphase abgeleitet. Denn in den tatsächlich haploiden Kernen der Geschlechtszellen sind die Chromosomen nicht unmittelbar zu zählen. Allerdings zeigt Meiose I, wenn die Bivalente durch Chiasmata paaren, 1n Chromosomen.
„Die Chromosomen sind grundsätzlich bilaterale symmetrische oder asymmetrische Gebilde.“[34] Dieser Satz inspirierte zu vielen Messungen, um die Länge von Chromosomen sowie das Verhältnis ihrer kurzen zu ihren langen Armen zu bestimmen. So klassifiziert die Lage des Kinetochors ein symmetrisches Chromosom als metazentrisch und ein asymmetrisches als submetazentrisch, subtelozentrisch oder akrozentrisch. Ebenso ist die Lage einer sekundären Einschnürung als Nukleolusorganisatorregion numerisch zu definieren. Solche Längenmessungen erlauben, die Identität eines Chromosoms in einem Karyotyp mit relativ wenigen Elementen zu diagnostizieren.
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