Lichtwarkschule
ehemalige reformpädagogische Schule in Hamburg-Winterhude Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
ehemalige reformpädagogische Schule in Hamburg-Winterhude Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Die Lichtwarkschule war eine 1914 gegründete reformpädagogische Schule in Hamburg-Winterhude. Sie wurde nach Plänen Fritz Schumachers errichtet. Zwischen 1920 und 1937 war sie nach Alfred Lichtwark benannt, einem der Begründer der Museumspädagogik und der Kunsterziehungsbewegung sowie erstem Direktor der Hamburger Kunsthalle. Im Zuge nationalsozialistischer Gleichschaltung wurde das Profil der Schule nach 1933 schrittweise verändert, bis diese 1937 endgültig von der Landesunterrichtsbehörde aufgelöst und mit dem Heinrich-Hertz-Realgymnasium zur Oberschule am Stadtpark für Jungen zusammengelegt wurde. Heute befindet sich in dem Schulgebäude die Heinrich-Hertz-Schule.
Lichtwarkschule | |
---|---|
Gründung | 1914 |
Schließung | 1937 |
Ort | Hamburg-Winterhude |
Land | Hamburg |
Staat | Deutschland |
Koordinaten | 53° 35′ 33″ N, 10° 0′ 40″ O |
Die Lichtwarkschule ging aus der 1914 gegründeten Realschule in Winterhude hervor. Die Idee zu ihr entstand in der Folge des Weimarer Schulkompromisses, der dem Gedanken an eine Einheitsschule zwar eine Absage erteilte, dennoch aber die Einrichtung von Versuchsschulen erlaubte.
Ein Kreis von Pädagogen an der Winterhuder Realschule, dem Erich Jänisch, Georg Jäger, Peter Petersen, Rudolf Kappe und Gustav Heine angehörten, erbat im März 1920 von der Hamburger Oberschulbehörde die Möglichkeit, „auf einen neuen Typ der höheren Schule hinzuarbeiten“. Der Hamburger Senat stimmte dem Vorhaben zu und bestätigte im Februar 1921, dass die neue Oberschule den von Lehrern und Eltern gewünschten Namen Lichtwarkschule tragen dürfe.[1] Haubfleisch zählt die Lichtwarkschule neben der von Fritz Karsen initiierten Karl-Marx-Schule in Berlin-Neukölln und der von Wilhelm Blume gegründeten Schulfarm Insel Scharfenberg zu den „wichtigsten und interessantesten (höheren) öffentlichen Versuchsschulen der Weimarer Republik“.[2]
Als Versuchsschule war die Lichtwarkschule nicht an Lehrpläne gebunden, durfte Schüler außerhalb des eigentlichen Schulbezirks aufnehmen und konnte über die Zusammensetzung ihres Kollegiums selber entscheiden. Der Schulleiter wurde vom Kollegium gewählt. Doch der reformpädagogische Eifer scheint auch seine Schattenseiten gehabt zu haben, wie unter anderem die Erinnerungen von Fritz C. Neumann zeigen, der sich im Herbst 1922, mitten in seiner Referendarzeit, auf eigenen Wunsch an die Lichtwarkschule versetzen ließ: „Niemand gab der ganzen Schule Form und Richtung. Jeder Sekundarlehrer an einer der Hamburger Sekundarschulen, der etwas Neues ausprobieren wollte, konnte sich den Mitarbeitern der Lichtwarkschule anschließen, und das taten sie auch. So wurde sie zu einem Sammelbecken verschiedener Ideen und Trends.“[3] Und auch der Kursunterricht als Gegenmodell zum klassischen Klassenunterricht wurde schnell wieder abgeschafft, wie Georg Jäger schon im Mai 1923 bei einem Besuch der Schulfarm Insel Scharfenberg seinen dortigen Kollegen zu deren Verwunderung erläuterte: „Dr. Jäger erzählte von seinen Erfahrungen, und wir schilderten ihm unsere gegenwärtige Unterrichtslage. Überrascht waren wir zu hören, daß die Kurse dort so gut wie aufgegeben sind, nur noch ein prinzipiell geändertes Dasein im fakultativen Zusatzstunden führen; als Begründung führte der Gast an, die Kurseinteilung habe zu einer Auflösung der Gemeinschaft geführt; über der Spezialisierung sei das Gemeinsame verloren gegangen und das, was man im guten Sinne Klassengeist nenne, ganz verflüchtigt. Bei uns ist das nicht zu befürchten, da man sonst den ganzen Tag gemeinsam verlebt; die Lichtwarkschule ist eine Tagesschule. Ferner gibt die Kulturwoche mit ihren 30 gemeinsamen Stunden dem Gemeinsamkeitsgefühl das nötige Übergewicht auch in unterrichtl. Beziehung. Es scheinen dort in Hamburg außerdem noch andere Gründe mitgesprochen zu haben, ein sachliches Erlahmen. Wir sehen das Problem weit optimistischer an als Dr. Jäger. Zum mindesten sind der Mathematik- und der Deutschkurs auf dem Wege zum uns vorschwebenden Ideal. Die Kurse aufgeben, hieße Scharfenberg einen Lebensnerv abschneiden! Dr. Jäger blieb noch bis zum Spätnachmittag bei uns; der gegenseitige Gedankenaustausch war sehr fördernd.“[4]
Das passt zu der Feststellung Füssls, der die Zeit nach Peter Petersens Berufung an die Friedrich-Schiller-Universität Jena als eine Zeit des Umbruchs und der Neuorientierung beschreibt: „Seit dem raschen Weggang PETER PETERSENS nach Jena 1923 verfügte die Schule über keine Leitfigur mehr, die eine Richtung für die Ausgestaltung des Versuchs hätte weisen können. Sie entwickelte sich zum Sammelbecken unterschiedlichster Reformansätze und zum Konfliktfeld, aber auch zum Modell für die Definition und Spannweite reformpädagogischer Möglichkeiten. In der Praxis kehrte sie sogar zum System des Klassenunterrichts zurück.“[5] In dieser Situation ergriff eine Gruppe junger Lehrer die Initiative.
„Wir, d. h. einige junge ‚Kandidaten‘ – Lehrer im Vorbereitungsdienst –, die 1922 und 1923 an die Schule kamen, spürten, dass es zu einer Stagnation kam und dass etwas getan werden musste, um die Schule wiederzubeleben. Also haben wir eine Art Revolution gestartet. ‚Wir‘ waren hauptsächlich drei, Walter Teich, der im Grunde ein Dichter war, ein gewisser Herr Schnell – der seine Karriere später auf eine sehr sensationelle und lustige Weise beendete – und ich selbst. Wir entschieden, dass die unglückliche Situation darauf zurückzuführen war, dass die Schule keine gemeinsame Philosophie und kein gemeinsames Grundverständnis hatte. Jeder zog in eine andere Richtung. Also beschlossen wir, alle von uns geschätzten älteren Männer zu versammeln – es gab sehr viele – und führten Treffen in Privathäusern durch, um ein solches gemeinsames Grundverständnis auszuarbeiten und zu vereinbaren. Unsere Gruppe hat diese Entscheidungen dann in den Mitarbeiterversammlungen durch eine Blockabstimmung umgesetzt. Eine Weile lief alles gut, aber dann brach unsere gemeinsame Front zusammen. Wir Jungen wollten etwas Sozialismus in unsere gemeinsame Plattform bringen, aber das mitzumachen, weigerte sich die Mehrheit. Demokratie war als Grundidee in Ordnung, aber nicht Sozialismus.[6]“
Heinrich Landahl wurde zum Gegenspieler von Neumann und seinen Freunden. Das sozialistische Experiment wurde beendet, Georg Jäger musste als Schulleiter zurücktreten und wurde durch Fritz Wiesner ersetzt, „der konsequent eine Pädagogik vom Kinde aus vertrat, aber die offene Politisierung ablehnte“.[5] Die Verabschiedung eines verbindlichen Leitbildes für die Schule unterblieb und jeder konnte weiterhin seine eigenen Ziele verfolgen. Noch mehr als zuvor aber, so Neumann, wurde die Schule zu einer Ansammlung hoch interessierter und befähigter Pädagogen, und es gab curriculare Weiterentwicklungen:
Die Lichtwarkschule verfolgte einen egalitären Ansatz und wollte offen für Kinder aus allen sozialen Schichten sein. Nach Ursel Hochmuth betrug „der Anteil der Schüler aus Arbeiterfamilien […] im Durchschnitt fast 11 %“.[8] Prägend für das schulische Milieu scheinen sie nicht gewesen zu sein, wie Hermann E. Hinderks bemerkte:
„An dieser in mehr als einer Hinsicht ›exklusiven‹ Schule … (bot sich) das schöne Bild allgemeiner höherer Lebensqualitäten, die wir gleichfalls hier in den eigentlichen Lichtwarkschülern überall vor Augen hatten. Kam doch die große Mehrzahl von ihnen aus dem Milieu einer im ganzen recht gehobenen Bürgerlichkeit, deren Kultiviertheit uns fremd und ebenfalls unzugänglich war wie jene Möglichkeiten größerer seelischer Expansion. Der eine oder andere von uns AK-Leuten hat dann zuweilen auch an den Widersprüchen zwischen eigenwillig-stolzem Selbst- und Klassebewußtsein … und den konträren Neigungen zu den extravaganten Lebensformen und Ansprüchen einer vorwiegend doch elitären Schülerschaft laboriert.[9]“
Die Sicht, aus der Hinderks hier resümiert, ist die der Arbeiter-Abiturienten („AK-Leuten“). „Das war eine Gruppe von jungen Arbeitern – alle Jungen –, die nach mehrjähriger Arbeit in diesen Kurs aufgenommen wurden, um so geschult zu werden, dass sie nach einigen Jahren die Hochschulaufnahmeprüfung ablegen konnten. Die Idee war, einen Stamm von Söhnen der Arbeiterklasse und der Sozialdemokraten zu schaffen, die für wichtige Positionen im Staat zur Verfügung stehen würden, was dringend notwendig war, da die Weimarer Republik zu ihrem großen Unglück die alte reaktionäre Bürokratie der Kaiserzeit übernommen hatte. Und diese Männer sabotierten die Demokratie, wo immer sie konnten und auch sehr erfolgreich.“[10]
Auch hiermit beschritt die Lichtwarkschule einen Weg, den auch die Karl-Marx-Schule in Berlin mit ihren Berliner Arbeiter-Abiturientenkursen zu einem wichtigen Bestandteil ihres Lernangebots gemacht hatte. Wann die Lichtwarkschule damit anfing, darüber gibt es unterschiedliche Aussagen. Hochmuth datiert den ersten Kurs auf das Jahr 1927[11], während Neumann erwähnt, auch der „heutige Hamburger Oberbürgermeister ist ein ehemaliger Absolvent dieses Arbeiterkurses“. Zur Zeit der Abfassung von Neumanns Manuskript war Paul Nevermann Hamburger Oberbürgermeister. Der hatte allerdings bereits ab 1923 einen Arbeiter-Abiturientenkurs besucht und diesen erfolgreich im Jahr 1926 beendet.
Vermutlich 1932 tauchte erstmals das auf die Lichtwarkschule gemünzte Schimpfwort vom „roten Mistbeet am Stadtpark“ auf.[12] Doch auch vorher schon stand die Schule unter Beschuss – auch seitens der Behörden, wie Fritz C. Neumann und andere am eigenen Leib erfahren mussten. „Nach dem nationalsozialistischen Wahlsieg von 1930 beschloss die Hamburger Schulbehörde, die Lichtwarkschule von kommunistischen Lehrern zu reinigen. Drei von uns (Kappe, Lewalter und ich) wurden an andere Schulen versetzt, wo wir völlig isoliert voneinander sein würden. Sobald meine Klasse ihre Abschlussprüfung im Herbst 1930 abgeschlossen hatte, wurde ich auf die Oberrealschule am Kaiser Friedrich Ufer versetzt, eine reguläre Sekundarschule des gleichen Typs wie die, die ich selbst als Junge besucht hatte.“[13]
Die Machtergreifung der Nationalsozialisten leitete dann das Ende der Lichtwarkschule ein. Im Mai 1933 musste Gustav Heine als erster Lehrer die Schule verlassen; er wurde von Polizisten während des laufenden Unterrichts festgenommen. Ihm folgten unter anderem Willy Denecke und Ernst Loewenberg. Damit einher ging „die starke Einwirkung der gleichgeschalteten Schulbehörde auf Schulleitung, Kollegium und Schülerschaft“.[14] Heinrich Landahl, der als Schulleiter und Politiker einen Anpassungskurs gegenüber den Nationalsozialisten verfolgte, wurde gleichwohl nach den Sommerferien 1933 als Schulleiter abgesetzt und durch das NSDAP-Mitglied Erwin Zindler ersetzt. Dessen Stellvertreter wurde der spätere Oberstleutnant und Mörder Berthold Ohm.[15] Die neue Schulleitung betrieb die „Erziehung zur Deutschheit“, Kulturkunde wurde abgeschafft und der alte Fächerkanon wieder zum Leben erweckt, die Gemeinschaft zwischen Lehrern und Schülern sollte aufgebrochen werden. „Dieser Gleichschaltungsprozeß, das Vordringen der faschistischen Ideologie im Kollegium und unter den Schülern, vollzog sich nicht ohne Widerspruch von seiten des Stamms der Lichtwarkschulgemeinde. Der alten Tradition verbundene Lehrer und Schüler, die die vor sich gehenden Veränderungen bewußt erlebten, lernten sich auf die neue Situation einzustellen; im Schulhaus wurden die Verweigerung, die Ironie. das Wörtlich-Nehmen, die Übertreibung zu Mitteln ihrer Abwehrgefechte.“ Und 1935 gehörten immerhin zwei Drittel der Lichtwarkschüler – anders als Helmut Schmidt – noch nicht der Hitlerjugend an.[16]
Innerhalb des Lehrkörpers riefen die „erzwungene Anpassung der liberalen Versuchsschule an die Dogmen und Mythen der NSDAP und der gleichzeitige Wegfall der Rechtsgrundsåtze, die bis dahin das Dasein der Beamten gesichert hatten, […] sehr verschiedene Reaktionen hervor“.[17] Das Spektrum dieser Reaktionen umriss Hans Liebschütz so: „Auf der einen Seite gab es einzelne ›Bekehrte‹, die ihre bisherige Arbeit und Stellungnahme in der Schule als ein Auf-dem-Wege-Sein zu den Forderungen von 1933 aufzufassen begannen. Auf dem anderen Flügel stand eine Kollegin, die dem nationalsozialistischen Schulleiter gegenüber das harmlose junge Mädchen spielte, um in der Klasse die ihr eigene Lehrweise ganz ungebrochen und im ausgesprochenen Gegensatz zu der herrschenden Richtung fortsetzen zu können.“[18] Doch unterm Strich, so Hochmuth, „hatte sich das Kräfteverhältnis in der Lehrerschaft eindeutig nach rechts verschoben“.
Ende 1936 beschloss die Schulbehörde, die Lichtwarkschule aufzulösen. Nachdem die Koedukation aufgehoben worden war und die Mädchen sich an anderen Oberschulen anmelden mussten, wurde die Lichtwarkschule an Ostern 1937 mit der ehemaligen Heinrich-Hertz-Schule zur Oberschule am Stadtpark, der heutigen Heinrich-Hertz-Schule, vereint.[19]
Regelschulbetrieb
Arbeiter-Abiturientenkurs und Abendoberschule
Das Schulgebäude Am Grasweg wurde nach Plänen Fritz Schumachers, eines Mitbegründers des Deutschen Werkbundes und Förderers der neuzeitlichen Backsteinbauweise in Norddeutschland, errichtet. Die Planungen begannen bereits 1910, der Bau konnte aber erst im April 1925 bezogen werden. Das Gebäude war auch architektonisch als Gegensatz zur nahegelegenen traditionsbewussten Gelehrtenschule des Johanneums geplant. Es wurde im Zweiten Weltkrieg stark beschädigt und beim Wiederaufbau vor allem im Dachbereich verändert.
Eine Orgel des Schriftstellers und Orgelbauers Hans Henny Jahnn wurde 1931 von Karl Kemper gebaut und 1991 von Orgelbaumeister G. Christian Lobback restauriert.
Seamless Wikipedia browsing. On steroids.