Prager-Haus Apolda
Gebäude und Geschichtsverein in Apolda (Thüringen) Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
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Das Prager-Haus, das Geschäftshaus des jüdischen Kaufmanns Bernhard Prager, in der gleichnamigen Gasse im thüringischen Apolda 1925 erbaut, war seit Mitte der 1990er Jahre unbewohnt und vom Verfall bedroht. Ein im Januar 2007 gegründeter Verein verfolgt den Zweck, das Haus als Gedenk- und Erinnerungsort an die jüdischen Einwohner der Stadt zu erhalten.[1] Er widmet sich der Aufklärung über die Wurzeln und das Auftreten des Antisemitismus in der Region und dokumentiert die Verfolgung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung während der Zeit des Nationalsozialismus. Darüber hinaus fördert er die Erforschung und Verbreitung der Kultur- und Sozialgeschichte des Alltags in der Region Weimar-Apolda, insbesondere die Geschichte sozialer, religiöser und politischer Minderheiten.
Der spätere Hausbesitzer, der jüdische Fellhändler Bernhard Prager, wurde am 29. Juni 1888 im hessischen Wenings geboren und am 26. September 1944 im KZ Theresienstadt ermordet. Er und seine Familie nutzten das Haus als Handlung für Fleischereibedarfsartikel bis zur „Arisierung“ 1939 und bewohnten es – zusammen mit der Schwiegermutter Fanny Katzenstein, die sie aus Erfurt zu sich nahmen – seit 1940 zwangsweise bis zu ihrer Deportation. Die gesamte Familie Prager wurde Opfer des Holocaust. Die „Arisierung“ des gesamten Eigentums der Familie ist in einem Quellenband der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen minutiös dokumentiert.[2]
Der Verein Prager-Haus e. V. Apolda wurde im Januar 2007 gegründet. Dieser Gründung ging eine zwanzigjährige Forschungsarbeit voraus, bei der geschichtsinteressierte Personen sich mit dem Schicksal der verfolgten und vertriebenen und zu einem großen Teil ermordeten jüdischen Einwohner der Stadt Apolda befassten. Gegenständliche Zeugnisse aus dieser Zeit (Artefakte) wurden zusammengetragen, mündliche Zeitzeugenberichte schriftlich festgehalten, Kontakte mit Entkommenen und deren Nachkommen in verschiedenen Ländern hergestellt.
Einige Monate vor dem 50. Jahrestag der Pogromnacht wurde am 29. Juni 1988, dem 100. Geburtstag Bernhard Pragers, an dessen Geschäftshaus eine Gedenktafel zur Erinnerung an diese Händlerfamilie angebracht. Im Jahre 1991 lag als erstes Ergebnis der Forschungen ein Buch vor, das einen Überblick über jüdisches Leben in Apolda beschreibt.
Die 1999 gegründete Geschichtswerkstatt Weimar-Apolda e. V., die in dem Prager-Haus-Verein aufging, veröffentlichte weitere Arbeiten zu jüdischem Leben, Verfolgung in den ersten Thüringer KZ Nohra und Bad Sulza sowie zur alltäglichen Herrschaft des Nationalsozialismus in der Region Apolda.
Seit seiner Gründung haben sich Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens der Stadt und ihres Umlandes für den Verein und seine Ziele engagiert, darunter der Bürgermeister von Apolda Rüdiger Eisenbrand und Wolfgang Peller, ein im Nationalsozialismus verfolgter Jude aus Apolda, der später stellvertretender Justizminister der DDR war und in Berlin lebte.
Bald nach der Vereinsgründung wurde der Hauskauf als Voraussetzung für die Ausführung des Vereinszieles in die Wege geleitet. Im Jahre 2008 haben die Vereinsmitglieder mit der Herausgabe einer eigenen Schriftenreihe begonnen, mit der Schicksale betroffener Familien, Widerstandstätigkeit gegen den Nationalsozialismus und das Leben von Minderheiten der Stadt beschrieben werden.
Im Mai 2008 wurden durch den Kölner Aktionskünstler Gunter Demnig die drei ersten Stolpersteine vor dem Prager-Haus verlegt, im Oktober folgte die Verlegung weiterer neun Steine. Im August 2009 wurden unter der Anwesenheit einiger Nachkommen von NS-Opfern weitere 15 Stolpersteine verlegt, darunter auch zum Gedenken an Wehrmachtsdeserteure, Widerständler aus der Arbeiterbewegung sowie an sowjetische Zwangsarbeiter. 2010 kamen weitere sieben Steine hinzu, darunter für eine russische Mutter und ihre vier Kinder, die Opfer der menschenverachtenden Zwangsarbeit wurden. 2011 wurden acht Steine verlegt, darunter für eine jüdische Frau sowie für sechs Zwangsarbeiterkinder der Rheinmetall-Borsig AG und ein dazugehörender Themenstein. 2013 wurden weitere sechs Steine verlegt, darunter zwei für „Euthanasie“-Opfer. 2014 kamen drei weitere, 2015 vier weitere, 2016 fünf weitere Steine, 2017 fünf weitere und 2018 fünf weitere hinzu. Damit befinden sich 70 Stolpersteine in Apolda.
Bei zahlreichen Stadtfesten und gesellschaftlichen Ereignissen tritt der Verein mit Infoständen in Erscheinung.
Am 16. September 2010 wurde die Schändung des Gedenkorts durch die Ablegung eines Schweinekopfes bekannt. Die Polizei nahm eine Anzeige auf, und der Staatsschutz ermittelte gegen Unbekannt.[3]
Seit dem 18. Oktober 2012 betrieb der Verein in der Weimarischen Straße 5, seit 2015 betreibt er in der Ritterstraße 19 von Apolda eine Dokumentationsstelle zu Widerstand und Verfolgung 1933–1945 in Thüringen. Damit bekundete er seine Absicht, zu diesem Thema auch über den begrenzten Apoldaer Raum hinaus als Archiv und Bibliothek für das Land Thüringen zu wirken. Vorhanden sind ein Archiv in seinen Bestandteilen Personen-, Film-, Aktenordner- und Artefaktearchiv sowie eine Fachbibliothek zur NS-Zeit sowie gesellschaftswissenschaftliche Literatur und Zeitungen/Zeitschriften.
Zum Jahresbeginn 2025 kam es zu einem erneuten antisemitischen Anschlag auf den Gedenkort, als Unbekannte in der Nacht auf den 4. Januar einen Schweinekopf vor dem Haus platzierten.[4]
Im Oktober 2011 wurde das Projekt in die Bauplanung der Stadt Apolda für 2013 aufgenommen, aber die komplementär vom Verein aufzubringenden Mittel waren nicht vorhanden, um in das Städtebau-Förderprogramm von Apolda eingeordnet werden zu können. Das Weimarer Architekturbüro Aschenbach hatte dazu eine Studie erarbeitet, die eine Sanierung des authentischen Hauses und den Neubau eines Kommunikationsraumes sowie einer Archivwand auf dem Grundstück hinter dem Haus vorsah. Weil trotz intensiver Bemühungen bei Kreis, Land und Bund zunächst keine finanziellen Zusagen zu anderweitiger Bauförderung erreicht wurden, beschloss der Verein 2013 die schrittweise Renovierung mit einfachsten Mitteln. Bürgermeister Rüdiger Eisenbrand hat die Sanierungsarbeiten auch praktisch unterstützt, indem der Städtische Betriebshof Container zur Schuttabfuhr bereitstellen ließ. Im Jahre 2015 gelang es, ebenfalls wieder mit Hilfe des städtischen Bauamtes, nennenswerte Mittel aus dem Gebäudesicherungsprogramm des Landes zu erhalten, mit denen in einer ersten Baustufe die Bedachungen der Nebengebäude saniert werden konnten. Alle weiteren Arbeiten zum Innenausbau hat der Verein von privaten Förderern und Spendern vornehmen können. Im Sommer 2016 wurde mit der Sanierung von Innenhof und Nebengebäude der Abschluss des ersten Bauabschnitts gefeiert.[5] Anfang des Jahres 2018 konnte auch der vom Land geförderte zweite Bauabschnitt mit Stabilisierung einer Giebelwand und der Neudeckung des Daches abgeschlossen werden. Am 3. Oktober 2018 wurde das Prager-Haus als Lern- und Gedenkort mit einer Feier der Vereinsmitglieder eröffnet. Die Architektenkammer Thüringen stellte das sanierte Prager-Haus zum Tag der Architektur am 29. Juni 2019 in ihrer Broschüre vor.[6]
Quelle: Buchreihe: Pfarrscheune (Seite des Vereins Dorfmuseum Pfarrscheune Niedertrebra)[7]
Am 9. Juni 2021 wurde der Verein für seine heimatpflegerischen Leistungen mit dem Kreisheimatpflegepreis 2021 des Kreises Weimarer Land ausgezeichnet.[8]
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