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Der Rückzug der italienischen Motorradhersteller Moto Guzzi, Gilera und F.B Mondial – beziehungsweise ihrer Werksrennställe aus der Motorrad-Weltmeisterschaft zum Ende der Saison 1957 wird oft als „das Ende der goldenen Ära des Motorrad-GP-Sports“ bezeichnet.[1] Er ging unter dem italienischen Titel Patto di astensione (zu deutsch etwa „Enthaltungspakt“ oder „Rückzugsvereinbarung“) in die Geschichte dieses Sports ein.
Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte in Italien die Motorradindustrie zu den wenigen Aktivposten der schwer angeschlagenen Wirtschaft. Grund war die Schaffung individueller Fortbewegungsmöglichkeit, die für den Wiederaufbau des stark zerstörten Landes notwendig war. Nach einem Jahrzehnt mit exponentiellem Wachstum und beginnendem Wohlstand, erlebte die Motorradbranche Mitte der 1950er Jahre einige Rückschläge, verursacht durch die aufkommende Massenmotorisierung mit kleinen, günstigen Automobilen, wie sie zum Beispiel FIAT mit dem Modell „Seicento“ begonnen hatte, – und das eine außergewöhnliche Verbreitung erreichte. Dies war der Anfang einer Entwicklung, die Italien und ganz Europa zur allgemeinen Einführung des Automobils führte, und dadurch das Motorrad von einem nützlichen, fast unentbehrlichen Transportmittel zu einem eher im Freizeit- und Hobbybereich einzuordnenden „Luxusgegenstand“ machte.
Gleichzeitig dominierten italienische Maschinen in dieser Zeit den Motorradsport quer durch alle Serien und Klassen, inklusive der Weltmeisterschaft, und hatten in der Saison 1957 folgende Titel geholt:
Dafür war ein enormer finanzieller Aufwand nötig: Die Fixkosten der Rennabteilung von Moto Guzzi betrugen zum Beispiel etwa 235 Millionen Lire, was etwa 30 Millionen Euro entspricht, – und das in einer Zeit in der es das Sponsoringsystem und die damit verbundenen Einnahmen noch nicht gab.
Angesichts dieser Situation beschlossen die italienischen Produzenten, den hohen Kosten im Zusammenhang mit Rundstreckenrennen ein Ende zu setzen, da sie der Ansicht waren, dass die Rendite der verkauften Maschinen trotz der unbestrittenen weltweiten Dominanz italienischer Hersteller eindeutig nicht ausreichte, um die Ausgaben jener Jahre zu kompensieren.
Der Pakt wurde am 26. September 1957 von den Partnern bestätigt. Zu diesem Zeitpunkt gehörte auch MV Agusta zu den Unterzeichnern, zog aber kurz vor der öffentlichen Bekanntgabe seine Teilnahme zurück.[2] Die Pressemitteilung, die später als „Patto di astensione “(zu deutsch etwa „Enthaltungspakt“ o. „Rückzugsvereinbarung“) in Erinnerung blieb, wurde am Tag nach dem 35. Großen Preis der Nationen in Monza, dem letzten Rennen der Motorrad-Weltmeisterschaft von 1957, an die Zeitungsredaktionen verschickt.
Der Text der Pressemitteilung vom 02.09.1957 |
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Original: Le case MOTO GUZZI – MOTO GILERA – MONDIAL, al termine di un'annata sportiva che ha visto riaffermato nel modo più convincente l’alto livello dell’industria motociclistica italiana, che ha conquistato ancora una volta i titoli di Campione del Mondo per le macchine e i piloti di quattro categorie, hanno preso in esame la situazione e le prospettive dell’attività sportiva constatando:
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Deutsche Übersetzung: Die Hersteller MOTO GUZZI – MOTO GILERA – MONDIAL haben am Ende der diesjährigen Saison, in dem das hohe Niveau der italienischen Motorradindustrie auf überzeugendste Weise bestätigt wurde, erneut die Konstrukteurs- und Fahrertitel in vier Kategorien gewonnen, wir untersuchten daraufhin die Situation und die Aussichten unseres sportlichen Engagements und stellten fest:
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Die Entscheidung, aus dem Rennzirkus auszusteigen, löste im Sportbereich ein wahres „Erdbeben“ aus, das massive Auswirkungen auch auf den Bereich der Motorradproduktion für ganz Europa hatte.
Die italienischen Hersteller wollten unnötige Kosten einsparen, um einer, ihrer Meinung nach, fortschreitenden Krise (durch die zunehmende „Automobilisierung“) entgegenzuwirken, die unaufhaltsam zu einem starken Rückgang der Nachfrage nach italienischen Motorrädern führen würde.
Was die Manager der Unternehmen nicht verstanden hatten, war, dass das Motorrad zwar innerhalb weniger Jahre seine primäre Funktion als Arbeits-, Transport- und Fortbewegungsmittel verlor, aber auch zu einem – weit verbreiteten – einen gewissen Luxus bedeutenden Freizeitgegenstand wurde.
Die beschworene Krise war unzweifelhaft real, aber sie war nicht von Dauer – der Markt erholte sich bald wieder, und tatsächlich überstieg das neue Geschäftsvolumen bald das Vorkrisenvolumen. Vor diesem Hintergrund einer vorwiegend freizeitlichen (und unterhaltenden) Nutzung des Produkts hätte das Prestige, das sich aus sportlichen Siegen ergibt, verständlicherweise noch mehr an Bedeutung gewonnen.[2]
Der Ausstieg traf die meisten betroffenen Fahrer unvorbereitet, denn sie wurden davon nicht direkt informiert, sondern erfuhren die Nachricht aus den Medien. Auf einmal standen also vier amtierende Weltmeister im wahrsten Sinne des Wortes auf der Straße:
In der ersten Phase führte die Abwesenheit der drei Marken zu einer beinahe erdrückenden Dominanz von MV Agusta, die ab 1958, mehrere Jahre lang in allen Klassen (außer bei den Gespannen) sowohl den Fahrer-, als auch den Konstrukteurstitel holten.
Das plötzliche Fehlen der technologisch fortschrittlichsten Hersteller führte dazu, dass die jungen japanischen Motorrad-Produzenten (in erster Linie Honda,[4] kurz darauf Suzuki[5] – später dann auch Yamaha[6] und Kawasaki) mit einem massiven Aufwand in den internationalen Motorradsport einstiegen, ohne auf Konkurrenten zu treffen, die ihnen die Vorherrschaft streitig machten. So konnten sie sportliches Prestige erlangen und die nötigen technischen Erfahrung sammeln, um sich auf dem europäischen und US-amerikanischen Markt zu präsentieren, wo sie sich in kurzer Zeit beachtliche Marktanteile sichern konnten.[7][8]
Anmerkung: Die Maschinen sind hier mit der „All enveloping dustbin fairing“ für optimale Aerodynamik auf Hochgeschwindigkeitskursen abgebildet. Diese Vollverkleidungen wurden zwar ebenfalls zum Saisonende 1957 verboten, das hatte aber keinen Einfluss auf die Entscheidung von Gilera, Moto Guzzi und F.B Mondial.
Gut zu erkennen: die Auswirkung des Rückzuges ab 1957, mit MV Agusta als einzigem verbleibenden italienischen Teilnehmer und der beginnende Aufstieg japanischer Hersteller.
Nachdem die japanischen Marken zuerst alle Hubraumklassen eroberten, konzentrierten sie sich ab Ende der 1960er Jahre nur noch auf die Prestige-trächtigen „großen“ Klassen, und überließen die unteren Kategorien anderen, kleineren „Nischen-Herstellern“.
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