Produktreihe elektrisch oder dieselelektrisch angetriebener Triebzüge für den Schienennahverkehr Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Der GTW (für Gelenktriebwagen) von Stadler Rail ist ein Triebzug mit einem fest eingereihten zweiachsigen Antriebsmodul für den Schienenpersonennahverkehr.
Die Innovation der dritten Generation besteht in der geschickten Kombination vorhandener Baugruppen. Die Verwendung von Großserienkomponenten ist kostengünstig und verbessert die Verfügbarkeit der Ersatzteile.[1] Die Fahrwerke entsprechen den Seetal-GTW.[2] Die Masse der Wagenkästen der Fahrgastmodule wurde optimiert und die GFK-Führerstandskabinen vergrößert und fertigungstechnisch vereinfacht, was zu einem leicht rundlicheren Erscheinungsbild führt.[1]
Die GTW der dritten Generation wurden von 2002 bis 2013 ausgeliefert.
Um von Konkurrenten unabhängiger zu werden, löste Stadler die bisherige Zusammenarbeit mit dem Bahnhersteller Adtranz auf und bezieht seither die Traktions- und Leittechnik von ABB. Die vom Regionalverkehr Mittelland und von Thurbo bestellten dreiteiligen GTW forderten auch beim elektrischen Mittelteil eine Steigerung auf 800kW Dauerleistung, wozu ABB neue leistungsfähige Traktionsumrichter entwickelte. Die im Vergleich zu bisherigen Stromrichtern geringere Zwischenkreisspannung von 740 Volt führt zu niedrigeren Schaltverlusten und zu einer Reduktion des Energieverbrauchs. Zwei unabhängige Antriebsstränge verhindern einen Totalausfall des Fahrzeugs bei einer Störung.[2] Damit Thurbo ihre GTW grenzüberschreitend nach Deutschland einsetzen kann, erhielten sie nebst der Schweizer auch eine Deutschland-Zulassung.
Der Südtiroler Transportstrukturen (STA) erhielten als erster Kunde Diesel-GTW der dritten Generation, die mit zwei Dieselmotoren mit 380kW Leistung statt des bisher einzigen 550-kW-Motors ausgestattet sind.[3] Die Vorteile dieses Konzepts sind eine bessere Beschleunigung, eine von 120 auf 140km/h heraufgesetzte Höchstgeschwindigkeit und wegen des doppelten Antriebsstrangs eine höhere Verfügbarkeit. Erstmals bei einem Triebfahrzeug wurden Asynchrongeneratoren serienmäßig eingesetzt. Gegenüber den bisher üblichen Synchrongeneratoren sind sie kompakter, wesentlich leichter und preiswerter. Den italienischen Vorschriften entsprechend wurden die Südtiroler GTW mit einem Führerstand für zweimännige Besetzung und mit Materialien ausgestattet, die bei einem Brand keine für Menschen schädliche Gase freisetzen. Das widerspricht der in Mitteleuropa üblichen DIN-Norm, gemäß denen entzündbare Materialien selbstlöschend sein müssen. Sie setzen bei einem Brand Gase frei, die das Feuer ersticken.[4] Die Dieseltriebzüge der STA verkehren seit 2004 auf der topografisch anspruchsvollen Vinschgaubahn.[5] Mit der Zulassung des GTW in Italien erhielten kleinere Bahnunternehmungen eine Alternative zum dreiteiligen Alstom Minuetto, was Stadler von der Bahngesellschaft Sistemi Territoriali weitere Aufträge bescherte. Deren vierteiligen GTW bestehen aus zwei dauernd in Doppeltraktion verkehrenden Halbzügen GTW 2/6 mit jeweils nur einem Führerstand.[6]
Zwei auf den Meterspur-GTW der zweiten Generation basierende Fahrzeuge wurden 2004 an die SNCF für deren Ligne de Cerdagne geliefert. Die bis zu 60‰ steilen Rampen der auch als „Pyrenäenmetro“ bekannten Meterspurstrecke werden ohne Zahnrad überwunden. Die Triebwagen sind ähnlich aufgebaut wie die Zahnrad-GTW der Montserrat-Bahn auf der katalanischen Seite der Pyrenäen, aber kürzer.[7] Die Traktionsspannung von 850V Gleichspannung wird über seitliche, von oben bestrichene Stromschienen zugeführt,[8] was zu Anpassungen beim Drehgestell und im Untergestellbereich führte.[7]
Die SBB-Tochter Thurbo ist im Regionalverkehr in der Ostschweiz tätig. Ihr Fahrzeugpark besteht ausschließlich aus GTW und vier dazu passenden Steuerwagen.
Bei der Nachbestellung der zwölf RABe 526 791–802 der dritten Generation im Jahr 2010 für die S-Bahn St. Gallen wurde Thurbo kritisiert, dass Fahrzeuge beschafft werden, die in verschiedener Hinsicht nicht mehr dem neusten technischen Stand entsprechen. Vorteilhaft ist eine einheitliche Flotte für den Unterhalt und die Ersatzteillagerung.[9] Für den Betrieb der neu elektrifizierten Strecke Schaffhausen–Erzingen der S-Bahn Schaffhausen bestellte Thurbo mit den RABe 526 803–805 drei weitere Züge.[10]
Für den Betrieb der Strecke Bülach–Koblenz–Waldshut kaufte Thurbo zwei Seetal-GTW von den SBB. Trotz der Übernahme werden sie weiterhin im Pool mit den beim Mutterhaus verbleibenden Fahrzeugen eingesetzt.[12]
Die durch die Fusion des Regionalverkehrs Mittelland mit der BLS Lötschbergbahn zu der BLS AG gekommenen GTW waren ein Fremdkörper in der Flotte der neuen Bahngesellschaft. Die BLS AG ließ die sechs zweiteiligen Züge um ein Modul verlängern, um eine einheitliche Serie zu erhalten.[14] Sie behielten ihren bisherigen roten Anstrich, da im Rahmen der Flottenbereinigung ein Käufer gesucht wurde.[15] Die 13 nun dreiteiligen Fahrzeuge wurden durch Nina ersetzt und 2013 an die SBB verkauft, die die Züge für die mit Flügelzugkonzept betriebene Biel–Sonceboz–La Chaux-de-Fonds/ Moutier benötigten.[16] 2018 übernahm die SBB-Tochter Thurbo die GTW vom Mutterkonzern, da sie in einigen Jahren die an ihr Einsatzende gekommenen RABe 526 680–689 ersetzen muss. Bis dahin werden die Züge an die SBB rückvermietet und revidiert.[17]
Die Autonome Provinz Bozen reaktivierte 2004 die Vinschgaubahn, deren Betrieb 1991 von den Italienischen Staatsbahnen FS aufgegeben wurde. Neben Investitionen in die Infrastruktur waren auch neue Fahrzeuge notwendig. Bis dahin war es in Italien üblich, Rollmaterial bei einheimischen Herstellern zu beschaffen.[19]
Am 12. April 2010 wurde ein GTW der Vinschgerbahn zwischen Latsch und Kastelbell von einer 400 Kubikmeter umfassenden, einer undichten Bewässerungsleitung ausgelösten Schlammlawine erfasst und aus dem Gleis gedrückt. Das Geröll drang auch in das Innere der Wagen. Neun Menschen starben, 28 wurden verletzt.[20] Vier Jahre später war der schwer beschädigte Zug von der italienischen Staatsanwaltschaft immer noch beschlagnahmt[21] und musste später ausgemustert werden.[22]
Sistemi Territoriali betreibt in Venetien mehrere Bahnlinien. Die GTW von Stadler verkehren als erste Fahrzeuge im blau-weißen Design im Großraum Venedig.[22] Sistemi Territoriali beschaffte auch GTW der vierten Generation.
Die Strecke Udine–Cividale im Friaul wird von der eigenständigen, erst 2005 gegründeten FUC betrieben.[22] Die beiden GTW beschaffte jedoch die Sistemi Territoriali. Ihr Anstrich in dunkelblauer und weißer Farbe wurde dem Einsatz auf der FUC angepasst.[18]
→ zu den Zahnrad-GTW der Montserrat- und der Núriabahn siehe auch Abschnitt Zahnradantrieb im Artikel Stadler GTW
Stadler bezeichnet nach dem Vorbild der Schweizer Serienbezeichnungen die verschiedenen Varianten mit einem x/y, wobei x die Anzahl der angetriebenen Achsen angibt und y die Anzahl der Achsen insgesamt.
Die Abkürzungen der Bahnunternehmungen sind mit dem entsprechenden Abschnitt im Kapitel Kunden und Betreiber verlinkt.
Hans Hubli, Jürg Schöning, Ruedi Beutler: Gelenktriebwagen RABe 526 für die Regionalverkehr Mittelland AG. In: Schweizer Eisenbahn-Revue. Nr. 11/2003, S.498–503.
Katalog der von Stadler aus Bussnang, Altenrhein, Winterthur und Siedlce gelieferten Fahrzeuge. In: Stadler – Von der Stollenlokomotive zum Doppelstockzug. S.129–188
Die Züge des lokalen Personenverkehrs auf der alten Hauensteinstrecke werden umgangssprachlich als Läufelfingerli bezeichnet. Der Name leitet sich ab von der an der alten Hauensteinstrecke liegenden Gemeinde Läufelfingen ab.