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Sprache Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Livisch (līvõ kēļ, auch rāndakēļ) wurde vom Volk der Liven in der lettischen Provinz Kurland (lett. Kurzeme) gesprochen, also auf der Halbinsel, die die Rigaer Bucht von der Ostsee abtrennt. Früher wurde es, wie der Name vermuten lässt, auch in Livland gesprochen; dort ist die Sprache aber schon seit Längerem ausgestorben.
Livisch (līvõ kēļ) | ||
---|---|---|
Gesprochen in |
Lettland | |
Sprecher | seit 2013 ausgestorben[1], 20 als Zweitsprache | |
Linguistische Klassifikation |
| |
Offizieller Status | ||
Amtssprache in | - | |
Sprachcodes | ||
ISO 639-1 |
– | |
ISO 639-2 |
fiu (andere finnisch-ugr. Sprachen) | |
ISO 639-3 |
liv |
Livisch gehört zu den finno-ugrischen Sprachen und hat die typischen Eigenschaften dieser Sprachfamilie, so z. B. ein ausgeprägtes Kasussystem. Am ehesten ist es mit dem Estnischen verwandt, von dem es etwa 800 Lehnwörter übernommen hat.[2] Während der langen Isolation unter einer lettischsprachigen Bevölkerung wurden auch etwa 2000 Lehnwörter und weitere Elemente des Lettischen übernommen. Etwa 200 weitere Lehnwörter stammen aus dem Niederdeutschen, so zum Beispiel Berufsbezeichnungen wie Dišler (nds. Dischler, dt. Tischler), Slakter (nds. Slakter, dt. Schlachter) und Aptēkõr (nds. Apteker, dt. Apotheker) sowie Begriffe aus Handel und Handwerk wie tsukkõr (nds. und dt. Zucker) und dreibenk (nds. Dreihbänk, dt. Drehbank).[3]
Nicht zu verwechseln ist das Livische mit der livvischen Sprache, auch Olonetzisch genannt, eine ebenfalls ostseefinnische Sprache, die noch in Karelien gesprochen wird.
Die livische Sprache zählt 45 Grapheme[4]:
a A, ā Ā, ä Ä, ǟ Ǟ, b B, d D, ḑ Ḑ, e E, ē Ē, f F, g G, h H, i I, ī Ī, j J, k K, l L, ļ Ļ, m M, n N, ņ Ņ, o O, ō Ō, ȯ Ȯ, ȱ Ȱ, (ö Ö), (ȫ Ȫ), õ Õ, ȭ Ȭ, p P, r R, ŗ Ŗ, s S, š Š, t T, ț Ț, u U, ū Ū, v V, (y Y), (ȳ Ȳ), z Z, ž Ž
Die in Klammern aufgeführten Grapheme werden dabei nur für eine korrekte Darstellung von Eigennamen verwendet. Aufgrund der technischen Anforderungen gestaltet sich die Darstellung der aufgeführten Grapheme auf Schreibmaschinen und Computern schwierig. Es ist daher auch auf Online-Publikationen anzutreffen, bei denen etwa <ķ> als <k'> dargestellt wird. Während die Cedille über die lettische Tastatur abrufbar ist, treten Schwierigkeiten vor allem bei den Graphemen mit zwei diakritischen Zeichen (Trema und Makron) auf. So wird das Makron des langen Vokals <ǟ> hierbei auch durch eine Unterstreichung ersetzt und als <ä> dargestellt.
Laut Michael Everson[5] sind die Buchstaben ḑ Ḑ ļ Ļ ņ Ņ ŗ Ŗ ț Ț mit Unterkomma (nicht mit Cedille oder gar Ogonek) zu schreiben. Die Unicode-Namen der Buchstaben ḑ Ḑ ļ Ļ ņ Ņ ŗ Ŗ enthalten den Zusatz WITH CEDILLA, obwohl sie in den Code-Tabellen mit Unterkomma abgebildet sind. Lediglich beim T unterscheidet Unicode explizit die beiden Diakritika Cedille und Unterkomma.
Wie die anderen finno-ugrischen Sprachen weist das Livische eine nahezu durchgehende Betonung auf der ersten Silbe des Wortes auf. Charakteristisch sind auch die Quantitätsdistinktionen, die sowohl bei Vokalen als auch bei Konsonanten auftreten. Die Länge der Vokale macht sowohl morphologisch als auch semantisch einen Unterschied.
Die Darstellung der phonetischen Besonderheiten der livischen Sprache wird dadurch erschwert, dass die ausführlichsten Untersuchungen bereits vor dem Zweiten Weltkrieg durchgeführt wurden. Seither hat sich die livische Sprache aufgrund einschneidender Ereignisse stark verändert (Zweiter Weltkrieg, Besetzung durch die Sowjetunion und damit verbundene Flucht).
Der Hauptakzent livischer Wörter liegt nahezu ausschließlich auf der ersten Silbe. Bei halblangen Vokalen kann ein Nebenakzent auftreten. Dieser kann jedoch nur auf die zweite oder vierte Silbe fallen.
Der Satzakzent wird durch die Redeabsicht bestimmt.
Das Livische kennt drei grundlegende Intonationsmuster (innerhalb einer Silbe):
Bei der gedehnten Intonation steigt der Ton zum Silbenende hin an und sinkt dann wiederum leicht. Kettunen charakterisiert diese Intonation auch als leicht interrogativ oder progredient, wobei letzteres vorwiegend im Wortinnern vorkommt. Ähnlich wie im Lettischen wird die Dehnung durch eine Tilde dargestellt. Beispiel:
Die fallende Intonation setzt mit einem stärkeren Ton ein, der dann abschwächt. Charakteristisch ist hier ein gleichmäßiges Steigen mit anschließend gleichmäßigem Fallen in gleicher Länge. Phonetisch wird diese Intonation durch einen Gravis dargestellt. Beispiel:
Die Stoßintonation ist vermutlich durch lettische Einflüsse entstanden. Dabei steigt ein Ton stark an, es kommt zum Stoß mit einem abrupten Fall des Tons. Die Länge zerfällt dabei in zwei Teile. Die Stoßintonation wird phonetisch durch einen Zirkumflex dargestellt. Beispiel:
In Bezug auf die Satzintonation kennt das Livische:
Diese Muster entsprechen weitgehend der Intonation im Deutschen. Bisher wenig thematisierte Unterschiede bestehen im Melodieverlauf einer sprachlichen Handlung.
Die livische Sprache weist eine regressive Assimilation auf, jedoch auch Fälle von progressiver und doppelseitiger Assimilation. Die Assimilationsvorgänge finden zumeist auch Eingang ins Schriftbild. Die livische Schriftsprache, vor allem deren Orthographie, war zu keiner Zeit wirklich fixiert und ist daher durch eine phonetische Schreibweise geprägt. Die Assimilationsvorgänge lassen sich vor allem auf eine diachrone Betrachtung zurückführen, in der eine potentielle Ursprache als Grundlage dient.
Die regressive Assimilation lässt sich vor allem in Bezug auf die Stimmhaftigkeit beobachten: Aus ursprünglichen Lenis-Lauten wurden Fortis-Laute. Diese Assimilation tritt auf, wenn ein stimmloser Konsonant auf einen stimmhaften Konsonanten folgt:
Die progressive Assimilation tritt unter anderem dann auf, wenn ein Lenis-Laut auf einen Fortis-Laut folgt und ersterer zu einem Fortis-Laut wird:
Ferner trat diese Form der Assimilierung auch bei Konsonantenverbindungen wie <lv> und <lj> auf, wobei erstere zu einem langen L-Laut [lː] wurde, die letztere zu einem langen, palatalisierten L-Laut [lʼ].
Bei der doppelseitigen Assimilation beeinflusste die stimmhafte Konsonantenumgebung die Stimmhaftigkeit des eingeschlossenen Fortis-Lautes. <k, p, t> wurden in entsprechenden Fällen zu <g, b, d>.
Ferner treten im Livischen Auslautentstimmlichungen auf. In phonetischen Abhandlungen wird dieses Phänomen mit kleingedruckten Großbuchstaben (z. B. sōpkõd (Stiefel): sōpkõD) dargestellt.
Das Livische zählt acht Monophthonge, die in jeweils vier Quantitätsstufen auftreten können, von denen drei einen distinktiven Charakter haben,
Im Gegensatz zum Finnischen weist das Livische keine Vokalharmonie auf und gleicht in diesem Punkt dem Estnischen. Eine Besonderheit stellt der graphematisch <õ> dargestellte Laut [ɤ] dar, der zwar im Estnischen vertreten ist, in den anderen finno-ugrischen Sprachen jedoch nicht.
Mit zwölf Diphthongen ist das Livische verglichen mit dem Deutschen reich an Diphthongen, im Vergleich mit anderen finno-ugrischen Sprachen jedoch relativ arm. Die livischen Diphthonge entsprechen lautlich ihrer schriftlichen Umsetzung, weisen also keine Unterschiede wie im Deutschen auf (vgl. dt.: <eu> = [ɔ̯ɪ] wie in Europa).
Die livische Sprache zählt 23 Konsonanten, die folgenden distinktiven Merkmalen unterliegen:
Im Gegensatz zu den deutschen Äquivalenten werden die livischen Fortis-Plosive nicht aspiriert. Das Graphem <s> wird grundsätzlich stimmlos artikuliert. Eine weitere grundlegende Unterscheidung zum deutschen Konsonantismus liegt in der Palatalisierung. In dieser Form können jedoch nur /d, l, n, r, t/ auftreten. Die Palatalität wird graphematisch durch Cedille und phonetisch durch einen Apostroph dargestellt:
Es gilt zu beachten, dass es im Livischen kein uvulares [h] gibt. Der stattdessen auftretende Zwischenlaut, der im Bereich zwischen den deutschen Lauten [x] (Ach-Laut) und [ç] (Ich-Laut) anzusiedeln ist, tritt selten auf. Er ist im Entwicklungsprozess der Sprache verschwunden oder sowohl graphematisch als auch phonetisch durch <j> und <v> ersetzt worden. Beispiel:
Während die Quantität der Vokale im Schriftbild beispielsweise durch a und ā dargestellt wird und die Länge hierbei durch ein diakritisches Zeichen markiert wird, stehen bei auf konsonantischer Seite Doppelkonsonanten für eine höhere Quantität. Dieses Merkmal trifft jedoch nicht auf Konsonanten am Wortauslaut zu.
Livisch ist im Jahr 2013 ausgestorben. Die Sprache war zuvor auf zwölf Dörfer an der lettischen Nordküste der Landkreise Ventspils und Talsi beschränkt. Die westlich von Mazirbe (livisch: Īra) gelegenen Dörfer wiesen einen Dialekt auf, der dem Altlivischen am nächsten stand, die Dörfer östlich von Īra einen von der Ausgangssprache stärker abweichenden Dialekt. Īra selbst zeichnete sich durch eine Mischform beider Dialekte aus. Durch die Entwicklungen seit der Mitte des 20. Jahrhunderts war jedoch ein Verschmelzen der Dialekte zu beobachten. Bereits im 19. Jahrhundert ist der Dialekt des Salis-Livischen (auch Livland-Livisch) ausgestorben.
Die Liven sind in Lettland als nationale Minderheit anerkannt (Eintragung im Pass).
An der Universität Riga wurde seit 2005 von Valts Ernštreits Livisch gelehrt. Er gab eine Sammlung mit Gedichten in livischer Sprache sowie ein lettisch-livisch-englisches Wörterbuch heraus. 1939 wurde ein livisch-deutsches Wörterbuch herausgegeben. Stand 2022 gibt es noch rund 20 Sprecher des Livischen, die jedoch alle keine Muttersprachler sind.
Dass es im Livischen – wie im Wepsischen – keinen Stufenwechsel und keine Vokalharmonie gibt, könnte ein Hinweis darauf sein, dass die Liven am Rand des ostseefinnischen Sprachraumes lebten und sich relativ früh als eigenständiger Stamm von den sprachverwandten Stämmen trennten.[7]
Noch im 19. Jahrhundert sprachen schätzungsweise 2.000 Menschen livisch. Verschiedene geschichtliche Ereignisse haben letztlich zum Aussterben der Sprache geführt:
Min izāmō – die Nationalhymne der Liven.
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