Guanidin

organische basische Verbindung, Stickstoff-Analogon der Kohlensäure Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Guanidin

Guanidin ist eine chemische Verbindung an der Grenze zwischen anorganischer und organischer Chemie. Guanidin kann als Stickstoffanalogon der Kohlensäure aufgefasst werden.[5] Die Substanz ist eine der stärksten organischen Basen[6] und reagiert an der Luft spontan mit Luftfeuchtigkeit und Kohlenstoffdioxid zu Guanidiniumcarbonat.[7]

Schnelle Fakten Strukturformel, Allgemeines ...
Strukturformel
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Allgemeines
Name Guanidin
Andere Namen
  • Iminoharnstoff
  • Aminomethanamidin
  • Carbamidin
Summenformel CH5N3
Kurzbeschreibung

farblose, hygroskopische Kristalle[1]

Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer 113-00-8
EG-Nummer 204-021-8
ECHA-InfoCard 100.003.656
PubChem 3520
DrugBank DB00536
Wikidata Q183309
Eigenschaften
Molare Masse 59,07 g·mol−1
Aggregatzustand

fest

Schmelzpunkt

50 °C[1]

Löslichkeit

leicht löslich in Ethanol, in Wasser Protonierung zu leichtlöslichem Guanidinium[1]

Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung[2]
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Gefahr

H- und P-Sätze H: 225301302311314318331370
P: 260280301+330+331303+361+353363304+340305+351+338270301+312330[2]
Toxikologische Daten

500 mg·kg−1 (LD50, Kaninchen, oral)[3]

Thermodynamische Eigenschaften
ΔHf0

−56,0 kJ/mol[4]

Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen (0°C, 1000 hPa).
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Guanidin wurde schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts zum ersten Mal synthetisiert,[7] die Kristallstruktur konnte aber erst 2009 aufgeklärt werden.[8]

Guanidin wurde in verschiedenen quantenchemischen Rechnungen untersucht, vor allem in Bezug auf das Konzept der Y-Aromatizität.[9] Des Weiteren stellt Guanidin eine wichtige Substruktur in vielen biologischen Molekülen wie Guanin, Arginin oder Guanosin dar.[8]

Geschichte

Guanidin wurde erstmals 1861 von Adolph Strecker durch oxidativen Abbau von Guanin synthetisiert.[7] Röntgenographische Strukturdaten von Addukten des Guanidins wurden 2007 erhalten,[10] doch gelang die vollständige Aufklärung der Guanidin-Kristallstruktur trotz der einfachen Molekülstruktur erst 148 Jahre nach der ersten Synthese.[8] Schließlich wurde 2013 die Position der Wasserstoffatome mittels Neutronenbeugung am Guanidin-Einkristall sehr genau bestimmt.[11]

Vorkommen

Viele Naturstoffe sind Guanidinderivate, darunter die proteinogene Aminosäure Arginin, das Kreatin und das Kreatinin. Die Guanidinderivate Arginin und Argininosuccinat spielen eine wichtige Rolle im Harnstoffzyklus und damit bei der Entgiftung des durch Stoffwechselprozesse gebildeten Ammoniaks.

Chemische Eigenschaften

Zusammenfassung
Kontext

Guanidin ist in Wasser eine extrem starke Base mit einem pKB-Wert von 0,30 und ist damit vergleichbar basisch wie ein Alkalihydroxid.[12] Vor der Entdeckung von Protonenschwämmen wurde Guanidin als die stärkste organische Base betrachtet.[13] Deshalb bildet sich sofort bei Kontakt mit Feuchtigkeit, z. B. mit Luftfeuchtigkeit, das Guanidinium-Kation [C(NH2)3]+. Die Reaktivität ist ausreichend, um Kohlenstoffdioxid aus der Luft zu binden im Guanidiniumcarbonat.[7] Die Basizität in der Gasphase wurde hingegen als deutlich kleiner vorhergesagt.[14]

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Struktur des Guanidinium-kations

Diese hohe Reaktivität von Guanidin und die sehr große Stabilität des Guanidinium-Kations wurden mit unterschiedlichen Konzepten zu erklären versucht. Ein einfacher Vorschlag war die größere Mesomeriestabilisierung des Guanidiniumions gegenüber der freien Base. Darauf baut das Konzept der Y-Aromatizität auf; das Guanidiniumion ist zwar nicht cyclisch, besitzt aber sechs π-Elektronen, die über das Molekül delokalisiert sind. Dies solle zu einer Stabilisierung führen. Andere Arbeiten sahen hingegen die vorherrschende Stabilisierung in den zahlreichen Wasserstoffbrückenbindungen zwischen Guanidinium und Wassermolekülen.[9][13][14]

Guanidin kann als strukturell verwandt mit der Kohlensäure begriffen werden, wobei die Hydroxygruppen durch Aminogruppen und die Carbonylgruppe durch eine Iminogruppe ersetzt wurden: Der formale, sukzessive Austausch der Sauerstofffunktionen in der Kohlensäurestruktur durch entsprechende stickstoffhaltige Gruppen ergibt zunächst Carbamidsäure, dann Harnstoff und schließlich Guanidin.

Gewinnung und Darstellung

Zusammenfassung
Kontext

Adolph Strecker synthetisierte Guanidin aus Guanidiniumsulfat, das er durch oxidativen Abbau aus Guanin gewann. Dazu versetzte er das Salz der Schwefelsäure mit Barytwasser (einer Bariumhydroxid-Lösung) und verdunstete das Lösungsmittel im Vakuum. Aufgrund der hohen Hygroskopie des Guanidins konnte er die freie Base jedoch nicht untersuchen.[7]

Eine andere Synthesevorschrift nutzte eine Metathese-Reaktion, um Guanidin zu erhalten. Dafür wurde Kaliumhydroxid mit Guanidiniumperchlorat stöchiometrisch in Ethanol umgesetzt. Das entstandene Guanidiniumhydroxid wurde über Phosphorpentoxid im Vakuum getrocknet, um Wasser abzuspalten.[15][16]

Um Guanidin zu kristallisieren, wurde Guanidiniumchlorid in THF gelöst und mit einer Natriummethanolatlösung ebenfalls in THF unter Luftausschluss versetzt. Zu der Lösung konnte langsam Acetonitril diffundieren. Dabei bildeten sich Einkristalle des Addukts von Guanidin und 3-Amino-5,6-dimethyl-[1,2,4]triazin, letzteres durch eine Reaktion des Acetonitrils mit Guanidin in der Gegenwart des Alkoholats. So konnte Guanidin als Molekül zum ersten Mal röntgenographisch untersucht werden.[10]

Mit einer ähnlichen Metathese-Reaktion konnte die reine, freie Base Guanidin synthetisiert werden. Dazu wurde Guanidiniumchlorid mit Natriumethanolat in Ethanol – unter Schutzgasatmosphäre – umgesetzt, wobei Natriumchlorid ausfiel (siehe Reaktionsgleichung). Die Lösung wurde gefiltert, das Lösungsmittel konnte langsam verdampfen. Beim Abkühlen fielen Einkristalle aus.[8]

Ein für die Neutronenbeugung ausreichend großer Einkristall wurde gezüchtet, indem eine Guanidin-Lösung in Ethanol etwa ein halbes Jahr auskristallisieren konnte.[11]

Derivate

Einzelnachweise

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