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Karl Kötschau (* 19. Januar 1892 in Apolda; † 14. Juni 1982 in Stephanskirchen) war ein deutscher Arzt, Homöopath und Führer der nationalsozialistischen Reichsarbeitsgemeinschaft für eine Neue Deutsche Heilkunde.
Karl Kötschau war der Sohn des Fleischermeisters Louis Kötschau. Nach Ablegung der Reifeprüfung am Realgymnasium Lichterfelde studierte er ab 1911 – unterbrochen durch den Ersten Weltkrieg – Medizin an den Universitäten Berlin, Freiburg im Breisgau und Kiel. Vom August 1914 bis zum Kriegsende arbeitete er in verschiedenen Kriegslazaretten, wurde bis zum Feldhilfsarzt befördert und mit beiden Eisernen Kreuzen ausgezeichnet. Im Januar 1920 schloss er sein Medizinstudium in Berlin ab und wurde wenige Wochen danach approbiert. Mit der Sanitätskompagnie der Reichswehrbrigade von Dassel kam er anschließend zum „Grenzschutz nach Ostpreußen“, wo er sich bald in Szillen als praktischer Arzt niederließ. Hier schrieb er 1921 seine Inauguraldissertation mit dem Titel „Über die Typhusschutzimpfung“, welche er der Albertus-Universität Königsberg vorlegte. Durch seinen „alten Freund“ Kurt Gutzeit wurde er 1923 an dessen Schwiegervater Roderich Stintzing (1854–1933) empfohlen, in dessen Jenaer Medizinischen Universitätsklinik er seine internistische Facharztausbildung absolvierte.
Zu Beginn der 1920er Jahre wurde Kötschau durch den Leiter der Leipziger homöopathischen Poliklinik, Hans Wapler und durch den Greifswalder Pharmakologen Hugo Schulz in die Homöopathie eingeführt. 1927 ging er für einige Monate zu Alfons Stiegele (1871–1957) ins Stuttgarter Homöopathische Krankenhaus. Stiegele war ein Vertreter der Naturwissenschaftlich Orientierten Homöopathie und bestrebt, für die Wirksamkeit dieser Heilmethode naturwissenschaftlich fundierte Nachweise zu erbringen.
Seit den 1920er Jahren war der Internist Otto Guttentag durch gemeinsames Interesse an der Homöopathie mit Kötschau verbunden.[1][2][3]
Im Herbst 1927 wurde Kötschau Assistent in der von Wilhelm His geleiteten 1. Medizinischen Klinik der Charité in Berlin. Ein Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft und ein anschließendes Privatdozentenstudium erlaubten ihm Forschungen am Homöopathischen Krankenhaus in Stuttgart und am Pharmakologischen sowie am Radiologischen Institut der Universität Berlin zur „wissenschaftlichen Begründung der Homöopathie“. Kötschau erweiterte die Arndt-Schulz-Regel im Sinne einer „Wirkungstypenregel“, durch welche die von der Arndt-Schulz-Regel beschriebenen Reaktionsabläufe typisiert werden sollten.[4][5][6][7]
1928 bewarb sich Kötschau vergebens um die Leitung des ersten deutschen Lehrstuhls für Homöopathie in Berlin. Ernst Bastanier (1870–1953), ein Vertreter der Klassischen Homöopathie wurde ihm vorgezogen. Nach eigenen Angaben trat Kötschau 1929 für immer aus dem Deutschen Zentralverein homöopathischer Ärzte aus.[8]
Ab 1929 war er als Assistent an einer homöopathischen Klinik in Berlin tätig. Kötschau trat zum 1. April 1932 der NSDAP bei (Mitgliedsnummer 1.068.407).[9][10] Er trat auch der SA und dem NS-Ärztebund bei.[11] Anfang 1933 war Kötschau in den Heilstätten Berlin-Beelitz tätig.[10] Er war für kurze Zeit Ortsgruppenleiter von Beelitz.[11] Im Sommer/Herbst 1933, nach erfolgter Habilitation, übernahm er die Leitung der Inneren Abteilung des Krankenhauses Berlin-Reinickendorf.[12]
Emil Klein war seit 1923 Inhaber des ersten „Lehrstuhls für Naturheilkunde“ in Jena. 1933 wurde er mit antisemitischer Begründung entlassen. 1934 übernahm Kötschau den Jenaer Lehrstuhl und nannte ihn „Ordinariat für Biologische Medizin“. Kötschaus Antrittsvorlesung trug den Titel: Die nationalsozialistische Idee in der Biologischen Medizin.
Von 1933 bis 1936 schrieb Kötschau zahlreiche Beiträge über „Biologische Medizin“. Diese Beiträge wurden vorrangig in folgenden Zeitschriften veröffentlicht:
1936 wurde ein Großteil dieser Artikel in einem Sammelband unter dem Titel „Zum Nationalsozialistischen Umbruch in der Medizin“ abgedruckt.[14] Naturheilkunde nannte Kötschau „Biologische Medizin“ und diese bezeichnete er als „ein ausgesprochenes Kind der nationalsozialistischen Weltanschauung“:
„Der heroische Mensch des Nationalsozialismus und der biologisch vollwertige Rassenmensch, das ist ein und derselbe.“
Kötschau vertrat eine „Biologische Medizin“, die vor allem die Lebensführung des Patienten regeln wollte. So trat er für eine leistungsorientierte Vorsorgemedizin mit sozialdarwinistischen und rassenhygienischen Elementen ein, die an die Stelle der „unökonomischen Fürsorgemedizin“ treten sollte:
„Eine Sozialversicherung, deren Leistung sich nur auf Fürsorge im fortgeschrittenen Stadium beschränkt, wirft ihr Geld genauso zum Fenster hinaus wie jene Fürsorge, die der Erhaltung der Minderwertigen gilt.“
Am 25. Mai 1935 bestimmte Reichsärzteführer Gerhard Wagner Kötschau zum Führer der neugegründeten Reichsarbeitsgemeinschaft für eine Neue Deutsche Heilkunde. Geschäftsführer wurde der Leiter des „Reichsverbands der Naturärzte“, Oskar Väth (1881–1952). Bereits im Januar 1937 wurde diese Reichsarbeitsgemeinschaft wieder aufgelöst.
1936 veröffentlichte Kötschau zusammen mit Adolf Meyer eine Abhandlung über Theoretische Grundlagen zum Aufbau einer biologischen Medizin. Darin begründete er seine „Biologische Medizin“ im Sinne der holistischen Philosophie Meyers. Nach eigenem Bekunden (1977) wollte er „Jena zur Kampfuniversität für ganzheitliches Denken“ machen.[15] Es gelang ihm, Meyer nach Jena zu berufen. Diese Berufung wurde aber auf Initiative von Karl Astel rückgängig gemacht.
Ab Mitte 1937 wurde Holismus von der NSDAP-Leitung – insbesondere von deren Chefideologen Alfred Rosenberg – aus folgenden Gründen als nicht vereinbar mit der Idee des Nationalsozialismus eingestuft:
Anfang 1937 wechselte Kötschau von Jena nach Nürnberg in den Gau von Julius Streicher. An der „I. Medizinischen Klinik“ war seit Dezember 1936 die Chefarztstelle frei, nachdem der mit einer Jüdin verheiratete Konrad Bingold aus diesem Amt gedrängt worden war. Die Klinik wurde umbenannt in „II. Klinik für innere Krankheiten und Naturheilverfahren“ und Kötschau zu ihrem Leiter ernannt. Diese Klinik führte er bis zum Zusammenbruch des nationalsozialistischen Systems 1945.
Des Weiteren war er Gauhauptstellenleiter des Hauptamts für Volksgesundheit der NSDAP in Franken und Stadtobermedizinalrat. Er erhielt am 30. Januar 1944 das Kriegsverdienstkreuz 2. Klasse.[10]
Ab 1933 gab Julius Streicher die Zeitschrift „Deutsche Volksgesundheit aus Blut und Boden“ heraus, die wiederholt Gegenstand von Kontroversen war, 1934 kurzfristig verboten wurde und 1935 schließlich ihr Erscheinen einstellen musste. Hauptangriffspunkt war die darin vertretene radikale Impfgegnerschaft, die u. a. von Reichsärzteführer Gerhard Wagner heftig attackiert wurde.
Im Mai 1935 protegierte Streicher in Nürnberg eine Ausstellung mit dem Titel „Die Macht des Blutes“ und eine „Reichstagung der deutschen Volksheilbewegung.“ Diese Tagung wurde veranstaltet vom Deutschen Naturärzteverband unter Beteiligung des Heilpraktikerbundes Deutschland und der großen Volksheilverbände. Sie führte zur Gründung der „Reichsarbeitsgemeinschaft der Verbände für Lebens- und Heilreform“, die später in „Reichsarbeitsgemeinschaft für naturgemäße Lebens- und Heilweise“ umbenannt wurde. Die Organisatoren der Ausstellung „Die Macht des Blutes“ gründeten im Mai 1935 einen „Verein Deutsche Volksheilkunde e.V.“ Dieser Verein wiederum gründete am 12. November 1935 in Nürnberg ein „Paracelsus-Institut“.
1937 wurde Kötschau in Nürnberg zum Leiter sowohl des „Vereins Deutsche Volksheilkunde e.V.“ als auch des „Paracelsus-Instituts“ berufen. Mit Ernst Günther Schenck zusammen begründete er im Juni 1939 die nur wenige Monate bestehende Gesellschaft für Naturgemäße Lebens- und Heilweise.[11]
1945 geriet Kötschau in amerikanische Gefangenschaft. Otto Guttentag nahm 1947 während seiner Tätigkeit als Berater der US-Militärregierung wieder Kontakt zu Kötschau auf und setzte sich für dessen Freilassung aus einem Internierungslager für NSDAP-Mitglieder ein. Es verband sie die gemeinsame Kritik an der „Schulmedizin“ und das Interesse an der Homöopathie. Kötschaus sozialdarwinistische und rassistische Ansichten wurden von Otto Guttentag nicht geteilt.[17] 1948 wurde Kötschau aus der Gefangenschaft entlassen.
Er wurde Leiter eines Sanatoriums in Bad Harzburg und Dozent an der 1956 von Reinhard Höhn gegründeten „Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft Bad Harzburg“. Kötschau war ab 1951 Mitglied im Zentralverband der Ärzte für Naturheilverfahren, der ihn 1958 mit der Hufeland-Medaille auszeichnete.[11] Er gehörte des Weiteren dem wissenschaftlichen Beirat der Gesellschaft für biologische Anthropologie, Eugenik und Verhaltensforschung und der Internationalen Gesellschaft für Nahrungs- und Vitalstoff-Forschung an und war Mitglied im Weltbund zum Schutz des Lebens.
In Schloßberg bei Rosenheim praktizierte er bis ins hohe Alter als niedergelassener Homöopath.[11] In zahlreichen Veröffentlichungen pries er seine „Biologische Medizin“ unter dem Titel „Ganzheitsmedizin“. Dabei kaschierte er seine Gedanken aus der nationalsozialistischen Zeit mit einem dünnen Firnis neutraler Begriffe. 1954 kündigte der Hippokrates-Verlag Kötschaus neues Buch mit dem Titel Vorsorge oder Fürsorge? an:
Es war eine Überarbeitung seiner 1939 erschienenen Schrift mit dem Titel Kämpferische Vorsorge statt karitative Fürsorge. Kötschaus 1970 auch im Brockhaus aufgenommene „Ganzheitsmedizin“ sollte auf den Fundamenten Homöopathie, Naturheilkunde, Akupunktur und Psychotherapie „gesundheits-vorsorgerisch“ ausgerichtet und auf die Stärkung der „psychophysischen Kräfte“ gerichtet sein.[18]
In der Nachkriegszeit stellte Kötschau sich als Opfer des Nationalsozialismus dar. Aufgrund seiner holistischen Überzeugung sei ihm auf Initiative von Alfred Rosenberg der Lehrstuhl in Jena entzogen worden. Dazu Walter Wuttke-Groneberg:
Dem ist hinzuzufügen, dass „die Volks- und Naturheilkunde“ der Weimarer Zeit nicht als einheitliche „Gruppierung“ bezeichnet werden kann. Bernhard Aschner, Martin Gumpert, William Gutman (1900–1991), Otto Guttentag, Emil Klein, Otto Leeser, Edward C. Whitmont (1912–1998), Friedrich Wolf und viele andere „Naturheilkundler“ haben „das Bündnis mit dem Faschismus“ nie gesucht.[21][22]
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