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deutscher Historiker Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Walter Wuttke oder Walter Wuttke-Gronenburg (* 14. Februar 1941 in Finsterwalde) ist ein deutscher Medizinhistoriker und Altphilologe, der wegweisend über die Medizin im Nationalsozialismus forschte und publizierte.
Walter Wuttke wuchs als Sohn eines Oberzollinspektors und einer Kindergärtnerin mit sechs Geschwistern auf. Seine Abiturprüfung legte er in Bremen ab und studierte zunächst Theaterwissenschaft in Köln. Später schrieb er gemeinsam mit Jörg Bohse, dem späteren langjährigen Vorsitzenden der West-Ost-Gesellschaft in Baden-Württemberg, zwei Theaterstücke, die Ende der 1970er-Jahre im Landestheater Tübingen aufgeführt wurden. Als Schauspieler traten darin unter anderem Walter Jens, Pastor Heinrich Albertz und Peter O. Chotjewitz auf.[1]
Wuttke wandte sich später anderen Interessengebieten zu und studierte in Bonn und Tübingen die Fächer Germanistik, Philosophie, Pädagogik, Lateinische Philologie und Medizingeschichte. 1969 promovierte er mit einer Arbeit über den Hamburger Arzt und Botaniker Otto Sperling (1602–1681) im Fach Latein zum Dr. phil.
Von 1970 bis 1980 war er wissenschaftlicher Assistent am Institut für Geschichte der Medizin der Universität Tübingen (heute: Institut für Ethik und Geschichte der Medizin), unterbrochen von einem einjährigen Studienaufenthalt in den USA als Visiting Scholar an der Historischen Abteilung der Universität Chicago.[1] Aus Amerika zurückgekehrt, wechselte er vom 1. Januar 1980 bis 31. Dezember 1981 an das Ludwig-Uhland-Institut in Tübingen. Unmittelbar anschließend war er bis Ende 1984 als wissenschaftlicher Leiter an der neu aufgebauten KZ-Gedenkstätte „Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg“ in Ulm tätig, wo er bis heute lebt.
1980 veröffentlichte er "Medizin im Nationalsozialismus – ein Arbeitsbuch".[2] Dabei handelt es sich um eine Sammlung kommentierter Auszüge aus zeitgenössischen Texten, Abschriften und Faksimiles von Archivquellen sowie Bildmaterial zu neun Themenbereichen, wie z. B. Gesundheitserziehung, Geburtshilfe, alternative Heilkunde und Sozialversicherung aus nationalsozialistischer Sicht sowie Vernichtungslehre der nationalsozialistischen Medizin und Standespolitik der Ärzteschaft im Nationalsozialismus. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Buches war die Forschung zur nationalsozialistischen Medizin in den meisten Bereichen rudimentär, insbesondere die Ärzteschaft hatte noch keinen adäquaten Zugang zu ihrem eigenen Verhalten im Nationalsozialismus finden können. Die Medizinhistoriker an den Universitäten hatten sich bis dahin dem Thema gegenüber weitgehend verschlossen.[3] Das Buch sollte zu einer Befassung anregen und Einstiege mithilfe der Dokumente erleichtern. Wuttke und diesem Werk wird heutzutage eine Pionierrolle in der Erschließung des Themas Medizin im Nationalsozialismus zugesprochen.[4]
1980 erarbeitete in Tübingen eine Gruppe von Studierenden der Medizin, der Pädagogik und der Empirischen Kulturwissenschaften unter Leitung von Wuttke die Ausstellung "Volk und Gesundheit – Heilen und Vernichten im Nationalsozialismus". Die Ausstellung wurde in mehr als 70 Städten gezeigt und von über 100.000 Personen besucht.[3] Ein ausführlich kommentierendes Begleitbuch zur Ausstellung erschien 1982.[5]
Die Dokumentation der Rolle des Arztes Karl Haedenkamp (1889–1955) im Arbeitsbuch[2] wie auch im Begleitbuch[5] gaben den Anstoß zur Umbenennung der Kölner Haedenkampstraße in Herbert-Lewin-Straße im Jahr 1986. Haedenkamp war praktischer Arzt und Geburtshelfer, schon vor 1933 in der Deutschnationalen Volkspartei engagiert, nach 1933 Mitglied der NSDAP, der SA und der SS. Er vertrat eine gut dokumentierte rassistische und antisemitische Haltung. Federführend war er im Rahmen seiner Tätigkeit in der Reichsärztekammer an der Ausschaltung jüdischer und sozialistischer Ärzte beteiligt. Seine Tätigkeit in der ärztlichen Selbstverwaltung führte er nach Kriegsende ohne Unterbrechung ungehindert fort und avancierte zum Geschäftsführer der Bundesärztekammer. Ein Jahr nach seinem Tod erhielt die Straße, in der die Bundesärztekammer und die Kassenärztliche Bundesvereinigung ihre Sitze hatten, auf Veranlassung der Bundesärztekammer den Namen Haedenkamp-Straße. Wuttkes Forschung veranlasste die Bezirksvertretung von Köln-Lindenthal dazu, die Straße nach dem Kölner Arzt und Holocaust-Überlebenden Herbert Lewin umzubenennen.[6] Der Platz vor dem jetzigen Sitz von Bundesärztekammer und der Kassenärztliche Bundesvereinigung in Berlin wurde ebenfalls nach Herbert Lewin benannt.[7] Eine Biographie von Herbert Lewin, beruhend auf den Recherchen von Wuttke, ist als Comicserie von Elke Steiner im Deutschen Ärzteblatt in den Jahren 2004 bis 2005 erschienen.[8]
Wuttke wurde ebenso wie anderen Wissenschaftlern, die sich früh mit dem Thema Medizin im Nationalsozialismus und weiteren Fragen im Zusammenhang mit der NS-Zeit befassten, keine berufliche Karriere im Universitätsbereich ermöglicht. Die in den 1970er-Jahren an Universitäten etablierten Medizinhistoriker hatten ihre Position zwangsläufig einem Lehrer zu verdanken, der seine Karriere in der NS-Zeit begonnen hatte. Zu diesen dann außerhalb der Universität forschenden Wissenschaftlern zählen Ernst Klee, Karl Heinz Roth, Angelika Ebbinghaus und Götz Aly. Der Politikwissenschaftler und Historiker Christoph Kopke schrieb über Wuttke:
„Zu den wenigen Wissenschaftlern, die auf die spezifische Verbrechensgeschichte der Medizin frühzeitig und immer wieder hingewiesen haben, zählt der Medizinhistoriker Walter Wuttke...Die Beschäftigung war gerade an den Universitäten und in der Ärzteschaft weitgehend tabuisiert, er stieß auf eine Mauer des Schweigens und nicht selten auf aggressive Schuld- und Erinnerungsabwehr. Walter Wuttke wurde zum akademischen Außenseiter, den man zwar zur Kenntnis nahm, zugleich aber zu ignorieren und zu diffamieren suchte.“
Am 21. Juli 1989 erlitt Wuttke einen Schlaganfall und ist seitdem sprachbehindert.[9]
In den letzten Jahren forschte er zu verschiedenen Opfergruppen in Ulm und Umgebung. Dabei deckte er auf, dass Otto Elsässer (1886–1962), der in der Nachkriegszeit als Kommunalpolitiker und im kirchlichen Bereich am Wiederaufbau Ulms beteiligt war, in der Nazizeit als NSDAP-Mitglied eine Verwaltungskarriere machte und dabei als Stadtkämmerer und zeitweiliger stellvertretender Oberbürgermeister für die Enteignung und Vertreibung jüdischer Mitbürger sowie als Beauftragter für Zwangsarbeiter für die Durchsetzung von Zwangsabtreibungen verantwortlich war.[10] Auf Wuttkes Vorschlag beschloss der Gemeinderat 2009 einstimmig die Umbenennung des Otto-Elsässer-Wegs in Willi-Eckstein-Weg. Willi Eckstein war ein 1932 in Ulm geborener Sinto, der 1943 im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau ermordet wurde.[11]
Auf Beschluss der Bundesärztekammer wurde Walter Wuttke am 17. Dezember 2020 für seine Verdienste um die Aufarbeitung der Rolle der Ärzteschaft in der NS-Zeit das Ehrenzeichen der deutschen Ärzteschaft verliehen.[12]
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