Statische Bestimmtheit
Statische Eigenschaft: stabil, aber ohne innere Verspannungen Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Statische Bestimmtheit ist ein Begriff der Statik. Er charakterisiert die Lagerung ruhender Körper und den inneren Aufbau von Körpersystemen wie z. B. Fachwerke sowie die Lösbarkeit der mit ihr verbundenen Gleichgewichtsaufgabe mit den Mitteln der Starrkörpermechanik.[1][2]
Lagerungen können grundsätzlich statisch bestimmt, unbestimmt oder überbestimmt sein. Die statische Bestimmtheit ist bei der Konzipierung von Konstruktionen von Bedeutung, vor allem in der Baustatik, in der Maschinentechnik und im Apparatebau. Statisch bestimmt gelagerte Körper bzw. statisch bestimmte Körpersysteme ertragen geometrische Einflüsse wie Wärmedehnungen, kleine Lagerverschiebungen, Herstellungs- und Montageungenauigkeiten usw. ohne Zwängungen und damit verbundene Kräfte, wie dies z. B. für Brücken und andere Tragwerke wesentlich sein kann.
Statische Bestimmtheit und Lagerung
Zusammenfassung
Kontext

Statisch bestimmte Lagerung
Statisch bestimmt ist die Lagerung eines Körpers, wenn die unbekannten Lagerreaktionen (Kräfte und Momente) mit den Gleichgewichts-Bedingungen allein berechnet oder mit den Mitteln der graphischen Statik bestimmt werden können.[3][4][5] Eine statisch bestimmte Lagerung ist bewegungsgeometrisch eindeutig und damit auch kinematisch bestimmt.[3][6] Dies bedeutet, dass die Lagerung jeden der Bewegungsfreiheitsgrade des Körpers genau einmal einschränkt. Bei räumlichen Problemen sind es 6 Freiheitsgrade (je 3 Translationen und Rotationen), bei ebenen Problemen sind es 3 Freiheitsgrade (2 Translationen, 1 Rotation). Die einzelnen Lager tragen zu dieser entsprechend ihrer Wertigkeit mit Lagerreaktionen (Kräften und/oder Momenten) bei.[6][7] Die Wertigkeit drückt die Anzahl Freiheitsgrade aus, die durch das betreffende Lager eingeschränkt werden. Jede Einschränkung eines Freiheitsgrades wird mathematisch durch eine entsprechende Gleichgewichtsbedingung ausgedrückt. Diese verknüpfen die als bekannt geltenden äußeren Belastungen (Kräfte und Momente) mit den unbekannten Lagerreaktionen und bilden ein lineares, homogenes Gleichungssystem. Statische Bestimmtheit verlangt als notwendige und hinreichende Bedingung, dass die Koeffizientenmatrix der unbekannten Lagerreaktionen quadratisch ist, und dass ihre Determinante ungleich Null ist. Dies trifft zu, wenn die Gleichgewichtsbedingungen voneinander linear unabhängig sind.[3][7][8]
Statisch unbestimmte Lagerung
Schränkt die Lagerung einzelne Freiheitsgrade mehrfach ein, so enthält das Gleichungssystem mehr unbekannte Lagerreaktionen als Gleichgewichtsbedingungen; es ist mit letzteren allein nicht lösbar. Die Lagerung ist somit statisch unbestimmt[9], aber wegen der Überzahl an bewegungsgeometrischen Bedingungen gleichzeitig auch geometrisch bzw. kinematisch überbestimmt.[3][10] In solchen Fällen kann der Zusammenhang zwischen Belastung und Verformung des Körpers weitere Gleichungen liefern.[6][10][11]
Aus einem statisch unbestimmt gelagerten Körper kann durch geeignete Unterteilung und Verbindung mittels Gelenken ein statisch bestimmtes Körpersystem erzeugt werden. Jedes eingefügte Gelenk erhöht den Freiheitsgrad bei ebenen Problemen um 1 bzw. bei räumlichen Problemen je nach Art des Gelenks um 1 bis 3. Einfache Beispiele hierfür sind der Gerberträger und der Dreigelenkbogen. Auch mit jedem plastischen Dreh- oder Verschiebungsgelenk wird der Grad der statischen Unbestimmtheit eines Körpers reduziert. Dies wird beim Traglastverfahren[2] ausgenutzt, um die maximale Belastbarkeit eines Tragwerks bis zum Erreichen eines verschieblichen, also statisch überbestimmten Systems zu ermitteln.[12] Bei einer statisch unbestimmten Lagerung können die elastischen Bauteilverformungen reduziert werden, und eine Beeinträchtigung der Lagerung führt nicht zwingend zum vollständigen Funktionsausfall.[12]
Statisch überbestimmte Lagerung
Sind umgekehrt einzelne Freiheitsgrade nicht eingeschränkt, bestehen mehr Gleichgewichtsbedingungen als unbekannte statische Größen. Dann ist die Lagerung statisch überbestimmt bzw. kinematisch unbestimmt.[6] Eine solche Situation liegt bei Bauteilen vor, deren Funktion eine bestimmte Beweglichkeit verlangt, z. B. die Rotation um die Körperachse bei einer Antriebswelle oder die freie Drehbarkeit eines Turmdrehkrans um die vertikale Achse bei Betriebsruhe, um das Schwenken in die Windrichtung zu ermöglichen. Ansonsten aber sind statisch überbestimmte, also verschiebliche Systeme für die Aufnahme statischer Kräfte ungeeignet.[13][14]
Beurteilung
In einfacheren Fällen kann mit technischem Sachverstand die statische Bestimmtheit durch eine qualitative, anschauliche Betrachtung beurteilt werden. Statisch bestimmte Konstruktionen lassen sich zwangsfrei zu einem unbeweglichen System aufbauen. Zur Beurteilung der statischen Bestimmtheit eines Körpers oder eines Körpersystems können auch geeignete Abzählformeln hilfreich sein. Zusätzlich zur statischen Bestimmtheit ist es sinnvoll, auch die technische Brauchbarkeit bzw. Tauglichkeit zu betrachten. Nicht jede statisch bestimmte Konstruktion ist zugleich brauchbar.
Um die Begriffe statisch unbestimmt und statisch überbestimmt bzw. kinematisch überbestimmt und kinematisch unbestimmt ist in jüngerer Zeit einige Verwirrung entstanden, indem sie entgegen ihrer klassischen Definition im deutschsprachigen Schrifttum vereinzelt auch umgekehrt[15] oder vermischt gehandhabt werden.[7]
Grad der statischen Bestimmtheit

Ein wichtiges Beurteilungskriterium ist der Grad der statischen Bestimmtheit[16] bzw. etwas weniger allgemein Grad der statischen Unbestimmtheit[13][14]. Er charakterisiert die Lagerung eines Körpers oder Körpersystems sowie dessen innerer Aufbau quantitativ. Diese ganzzahlige Kenngröße besteht beim einzelnen Körper aus der Differenz zwischen der Zahl unbekannter statischer Größen (Lagerreaktionen) und der Anzahl Gleichgewichtsbedingungen:
Aus kinematischer Sicht bedeuten der Freiheitsgrad des frei beweglichen Körpers und die Anzahl konstruktionsseitig eingeschränkter Freiheitsgrade.
- : statisch und kinematisch bestimmt, sofern jeder Freiheitsgrad genau einmal eingeschränkt ist,
- : n-fach statisch unbestimmt bzw. kinematisch überbestimmt,
- : n-fach statisch überbestimmt bzw. kinematisch unbestimmt, d. h. verschieblich.
In der Literatur wird die rechte Seite der obigen Formel und damit der Grad der statischen Bestimmtheit jedoch auch mit vertauschten Vorzeichen dargestellt.[17]
Die Bedingung ist für die statische Bestimmtheit notwendig, aber nicht hinreichend. Denn es ist möglich, dass einzelne Freiheitsgrade nicht eingeschränkt sind, andere aber mehrfach. Dann ist die Koeffizientendeterminante der Gleichgewichtsbedingungen Null, und die Lagerung ist weder statisch noch kinematisch bestimmt. Jedes eingebaute einfache Gelenk erhöht den Freiheitsgrad um eine Rotation bei ebenen Problemen, um drei Rotationen bei räumlichen Problemen. Mit geeignet angebrachten Gelenken können statisch unbestimmte Probleme statisch bestimmt gemacht werden, wie z. B. beim Dreigelenkbogen oder beim Gelenkträger.

Statische Bestimmtheit von Körpersystemen
Zusammenfassung
Kontext
Die statische Bestimmtheit eines Systems, das aus mehreren, untereinander verbundenen Körpern besteht, z. B. ein Fachwerk, resultiert aus der Lagerung des Systems als Ganzes und aus seinem inneren Aufbau. Letzterer umfasst die einzelnen Teile des Systems wie Scheiben, Stäbe usw. sowie deren Verbindungen untereinander in Form von Knoten, Gelenken, Schiebehülsen und dgl.[6] Die Lösbarkeit der Gleichgewichtsaufgabe des Systems setzt voraus, dass diese Verbindungen als reibungsfrei angenommen werden. Bei Körpersystemen ist zwischen der äußeren und der inneren statischen Bestimmtheit zu unterscheiden[11]. Körpersysteme können äußerlich und innerlich statisch bestimmt oder unbestimmt sein. Ist ein System innerlich aber statisch überbestimmt bzw. kinematisch unbestimmt, wie z. B. ein Dreigelenkbogen, bedarf es für das eindeutige Kräftegleichgewicht einer entsprechend statisch unbestimmten äußeren Lagerung. Die statische Bestimmtheit eines Systems verlangt, dass die Summe von äußerer und innerer statischer Bestimmtheit bzw. verschwindet:
Da diese Bedingung notwendig, aber nicht hinreichend ist, bedarf es für die Feststellung der statischen Bestimmtheit einer zusätzlichen Beurteilung des Systems. Ein äußerlich statisch unbestimmtes System kann insgesamt statisch bestimmt sein, wenn es entsprechend innerlich statisch überbestimmt ist.
Äußere statische Bestimmtheit
Äußerlich statisch bestimmt ist das Körpersystem, wenn es nach dem Erstarrungsprinzip als Ganzes mit seiner Lagerung die Bedingungen der statischen Be-stimmtheit wie ein Einzelkörper erfüllt (siehe oben).
Innere statische Bestimmtheit
Innerlich statisch bestimmt ist das Körpersystem, wenn es in sich selbst und ohne äußere Lagerung ein zwangsfrei aufbaubares, stabiles Ganzes bildet. Dann erfüllt jeder nach dem Zerlegungs- bzw. Schnittprinzip freigemachte, als starr betrachtete Teilkörper und jedes Verbindungsglied für sich die Gleichgewichtsbedingungen.[11][13]
Grad der inneren statischen Bestimmtheit
Der Grad der inneren statischen Bestimmtheit ergibt sich aus der Gesamtzahl an Stäben und der Gesamtzahl an Knoten für ebene Systeme aus der Beziehung
und für räumliche Systeme aus
Bei ist das System innerlich statisch bestimmt, sofern es sich zwangsfrei zu einer unbeweglichen Konstruktion aufbauen lässt. Andernfalls liegt ein Grenz- oder Spezialfall vor.[4] Bei ist es innerlich -fach statisch unbestimmt, bei innerlich -fach statisch überbestimmt. Letztere Systeme, die eine gewisse Verschieblichkeit aufweisen und für die reine Statik keine Bedeutung haben, werden auch etwa als Mechanismus bezeichnet.[13]

Diese Abzählformeln sind aus den Bildungsgesetzen der Fachwerktheorie[3] abgeleitet, gelten aber nicht nur für Fachwerke. Sie lassen sich auf beliebige Körpersysteme anwenden, wenn die einzelnen Teilkörper wie Scheiben oder Biegestäbe mit ihren Stabäquivalenten eingesetzt werden.[13][17] Als Stabäquivalent wird die Anzahl an Stäben bezeichnet, die für den Ersatz des betreffenden Körpers durch ein innerlich statisch bestimmtes Stabwerk erforderlich sind.

Bei einem statisch unbestimmten System kann der Grad der statischen Bestimmtheit durch schrittweises Entfernen von Bindungen bzw. Anbringen virtueller Gelenke ermittelt werden, so dass ein statisch bestimmtes Grundsystem entsteht.[16] Umgekehrt kann man von einem statisch bestimmten Grundsystem ausgehen, wie z. B. einem Träger auf zwei Stützen, einem Kragarm, einem Dreigelenkrahmen, einem Fachwerk aus drei gelenkig miteinander verbundenen Stäben o. ä., und durch Ergänzen bzw. Entfernen von Bindungswertigkeiten/Lagerreaktionen das gewünschte System aufbauen.[18]
Beispiel: Bei einem System ist der Grad der statischen Unbestimmtheit gesucht. Es wird ein (ähnliches) statisch bestimmtes Grundsystem gewählt und anschließend statisch bestimmte Kragarme hinzugefügt. Man fügt Bindungen und Lagerreaktionen hinzu (bzw. bei kinematischen Systemen entfernt sie) und zählt ihre Wertigkeit zusammen.
- Statisch unbestimmtes System mit Freiheitsgrad n > 0
- Statisch bestimmtes Grundsystem
- Statisch bestimmtes Grundsystem mit Kragarmen
- Man fügt 7 Lagewertigkeiten hinzu.
Schnittgrößen infolge Zwang
In statisch bestimmten Systemen verursachen Verformungen durch Verschiebungen und Verdrehungen der Lager, Temperaturdehnungen, Kriechen und Schwinden von Beton i. A. keine Schnittgrößen, jedoch können Eigenspannungen auftreten. Durch Verformungen können z. B. Schiefstellung von Stützen hervorgerufen werden, was i. d. R. zu einer Änderung der Schnittgroßen führt.
Vor allem im Verbundbau dürfen Eigenspannungen infolge Verformungen i. A. selbst bei statisch bestimmten Systemen nicht vernachlässigt werden, man spricht dann von primären Zwängsspannungen, welche (ohne äußere Belastung) bei statisch überbestimmten Systemen zu sekundären Zwängsspannungen führen.
In statisch unbestimmten Systemen entstehen durch die o. g. Einwirkungen i. A. Schnittgrößen.
Bei der Berechnung statischer (bzw. dynamischer) Systeme sind Zwängsspannungen i. A. zu berücksichtigen.
Literatur
- N. Hinrichs: Keine Panik vor Mechanik! Springer, 2009, ISBN 978-3-8348-0646-8 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- C. Spura: Technische Mechanik 1. Stereostatik. Springer, 2016, ISBN 978-3-658-14984-0.
- Karl-Eugen Kurrer: Geschichte der Baustatik. Auf der Suche nach dem Gleichgewicht, Ernst und Sohn, Berlin 2016, ISBN 978-3-433-03134-6, S. 32 ff.
Einzelnachweise
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