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Okkupation der bis dahin unbesetzten Teile des Ruhrgebiets Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Die Ruhrbesetzung (auch Ruhrkrise, Ruhreinmarsch oder Ruhrinvasion genannt) war die Okkupation der bis dahin unbesetzten Teile des Ruhrgebiets durch Besatzungstruppen Frankreichs sowie Belgiens ab Anfang 1923 bis 1925. Die Krise in der Zeit der Weimarer Republik markiert den Höhepunkt des politisch-militärischen Konfliktes um die Erfüllung der alliierten Reparationsforderungen nach dem Ersten Weltkrieg zwischen dem Deutschen Reich und den Siegermächten, besonders Frankreich. Im nationalistischen Kontext wurden die Ruhrbesetzung und der primär zivile, aber auch teils militante deutsche Widerstand gegen die Besatzer häufig „Ruhrkampf“ genannt. Verlauf und Ausgang der Ruhrkrise besaßen sowohl für die internationalen Beziehungen mit und zwischen den Siegermächten wie auch für die innenpolitischen Entwicklungen Deutschlands weitreichende Bedeutung.
Die Weimarer Republik war durch den Versailler Vertrag von 1919 verpflichtet, Reparationen an die Siegermächte des Ersten Weltkriegs zu leisten. Vor allem der französische Ministerpräsident Poincaré, gleichzeitig amtierender Außenminister, bestand im wirtschafts- und sicherheitspolitischen Interesse Frankreichs auf einer kompromisslosen Erfüllung der Bestimmungen des Versailler Vertrags. Aufgrund von Verzögerungen bei den Lieferungen rückten mehrfach französische Truppen in unbesetztes Gebiet vor. Am 8. März 1921 besetzten französische und belgische Truppen in der gemäß Friedensvertrag entmilitarisierten Zone des Rheinlands die Städte Duisburg und Düsseldorf. Damit schuf sich Frankreich die Ausgangsbasis für eine mögliche Besetzung des gesamten rheinisch-westfälischen Industriegebiets. Außerdem ermöglichte die Kontrolle der Duisburg-Ruhrorter Häfen die genaue Registrierung des gesamten Exports von Kohle, Stahl und Fertigprodukten aus dem Ruhrgebiet. Das Londoner Ultimatum vom 5. Mai 1921, mit dem die alliierten Siegermächte ihren Zahlungsplan für die deutschen Reparationen in Höhe von 132 Milliarden Goldmark gegenüber Deutschland durchsetzen wollten, wurde mit der Drohung verbunden, im Falle einer deutschen Weigerung das Ruhrgebiet zu besetzen.
Wegen der sich verschärfenden wirtschaftlichen Probleme des Deutschen Reiches verzichteten die Alliierten im Jahr 1922 auf Reparationszahlungen in Form von Geld und forderten stattdessen Sachleistungen (Stahl, Holz, Kohle) ein. Am 26. Dezember stellte die alliierte Reparationskommission dann einstimmig fest, dass Deutschland mit den Reparationslieferungen im Rückstand war. Als am 9. Januar 1923 die Reparationskommission erklärte, Deutschland halte absichtlich Lieferungen zurück (unter anderem seien 1922 nur 11,7 Millionen statt der geforderten 13,8 Millionen Tonnen Kohle und nur 65.000 statt 200.000 Telegraphenmasten geliefert worden), nahmen Frankreich und Belgien dies zum Anlass, in das Ruhrgebiet einzumarschieren.
Zwischen dem 11. und dem 16. Januar 1923 besetzten unter dem Befehl des französischen Generals Jean-Marie Degoutte[1] französische und belgische Truppen in einer Stärke von zunächst 60.000, später 100.000 Mann das gesamte Ruhrgebiet bis Dortmund. Unter dem Kommando von Degoutte bezog Brigadegeneral Joseph Denvignes im „Brückenkopf“ Düsseldorf Stellung. Aus dem Stahlhof als Dienstsitz seiner Zentralstelle für Zivilangelegenheiten erteilte er den deutschen Stellen Anweisungen. Beamte wie der Düsseldorfer Oberbürgermeister Emil Köttgen, die sich weigerten, die Anweisungen zu befolgen, wurden verhaftet und ausgewiesen. Vorübergehend wurden im Frühjahr und Sommer desselben Jahres auch Teile des bergischen Industriegebiets von französischen Verbänden besetzt, namentlich Remscheid und Lennep (März 1923 bis Oktober 1924) sowie kurzzeitig auch Barmen (Juli 1923), während Elberfeld unbesetztes Gebiet blieb und Solingen bereits im seit 1919 britisch besetzten Brückenkopfgebiet um Köln lag.
Ziel der Besatzung war es, die dortige Kohle- und Koksproduktion als „produktives Pfand“ zur Erfüllung der deutschen Reparationsverpflichtungen zu sichern. Deutschland habe nämlich laut dem Autor Castillon während des Krieges die Hälfte der französischen Kohleförderungs-Kapazität zerstört[2] – diese Aussage wird allerdings von anderen Autoren so nicht geteilt.[3] Um die tatsächliche Leistungsfähigkeit der Hütten und Bergwerke zur Erbringung der Reparationen zu ermitteln, rückte mit dem französischen und belgischen Expeditionskorps auch die Mission Interalliée de Contrôle des Usines et des Mines (MICUM) ein, eine Fachkommission aus 72 französischen, belgischen und italienischen Fachleuten, hauptsächlich Ingenieuren.
Nicht völlig geklärt ist, ob es dem französischen Premier Poincaré nicht auch um mehr ging als um die Beibringung von Reparationsleistungen. Er strebte laut einigen Autoren eine mit dem Status des Saargebiets vergleichbare Sonderstellung des Rheinlands und des Ruhrgebiets an, bei der die Zugehörigkeit zum Deutschen Reich nur mehr formal gewesen wäre und stattdessen Frankreich eine bestimmende Position eingenommen hätte.[4]
Die Regierung des Vereinigten Königreichs stufte die Ruhrbesetzung als illegal ein. Die Regierung der Vereinigten Staaten missbilligte die Besetzung als verwerfliche „Gewaltpolitik“.[5]
Die Besetzung löste in der Weimarer Republik einen Aufschrei nationaler Empörung aus. Die Reichsregierung unter dem parteilosen Kanzler Wilhelm Cuno rief die Bevölkerung am 13. Januar 1923 zum „passiven Widerstand“ auf[6]. An Frankreich und Belgien wurden keine Reparationen mehr gezahlt, Industrie, Verwaltung und Verkehr wurden mit Generalstreiks teilweise lahmgelegt. Betriebe und Behörden leisteten teilweise den Anordnungen der Besatzer nicht Folge. Die Beamten und Arbeiter der Deutschen Reichsbahn verweigerten den Dienst und verließen ihre Dienstposten, oft unter Mitnahme aller dienstlichen Unterlagen und Informationen. In vielen Bahnhöfen und Stellwerken wurden die Beschriftungen demontiert, Lokomotiven und Wagen in unbesetztes Gebiet abgefahren. Die Besatzungstruppen reagierten darauf mit der Übernahme des Betriebs in den Regiebetrieb durch die sogenannte Régie des Chemins de fer des Territoires occupés. Dies erforderte in erheblichem Umfang den Einsatz französischer und belgischer Eisenbahner. Aufgrund der vielfach fehlenden technischen Dokumentationen sowie der von französischen und belgischen Normen deutlich abweichenden Fahrzeug- und Sicherungstechnik der Reichsbahn führte dies zunächst zu erheblichen Problemen durch Unfälle sowie einer deutlich reduzierten Leistungsfähigkeit des Eisenbahnnetzes.
Die Besatzungstruppen reagierten auf den passiven Widerstand mit 150.000 verhängten Strafen, die neben Gefängnisstrafen vor allem bei Eisenbahnern die Ausweisung aus dem besetzten Gebiet bedeuteten. Inzwischen begingen ehemalige Freikorpsmitglieder und auch Kommunisten Sabotageakte und Anschläge gegen die Besatzungstruppen. Insbesondere in der KPD war diese Taktik allerdings umstritten. Der Deutschlandexperte der Komintern Karl Radek verurteilte zwar die rechte Gesinnung der Saboteure, lobte aber deren Radikalismus, während andere jede verbale Nähe zum Ruhrkampf als nationalistisch ablehnten.[7] In der politischen Rechten wurde die Sabotage dagegen gefeiert. Unter anderem wurde der Emscher-Durchlass des Rhein-Herne-Kanals bei Henrichenburg durch eine Sprengung zerstört. Die Besatzungsmacht wiederum reagierte mit Sühnemaßnahmen, die Situation eskalierte und forderte 137 Tote. Albert Leo Schlageter wurde als Abschreckung wegen Spionage und Sabotage zum Tode verurteilt und hingerichtet, was ihn in der deutschen Öffentlichkeit zum Märtyrer machte.
In einer als „Essener Blutsamstag“ bekannt gewordenen Begebenheit widersetzen sich Arbeiter und Werksleitung der Firma Krupp der Beschlagnahme ihrer Lastkraftwagen durch französische Soldaten, worauf diese in die Menge schossen und dabei 13 Arbeiter töteten. In der Folge wurde Gustav Krupp von den französischen Besatzern in einem Schauprozess zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt.
Ein weiterer Höhepunkt der Besetzung war die „Dortmunder Bartholomäus-Nacht“: In der Nacht zum Sonntag, den 10. Juni 1923, wurden zwei Franzosen von Unbekannten erschossen. Als Reaktion verhängte die Besatzungstruppe mittags eine Ausgangssperre für die Zeit von 21 Uhr abends bis 5 Uhr in der Frühe. Dortmunder, die einen Sonntagsausflug ins Umland gemacht hatten, erhielten von dieser Maßnahme nicht mehr rechtzeitig Kenntnis. Sechs Männer aus Dortmund und ein Schweizer Staatsbürger wurden bei ihrer Rückkehr ohne Vorwarnung niedergeschossen. Die Beisetzung der Dortmunder fand am 15. Juni 1923 unter Anteilnahme von 50.000 Menschen auf dem damaligen Westfriedhof statt.[8][9]
Während des passiven Widerstands erstattete der Staat die ausgefallenen Lohneinkünfte von etwa zwei Millionen Arbeitern im Ruhrgebiet. Zu diesem Zahlungszweck befahl die Regierung unter Reichskanzler Cuno der Reichsbank eine extreme Geldaufblähung mit der Folge sofort einsetzender Hyperinflation samt einhergehenden extremen sozialen und gesellschaftlichen Verwerfungen.
Der neu gewählte Reichskanzler Gustav Stresemann verkündete am 26. September 1923 den Abbruch des passiven Widerstands. Die jetzt extremst zerrütteten Staatsfinanzen führten zur gesellschaftlichen Radikalisierung, welche antikommunistische und antirepublikanische Kräfte in Bayern zum missglückten Putschversuch nutzten. Der volkswirtschaftliche Gesamtschaden der Ruhrbesetzung wird geschätzt mit etwa vier bis fünf Milliarden Goldmark. Der schon seit Kriegsende 1918 drohende Staatsbankrott wegen untilgbarer Kriegsschuldenlast wendeten die Vertreter der Staatsräson ab durch Auslösen einer längst vorbereiteten Währungsreform. Der totale wirtschaftliche Zusammenbruch des Staates erleichterte Neuverhandlungen mit den ehemaligen Kriegsgegnern zwecks Minderung der weiteren Reparationslast. Damit endete eine Inflationsphase, die beginnend bereits mit Kriegsbeginn 1914 schleichend eingesetzt hatte.
Auf Druck der USA und Großbritanniens lenkte Frankreich 1923/1924 durch Abschluss des MICUM-Abkommens ein. Die Besetzung des Ruhrgebiets endete gemäß dem 1924 verabschiedeten Dawes-Plan im Juli/August 1925.
Nach dem Abzug wurde am 17. September 1925 in Bochum die „Befreiungsfeier für Westfalen“ abgehalten. Dabei war neben dem Reichspräsidenten Hindenburg auch die Spitzenpolitiker und Würdenträger aus der Weimarer Republik und der Provinz Westfalen anwesend.[10] Am nächsten Tag gab es in Essen im städtischen Saalbau eine „Vaterländische Kundgebung“.[11]
Entgegen dem weiterhin gültigen MICUM-Abkommen besetzten am 7. März 1936 Truppen der deutschen Wehrmacht die entmilitarisierte Rheinlandzone.[12]
Eine Liste von Denkmälern und Gedenktafeln im Ruhrgebiet / Rheinisch-Westfälischen Industriegebiet:
Ein Denkmal für die am Karsamstag 1923 bei den Krupp-Werken von französischem Militär erschossenen Arbeiter stand auf dem Essener Ehrenfriedhof.[15]
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