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Verweigerung jeder öffentlichen Dienstverpflichtung Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Als Totalverweigerung oder genauer totale Kriegsdienstverweigerung (TKDV) bezeichnet man in Deutschland die Verweigerung jeder öffentlichen Dienstverpflichtung, insbesondere des Militärdienstes (Wehrdienst) und aller denkbaren Ersatzdienste (Zivildienst). Damit geht die Totalverweigerung über das im deutschen Grundgesetz im Art. 4 gewährleistete Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen hinaus.
Die Verweigerung der von einem Staat bzw. einer staatlichen Instanz auferlegten allgemeinen Wehrpflicht ist Protest und Zurückweisung gegen das, was von den Totalverweigerern als „staatlicher Zwangsdienst“ und „staatliche Bevormundung“ grundsätzlich abgelehnt wird. Sie betrachten die TKDV als eine Form des zivilen Ungehorsams. In Ländern mit Wehrpflicht ist diese Form der Verweigerung mit strafrechtlichen Konsequenzen belegt.
Es gibt hierfür unterschiedliche Motive: zum Beispiel religiöse und politische Überzeugungen, die meist wie bei der normalen Kriegsdienstverweigerung auch mit persönlichen Gewissensgründen untermauert werden. Oft entspringen diese Überzeugungen einer anarchistischen oder pazifistischen Grundhaltung, die nicht nur direkte Gewalt ablehnt, sondern auch deren indirekte Form, die von vielen Totalverweigerern in hierarchischen Strukturen schlechthin wahrgenommen wird (vgl. auch Anarchopazifismus).
Ein häufiges Motiv zur Totalverweigerung ist die Auffassung, dass der Staat oder der Gesetzgeber nicht das Recht besitzt, Menschen zur Ableistung von Zwangsdiensten zu verpflichten. Bei diesem Argumentationsschema wird grundsätzlich negiert, dass der Staat das Recht besitzt, über die in seinem Machtbereich befindlichen Menschen wie über persönliche Ressourcen oder Besitzgegenstände zu verfügen. Es wird somit also letztlich die Legitimität der Dienstpflichtigengesetze bestritten, ihre Verabschiedung durch das Parlament als ein Akt gesetzgeberischer Kompetenzüberschreitung charakterisiert, also ausgedrückt, dass der Gesetzgeber etwas „zur Pflicht erhoben hat, das zur Pflicht zu erheben ihm nicht zustand“. Diese Haltung ist umstritten.
Daher sieht der Totalverweigerer seinen Akt als eine Form des übergesetzlichen Notstands, der sich aus der Differenz zwischen Legalität und Legitimität ergibt. Nach § 16 Wehrstrafgesetz stellt die daraus abgeleitete Tat des Totalverweigerers, nicht zum Dienst zu erscheinen, jedoch eine Straftat dar.
Die Totalverweigerung betrifft Wehrersatzdienste wie Zivildienst.
In einzelnen Fällen ist aber auch ein persönlicher oder biografischer Hintergrund ausschlaggebend, der nicht unbedingt politisch oder religiös reflektiert sein muss, der aber ebenfalls zu einer unbedingten Ablehnung von Befehl und Gehorsam führen kann. Die Totalverweigerung ist oft eine symbolische Handlung, der Totalverweigerer verzichtet bewusst auf andere, legale oder nicht strafrechtlich verfolgte Möglichkeiten, der Wehrpflicht zu entgehen, und nimmt damit ernstzunehmende Konsequenzen strafrechtlicher und gesellschaftlicher Art in Kauf.
Die häufigsten Formen der Totalverweigerung in Deutschland waren:
In Hinblick auf die Aussetzung der Wehrpflicht in Deutschland ist die Totalverweigerung des Wehrdienstes nur noch ein theoretisches Thema. Die TKDV setzt voraus, dass kein KDV-Antrag gestellt wird, der trotz der Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht in Deutschland noch immer gestellt werden kann.
Falls die Bundeswehr des Totalverweigerers habhaft wurde, weil dieser am Dienstort erschien oder von Feldjägern oder der Polizei aufgegriffen wurde, wurde dieser in der Regel bei weiterer Befehlsverweigerung nach der Wehrdisziplinarordnung (WDO) vorläufig festgenommen, und es wurden vom zuständigen Disziplinarvorgesetzten mit Zustimmung des zuständigen Truppendienstgerichts bis zu 21 Tage Disziplinararrest als Disziplinarmaßnahme verhängt. Außerdem folgte regelmäßig ein Dienstverbot. Darüber hinaus wurde der Sachverhalt an die Staatsanwaltschaft abgegeben, welche ein ordentliches Gerichtsverfahren vor einem Strafgericht wegen Verdachts auf Gehorsamsverweigerung, ggf. auch anderer Straftatbestände (z. B. eigenmächtige Abwesenheit oder Fahnenflucht) im Sinne des Wehrstrafgesetzes (WStG) initiierte. Hierbei war eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe möglich, die allerdings häufig zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Verurteilung führte zur anschließenden Entlassung aus der Bundeswehr.
Hier stellte der Wehrpflichtige nach oder während der Musterung einen KDV-Antrag. War dieser erfolgreich, das heißt, die Person wurde als Kriegsdienstverweigerer anerkannt, so entfiel die Wehrpflicht und an ihre Stelle trat die Wehrersatzpflicht, die der Totalverweigerer dann auch verweigerte. Der Verweigerer folgte dann nicht seiner Einberufung und erhielt nach einigen Monaten einen Strafprozess wegen Dienstflucht (§ 53 ZDG). Die Staatsanwaltschaft konnte Untersuchungshaft anordnen, da nach deren Auffassung der Schluss von Dienstflucht auf Fluchtgefahr und damit der Entziehung einer möglichen Strafe zulässig war.
Die Flucht ins Ausland hatte vergleichsweise geringe rechtliche Konsequenzen. Der Totalverweigerer konnte einige Jahre nicht nach Deutschland zurückkehren, und es konnten Probleme bei der Beschaffung wichtiger Papiere über deutsche Botschaften auftreten.
Vor der deutschen Wiedervereinigung war es möglich, nach West-Berlin zu ziehen, um ohne Auseinandersetzung mit dem Staat der Wehrpflicht zu entgehen.[1]
Nach Ableistung des Zivildienstes war prinzipiell vorstellbar, dass neue Umstände oder ein neuer Gewissensbildungsprozess einen früheren Zivildienstleistenden veranlassten, den Zivildienst nachträglich zu verweigern. Den Behörden bereiteten solche Anträge Mühe: Zwar besteht kein Recht auf Totalverweigerung, jedoch wird mit dem Antrag auch gegen kein Gesetz verstoßen, da die Dienstpflicht bereits erfüllt war.
Dokumentiert ist ein Fall, bei dem infolge der Militärintervention der NATO in der früheren Bundesrepublik Jugoslawien (Kosovo-Krieg) ein ehemaliger Zivildienstleistender nachträglich den Zivildienst verweigerte und einen präventiven Antrag auf Nicht-Einberufung stellte, sollte Jugoslawien völkerrechtsgemäß im Rahmen legaler Verteidigungsmaßnahmen auch die Bundesrepublik Deutschland attackieren. Der Antrag wurde mangels Rechtsschutzbedürfnisses vom Bundesamt für den Zivildienst abgelehnt. Andere rechtliche Konsequenzen gab es keine. Der Antragsteller nahm seinen Antrag und seine Totalverweigerung zurück, nachdem die Kampfhandlungen eingestellt worden waren und die Präsenz ausländischer Mächte durch die Vereinten Nationen legalisiert worden war.
Die Totalverweigerung ist in Deutschland kein eigener als solcher benannter Straftatbestand. Sie gilt juristisch dennoch als strafrechtlich relevant und wurde vor Gericht meist unter der Anklage der Dienstflucht (bei Verweigerung des Zivildienstes) oder Gehorsamsverweigerung verhandelt. Im letzteren Falle kam es selten vor, dass die einzelnen Gehorsamsverweigerungen getrennt verurteilt werden. Es gab Rechtsanwälte, die sich auf die Verteidigung von Totalverweigerern spezialisiert hatten.
Je nach Verhalten des Totalverweigerers war ein Bundeswehr-Arrest oder Untersuchungshaft möglich, vor allem bei vorheriger Fahnen- oder Dienstflucht. So wurde im Mai 2007 der Student Jonas Grote mehrere Wochen in Arrest genommen.[2]
Das Strafmaß für Totalverweigerer bewegte sich seit den 1990er Jahren in der Praxis zwischen drei und sechs Monaten Haft auf Bewährung beziehungsweise lief in einem Drittel der Fälle auf eine entsprechend hohe Geldstrafe hinaus. Ausreißer nach oben, auch ohne die Gewährung einer Bewährungsfrist, kamen vor, wurden aber fast immer von höheren Instanzen gemildert. Aufgrund des jungen Alters vieler Totalverweigerer kam oft das Jugendstrafrecht zur Geltung, was in den Augen mancher Totalverweigerer der Totalverweigerung die politische Bedeutung nehmen sollte, zum anderen aber für den Verurteilten den Vorteil hatte, keinen Eintrag im Führungszeugnis zu verursachen. Das Strafmaß konnte hier in sehr seltenen Fällen ein Jugendarrest sein, meist aber eine Geldstrafe oder bis zu 300 und mehr Sozialstunden, das heißt Arbeit in einer als gemeinnützig anerkannten, meist sozialen Einrichtung.
Das Problem der Doppelbestrafung (verboten nach Art. 103 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG)), wenn eine zweite Einberufung und konsequenterweise wieder eine Totalverweigerung erfolgte, bestand lange Zeit und musste vom Bundesverfassungsgericht geklärt werden. Dieses stellte bereits 1968 fest, dass eine wiederholte Verurteilung nicht möglich ist, wenn die Verweigerung aus Gewissensgründen erfolgte (Beschluss vom 7. März 1968 – 2 BvR 354, 355, 524, 566, 567, 710/66 und 79, 171, 431/67 -23, 191).
Die Deutsche Demokratische Republik führte 1962 die allgemeine Wehrpflicht ein. Zwei Jahre später, 1964, wurde die Möglichkeit geschaffen, als Bausoldat einen waffenlosen Dienst bei der Nationalen Volksarmee abzuleisten. Die DDR war damit das einzige Land des Ostblocks, das die Möglichkeit zur Verweigerung des Kriegsdienstes mit der Waffe anbot.
Wer als Totalverweigerer auch den Dienst als Bausoldat nicht antrat, musste mit einer Bestrafung rechnen. § 32 des Gesetzes über die allgemeine Wehrpflicht von 1962 sah eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren vor.[3] Das Wehrdienstgesetz von 1982 sah in § 43 eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren vor.[4] Überdies bot für sie der § 256 StGB-DDR (§ 256: Wehrdienstentziehung und Wehrdienstverweigerung.),[5] eine zusätzliche Möglichkeit der Verurteilung und wurde ergänzend zum Wehrdienstgesetz herangezogen.
Üblich waren in der Praxis Freiheitsstrafen zwischen 18 und 22 Monaten.[6] Damit war die Freiheitsstrafe ungefähr so lang wie der Wehrdienst selbst und der Totalverweigerer wurde für die Zeit des zu leistenden Dienstes im Gefängnis eingesperrt.
Zwischen 1962 und 1989 gab es zwar ungefähr 6000 Fälle von Totalverweigerung in der DDR, von denen jedoch nur 3144 verurteilt wurden.[7] Dies lag daran, dass in manchen Fällen aus politischen Gründen auf eine Verurteilung verzichtet wurde. Es sollte nicht zu viel Aufsehen erregt werden, so dass es einige Fälle von Totalverweigerung gab, die straflos hingenommen wurden. Außerdem wollte das Politbüro des ZK der SED nicht zu viele kirchlich gebundene Häftlinge in den Gefängnissen wissen,[8] dies betrachtete man als Unsicherheitsfaktor in den Gefängnissen selbst. Zeugen Jehovas, die regelmäßig Totalverweigerer waren, wurden in der DDR dagegen nicht geschont und nahezu immer verurteilt. Nach 1985 wurde die Praxis der Verurteilung der Totalverweigerer allerdings ausgesetzt.[9]
Zu jeder Zeit musste man in der DDR als Totalverweigerer mit massiven gesellschaftlichen Nachteilen rechnen. Ein Studium an einer Hochschule der DDR war für Totalverweigerer grundsätzlich nicht möglich. Hinzu kamen weitere Nachteile etwa bei der Wohnungs- und Arbeitssuche, bei der Bestellung von Kraftfahrzeugen oder langlebigen Konsumgütern und ging bis hin zu einer Art Totalüberwachung des gesamten privaten Lebens.
Totalverweigerer in Finnland werden zu einer Gefängnisstrafe von Dauer des halben regulären Dienstes verurteilt.
Ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen wurde bis 1989 nicht anerkannt und Kriegsdienstverweigerung daher unter Strafe gestellt. Erst 1990 wurde durch ein Gesetz die Kriegsdienstverweigerung entkriminalisiert und ein „waffenloser Dienst“ eingeführt. Ein Bundesgesetz über den zivilen Ersatzdienst trat 1996 in Kraft.
Ein Militärdienst für alle, die „mili“, wurde schon 1835 eingeführt. Reiche Wehr„pflichtige“ hatten jedoch die Möglichkeit, sich gegen Geldleistung oder durch Anheuerung eines Ersatzmannes vom Dienst zu befreien. Das Militär war in der spanischen Bevölkerung wegen seiner antidemokratischen Rolle (als Kolonialmacht, als Stütze der Diktatur unter Franco) nie sonderlich beliebt. In den 1980er Jahren nahm die Zahl der Militärdienstverweigerer zu. Darauf wurde ein ziviler Ersatzdienst geschaffen. Wer diesen jedoch auch verweigerte, wurde als „insumiso“ bezeichnet und vom Staat mit Gefängnis von acht Monaten bis zwölf Jahren bestraft – später nur noch mit einer Geldbuße. Durch die zunehmende Demokratisierung Ende der 1980er Jahre wurde das Militär auch politisch infrage gestellt – die Rekrutierungen verkleinert, die Dienstzeit von zwölf auf neun Monate verkürzt. Im Jahre 1995 wurden 224.000 junge Männer gemustert, im Jahre 2000 nur noch 100.000 Personen. Davon verweigerten 15.000 den Dienst und ca. 80.000 ließen sich wegen Studiengründen zurückstellen. Seit Januar 2002 besteht das Militär in Spanien nur noch aus Berufssoldaten. Wie in Frankreich wurde aus wirtschaftlichen und politischen Gründen die allgemeine Wehrpflicht ausgesetzt.[10][11]
Der ehemalige Staatspräsident Robert Mugabe ließ ab dem Jahr 2003 Schüler und Studenten für eine sechsmonatige Wehrpflicht zwangsrekrutieren. Alle Absolventen von Schulen und Universitäten, die den sechsmonatigen Waffendienst nicht abgeleistet haben, erhalten auch kein Abschlusszeugnis.[12]
Im revolutionären Frankreich sowie in der napoleonischen Ära wurden Totalverweigerer des Militärdienstes als Réfracteurs bzw. Réfractaires („Widerspenstige“, im erweiterten Sinne „Eidverweigerer“) verfolgt, analog jenen Priestern, die den Eid auf die republikanische Verfassung verweigert hatten (prêtres réfractaires).[13][14] Unter der Bezeichnung Refrakteur fand der Begriff zeitweise auch Verwendung im deutschen Sprachraum.
Von 1945 bis 1962 wurden jedes Jahr etwa 50 Wehrdienstverweigerer inhaftiert, wobei von 1954 bis 1962 ein Kolonialkrieg in Algerien tobte. Ab 1963 erlaubte ein Gesetz die Wehrdienstverweigerung aus religiösen oder philosophischen Motiven; der Ersatzdienst währte doppelt so lange wie der Wehrdienst. Zugleich verbot Art. 50 jegliche Information über das Recht auf Wehrdienstverweigerung, um den Kreis möglicher Wehrdienstverweigerer möglichst klein zu halten (dieser Artikel war gültig bis 1974). Von 1964 bis 1970 gab es 705 Anträge auf Wehrdienstverweigerung, im Jahr 1971 waren es 621 Anträge. Von den anerkannten Wehrdienstverweigerern widersetzten sich ca. 60 bis 70 % auch der Einberufung zum Zivildienst. 1980 und 1981 verweigerten jeweils ca. 900 Männer den Wehrdienst. Davon traten 30 % den Zivildienst an und 50 % widersetzen sich der Einberufung.[15] Aus wirtschaftlichen und politischen Gründen entschied die Regierung 1997 die Aussetzung der Wehrpflicht. Seit 2002 besteht das Militär aus Berufssoldaten.
Mit Staatsgründung wurde für alle jungen Männer und junge Frauen die allgemeine Wehrpflicht festgelegt. Sie beträgt zurzeit für Männer drei Jahre und für Frauen 21 Monate. Ausgenommen von der Wehrpflicht sind die meisten israelischen Araber (ausgenommen Drusen) sowie alle nichtjüdischen, schwangeren, verheirateten oder orthodox-jüdischen Frauen. Bis 2014 waren auch ultra-orthodoxe (haredische) Männer vom Wehrdienst befreit.[16] Nach Abschaffung dieser Regel wurde sie wieder eingeführt und 2017 erneut vom Obersten Gerichtshof als Verstoß gegen die Verfassung zurückgewiesen.[17] Eine Neuregelung wird weiter verhandelt. Im Jahre 2005 dienten 168.000 Männer und Frauen in der Armee. Rechtlich ist es nur Frauen gestattet, die Wehrpflicht aus Gewissensgründen zu verweigern. Sie müssen dann aber einen zivilen Ersatzdienst (sherut leumi) von ein oder zwei Jahren leisten. Jedoch ist ein Drittel der Frauen, meist aus religiösen Gründen, vom Dienst befreit. Männer können als Alternative zur Kriegsdienstverweigerung innerhalb der Streitkräfte einen Posten außerhalb der Kampfeinheiten, z. B. beim Erteilen von Zivilschutzunterricht an Schulen, beantragen. Dagegen ist für Männer die Totalverweigerung des Militärdienstes ein langwieriger Prozess mit mehreren Anhörungen, an deren Ende sich der Verweigerer vor einem sogenannten Gewissens-Komitee zu verantworten hat. Es können Gerichtsverfahren folgen, an deren Ende der Verweigerer fast immer vom Wehrdienst befreit ist, aber unter Umständen mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren bestraft werden kann. Männer, die ihrer Wehrpflicht nicht nachkommen, werden gesellschaftlich geächtet und haben mit sozialer und beruflicher Benachteiligung zu rechnen. Ähnliches gilt für eine Ausmusterung infolge eines Konsums illegaler Drogen, auch sogenannter „weicher Drogen“.
Seit der zweiten Intifada stieg die Zahl der Total- und Teilverweigerer an. Die Aktion „Shministim“ (übersetzt Oberschülerbrief) hatte seit 2001 jedes Jahr mehrere hundert Unterzeichner, die sich weigerten, am Wehrdienst beziehungsweise an militärischen Aktionen gegen Palästinenser teilzunehmen. Die Verweigerer wurden anfangs noch außer Dienst gestellt, werden aber seit der großen Zunahme meist zu Freiheitsstrafen verurteilt. Auch bei Reservisten – der Reservedienst dauert jährlich einen Monat – wächst der Widerstand, in den besetzten Gebieten beziehungsweise überhaupt zu dienen. Im Jahresbericht 2007 wirft Amnesty International der israelischen Armee zahlreiche Fälle von Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht vor, darunter auch Kriegsverbrechen, sowie schwere Menschenrechtsverletzungen:[18]
In Nordkorea ist der Wehrdienst für alle jungen Männer und Frauen obligatorisch. Ein Zivildienst existiert nicht. Weil kaum Nachrichten aus dem hermetisch abgeschirmten Land nach außen dringen, sind Fälle von Verweigerung und deren Konsequenzen nicht bekannt.[19]
In Russland besteht allgemeine Wehrpflicht. Die Zustände in der russischen Armee gelten als entwürdigend und gefährlich, da ein Schutz der Persönlichkeitsrechte dort nicht gewährleistet ist. Die Armee-Führung hat deshalb Probleme, genügend junge Männer zu rekrutieren. Viele ignorieren den Einberufungsbefehl, kaufen sich Atteste oder „tauchen ab“. Für das Jahr 2004 wurden rund 40.000 Deserteure vermutet, die sich durch Flucht dem Wehrdienst entziehen wollten. Ein anderer Teil der Rekruten begeht Selbstmord oder versucht, die Schikanen und Erniedrigungen des soldatischen Rangordnungssystems („dedowschtschina“) zu überstehen. Die genaue Anzahl von bekennenden Wehrdienst- und Totalverweigerern ist nicht bekannt.
1991 gründete sich die nicht-staatliche Organisation „St. Petersburger Soldatenmütter“ und machte die Missstände in der russischen Armee immer wieder öffentlich. Die Soldatenmütter setzen sich für Deserteure ein, geben Rechtsberatung für Betroffene und deren Familien und fordern die Abschaffung der Wehrpflicht. Sie weisen darauf hin, dass Menschen, die durch die sogenannte „Schule der russischen Armee“ gegangen sind, eigentlich therapeutische Hilfe brauchen. Nach dem Erlebnis dieser „Schule“ seien die jungen Männer traumatisiert oder verhaltensgestört und für ein ziviles Leben im Frieden untauglich. Dies sei auch Ursache der hohen häuslichen Gewalt in Russland.
1998 beeinflussten die Soldatenmütter eine Gesetzesneuerung, nach der Fahnenflüchtige in Härtefällen nicht mehr militärjuristisch bestraft werden dürfen.[20]
Militärs und Staatsrechtler bewerten die Zustände dagegen anders: Der russische Verteidigungsminister Sergei Iwanow erklärte 2006 öffentlich: Die Armee befände sich nicht in einer Krise, „Tausende Mütter in Russland danken der Armee“.[21]
In Südkorea besteht Wehrpflicht für alle jungen Männer. Der Wehrdienst dauert 24 Monate und bis 2020 war es nicht möglich, einen zivilen Ersatzdienst abzuleisten.[22] Wer den Wehrdienst verweigerte, wurde nach Auskunft der koreanischen Hauptwehrdienststelle in Daejeon in der Regel zu einer 36-monatigen Gefängnisstrafe verurteilt. Die tatsächlichen Freiheitsstrafen lagen aber unter diesem Wert. Nach der Haftentlassung hatte der Verweigerer mit massiven beruflichen und sozialen Nachteilen zu rechnen. In 15 % der Fälle wurden die Angeklagten entweder auf Bewährung verurteilt oder freigesprochen. Ein Freispruch erfolgte gewöhnlich aber nicht bei bekennender Verweigerung, sondern nur dann, wenn der Angeklagte glaubhaft darlegen konnte, dass er beispielsweise den Einziehungsbescheid nicht bekommen hat.
Im Jahre 2006 verbüßten 1.186 Wehrdienstverweigerer, Anfang 2008 etwa 733 Wehrdienstverweigerer eine Gefängnisstrafe, die überwiegende Zahl von ihnen aus religiösen Gründen. Meist handelt es sich um Zeugen Jehovas. Daneben gibt es junge Männer, die den Wehrdienst aus ethischen Gründen ablehnen oder weil sie erhebliche Schikanen beim Militär befürchten (z. B. als Homosexuelle).
Der Schock des Koreakrieges (1950–1953), der durch einen Überfall des kommunistischen Nachbarstaates im Norden ausgelöst wurde, die Hochrüstung des Nordens mit 1,2 Millionen aktiven Soldaten und die wiederholten Drohungen der dortigen Machthaber mit Atomwaffen veranlassen die ältere und einen großen Teil der mittleren Generation, militärische Stärke und Kampfbereitschaft zu fordern. Die Mehrheit der koreanischen Bevölkerung und die konservative Oppositionspartei treten daher für die uneingeschränkte Wehrpflicht ein.
Staatspräsident Roh Moo-hyun und Abgeordnete der Regierungspartei strebten dagegen eine Änderung der Verfassung mit dem Ziel an, einen angemessenen Zivildienst als Alternative zum Militärdienst einzuführen. Auch die von der Regierung eingesetzte Menschenrechtskommission empfahl 2005 die Schaffung eines Zivildienstes. Ein Gesetzesvorschlag aus dem Jahre 2007 sah einen dreijährigen Ersatzdienst vor. (Dies nach der Berechnungsgrundlage: 24 Monate Wehrdienst plus 12 Monate Gefängnis für Verweigerer = 36 Monate Zivildienst) Wegen der massiven Einschränkung der Menschenrechte hat Amnesty International für einige der Wehrdienstverweigerer eine Patenschaft übernommen.[23] Im Jahr 2020 wurde der Zivildienst nach dem Plan von 2007 mit einer Dauer von 36 Monaten eingeführt, es handelt sich um die längste Dauer eines Zivildienstes weltweit.[24][22]
Totalverweigerer, die sich vom Wehrdienst nicht freikaufen können oder wollen, werden zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.
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