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Nebenwirkung einer Narkose Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Postoperative Übelkeit und [postoperatives] Erbrechen, auch Postoperative Nausea und Emesis genannt, sind Nebenwirkungen von Anästhesieverfahren, insbesondere der Allgemeinanästhesie (Narkose), jedoch auch von Regionalanästhesien und Komplikationen von bestimmten chirurgischen Eingriffen. Auch im deutschen Sprachraum wird oft die Abkürzung PONV für das englische postoperative nausea and vomiting genutzt.
Klassifikation nach ICD-10 | |
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R11 | Übelkeit und Erbrechen |
ICD-10 online (WHO-Version 2019) |
Die Häufigkeit von Übelkeit oder Erbrechen liegt bei einer Allgemeinanästhesie ohne prophylaktische Maßnahmen bei 20 bis 30 Prozent. PONV entsteht durch verschiedene Faktoren (Medikamenteneinfluss, persönliche Veranlagung, äußere Einwirkungen), der Entstehungsmechanismus ist nicht im Detail verstanden.
Es stehen mit übelkeitsmindernden Medikamenten (Antiemetika) und durch die Modifikation von Anästhesieverfahren effektive Maßnahmen zur Therapie und Prophylaxe zur Verfügung. Durch ein multimodales Behandlungskonzept kann PONV zumindest stark verringert werden.
Nach einer Operation beträgt die durchschnittliche Häufigkeit (Inzidenz) von Übelkeit und Erbrechen 20 bis 30 Prozent, womit diese neben Schmerzen die wichtigsten postoperativen Nebenwirkungen darstellen. Bei knapp acht Millionen durchgeführten Anästhesieverfahren sind damit allein in Deutschland über zwei Millionen Patienten von diesem Problem betroffen. Die klinische Bedeutung dieser Nebenwirkungen ist hoch. Zwar ist PONV in aller Regel selbstlimitierend, dennoch können in seltenen Fällen schwerwiegende Komplikationen wie Atemwegsverlegungen mit Sauerstoffmangel in der Folge, Pneumothoraces, Rupturen der Speiseröhre (Boerhaave-Syndrom) und der Luftröhre und ausgeprägte Hautemphyseme entstehen. Für das subjektive Befinden wird die Vermeidung postoperativer Übelkeit von Patienten noch wichtiger als die postoperative Schmerztherapie bewertet. Auch entstehen durch PONV erhebliche Mehrkosten durch die notwendige, ungeplante stationäre Behandlung bei ambulanten Eingriffen.[1] Eine dreitägige anästhesiebedingte postoperative Übelkeit kann ein Schmerzensgeld von 1000 Euro rechtfertigen.[2] Im verhandelten Fall vor dem Oberlandesgericht Koblenz wurde bei einer Patientin mit PONV-Risiko zwar eine übelkeitsverringernde intravenöse Narkose durchgeführt, jedoch auf die zusätzlich vorbeugende Gabe eines Antiemetikums verzichtet.
Übelkeit und Erbrechen sind vegetative Schutzreflexe, die den Körper vor der Aufnahme von giftigen Substanzen (Toxinen) schützen sollen. Durch das Erbrechen werden dabei über den Gastrointestinaltrakt aufgenommene Substanzen aus dem Körper entfernt, durch die Übelkeit eine weitere Aufnahme verhindert. Das damit einhergehende Krankheitsgefühl führt als Lerneffekt zu einer zukünftigen Meidung der entsprechenden Stoffe. Bei der Verabreichung von Medikamenten über eine Vene (intravenös, parenteral) zu therapeutischen Zwecken, wie dies im Rahmen einer Chemotherapie (CINV, chemotherapy-induced nausea and vomiting[3]) oder einer Allgemeinanästhesie geschieht, bei der Inhalationsanästhetika und Opioide die auslösenden (emetogenen) Hauptsubstanzen darstellen, sind diese Effekte unerwünscht.
Erbrechen und Übelkeit sind keine zwangsläufig miteinander verbundenen Phänomene. Das Brechzentrum besteht aus Kerngebieten im Bereich des Hirnstammes. Es erhält zuleitende Informationen (Afferenzen) aus der Chemorezeptortriggerzone, insbesondere mittels des Botenstoffes Dopamin (dopaminerg), des Nervus vagus, hier vor allem mittels Serotonin (serotoninerg) und aus dem Vestibularorgan, vor allem durch Histaminvermittelte Übertragung (histaminerg). Der komplexe Brechreflex, bei dem es zum Schluss der Stimmritze (Glottis), zur Entspannung des unteren Ösophagussphinkters und zur plötzlichen Anspannung der Bauchmuskulatur (Bauchpresse) und des Zwerchfells kommt, wird über Kerngebiete und Nervenfasern (Efferenzen) des vegetativen und motorischen Nervensystems vermittelt. Die Übelkeit wird durch die Einwirkung von Substanzen auf die Chemorezeptortriggerzone am Boden des vierten Ventrikels bedingt, setzt aber auch die Beteiligung höherer Hirnregionen voraus. Im Bereich der Chemorezeptortriggerzone ist die Blut-Hirn-Schranke durchlässig, so dass der Übertritt von Fremdstoffen aus dem Blut ins Gehirn möglich ist.
Während bei chemotherapieinduziertem Übelkeit und Erbrechen vor allem die vermehrte Freisetzung von Serotonin die wesentliche Rolle spielt, ist die Entstehung von PONV im Detail weitgehend unklar. Es ist zudem nicht ohne weiteres möglich, Ergebnisse aus Tiermodellen auf den Menschen zu übertragen.[4]
Es existieren verschiedene klinisch relevante Risikofaktoren für PONV, die durch eine gute Studienlage belegt sind. Weibliches Geschlecht ist der bedeutendste patientenabhängige Faktor. Frauen haben ein höheres Risiko, postoperativ an Übelkeit und Erbrechen zu leiden. Eine pathophysiologische Erklärung dafür ist nicht bekannt. Bei Nichtrauchern tritt PONV doppelt so oft auf wie bei Rauchern. Dies hängt möglicherweise mit Veränderungen an Dopaminrezeptoren zusammen.[5] Bereits erlebte PONV oder Reisekrankheit (Kinetosen) stellen weitere Risikofaktoren dar, was für eine individuelle Komponente bei der Entstehung spricht.
PONV tritt bei Kindern und Jugendlichen zwischen dem 6. und 16. Lebensjahr häufiger auf.[6]
Anästhesieabhängige Faktoren sind die Verwendung volatiler Anästhetika, der Einsatz von Lachgas während der Narkose und eine lange Narkosedauer,[7] sowie der postoperative Einsatz von Opioid-Schmerzmitteln. Demgegenüber hat die Wahl des Opioids keinen signifikanten Einfluss.[8] Auch die Antagonisierung von Muskelrelaxantien mit hohen Dosen von Cholinesteraseinhibitoren wie Neostigmin wird als Risikofaktor diskutiert. Eine kurze Narkosedauer, die Vermeidung inhalativer Anästhetika (total intravenöse Anästhesie) und Regionalanästhesieverfahren führen zu einem verminderten Risiko.
Für eine Reihe von weiteren Faktoren ist die Datenlage nicht eindeutig. Dies betrifft die Art der Operation, die Erfahrung des Anästhesisten, die Verwendung einer Magensonde sowie das Vorhandensein postoperativer Schmerzen[9] und Bewegungsreize. Widerlegt sind Einflüsse durch den Body-Mass-Index, Persönlichkeitsstrukturen und eine Abhängigkeit vom Menstruationszyklus.[4][10]
Da die Einschätzung des Risikos, postoperativ Übelkeit und Erbrechen zu entwickeln, anhand eines einzelnen Faktors, wie etwa dem Geschlecht, wenig genau (sensitiv) ist, wurden verschiedene Scores zur Voraussage entwickelt. Diese sollen eine differenzierte Prophylaxe ermöglichen. Bekannt sind ein vereinfachter Score (nach Apfel[11][12]) oder der Score nach Koivuranta.[13] Der gebräuchliche Apfel-Score umfasst die vier Risikofaktoren weibliches Geschlecht, Nichtraucherstatus, bekannte Reisekrankheit oder vormalige postoperative Übelkeit und die voraussichtliche Gabe von Opioid-Schmerzmitteln nach dem Eingriff. Sind 0, 1, 2, 3 oder 4 dieser Faktoren vorhanden, beträgt die Wahrscheinlichkeit für PONV etwa 10 Prozent, 20 Prozent, 40 Prozent, 60 Prozent oder 80 Prozent.[4][10]
Die Anwendung solcher Scores ist mit Einschränkungen verbunden. Die angegebenen Wahrscheinlichkeiten sind nur für Erwachsene anzuwenden, bei Kindern werden andere Scores, wie zum Beispiel der POVOC, verwendet. Dazu können nur für etwa 70 Prozent der Betroffenen adäquate Voraussagen getroffen werden. Die überwiegende Mehrzahl wird zudem mit einem mittelgradigen Risiko eingestuft, was keinen wesentlichen Erkenntnisgewinn für eine praktikable Unterscheidung in Risikopatient und Nicht-Risikopatient bringt. Die Identifikation von Risikofaktoren kann jedoch zur Identifikation von Patienten dienen, die nicht von der Verabreichung einer medikamentösen Prophylaxe profitieren.[4][10]
Zur Behandlung und Vorbeugung von postoperativer Übelkeit und Erbrechen stehen übelkeitsmindernde Wirkstoffe (Antiemetika) aus verschiedenen Wirkstoffgruppen, Modifikationen des Anästhesieverfahrens sowie weitere ergänzende Maßnahmen zur Verfügung.
Wenn für den Eingriff geeignet, bieten sich Regionalanästhesieverfahren an. Sie gehen im Vergleich zur Allgemeinanästhesie mit geringeren Raten an postoperativer Übelkeit einher. Bei rückenmarksnahen Verfahren (Spinalanästhesie, Epiduralanästhesie) tritt PONV bei 10 bis 15 Prozent der Patienten auf, bei peripheren Nervenblockaden nur in Einzelfällen. Die Entstehung von Übelkeit und Erbrechen geht bei Regionalanästhesie in der Regel auf einen Abfall des Blutdruckes (Hypotonie) zurück und wird daher mit kreislaufwirksamen Medikamenten und Flüssigkeitstherapie behandelt.
Bei der Durchführung einer Allgemeinanästhesie ist der Verzicht auf Inhalationsanästhetika und die stattdessen durchgeführte total intravenöse Anästhesie (TIVA) mit Propofol eine wirksame Maßnahme, die Übelkeit und Erbrechen ebenso effektiv reduziert wie die Gabe eines Antiemetikums. Der ausschlaggebende Faktor ist dabei der Verzicht auf die übelkeitsauslösenden Stoffe, nicht der Einsatz des Propofols. Ein Verzicht auf Lachgas hat nur einen geringen Effekt.[18]
Akupressur (am Punkt P6 am Handgelenk) wurde in einem Review als Möglichkeit betrachtet.[19] Attraktiv ist die Behandlung durch sehr geringe Nebenwirkungsraten. Diese wurden allerdings unter Studienbedingungen ermittelt, in der perioperativen Praxis ist die Durchführung sowohl durch Begleiterkrankungen und die Bewusstseinsminderung des Patienten, die mit Verletzungen einhergehen können, als auch durch den Aufwand der Ausbildung und der Zeitaufwand der Durchführung beschränkt. Als weitere Möglichkeiten zur Behandlung werden Akupunktur-Injektionen, Elektroakupunktur und Akupressur-Verfahren genannt, zu denen allerdings keine ausreichenden Daten zur abschließenden Beurteilung vorliegen.[20]
Eine Meta-Analyse zeigte eine Überlegenheit von Ingwer gegenüber Placebogabe bei der Reduktion postoperativer Übelkeit; ausreichend große Studien zu einer abschließenden Beurteilung liegen jedoch nicht vor. Als Nebenwirkung können Bauchschmerzen auftreten.[21][22]
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