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Auffassung, dass es zurzeit keinen rechtmäßigen Papst gebe Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Sedisvakantismus (von lateinisch sedes ‚Sitz‘ und vacans ‚leer‘), auch als Sedisvakanzthese bezeichnet, ist eine theologische Auffassung, nach der es zurzeit keinen rechtmäßigen Papst gebe. Im Unterschied zu einer natürlichen Sedisvakanz des Heiligen Stuhles durch Ableben oder Amtsverzicht eines Papstes unterstellen Sedisvakantisten eine außerordentliche Sedisvakanz, indem sie erklären, dass der gerade amtierende Papst kein rechtmäßiger Amtsträger sei. Meist wird diese längste Vakanz der Kirchengeschichte mit dem Ende des Pontifikats des vermeintlich letzten legitimen Papstes Pius XII. angenommen, teilweise auch mit dem Ende des Pontifikats von Pius XI., dem Amtsantritt von Papst Paul VI., dem Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils oder der Liturgiereform Pauls VI.
In der Kirchengeschichte kam es wiederholt zu Uneinigkeiten darüber, ob ein Papst gültig gewählt wurde oder nicht. Infolge solcher Auseinandersetzungen haben wiederholt einzelne Gruppen oder Gläubige einem bestimmten Papst den Gehorsam verweigert. Diese Verweigerungen waren aus Sicht des abgelehnten Papstes schismatische Handlungen, die bisweilen auch zu Abspaltungen führten. Ein Beispiel hierfür wäre etwa das Große Abendländische Schisma. Nicht selten führte die Nichtanerkennung eines Papstes auch zur Aufstellung von Gegenpäpsten. Obwohl es auch moderne Gegenpäpste gibt, haben diese in den meisten Fällen wenig mit Sedisvakantismus zu tun; denn wer einem modernen Gegenpapst anhängt, behauptet ja gerade nicht, dass es aktuell keinen Papst gäbe.
In kirchenrechtlicher Hinsicht ist vor allem der Begriff des Schismas nach can. 751 CIC von Bedeutung. Ein Schisma ist definiert als Verweigerung der Unterordnung unter den Papst oder der Gemeinschaft mit den diesem untergebenen Gliedern der Kirche. Aus Sicht der römischen Kirche verweigert derjenige, der als Sedisvakantist die Rechtmäßigkeit des amtierenden Papstes bestreitet, offenkundig die Unterordnung unter den Papst, nimmt also eine schismatische Haltung ein. Da die Sedisvakantisten aber nicht das Papsttum schlechthin ablehnen, also nicht die Unterordnung unter jedweden Papst verweigern, sondern nur besondere Umstände behaupten, die dazu führen, dass gerade der aktuell amtierende Papst nicht wahrer Papst sei, verwirklichen sie den Tatbestand des Schismas aus ihrer eigenen Sicht nicht. Vielmehr erheben sedisvakantistische Gruppen oftmals ihrerseits den Vorwurf des Schismas gegen diejenigen, die dem amtierenden Papst folgen, weil sie, aus dieser Perspektive betrachtet, ja einem falschen Papst folgen, statt sich dem – noch zu findenden – wahren Papst unterzuordnen.
Terminologisch macht das die Dinge nicht immer einfach, weil die Sedisvakantisten von sich selbst als der Römisch-katholischen Kirche sprechen und die als „Römisch-katholisch“ bekannte Amtskirche als Vatikanum-2-Sekte oder Konzilskirche (obwohl dieser Ausdruck eigentlich auf Kardinal Benelli zurückgeht) bezeichnen.
Die inhaltlichen Positionen, die der Sedisvakantismus zum Ausgangspunkt für seine Auffassung, der amtierende Papst übe sein Amt nicht rechtmäßig aus, nimmt, lassen sich in der Regel auf zwei Aspekte zurückführen: Die Ablehnung zentraler Texte und Lehren des Zweiten Vatikanums einerseits und die Vorbehalte gegen die Liturgiereformen im XX. Jahrhundert andererseits.
Von den Lehren des zweiten Vatikanums wird vor allem die Erklärung über die Religionsfreiheit abgelehnt, die mit dem Grundsatz Extra ecclesiam salus non est unvereinbar sein soll.
Der Rückschluss von dieser Ablehnung der Lehre des Konzils auf die fehlende Legitimität der „Konzilspäpste“ wiederum wird mit dem Grundsatz der Unfehlbarkeit des Lehramts gerechtfertigt. Wenn es wahr ist, dass die Kirche bei der Verkündung von lehramtlichen Äußerungen nicht irren kann, und wenn es weiterhin wahr ist, dass das Zweite Vatikanische Konzil unwahre lehramtliche Äußerungen verkündet hat, dann kann das Zweite Vatikanum kein gültiges Konzil gewesen sein. Wenn aber die Päpste des Konzils und die nachkonziliaren Päpste sich auf diese Lehren berufen und sich diese zu eigen machen, dann verkünden auch diese Päpste unwahre lehramtliche Positionen und können mithin keine wahren Päpste sein.
Oftmals berufen sich Sedisvakantisten hierbei auf die Theorie des Papa haereticus von Robert Bellarmin und der absoluten Temerität des Lehramtes, einer These der Neuscholastik.
Ein anderer, meist parallel zur Ablehnung der Lehren des II. Vatikanums vertretener Ansatz ist die Kritik an der Liturgiereform. Diese wiederum bezieht sich zentral auf zwei Aspekte: die Veränderungen der Messfeier und die Modifizierung der Weiheriten.
Mit der Kritik an der Modifizierung der Messfeier und der Verdrängung der tridentinischen Messe durch Paul VI. vereinen sich die Sedisvakantisten mit den Traditionalisten. Argumentiert wird hier im Wesentlichen damit, dass der Mahlgedanke die Opferfeier verdrängt habe und die Messe sich zu stark dem protestantischen Abendmahl angenähert habe. Wesentlich ist hierbei, dass nicht alle Traditionalisten auch Sedisvakantisten sind. Etliche Gruppen und Ansichten halten an der Gemeinschaft mit dem Papst fest und wollen die Messe trotzdem im „alten“ Ritus feiern.
Weiter vertreten viele Sedisvakantisten die Auffassung, dass die Priester- und Bischofsweihen nach den von Paul VI. promulgierten Messbüchern ungültig sei. Die Konsequenzen dieser Auffassung sind erheblich. Wenn es zuträfe, dass die Priester des „novus ordo“ nicht gültig geweiht sind, wären auch die von ihnen gespendeten Sakramente mit Ausnahme der Taufe nicht gültig. Gläubige könnten bei diesen Priestern also weder die Absolution empfangen noch die Kommunion. Wenn es zudem zuträfe, dass auch die Bischofsweihen ungültig sind, dann könnten die nach dem „neuen“ Ritus geweihten Bischöfe ihrerseits weder Priester noch Bischöfe wirksam weihen, wodurch in letzter Konsequenz die Apostolische Sukzession abzubrechen drohte.
Die meisten sedisvakantistischen Stellungnahmen nehmen eine außerordentliche Vakanz seit dem Ende des „letzten legitimen Papstes“ an, in dem sie Pius XII. sehen. Es gibt hier aber mehrere Sichtweisen. Die Unklarheit bezüglich des Eintritts der Sedisvakanz ist auch ein von den Gegnern des Sedisvakantismus wiederholt angeführtes Argument gegen diese Lehre. (Anmerkung: Die Darstellung der verschiedenen Positionen als „These I, II“ usw. ist keine der Literatur zu entnehmende Terminologie, sondern erfolgt ausschließlich zum Zwecke der Darstellung in diesem Text.)
Gelegentlich wird angenommen, dass bereits Pius XII. kein rechtmäßiger Inhaber des Papstamtes war. Folgt man dem, war der letzte legitime Papst der 1939 verstorbene Pius XI. Die Argumentation gegen die Rechtmäßigkeit des Pontifikats Pius XII. haben allerdings nur geringe Gefolgschaft gefunden. Es wird mit den erheblichen Veränderungen argumentiert, die auch Pius XII. an der Messfeier und insbesondere an der Liturgie des Osterfestes, vor allem des Karfreitags vorgenommen hat. Meist ist dieses Argument aber nur als ein gegen den Sedisvakantismus gerichtetes zu finden. Es lautet dann etwa: „Mit welcher Berechtigung werden die Änderungen, die Pius XII. an der Liturgie vornahm, akzeptiert, diejenigen von Paul VI. aber verworfen?“
Zuletzt war es wohl eine kleine Gruppe um den Schweizer Verleger Andreas Pietsch, die in einem „Öffentlichen Glaubensbekenntnis“ im Jahr 2006 die Vakanz des päpstlichen Stuhls seit 1939 behauptet haben.[1]
Die Auffassung, dass die Päpste seit Pius XII. ihr Amt nicht mehr rechtmäßig ausgeübt beziehungsweise innegehabt haben, ist, wie erwähnt, die am meisten verbreitete. Sie erklärt sich unmittelbar aus der Ablehnung des von Johannes XXIII. einberufenen Zweiten Vatikanischen Konzils.
Teilweise wird Johannes XXIII. noch für einen legitimen Papst gehalten. Die von ihm im Missale 1962 vorgenommenen Änderungen der Liturgie waren längst nicht so weitgehend wie diejenigen Pauls VI. und sind für viele Traditionalisten noch hinnehmbar. Auch hat er die Lehren des II. Vatikanums, die von den Sedisvakantisten vor allem angegriffen werden, wegen seines schon 1963 erfolgten Todes nicht mehr selbst verkündet.
Unmittelbar auf die angeblichen Unvereinbarkeit der Beschlüsse des Konzils mit der unfehlbaren und unwandelbaren Lehre der Kirche stellt die Auffassung ab, die eine Verwirkung des päpstlichen Amtes in der Person Pauls VI. als papa haereticus entweder mit der Beendigung des Konzils oder mit der Verabschiedung der Erklärung über die Religionsfreiheit annimmt.
Ähnlich wie die vorige These argumentiert die Annahme, die außerordentliche Sedisvakanz sei durch die Promulgation der Liturgiereform durch Paul VI. erfolgt damit, dass die vermeintliche „Zerstörung der tridentinische Messe“ eine den Vorwurf der Häresie begründende Abkehr von der katholischen Lehre sei.
Das Weltgebetstreffen von Assisi 1986 ist für viele Sedisvakantisten ein deutliches Zeichen dafür, dass Johannes Paul II. kein legitimer Papst der römisch-katholischen Kirche sein kann. Dieses Argument wird jedoch kaum isoliert von der Ablehnung des Papsttums Pauls VI. verwendet, so dass es meistens mit dem Hinweis, „spätestens“ seit diesem Zeitpunkt sei der päpstliche Thron verwaist, gebraucht wird. Spiegelbildlich wurde Papst Benedikt XVI. von der Ukrainischen orthodoxen griechisch-katholischen Kirche mit dem „Ausschluss aus dem mystischen Leib Christi“ für den Fall gedroht, dass er „den Apostaten“ [d. i. Johannes Paul II.] tatsächlich selig spräche.[2]
Gelegentlich wird vertreten, dass eine außerordentliche Sedisvakanz nach dem Rücktritt Benedikts XVI. im Jahr 2013 eingetreten sei, weil die Wahl seines Nachfolgers ungültig gewesen sei. Ludwig Neidhart referiert über drei Einwände, die gegen die Gültigkeit der Wahl von Papst Franziskus vorgebracht werden:[3]
Der erste Einwand knüpfe an die Überlegung an, dass der Rücktritt Benedikt XVI. erzwungen und damit ungültig gewesen sein soll.[4] Wäre dies der Fall gewesen, hätte ein neuer Papst nicht gewählt werden können. Dies sollte in Wahrheit aber bedeuten, dass eine Sedisvakanz nicht eintreten konnte, solange Benedikt XVI. am Leben war, so dass hier der Eintritt der Sedisvakanz also nicht 2013, sondern erst 2023 angenommen werden müsste.
Der zweite Einwand betrifft angebliche Absprachen im Vorfeld des Konklaves durch die sogenannte St. Gallen Gruppe. Da die Regelungen über die Papstwahl Absprachen unter den Kardinälen verbiete, es in einer Gruppe, die sich in St. Gallen getroffen hätte, aber Absprachen über die Wahl von José Maria Bergoglio, den späteren Papst Franziskus, gegeben habe, seien diejenigen, die sich an der Absprache beteiligt hätten ipsco facto exkommuniziert gewesen, weswegen sie im Konklave 2013 kein Stimmrecht hätten ausüben können.[5]
Der dritte Einwand ist ein eher formales Argument. Am Abend des 13. März 2013 sei der vierte Wahlgang durchgeführt worden, der aber, weil eine Stimme zu viel abgegeben worden war, ungültig gewesen sei. Der fünfte Wahlgang hätte unmittelbar im Anschluss stattgefunden und eine ausreichende Mehrheit für Bergoglio erbracht. Tatsächlich hätte ein fünfter Wahlgang nach den Regelungen von UNIVERSI DOMINICI GREGIS erst am nächsten Tag durchgeführt werden dürfen.[6]
Neidhart findet alle Thesen aus kirchenrechtlicher Sicht letztlich nicht überzeugend.[7]
Eine vergleichsweise junge Form des Sedisvakantismus geht von der Annahme aus, der Amtsverzicht Benedikts XVI. 2013 sei ungültig. Die Konsequenz einer solchen These wäre einerseits, dass Papst Franziskus nicht wirksam gewählt worden sein kann und seine Amtshandlungen ungültig seien, andererseits, dass Benedikt XVI. in Wahrheit auch über den 28. Februar 2013, zu welchem seiner Rücktrittserklärung zufolge die Sedisvakanz eintreten sollte, im Amt geblieben wäre. Sein Pontifikat hätte demnach wohl erst mit seinem Tode am 31. Dezember 2022 geendet. Die praktischen Konsequenzen einer solchen Annahme sind noch kaum diskutiert, zumal sowohl Benedikt XVI. selbst als auch sein Vertrauter Georg Gänswein nie einen Zweifel an der Gültigkeit des erklärten Rücktritts zugelassen haben.
Wie schon soeben bei der Erörterung der Frage des Beginns der angenommenen Sedisvakanz gesehen, sind auch bei den konkreten Begründungen der Sedisvakanz-Theorie erhebliche Unterschiede in Umfang, Form und Inhalt zu erkennen.
Der vietnamesische Erzbischof Thuc (s. u.) nimmt in verschiedener Hinsicht eine besondere Stellung unter den Sedisvakantisten ein. Vielfach auch innerhalb des Sedisvakantismus kritisiert, bleibt er der einzige geweihte Bischof der einerseits Teil der Hierarchie der römischen Amtskirche war und sich andererseits offen zum Sedisvakantismus bekannte. Am 25. Februar 1982 veröffentlichte Thuc in München – Thuc hielt sich in dieser Zeit bei der Münchener Gruppe um Eberhard Heller und die Zeitschrift „Einsicht“ auf – eine Deklaration, mit der er die Zustände der Kirche beklagte, die, obwohl scheinbar im Wachstum, nicht gottgefällig sei, weil die Messen protestantisch und die Art der Sakramentenspendung nicht gottgefällig sei. Die Priester hingen falschen Tendenzen wie dem Modernismus oder dem Ökumenismus an und seien nicht mehr gewillt, Häresien zu verurteilen.
Der wenig in die Tiefe gehende Text der Deklaration schließt jedoch mit einer sehr eindeutigen Aussage: Als Römisch-katholischer Bischof urteile er, dass der Platz des Oberhauptes der Kirche vakant sei. Ihm obliege es daher, alles zu tun, damit die katholische Kirche in der Erfüllung ihrer Sendung für das Heil der Seelen aushalten könne.
Ein Teil der Sedisvakantisten beruft sich dabei auf die Theorie des Papa haereticus von Robert Bellarmin und der absoluten Temerität des Lehramtes, einer These der Neuscholastik. Ein Beispiel hierfür ist der der Theologe Johannes Rothkranz, der in seinem zweibändigen, 1995 erschienenen Werk Die Konzilserklärung über die Religionsfreiheit damit argumentiert, dass Papst Pius IX. am 8. Dezember 1864 in der Enzyklika Quanta Cura (Syllabus Nr. 15, DH 2915) die Religionsfreiheit verurteilt habe und dies ein formales Dogma gewesen sei. Papst Paul VI., habe nun das Gegenteil dieses Dogmas dogmatisiert, als er am 7. Dezember 1965 die Forderung der Religionsfreiheit durch das Zweite Vatikanum in der Erklärung Dignitatis humanae (vgl. DH 4240–4245) verkündete. Durch diesen Akt der absoluten Temerität habe Paul VI. sein Amt verloren, und so sei es am 7. Dezember 1965 zur gegenwärtigen außerordentlichen Sedisvakanz gekommen[8].
Einige Jahre später versuchte Pfarrer Manfred Adler in einer Kleinschrift[9], die These zu widerlegen.
Der Dominikaner Guérard des Lauriers legte im Mai 1979 eine eigenständige Begründung der Sedisvakanz des Apostolischen Stuhls vor, die zugleich eine wesentliche Modifizierung der Sedisvakanz-Theorie enthielt. Er argumentiert, dass die nachkonziliaren Päpste zwar im Besitz einer gültigen Wahl zum Papst seien, das Amt aber aufgrund eines offensichtlichen Defekts durch die von ihnen vertretenen Häresien nicht mit Vollmacht ausüben könnten. Während die auf Bellarmin zurückgehende Erklärung lautet papa haereticus non est papa, sagt Guérard des Laurieres über Paul VI. (und seine Nachfolger), dass er papa materialiter non formaliter sei. Diese Auffassung wurde, weil sie erstmals in der von Guérard des Lauriers eigens zu diesem Zweck ins Leben gerufenen Zeitschrift Cahiers de Cassiciacum als Cassiciacum-Hypothese bekannt und später als Sedisprivationismus bezeichnet. Zumindest in der Theorie ergeben sich zwischen dem Sedisvakantismus und dem Sedisprivationismus erhebliche Unterschiede, weswegen um die Cassiciacum-Hypothese teilweise heftig gestritten wird. Das Thema soll daher im Zusammenhang mit den Variationen und Abgrenzungen des Sedisvakantismus ausführlicher behandelt werden.
In einem 2022 in Witzigrad gehaltenen Vortrag formuliert der Theologe Ludwig Neidhart drei Argumente gegen die Sedisvakanzthese:
Als erstes benennt er die logische Inkonsequenz, die darin liegen soll, dass ein Papst entweder sein Amt in dem Moment verliere, wo er etwas Falsches dogmatisiere oder ein formales Dogma leugne, oder dass ein irrender Papst sein Amt schon vorher verloren hätte. Im ersten Fall seien alle nachkonziliaren Päpste noch im Amt, weil sie gerade kein neues Dogma hätten verkünden wollen, im zweiten Falle müssten auch frühere im Irrtum befindliche Päpste ihr Amt verloren haben. Da die Vertreter des Sedisvakantismus beide Aussagen ablehnten, erscheine das Konstrukt logisch inkonsequent.[10]
Das zweite von Neidhart vorgebrachte Argument liegt in den fehlenden Notae Ecclesiae. Nach der Sedisvakanzthese seien die vier im Glaubensbekenntnis genannten Erkennungsmale der „einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche“ offenbar nicht mehr im Vollsinn vorhanden. An der Einheit fehle es, weil diese die Einheit mit dem Papst bedinge. Ebenso sei die Katholizität nicht gegeben, weil keine der Kleingruppen als der Berg betrachtet werden könne, der die ganze Erde erfülle (Dan. 2, 35) oder die Stadt, die niemandem verborgen bleiben kann (Mt. 5, 14). Gerade dies sei aber die biblische Beschreibung der Katholizität.[11]
Schließlich benennt Neidhart als drittes Argument die fehlende Kontinuität des Papstamtes. Es sei ein auf Mt. 16, 18 gestützter katholischer Glaubenssatz, dass die Kirche auf dem Fundament des Petrusamtes ruhe und die Mächte der Hölle sie nicht überwältigen können. Daraus folge, dass es „immer“ einen Papst geben werde und das sei mit einer nunmehr angeblich seit Jahrzehnten andauernden Sedisvakanz nicht vereinbar. Das ergebe sich auch aus der dogmatischen Konstitution Pastor Aeternus vom 18. Juli 1870, mit der das Erste Vatikanische Konzil bestimmt habe, dass das Papstamt bis an das Ende der Zeiten fortbestehen müsse. Schließlich beruft Neidhart sich zu diesem Punkt auf das Konzil von Konstanz, das die Aussage des Jan Hus, „die Apostel und gläubige Priester leiteten die Kirche tatkräftig in den heilsnotwendigen Dingen, bevor das Amt des Papstes eingeführt wurde; und so würden es auch bis zum Tag des Gerichts tun, wenn es dann - was sehr gut möglich ist - keinen Papst mehr gäbe“; denn die Verurteilung dieser Aussage führe zu der Annahme, dass es bis zum Weltgericht kontinuierlich einen Papst geben werde. Daneben sei aber eine sich über mehrere Generationen erstreckende Sedisvakanz ausgeschlossen.[12]
2015 publizierte Franz Schmidberger, bis 1994 Generaloberer der Priesterbruderschaft St. Pius X., in den Ausgaben Nr. 26 und 27 des Athanasius-Boten (s. u.) einen Beitrag zu Amt und Person des Simon Petrus[13] und nimmt dort insbesondere zu der Sedisvakanz-Theorie Stellung. Er findet gleich mehrere Gründe zu deren Verwerfung.
So soll nach dem Zeugnis bedeutender Theologen nicht allein die materielle Häresie, sondern allenfalls die formelle Häresie und diese möglicherweise auch nur, wenn die Kirche feststellt, dass der amtierende Papst ihr verfallen ist, zum Verlust des päpstlichen Amtes führen. Aus den Ausführungen des heiligen Bellarmin ergebe sich nichts anderes, weil dieser lediglich Spekulationen anstelle und ausdrücklich erklärt habe, der Gedanke, dass ein häretischer Papst sein Amt verliere sei unwahrscheinlicher als der, dass ein Papst erst gar nicht der Häresie verfallen kann. Weiter habe das I. Vatikanum als unfehlbaren Bestandteil der kirchlichen Lehre postuliert, dass der selige Petrus im Primat über die gesamte Kirchen fortdauernd Nachfolger habe. Dieser Gedanke sei mit einer aktuell schon sechzig Jahre andauernden Sedisvakanz nicht vereinbar. Schließlich habe Jesus seinen Aposteln seinen beständigen Beistand verheißen (Mt. 28,20), was nicht damit vereinbar sei, dass bei Annahme einer fortdauernden Sedisvakanz die „gesamte kirchliche Hierarchie, die ja aus den Nachfolgern der Apostel besteht“[14] zugrunde gegangen sei.
Neben diesen theologischen Gründen benennt Schmidberger noch Argumente des gesunden Menschenverstandes, die gegen die Theorie einer außerordentlichen Sedisvakanz des Apostolischen Stuhls sprächen. Zunächst habe Jesus den Simon Petrus zum Fundament der Kirche gemacht, was gegen eine Theorie spräche, durch welche dieses Fundament der Kirche in Wegfall geriete. Sodann sei die Uneinigkeit der Anhänger der Sedisvakanz-These über den Zeitpunkt, seit dem diese Sedisvakanz bestehe, ein Zeichen für die Unwahrheit der These; denn wenn der Kirch ihr „sichtbares Haupt“ fehle, müsste dies evident sein. Es sei gänzlich unklar, wie die Kirche bei einer seit dem Tode Pius XII. bestehenden Sedisvakanz ohne direktes göttliches Eingreifen je wieder zu einem Papst gelangen solle. Die Sedisvakantisten verkennten zudem, dass die Kirche keine „Gemeinschaft der Reinen“ sei, sondern auch Sünder in ihrem Schoß berge und dass der in ex-cathedra-Entscheidungen unfehlbare Papst ansonsten fehlbar bleibe. Schließlich habe schon Jesus Christus selbst darauf hingewiesen, dass ein guter Baum keine schlechten Früchte bringen könne, Die Sedisvakanten aber seien zahlenmäßig gering, in sich völlig zerstritten und ohne missionarischen Eifer.[15]
Bei aller Kritik an der römischen Kirchenleitung fasst Schmidberger daher zusammen:
„Wir anerkennen Papst Franziskus als rechtmäßigen Nachfolger des hl. Petrus und beten für ihn umso mehr, je beängstigender und verwirrender sein Kirchenkurs ist. Schließlich ist ja die Kirche nicht unsere Kirche, sondern die Kirche Jesu Christi, und der Papst ist sein Stellvertreter auf Erden. Er wird ihn zu seiner Zeit umkehren lassen, damit er seine Brüder im Glauben stärke - darum beten wir - oder aber ihn gemäß seiner weisen Vorsehung auf seine Art von seinem Amt abberufen.“
Im Unterschied zum Sedisprivationismus, der den Heiligen Stuhl lediglich als de jure (formaliter) unbesetzt ansieht, betrachtet ihn der Sedisvakantismus auch als de facto (materialiter) vakant, weshalb einige Sedisvakantisten wie Johannes Rothkranz, Árpád Kovács und Rolf Hermann Lingen die römisch-katholische Kirche als von einem „Pseudopapst“ geführte „Sekte“, ihre jeweils eigenen Anhängerschaften hingegen als papstlose „katholische Kirche“ (die „die Sedisvakanz zur Kenntnis nehme“) bezeichnen, was zu einer für Außenstehende oft verwirrenden Terminologie in einschlägigen Publikationen führt.
Schon bald nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil bildeten sich sedisvakantistische Gruppen auch im deutschsprachigen Raum;[16] heute existieren nicht mehr viele davon:[17]
In den USA sind Katholiken sedisvakantistischer Strömungen stärker verbreitet als in Europa. Anfang der 1980er Jahre gründeten dort ehemalige Mitglieder der Priesterbruderschaft St. Pius X. die sedisvakantistische Priesterbruderschaft St. Pius V. Von diesen Priestern wurden inzwischen einige zu Bischöfen geweiht, nämlich Daniel Dolan, Clarence Kelly sowie Donald J. Sanborn. Andere verließen die Bruderschaft wieder. Daneben ist in den USA die Congregation of Mary Immaculate Queen eine bedeutende Gruppierung des Sedisvakantismus.
Einige kleine Gruppen riefen Päpste aus, um die angenommene Sedisvakanz des Heiligen Stuhles zu beenden. Zu diesen Gruppen, die im Englischen auch als „Conclavists“ bezeichnet werden, gehört etwa die Palmarianisch-katholische Kirche, die auf angebliche Marienerscheinungen und Visionen des Spaniers Clemente Domínguez y Gómez zurückgeht, der sich nach dem Tode Papst Pauls VI. nach einer solchen Vision als „Gregor XVII.“ zum Papst krönen ließ. Andere sind Viktor von Pentz („Linus II.“), David Bawden („Michael I.“; † 2022) und Lucian Pulvermacher („Pius XIII.“; † 2009).[23] Eine weitere Gruppe ist die Gemeinschaft Apostel der unendlichen Liebe.
In München gründete Günther Storck zu Beginn der 1980er Jahre ein eigenes Priesterseminar, das St.-Athanasius-Priesterseminar Heilig Blut, das bis zur Auflösung vom Förderverein St. Athanasius e. V. getragen wurde. Nach Storcks Tod 1993 kam der Lehrbetrieb mangels Seminaristen und Dozenten zum Erliegen. Bemühungen, den Lehrbetrieb wiederaufzunehmen, scheiterten.
Das auflagenstärkste Periodikum aus den Reihen der Sedisvakantisten waren ursprünglich die monatlich erscheinenden Saka-Informationen, die von Alfons Eisele redigiert und ab 1976 von der Sammlung glaubenstreuer Katholiken (Saka) in Basel herausgegeben wurden. Nach dem Tode von Eisele übernahm Wigand Siebel die Redaktion und den Vorsitz der Saka. Wenige Monate später wurde er aber abgewählt und die Saka-Informationen mangels Personals eingestellt, weil Siebel bei einer Jahrestagung unbedingt ein homöopathisches Medikament (Oratoriumswasser) bekannt machen und verbreiten wollte.
Die von der durch Elisabeth Gerstner gegründeten Liga katholischer Traditionalisten e. V. herausgegebene Zeitschrift Kyrie eléison. Organ der Liga Katholischer Traditionalisten erschien quartalsweise von 1.1971/72 (1971) bis 32.2003,4 im Format A 5. Nach dem Tode des Chefredakteurs Manfred Böker wurde ihr Erscheinen eingestellt.
Etwa 2001 wurde die 1992 begründete Zeitschrift „Athanasius“ (ehem. ISSN 0949-6165) eingestellt. Sie wurde vom Förderverein St. Athanasius e. V. des Priesterseminars Heilig Blut in München herausgegeben und von Dr. Josef Filser redigiert.
Heute existiert noch die „Einsicht“ des Freundeskreises der Una Voce – Gruppe München, nicht zu verwechseln mit der Internationalen Föderation der Una Voce. Chefredakteur ist der promovierte Philosoph und Lektor Eberhard Heller. Er gehörte zum Kreis um Reinhard Lauth, mit dem er sich aber in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts überworfen hat. Die Einsicht ist zwar das momentan am weitesten verbreitete Periodikum, aus der Sicht einiger Sedisvakantisten (zum Beispiel Johannes Rothkranz, Rolf Hermann Lingen, P. Seraphin) arbeitet sie jedoch kontraproduktiv.
Eher spirituell und theologisch gemäßigt sind die zweimonatlich erscheinenden Beiträge zur geistlichen Erneuerung aus dem katholischen Glauben. Der Arbeitskreis Katholischer Glaube gibt das Heft heraus.
In Deutschland bietet seit 1988 der Anton A. Schmid in Durach, insbesondere mit seinem Verlagsprogramm Pro Fide Catholica, kirchenkritische Schriften aus traditionalistischer Sicht an (einschließlich antijudaistischer/antisemitischer, antizionistischer, antimuslimischer,[24] verschwörungstheoretischer[25] und geschichtsrevisionistischer[25] Publikationen), aber auch erbauliche Literatur und Devotionalien. Veröffentlicht wurden Schriften von Johannes Maria Bauer, dem Mitgründer der Marienkinder,[26] von Johannes Rothkranz und Frank Hills, aber auch des gegenüber dem Sedisvakantismus kritischen, 2005 verstorbenen Priesters Manfred Adler (der 1978 wegen der Schrift Söhne der Finsternis über eine vermeintliche Bedrohung durch eine jüdisch-freimaurerische Weltverschwörung als Religionslehrer suspendiert worden war). In einem vom Bistum Augsburg gegen den Verlag angestrengten Prozess erreichte dieser in dritter Instanz, sich und sein Buchprogramm weiterhin „katholisch“ nennen zu dürfen.
Der kleine Verax-Verlag in Müstair (Schweiz) war ursprünglich der Priesterbruderschaft St. Pius X. nahestehend, bis der Inhaber Andreas Pitsch eine sedisvakantistische Position annahm. Über die allgemein sedisvakantistische Ansicht hinaus, dass die Bischofs- und Priesterweihen der „Konzilskirche“ seit der Einführung des neuen Ritus 1969 nicht mehr gültig gespendet werden, vertritt er die Ansicht, dass die Bischofsweihen durch Erzbischof Marcel Lefebvre zwar gültig, jedoch nicht erlaubt waren und auch die Sakramente durch Geistliche der Piusbruderschaft oder des Sedisvakantismus unerlaubterweise gespendet werden. Die Ausübung des katholischen Glaubens müsse sich daher in der derzeitigen Notlage der katholischen Kirche auf das Gebet beschränken. Der Verlag Verax verlegt traditionell-katholische Bücher, u. a. das Schrifttum von Robert Mäder, und wurde bekannt durch seine kritischen Publikationen zu den kirchlich nicht anerkannten Erscheinungen von Međugorje.
Andreas Pitsch veröffentlichte am 6. August 2008 zusammen mit den Erstunterzeichnern Armin Benedikter aus Girlan (Italien) und Hans-Jürgen Krug aus Bad Säckingen (Deutschland) eine Erklärung (Öffentliche Glaubenserklärung vom 6. August 2008), in der die Autoren bekannt geben, dass sie von einer Vakanz des päpstlichen Stuhles seit dem Tode Pius’ XI. (10. Februar 1939) ausgehen. Begründet wird diese Vakanz unter anderem mit folgendem im Syllabus errorum von Papst Pius IX. vom 8. Dezember 1864 verurteilten Satz: „Die römischen Päpste und die allgemeinen Konzilien haben die Grenzen ihrer Gewalt überschritten, Rechte der Fürsten usurpiert und in Festsetzung der Glaubens- und Sittenlehren geirrt.“[27] Der Gegensatz, der die Glaubenslehre wiedergebe, laute daher: „Die römischen Päpste und die allgemeinen Konzilien haben die Grenzen ihrer Gewalt nicht überschritten, keine Rechte der Fürsten usurpiert und in Festsetzung der Glaubens- und Sittenlehren nicht geirrt.“[27] Als Schlussfolgerung daraus ergebe sich nach Meinung der Erstunterzeichner, dass sich ein wahrer Papst und ein wahres Konzil in unserer Zeit und in Zukunft ebenfalls nicht in der Festsetzung von Glaubens- und Sittenlehre irren können, was jedoch nicht auf die Scheinpäpste seit einschließlich „Pius XII.“ (dieser letztere hat zum Beispiel die sogenannte historisch-kritische Methode in der Bibelexegese zugelassen und Liturgie-Veränderungen vorgenommen) zutreffe. In der Erklärung geben sie die ihrer Meinung nach objektiven Bedingungen an, die ein Mitglied der katholischen Kirche unter diesen Umständen erfüllen muss. Ebenso veröffentlichte Andreas Pitsch eine kritische Untersuchung der Ekklesiologie Erzbischof Marcel Lefebvres, die ebenfalls im August 2008 im Verax-Verlag erschien und kritisch auf dessen seiner Meinung nach häretische Ekklesiologie Bezug nimmt.
Der kleine wissenschaftliche Verlag Christian Jerrentrup bringt seit einigen Jahren die Publikationen des Transzendentalphilosophen Reinhard Lauth heraus (in mehreren Sprachen).
Primärliteratur:
Kritik:
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