Begriff der mathematischen Topologie Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Kompaktheit ist ein zentraler Begriff der mathematischen Topologie, und zwar eine Eigenschaft, die einem topologischen Raum zukommt oder nicht. Sie wird in vielen mathematischen Aussagen vorausgesetzt – oft auch in abgeschwächter Form als Lindelöf-Eigenschaft oder Parakompaktheit. Lokalkompaktheit ist im Falle von Hausdorff-Räumen ebenfalls eine abgeschwächte Bedingung. Eine kompakte Menge nennt man je nach Kontext auch Kompaktum oder kompakter Raum; dabei ist unerheblich, ob sie Teilmenge eines Oberraums ist.
Einfache Beispiele für kompakte Mengen sind abgeschlossene und beschränkte Teilmengen des Euklidischen Raums wie das Intervall. Einfache Gegenbeispiele bilden die nicht kompakten Mengen (nicht beschränkt) oder (nicht abgeschlossen).
Eine Teilmenge eines topologischen Raums heißt kompakt, wenn jede offene Überdeckung
eine endliche Teilüberdeckung
besitzt. Die beiden Begriffe sind kompatibel. Eine Teilmenge eines topologischen Raumes ist genau dann kompakt, wenn sie als topologischer Raum mit der Teilraumtopologie kompakt ist.[1]:105
Einige Autoren, wie beispielsweise Nicolas Bourbaki[1]:105, verwenden für die hier definierte Eigenschaft den Begriff quasikompakt und reservieren den Begriff kompakt für kompakte Hausdorff-Räume. Manche Autoren nennen die Kompaktheit zur klareren Abgrenzung von der Folgenkompaktheit auch Überdeckungskompaktheit.[2]
Um das Jahr 1900 waren die folgenden Charakterisierungen kompakter Teilmengen des bekannt:
Jede offene Überdeckung von hat eine endliche Teilüberdeckung. (Satz von Heine-Borel)
Die erste Charakterisierung ist abhängig von der gewählten Metrik. Die anderen drei Charakterisierungen hingegen lassen sich auf beliebige topologische Räume übertragen und bieten somit eine Möglichkeit einen Kompaktheitsbegriff für topologische Räume zu definieren. Maurice René Fréchet nannte 1906 Teilmengen metrischer Räume kompakt, die die zweite Eigenschaft erfüllten. Diese Definition wurde später auf topologische Räume übertragen. Man nannte also die im heutigen Sinne abzählbar kompakten Räume damals kompakt. Pawel Sergejewitsch Alexandrow und Pawel Samuilowitsch Urysohn führten 1924 den heutigen Kompaktheitsbegriff im Sinne der vierten Eigenschaft ein. Räume, die diese Eigenschaft erfüllten, nannten sie bikompakt. Diese Kompaktheitsdefinition setzte sich allerdings erst um 1930 durch, als Andrei Nikolajewitsch Tichonow bewies, dass beliebige Produkte bikompakter Räume wieder bikompakte Räume ergeben. Dieses Resultat ist heute als Satz von Tychonoff bekannt. Für abzählbar kompakte und folgenkompakte Räume (Eigenschaft drei) gilt dies nicht.[1]:330
Ein wichtiger Grund für die Betrachtung kompakter Räume ist, dass sie in mancher Hinsicht als Verallgemeinerung von endlichen topologischen Räumen gesehen werden können, insbesondere sind auch alle endlichen Räume kompakt. Es gibt viele Ergebnisse, die sich leicht für endliche Mengen beweisen lassen, deren Beweise dann mit kleinen Änderungen auf kompakte Räume zu übertragen sind. Hier ein Beispiel:
Wir setzen voraus, dass ein Hausdorff-Raum ist, ein Punkt aus und eine endliche Teilmenge von , die nicht enthält. Dann können wir und durch Umgebungen trennen: für jedes aus seien und disjunkte Umgebungen, die jeweils bzw. enthalten. Dann sind die Schnittmenge aller und die Vereinigung aller die benötigten Umgebungen von und .
Ist nicht endlich, gilt der Beweis nicht mehr, da der Durchschnitt von unendlich vielen Umgebungen keine Umgebung mehr sein muss. Für den Fall, dass kompakt ist, lässt sich die Beweisidee aber wie folgt übertragen:
Wir setzen wieder voraus, dass ein Hausdorff-Raum ist, ein Punkt aus und eine kompakte Teilmenge von , die nicht enthält. Dann können wir und durch Umgebungen trennen: für jedes aus seien und disjunkte offene Umgebungen, die jeweils bzw. enthalten. Da kompakt ist und von den offenen Mengen überdeckt wird, gibt es endlich viele Punkte mit . Dann sind die Schnittmenge aller und die Vereinigung aller , , die benötigten Umgebungen von und .
Man sieht an diesem Beispiel, wie die Kompaktheit verwendet wird, um von möglicherweise unendlich vielen Umgebungen auf endlich viele zu kommen, mit denen dann der bekannte Beweis für endliche Mengen fortgeführt werden kann. Viele Beweise und Sätze über kompakte Mengen folgen diesem Muster.
Kompakte Räume
Betrachtet man das geschlossene Einheits-Intervall als Teilmenge von versehen mit der Standardtopologie, so ist das Intervall ein kompakter, topologischer Raum. Ebenfalls kompakt sind die -Kugeln und -Sphären betrachtet als Teilmengen der versehen mit der Standardtopologie für beliebige natürliche Zahlen .
Alle topologischen Räume mit endlicher Topologie, z.B. endliche Räume, sind kompakt.
Für eine natürliche Zahl betrachte die Menge aller Folgen mit Werten aus . Auf dieser Menge kann man eine Metrik definieren, indem man setzt, wobei . Ist , so sei . Aus dem Satz von Tychonoff (siehe unten) folgt, dass der durch diese Metrik induzierte topologische Raum kompakt ist. Diese Konstruktion kann für jede endliche Menge durchgeführt werden, nicht nur für . Der entstehende metrische Raum ist dabei sogar ultrametrisch. Es gilt folgendes:
Ist , dann ist die Abbildung ein Homöomorphismus von in die Cantor-Menge.
Ist eine Primzahl, dann ist die Abbildung ein Homöomorphismus von in die -adischen ganzen Zahlen.
Die reellen Zahlen versehen mit der Standardtopologie sind nicht kompakt. Ebenfalls nicht kompakt sind das halboffene Intervall , die ganzen Zahlen oder die natürlichen Zahlen betrachtet als Teilmengen von . Versieht man jedoch beispielsweise mit der trivialen Topologie , so ist kompakt. Ob eine Menge kompakt ist, hängt daher im Allgemeinen von der gewählten Topologie ab.
Die abgeschlossene Einheitskugel des Raumes ;\mathbb {R} )}
der beschränkten reellen Zahlenfolgen (siehe Lp-Raum) ist nicht kompakt, obwohl sie abgeschlossen und beschränkt ist. Es gilt allgemein, dass die abgeschlossene Einheitskugel in einem normierten Raum genau dann kompakt ist, wenn die Dimension des Raums endlich ist.
Das Bild einer kompakten Menge unter einer stetigen Funktion ist kompakt. Folglich nimmt eine reellwertige stetige Funktion auf einem nichtleeren Kompaktum ein globales Minimum und ein globales Maximum an.
Jede Umgebung eines Kompaktums in einem uniformen Raum ist gleichmäßige Umgebung. Das heißt, es liegt mit einer Nachbarschaft in der Umgebung. Im metrischen Falle heißt dies, dass alle Punkte mit gleich großen Kugeln einer gewählten Größe innerhalb der Umgebung liegen. Die Nachbarschaft kann sogar so gewählt werden, dass das Komplement der Umgebung mit der Nachbarschaft außerhalb des Kompaktums mit der Nachbarschaft liegt.[3]
Jede unendliche Folge von Elementen einer kompakten Menge besitzt einen Häufungspunkt in . Erfüllt das erste Abzählbarkeitsaxiom, so existiert sogar eine in konvergente Teilfolge . Die Umkehrung gilt jedoch nicht in jedem topologischen Raum, das heißt eine Teilmenge, in der jede Folge eine (in der Teilmenge) konvergente Teilfolge hat (eine solche Teilmenge heißt folgenkompakt, siehe unten), muss nicht kompakt sein. (Ein Beispiel bildet die Menge der abzählbaren Ordinalzahlen mit der Ordnungstopologie.)
Eine abgeschlossene Teilmenge eines kompakten Raumes ist kompakt.
Eine kompakte Teilmenge eines Hausdorff-Raumes ist abgeschlossen (jeder metrische Raum ist ein Hausdorff-Raum).
Eine nicht-leere kompakte Teilmenge der reellen Zahlen hat ein größtes und ein kleinstes Element (siehe auch Supremum, Infimum).
Für jede Teilmenge des euklidischen Raumes sind die folgenden drei Aussagen äquivalent (vergleiche Satz von Heine-Borel):
ist kompakt, das heißt jede offene Überdeckung von hat eine endliche Teilüberdeckung.
Jede Folge in der Menge hat eine in konvergente Teilfolge (also mindestens einen Häufungspunkt).
Ein metrisierbarer Raum ist genau dann kompakt, wenn jeder zu homöomorphe metrische Raum vollständig ist.
Falls der metrische Raum kompakt ist und eine offene Überdeckung von gegeben ist, dann existiert eine Zahl , so dass jede Teilmenge von mit Durchmesser in einem Element der Überdeckung enthalten ist. (Lemma von Lebesgue)
Jeder kompakte Hausdorffraum lässt genau eine uniforme Struktur zu, die die Topologie induziert. Die Umkehrung gilt nicht.[4]
Falls ein topologischer Raum eine Subbasis hat, so dass jede Überdeckung des Raumes durch Elemente der Subbasis eine endliche Teilüberdeckung hat, so ist der Raum kompakt. (Alexanders Subbasis-Satz)
Zwei kompakte Hausdorff-Räume und sind genau dann homöomorph, wenn ihre Ringe von stetigen reell-wertigen Funktionen und isomorph sind.
Es gibt einige topologische Eigenschaften, die äquivalent zur Kompaktheit in metrischen Räumen sind, aber nicht äquivalent in allgemeinen topologischen Räumen:
Folgenkompakt: Jede Folge hat eine konvergente Teilfolge.
ω-beschränkt: Jede abzählbare Teilmenge ist in einer kompakten Teilmenge enthalten.
Abzählbar kompakt: Jede abzählbare offene Überdeckung hat eine endliche Teilüberdeckung. (Oder, äquivalent, jede unendliche Teilmenge hat einen -Häufungspunkt.)
Pseudokompakt: Jede reell-wertige stetige Funktion auf dem Raum ist beschränkt.
Schwach abzählbar kompakt: Jede unendliche Teilmenge hat einen Häufungspunkt.
Boto von Querenburg: Mengentheoretische Topologie (= Springer-Lehrbuch). 3., neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Springer, Berlin u. a. 2001, ISBN 3-540-67790-9.
István Sándor Gál:Uniformizable Spaces with a Unique Structure. In: Pacific Journal of Mathematics. Band9, Nr.4, August 1959, ISSN0030-8730, S.1053–1060 (online[PDF; 1,2MB]).