Erinnerungsort Badehaus
zeitgeschichtliches Museum in Waldram, einem Stadtteil von Wolfratshausen Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
zeitgeschichtliches Museum in Waldram, einem Stadtteil von Wolfratshausen Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Der Erinnerungsort Badehaus (Eigenschreibweise BADEHAUS) ist ein zeitgeschichtliches Museum am Kolpingplatz in Waldram, einem Stadtteil von Wolfratshausen, etwa 30 km südlich von München. Es dokumentiert die Geschichte der Siedlung seit ihrer Gründung 1939. Das Museum ist ein außerschulischer Lernort und eine Begegnungsstätte für unterschiedliche Generationen, Nationen und Religionen. Besitzer und Betreiber ist der Verein Bürger fürs Badehaus Waldram-Föhrenwald e.V., der das Gebäude vor dem Abriss rettete, sanierte und als Museum konzipierte.[1][2] Das Museum wird ehrenamtlich betrieben.[3] 2022 wurde das Museum mit dem Obermayer-Award für herausragendes Engagement zur Bewahrung jüdischer Geschichte und zur Bekämpfung von Vorurteilen in der heutigen Zeit ausgezeichnet.[4]
Gebäude Erinnerungsort Badehaus | |
Daten | |
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Ort | Waldram, Bayern |
Art |
Zeitgeschichtliches Museum, Begegnungsstätte, Lernort
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Architekt | Lothar Schwaiger (1938); Umbau 2016: Klaus-Peter Scharf |
Eröffnung | 1940 als Männerbad, als Museum Oktober 2018 |
Besucheranzahl (jährlich) | ca. 4000 jährlich, ca. 250 Führungen jährlich |
Betreiber |
Verein "Bürger fürs Badehaus Waldram-Föhrenwald" e.V. durch ehrenamtliche Kräfte
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Leitung | |
Website | |
ISIL | MUS-DE-145524 |
Das Gebäude wurde 1939 als Sanitäranlage für die männlichen Bewohner des Lagers Föhrenwald erbaut,[5][6] weil es in den einfachen Häusern der Fabrikarbeiter der nahe gelegenen Munitionsfabriken keine Badewannen oder Duschen gab. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als das Lager Föhrenwald für Displaced Persons genutzt wurde, war es das zentrale Sanitärgebäude für alle Bewohner. Es wurde an unterschiedlichen Tagen von Frauen und Männern genutzt.[5] Weil das Lager ab Oktober 1945 auf Beschluss der amerikanischen Militärverwaltung ausschließlich von jüdischen Überlebenden des nationalsozialistischen Regimes bewohnt wurde, richtete man auf Anregung des Rabbiners Jekusiel Jehuda Halberstam[7] im Keller des Gebäudes zusätzlich eine Mikwe, ein jüdisches Ritualbad, ein.[8][9][10][11][Anm 1][5] Spätestens Anfang März 1946 ist sie dokumentiert.[12][7]
Als das katholische Gemeinnützige Siedlungswerk 1955 das gesamte Gelände übernahm und nach und nach alle Häuser renovieren und mit Badezimmern ausstatten ließ, verlor das Badehaus seine Funktion als Sanitärgebäude. Die neuen Eigentümer beseitigten das Mikwe-Becken und installierten im Keller eine neue Heizungsanlage.[9] Mit der Übernahme des gesamten Areals mussten die jüdischen Displaced Persons das Lager nach und nach räumen, die Siedlung wurde in Waldram umbenannt.[9]
Durch Umbauten im Jahr 1963 entstanden im Gebäude Wohnungen für Lehrer im Erdgeschoss und Zimmer im Dachgeschoss[Anm 2] für Schüler des Spätberufenenseminars St. Matthias[9][13][14], das im September 1957 in unmittelbarer Nachbarschaft der ehemaligen Sanitäranlage eingerichtet worden war.[15] Damals nannten die Mitglieder des Spätberufenenseminars das Gebäude Badebau.[13][7] Die Bezeichnung ging im Laufe der Zeit in Waldram in den allgemeinen Sprachgebrauch über.[16]
2011 zogen die letzten Bewohner aus dem Gebäude aus. Die Erzbischöfliche Finanzkammer plante den Abriss des Gebäudes und die Errichtung von Mehrfamilienhäusern auf dem Areal. Dagegen setzte sich eine Bürgerinitiative zur Wehr, die den ortsbildprägenden Charakter des Kolpingplatzes bedroht sah.[17]
Im September 2012 wurde der Verein Bürger fürs Badehaus Waldram-Föhrenwald e.V. unter dem Vorsitz der Historikerin und Journalistin Sybille Krafft gegründet. Mitglieder des Historischen Vereins Wolfratshausen e.V. und der Siedlungsgemeinschaft Waldram e.V. taten sich zusammen, um das historische Gebäude vor dem Abriss zu retten und dort eine Begegnungs- und Dokumentationsstätte aufzubauen.[18] Zeugnisse der Waldramer und Föhrenwalder Geschichte wurden gesammelt, um sie in einer multimedialen Präsentation der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Prominente Unterstützung erhielt das Projekt von Max Mannheimer (1920–2016), der als Überlebender des Holocausts eine besondere Beziehung zu Föhrenwald hatte. Er hatte sich in der Nachkriegszeit unter anderem im Lager Föhrenwald um jüdische Displaced Persons gekümmert, die durch ihre Erlebnisse während der Zeit des Dritten Reiches traumatisiert waren.[19] 2012 wurde er das erste Mitglied des Vereins.[19]
2015 übereignete die Seminarstiftung St. Matthias dem Verein das Gebäude mit der Auflage, darin einen Gedenkort zu errichten.[9][20][21] Daraufhin gestaltete der Verein das Haus um.[22][23] In mehr als 20.000 ehrenamtlichen Arbeitsstunden[11][3] wurde mit professioneller Hilfe sowie mit finanzieller Unterstützung der Kommune Wolfratshausen, des Landkreises Bad-Tölz-Wolfratshausen, des Freistaats Bayern und der Europäischen Union das Gebäude saniert und als Museum gestaltet.[24]
Am 21. Oktober 2018 wurde der Erinnerungsort Badehaus als Museum eröffnet.[25] Es entwickelte sich zu einem Ort gegen das Vergessen, den Einheimische, Gäste aus aller Welt, Zeitzeugen und deren Nachkommen besuchen.[26] 2024 hatten 19.000 Menschen das Museum besucht.[27]
Die Konzeption der Gedenkstätte fußt auf mehreren Säulen.[28] Sie wird durch ein wissenschaftlich und pädagogisch geschultes Team multimedial umgesetzt.
Das Museum präsentiert auf 900 m² verteilt über drei Stockwerke Dokumente, Fotos, Filme und Exponate sowie Zeitzeugeninterviews.[29][7] Ein Zeitstrahl im Treppenhaus setzt über alle drei Stockwerke hinweg die regionale Geschichte in den deutschen bzw. internationalen Kontext.
In einer multimedialen Dauerausstellung wird die Orts- und Migrationsgeschichte mit europäischen Dimensionen in der Zeit des Nationalsozialismus und der Nachkriegszeit in Deutschland nach 1945 dargestellt.[29] Die einzelnen Phasen werden ortsübergreifend, dabei am Beispiel der lokalen Geschichte von Föhrenwald und Waldram beleuchtet: der Beginn 1939 als NS-Mustersiedlung für Rüstungsarbeiter; die Zwischennutzung für Überlebende des Todesmarsches von KZ-Häftlingen 1945; die Umnutzung zum jüdischen DP-Lager Mitte 1945; die erneute Umnutzung 1956 zur Siedlung von Flüchtlingen und Heimatvertriebenen aus den osteuropäischen Gebieten und schließlich die Entwicklung zum Wohnviertel Waldram der Gegenwart.
Im Dachgeschoss vermittelt die Inszenierung Wald der Erinnerungen[30][31] Einblicke in Einzelschicksale der Zeitzeugen des Lagers Föhrenwald und aus Waldram. Die verschiedenen Stationen sind als stilisierte Bäume gestaltet, an denen die Lebenswege von deutschen Dienstverpflichteten, Zwangsarbeitern, Todesmarsch-Überlebenden, jüdischen und nicht-jüdischen Displaced Persons, Heimatvertriebenen und heutigen Migranten mit unterschiedlichen Medien dargestellt werden. Die Bäume wurden als Symbol gewählt, weil Föhren den Ort prägten und Bäume als Archetypen des Lebens eine große Bedeutung in allen Religionen haben. An den Wänden sind Namen und Fotografien von Zeitzeugen zu sehen. Viele dieser Personen wurden interviewt und so dem Museumsbesucher Einblicke in deren Lebenswege ermöglicht.
Wegen der Hanglage des Gebäudes hat auch das Untergeschoss einen Ausgang ins Freie und wird deswegen von den Initiatoren des Museums als Gartengeschoss bezeichnet.
Im Gartengeschoss wird das religiöse Leben im Lager Föhrenwald dokumentiert und ein Film über die Mikwe gezeigt, die während der Nachkriegszeit im Keller eingerichtet war und als rituelles Bad von den jüdischen Lagerbewohnern genutzt wurde.[8][11][12][32]
In dieser Etage befindet sich auch das mehrfach ausgezeichnete Hörstück Föhrenwald von Michaela Melián.[1] Zeichnungen der Künstlerin erweitern es zur multimedialen Installation. Die im dunklen Raum schwebenden Bilder überblenden einander und imaginieren kombiniert mit Musik, Texten sowie Zitaten einen Spaziergang durch den Ort.
Außerdem befindet sich im Gartengeschoss ein Raum für Sonderausstellungen, der unter anderem von der örtlichen Volkshochschule genutzt wird.
Im jederzeit zugänglichen Außenbereich des Museums ist die Fotodokumentation Kinderwelten in Föhrenwald und Waldram zu sehen. Grundlage ist die Ausstellung Die Kinder vom Lager Föhrenwald, die von Kirsten Jörgensen (†) und Sybille Krafft konzipiert wurde. Die Dokumentation im Außenbereich erzählt mit historischen Bilddokumenten aus Privatbesitz und aus internationalen Archiven vom Leben der jüdischen Kinder im DP-Lager Föhrenwald. Kontrastiert werden diese Fotos mit formal ähnlichen Bildern von katholischen Kindern in Waldram, um Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu thematisieren.[31][33]
Durch das Museum finden regelmäßig Führungen statt, Sonderführungen können nach Wunsch vereinbart werden. Auch Rundgänge durch die Siedlung und zu den Resten der Munitionsfabriken im ehemaligen Wolfratshauser Forst (heute zum Stadtgebiet Geretsried gehörig) sind nach Vereinbarung möglich.[34]
Mit Hilfe einer App[35] wird ein Audioguide – wahlweise für Erwachsene oder Jugendliche – angeboten, der durch die Dauerausstellung führt, eine Außentour ermöglicht einen Rundgang mit Informationen durch die Ortsgeschichte.
In dieser Reihe werden regelmäßig Veranstaltungen wie z. B. Vorträge, Filme, Lesungen, Konzerte, Zeitzeugengespräche oder Vernissagen organisiert.[29] Begonnen wurde diese Reihe am 20. Oktober 2019 zum ersten Jubiläum der Eröffnung des Museums mit der Autorenlesung Es gibt noch Sterne über den Ruinen von der Nachkriegslyrikerin und Zeitzeugin mit jüdischen Wurzeln Dagmar Nick.[36]
Die Begegnungen im Badehaus finden in der Regel einmal pro Monat statt.[37]
In dieser Veranstaltungsreihe wird jährlich ein Künstler vom Museumsteam eingeladen, der am oder im Erinnerungsort Badehaus eine künstlerische Intervention gestalten kann. Diese Reihe wird seit 2021 jährlich durchgeführt.
Über den Widerstand von Studenten gegen Hitler in München 1942/43. Eine Wanderausstellung der Weiße Rose Stiftung e.V.
Eine Ausstellung über Essen und Trinken, Identität und Integration der Deutschen des östlichen Europa des Haus des Deutschen Ostens.
Eine Ausstellung künstlerisch gestalteter Porträts von Männern und Frauen des Widerstands gegen das NS-Regime des Studentenwerk Weiße Rose e.V.
Die Ausstellung erzählt die Geschichte der jüdischen Mädchenschule, die von 1926 bis 1938 in Wolfratshausen bestand.
Es wurden von den Museumsverantwortlichen Wanderausstellungen konzipiert, die ausgeliehen werden können:[42]:
Sybille Krafft führte lebensgeschichtliche Interviews mit mehr als 70 Zeitzeugen vom Lager Föhrenwald und aus Waldram, die filmisch festgehalten wurden. Sie sind im Museum an Medienstationen zu hören und zu sehen.
Zusätzlich führte Sybille Krafft im Auftrag des Bayerischen Rundfunks Interviews mit jüdischen Zeitzeugen, die auch im Erinnerungsort Badehaus gewürdigt werden. Aufzeichnungen wurden im Alpha-Forum der ARD und des Bayerischen Fernsehens (BR) gesendet.
Die Organisatoren arbeiten mit zahlreichen Vereinen und Verbänden zusammen, wenn sich Berührungspunkte mit den Aktivitäten des Museums Erinnerungsort Badehaus ergeben. Eine besonders enge Beziehung besteht zu der israelischen Föhrenwald-Gruppe Organization of Foehrenwald Descendants.[49][50][51]
Der Verein wird durch Mitglieder aus aller Welt unterstützt, sie kommen aus verschiedenen europäischen Ländern sowie aus den USA, Kanada und Israel.[52]
Das ehrenamtliche Engagement für den Erinnerungsort verbindet mehrere Generationen. Schüler, Studenten und Bundesfreiwillige leisten einen maßgeblichen Beitrag.[53]
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