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österreichischer Autor und Philosoph Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Reinhard Margreiter (* 16. August 1952 in Reith im Alpbachtal) ist ein österreichischer Autor und Philosoph, der sich mit Friedrich Nietzsche, Arthur Schopenhauer, Ernst Cassirer, dem Verhältnis von Mystik und Philosophie, mit Medienphilosophie und Tierphilosophie beschäftigt, neuerdings auch mit einer Philosophie des Wohnens.
Reinhard Margreiter studierte Philosophie, Geschichte und Germanistik in Innsbruck und Mainz und wurde 1977 in Innsbruck mit einer Dissertation über Nietzsche promoviert.[1] Dort gründete er 1982 in Zusammenarbeit mit Wolfgang Schirmacher, dem damaligen Präsidenten der Schopenhauer-Gesellschaft, ein „Forum für offenes Philosophieren“ und organisierte philosophische Vortragsreihen und zwei Symposien über Schopenhauer (1988) und Martin Heidegger (1989).[2] Ab 1979 unterrichtete er Deutsch und Geschichte an Berufsbildenden Höheren Schulen. 1995 habilitierte er sich in Berlin mit einer Arbeit über das Verhältnis von Mystik und Philosophie[3] und war bis 2015 Privatdozent für Philosophie an der Humboldt-Universität.[4] Seit 1991 erhielt er Lehraufträge an der Universität Innsbruck und war dort auch mehrmals Gastprofessor. Er war Redakteur der Schopenhauer-Studien und Vizepräsident der Internationalen Schopenhauer-Vereinigung. Er wohnt mit seiner Familie in Imst, Tirol.
Anfangs setzte sich Margreiter vor allem mit dem Werk Nietzsches auseinander. In seiner Monografie Ontologie und Gottesbegriffe bei Nietzsche (1978) wendet er sich gegen theologische Vereinnahmungen Nietzsches als eines angeblichen Gottsuchers und Kryptochristen.[5] Am Leitfaden einer negativen Analyse der „Gottesfrage“ erfolgt eine systematische Darstellung der „artistisch-transzendental“ begründeten Ontologie Nietzsches. Darin findet sich für einen Gott, sei es ein Vernunft- oder Glaubensgott, kein sinnvoller Platz. In dieser Arbeit bezieht sich Margreiter methodisch auf hermeneutische Phänomenologie und Transzendentalphilosophie.
Unter dem Einfluss Oswald Schwemmers erfolgte später eine Hinwendung zur Symbolphilosophie. In späteren, in den Nietzsche Studien[6] publizierten Aufsätzen erweitert und modifiziert er seinen Interpretationsansatz durch den Begriff „Erfahrungsontologie“.[7] In der Folge befasste er sich auch mit anderen Fragestellungen bei Nietzsche, zum Beispiel mit dessen Geschichts- und Erkenntniskritik,[8] dem Verhältnis zu Schopenhauer[9] und zuletzt mit dem medienphilosophischen Potenzial in Nietzsches Schriften.[10]
In seinem umfangreichen Werk Erfahrung und Mystik: Grenzen der Symbolisierung (1997) geht Margreiter der Frage nach, was mystische Erfahrung ist und wie sie sich zu allgemeiner und an rationalen Maßstäben orientierter Erfahrung verhält. Es geht um die (existenziell bedeutsame) Erfahrung des Unwirklich-Werdens kategorial verfasster Realität. Einer Analyse mystischer Textstellen aus dem Werk Meister Eckharts[11] und dem (in einschlägigen Textsammlungen[12] dokumentierten) Kanon mystischer Schriften geht eine historisch-systematische Analyse des Erfahrungsbegriffs voraus.[13]
Referenzautoren sind für Margreiter neuzeitliche Philosophen wie Immanuel Kant, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Arthur Schopenhauer, William James, Henri Bergson, Ludwig Wittgenstein, Ernst Cassirer und Jacques Derrida, die sich sowohl zu Erfahrung als auch zu Mystik äußern. An ihnen lässt sich exemplarisch aufweisen, dass der Rekurs auf Mystik die Rationalitätsdebatte stets wie ein Schatten begleitet.[14] Mystik fungiert als erkenntnistheoretischer Problembegriff, wenn es um die Grenzen und/oder das Ganze von Vernunft und Erfahrung geht.[15]
Idealtypisch zeichnen sich unter Philosophen zwei Positionen ab: Entweder sie verstehen unter Mystik das Andere, das Jenseits der Vernunft (zum Beispiel Kant, Wittgenstein) oder Mystik ist für sie die Vernunft selbst in ihrer höchsten Vollendung (zum Beispiel Hegel, Bergson). Beide Positionen sind für Margreiter nicht adäquat. Sie stellen den Bezug zu Berichten über konkrete mystische Erfahrung nur unzureichend her. Anders sei dies bei sprach-, symbol- und zeichentheoretischen Herangehensweisen, zum Beispiel bei Fritz Mauthner,[16] Cassirer,[17] oder Derrida.[18] Für diese Denker fallen Mystik, Vernunft und Erfahrung weder in eins noch stehen sie beziehungslos nebeneinander. Sie sind vielmehr Dimensionen eines komplexen Strukturzusammenhangs.
In seiner Darlegung sowohl der allgemeinen als auch der mystischen Erfahrung verwendet Margreiter eine symboltheoretische Methode, die er von Cassirer[19] und Schwemmer[20] herleitet. Ausgangspunkt ist die erkenntnistheoretische Grundthese, Wirklichkeit werde über unterschiedliche Symbolsysteme konstruiert. Nur so bilde sich Erfahrung. Symbolformen seien nicht statische Gebilde, sondern Prozesse, die zueinander in analogem Verhältnis stehen. Von diesen Vorgaben her rekonstruiert Margreiter Mystik als Emergenz im Zuge des Symbolprozesses, als ein aus der Erfahrung selbst sich ergebendes Epiphänomen.
Mystik sei aus einer strukturell im Symbolprozess angelegten Tendenz erklärbar. Symbolisierung richte sich im Normalfall auf eine partielle Wirklichkeit, verhalte sich aber grundsätzlich expansiv und könne, dem Expansionsdrang nachgebend, zuletzt auf die Erfassung der Wirklichkeit im Ganzen (das impliziert: auch auf Selbstreferenzialität und Unmittelbarkeit) abzielen. Dies führe zu extremer Intensivierung der für jedes Symbolisieren konstitutiven Spannung zwischen Subjekt und Objekt, Einheit und Vielheit, so dass der Symbolprozess „implodiert“.[21] Totalsymbolisierung und Eigenparalyse eines Symbolsystems gehen also Hand in Hand. Es komme zur Auflösung denkkonstitutiver Kategorien (Zeit, Raum, Gegenständlichkeit, Kausalität etc.), zu höchster Konzentration und zugleich zum Absturz aller Bedeutsamkeit. Daraus erkläre sich der ekstatische Charakter mystischen Denkens und Erlebens.
Mystik erweise sich als eine mögliche Augenblickserfahrung, nicht aber als lebbare Lebensform.[22] Was sich in ihr erkenntnistheoretisch zeigt, sei eine funktionelle Grenze des Symbolisierens und, sofern Erfahrung Symbolverarbeitung bedeutet und Vernunft deren Ordnung und Organisation, eine funktionelle Grenze von Erfahrung und Vernunft. Eine solche Grenzerfahrung sei in allen Symbolformen möglich, nicht nur in Religion, sondern auch in Philosophie, Sprache, Kunst und grundlagenreflektierender Wissenschaft. Mystik sei also kein Alleinstellungsmerkmal religiösen Denkens und religiöser Welterfahrung.
Es handle sich um das An-Denken des imaginären Nullpunktes allen Symbolisierens, in den dieses sowohl seinen Ursprung als auch sein Ziel projiziert. Der Nullpunkt bleibe imaginär, weil man prinzipiell aus dem Symbolgeschehen nicht aussteigen könne. Als kognitiver, aber auch existenzieller Abgrund aller Symbolik veranschauliche Mystik die Vertauschbarkeit von Vielheit und Einheit, Sein und Nichts, Wirklichkeit und Möglichkeit. Dadurch werden radikale Kontingenz, Freiheit und Kreativität des Daseins offenbar. Richtig verstanden, führe mystische Erfahrung nicht zu metaphysischer Spekulation, sondern zu einer skeptischen, erfahrungsoffenen Erkenntnis- und Lebenshaltung.
Ende der 1990er Jahre klinkte sich Margreiter in die medienphilosophische Diskussion ein[23] und fasste seine Überlegungen später in den Büchern Medienphilosophie. Eine Einführung (2007, Neubearbeitung 2016) und Media Turn: Perspektiven einer interdiskursiven Medienphilosophie (2018) zusammen. Er unterteilt den Mediendiskurs in drei Segmente: empirische Medienwissenschaft, spekulative Medientheorie und fachphilosophischen Mediendiskurs. In letzterem gehe es darum, im Mediendiskurs die Neuformulierung von Fragestellungen des philosophiegeschichtlichen Kanons wahrzunehmen und für die Fortentwicklung der Philosophie als kreativen Input zu nützen. Da die Begriffe Medium und Symbolsystem ineinander übersetzbar seien[24] (auch Mystik sei stets ein mediales Ereignis),[25] führe Medienphilosophie das Anliegen der Symbolphilosophie in veränderter Akzentuierung fort.
Die Geschichte der Erkenntnistheorie (von Kants Transzendentalphilosophie über den Linguistic Turn und Symbolic/Semiotic Turn bis hin zu einem gegenwärtigen Media Turn) ist für Margreiter eine Stufenfolge zunehmend verfeinerter Einsicht in die Struktur von Denken, Erfahrung und Kultur.[26] Philosophie-, Wissenschafts- und Kulturgeschichte seien als Mediengeschichte rekonstruierbar. Nicht nur Sprache, sondern eine Mehrzahl historisch wandelbarer Medien und Medienkonstellationen konstituiere Wahrnehmen und Denken. Daher lasse sich Medienphilosophie (freilich ohne Anspruch auf Letztbegründung und keinesfalls im Sinn eines strengen Determinismus) als „Grundlagendiskurs“ und zeitgemäße „prima philosophia“ verstehen. Von anderen Medienphilosophen wird dies allerdings als zu starke These angesehen. So spricht Mike Sandbothe lieber von einer „transversalen Schnittstelle“.[27]
Margreiter lehnt die Ansicht ab, dass die digitalen Medien das Ende der Philosophie einläuten würden.[28] Er spricht sich für eine stärkere Vernetzung der drei Segmente des Mediendiskurses aus. Medienphilosophie solle sich als „Interdiskurs“ verstehen,[29] d. h. sich anderen Disziplinen weder unter- noch überordnen, sondern zwischen ihnen vermitteln. Medienphilosophie könne sich zweifach positionieren: als Wissenschaftstheorie der Medienwissenschaften und als symbolisch-medial ausgerichtete Erkenntnis- und Kulturphilosophie.[30]
Im Kontext seiner Medienphilosophie stellt Margreiter die Frage, ob auch Tiere mediale Wesen seien.[31] Die Antwort ist ein eingeschränktes Ja. Nicht alle, aber einige Tiere weisen in Verhalten, Eigenschaften und Fähigkeiten dem Menschen gegenüber mehr Ähnlichkeiten auf als Unterschiede. Auch Tiere verfügen über ein gewisses Maß an Symbol- und Medienkompetenz, wobei beträchtliche Ungleichheiten einzuräumen sind. Sie betreffen vor allem die Speicherungs- und Verarbeitungsmöglichkeiten von Information. Diese sind beim Menschen in Hinblick auf elaboriertes Sprachvermögen und vom Körper ausgelagerte, bis zur Automatisierung gesteigerte technische Medien von eigener, weiter reichender Qualität.
Neben tierischen Kognitions- und Kulturleistungen gilt Margreiters Interesse auch ethischen und interdisziplinären Fragen. Seit 2011 nimmt er an den Aktivitäten der „Human-Animal-Studies-Forschungsgruppe“ der Universität Innsbruck teil, die mit Ringvorlesungen, Seminaren, Arbeitskreisen, Tagungen und Publikationen hervortritt.[32]
In jungen Jahren war Margreiter auch literarisch tätig (Lyrik, Kurzprosa).[33] Dies erfolgte im Umfeld des Innsbrucker Dichters Hermann Kuprian, der um 1970 das poetologische Programm einer „Spirituellen Poesie“ formulierte, eine Reihe von Mitstreitern rekrutierte und die Schriftenreihe Brennpunkte herausgab.[34] Margreiter beteiligte sich mit einigen Essays an diesen programmatischen Bemühungen,[35] ging später aber dazu kritisch auf Distanz.
Der Lyrikband vor deinen augen (1973) weist jedoch inhaltliche Bezüge zur späteren Philosophie auf. Er enthält Gedichte, die mystische Erfahrung ausdrücken und vom Wuppertaler Philosophen Karl Albert in dieser Hinsicht interpretiert wurden.[36] Allerdings weicht Margreiters philosophische Mystik-Interpretation erheblich von Alberts Auffassung ab.[37] Bei diesem spielt die skeptische Seite der Mystik keine Rolle, er versteht unter Mystik bzw. (bei ihm gleichbedeutend) „ontologischer Erfahrung“ eine harmonistische All-Einheits-Metaphysik.[38]
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