mytische Tochter des Töpfers Butades, erwähnt bei Plinius dem Älteren Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Als Dibutade (auch Kora, Kore etc.) wird die wohl mythische Tochter des korinthischen Töpfers Butades bezeichnet. Ihre Geschichte wird oft als Entstehungsmythos der griechischen Kunst, der Malerei oder der Zeichenkunst genannt. Ihr wahrer Name ist nicht überliefert, die Bezeichnungen sind moderne Erfindungen beziehungsweise Fehlinterpretationen.
Mythos
„Dibutade“, die mit ihrem aus Sikyon gebürtigen Vater Butades in Korinth lebte, zeichnete das Schattenprofil des Kopfes ihres Geliebten nach, das durch eine Lampe an die Wand geworfen wurde. Damit wollte sie ein Andenken behalten, weil er nach dem Treffen auf Reisen ging. Als Butades das sah, füllte er den Umriss aus, indem er Ton auf die Wand aufbrachte und so ein Gesicht im Relief schuf, das er dann zusammen mit anderen Töpfereien brannte. Das entstandene Werk weihte er im Nymphäum von Korinth.[1][2]
Überlieferung
Diese Geschichte ist heute einzig durch zwei Nennungen in der antiken griechischen Literatur bekannt. Plinius der Ältere schildert in seiner Naturalis historia neben dieser noch weitere Butades zugeschriebene Erfindungen, Athenagoras von Athen beschreibt nur die „Dibutade“ betreffende Geschichte. Beide Stellen sind sehr kurz und wenig detailliert. Zum Teil widersprechen sie sich auch: Während Plinius beschreibt, dass Butades das Relief erschuf, indem er Ton auf die Wand aufbrachte (im Sinne einer Plastik), beschreibt Athenagoras, wie Butades die Zeichnung aushöhlte und dann mit Lehm füllte (im Sinne eines versenkten Reliefs).
Laut Plinius hing das Relief noch bis zur Zerstörung durch die Römer unter Lucius Mummius im Jahr 146 v.Chr. im Nymphäum von Korinth.[1] Athenagoras berichtet, der Abdruck befände sich noch zum Zeitpunkt seines Schreibens, also in der zweiten Hälfte des 2.Jahrhunderts n.Chr., in der Stadt.[2]
Die Tochter Butades’ ist in beiden Quellen nicht mit Namen genannt. Bei Athenagoras wird sie Kore genannt (altgriechischΚόρη), also „Mädchen“ beziehungsweise „Tochter“. Das ist kein Eigenname, findet aber in der griechischen Antike zuweilen als Beiname oder sprechender Name Verwendung. Obwohl in der wissenschaftlichen Forschung die fälschliche Annahme, es handele sich hierbei um einen Eigennamen, schon früh widerlegt wurde, so 1922 von Georg Lippold in Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, findet der falsche Name sich manchmal noch in der Literatur.[3][4]
Auch ein 1904 bei Clara Erskine Clement Waters genannter alternativer Name, Callirhoe/Kallirhoe, muss als moderne Fiktion gelten, ebenso wie weitere Ausschmückungen des Lebens der Liebenden.[5] Ebenso sind die Namensformen Debutades[6], Dibutatis[7] und Dibutade eine moderne Erfindung beziehungsweise Fehlinterpretation in Verbindung mit dem Namen des Vaters, der ebenfalls in der Rezeption häufig unter diesen Namen geführt wird. In der neueren englischsprachigen Forschung wird sie meist Corinthian maid (etwa: „korinthische junge Frau“) genannt.
Bildende Kunst
In der Renaissance und Frühen Neuzeit wurde diese Geschichte, meist ohne Nennung der Namen, in zahlreichen Traktaten über die Malkunst aufgegriffen.[8] Sie unterstützte dabei die Theorie des Disegno. Indem Giorgio Vasari Plinius missinterpretierte, schrieb er fälschlicherweise dem König Gyges die Erfindung der Malerei zu, der seinen eigenen Schatten gemalt habe. Zweimal stellte Vasari diesen Topos dar.[9][10]Leon Battista Alberti wiederum argumentierte, Narziss sei der Erfinder der Malerei, weil er sich in sein eigenes Abbild verliebte.[11][12]
Im späten 16.Jahrhundert kam das Motiv der jungen Korintherin, die ihren Geliebten malt, in der europäischen Kunst auf, meist unter dem Titel Die Erfindung der Malerei.[13] Ihre Ikonografie zeigte meist ein junges Paar in einem antikisierenden Bildraum. Bereits in der ersten bekannten Darstellung, einem Stich nach Charles Le Brun, führt ein Cupido die Hand Dibutades, als Zeichen dafür, dass Liebe kreativ und erfinderisch macht.[14] Nur selten ist auch Butades dargestellt, so etwa 1769 bei Cochin dem Jüngeren. Manchmal wurde auch ein junger Mann gezeigt, wie er den Schatten einer Frau (oder eines Mannes) nachzeichnete, so etwa bei Bartolomé Esteban Murillo, Auguste Jean Baptiste Vinchon und Nicolas Louis François Gosse sowie bei Karl Friedrich Schinkel.[15]
Das Motiv erfuhr seinen Höhepunkt zwischen 1770 und 1820. Anne Louis Girodet notierte 1820: „Die Geschichte von Dibutade kennt jeder.“[15]
Die folgende unvollständige Liste ist chronologisch geordnet:
Charles Le Brun: L’invention du dessin (Zeichnung, vor 1676)[16], erhalten in einem Stich von François Chauveau, 1690[17]
Bartolomé Esteban Murillo: El Cuadro de las Sombras (Gemälde, ca. 1660)
Charles-Nicolas Cochin der Jüngere: [ohne Titel] (Zeichnung, 1769), Stich von B. L. Prevost[18]
Marlene Dumas: The Origin of Painting (The Double Room) (Gemälde, 2018)[24]
Literatur und Film
Auch in der Dichtung des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts schlug sich die Popularität dieses Mythos nieder. So erwähnten unter anderem William Hayley, Girodet, Claude-Henri Watelet, Antoine-Marin Lemierre und Henri Zosime de Valori die Geschichte in ihren Gedichten.[25][15] 1801 veröffentlichte Amelia Opie zusammen mit ihrer Erzählung The Father and Daughter ein Gedicht mit dem Titel Epistle From The Maid of Corinth to Her Lover, in dem sie sich vor allem mit Dibutade als Künstlerin auseinandersetzt.[26]
Im Stummfilm Robin Hood von 1922 wird die Geschichte ebenfalls aufgegriffen.[27]
Forschung
In der neueren Kunstgeschichte wird der Mythos häufig im Verhältnis zu anderen Mythen über den Ursprung der Kunst betrachtet. Dabei gilt das Interesse vor allem dem Schatten, dem Verhältnis von Malerei, Zeichnung und Skulptur sowie dem Erschaffen eines (Ab)Bildes.[28][29][30]
In der feministischen Kunstgeschichte wird der Dibutade-Mythos insbesondere mit dem Pygmalion-Mythos verglichen und das Verhältnis eines „weiblichen“ zu einem „männlichen“ Schöpfungsmythos diskutiert.[31][32][33]Stephanie Hauschild untersuchte, inwiefern Élisabeth Vigée Le Brun sich in ihren Selbstporträts auf den Dibutade-Mythos als Künstlerinnenvorbild berief.[34]
zusammengestellt in Johannes Overbeck: Die antiken Schriftquellen zur Geschichte der bildenden Künste bei den Griechen. Leipzig 1868, Nr.259–260, (archive.org).
Robert Rosenblum:The Origin of Painting: A Problem in the Iconography of Romantic Classicism. In: The Art Bulletin. Band39, Nr.4, Dezember 1957, S.279–290, JSTOR:3047729.
Marcia Allentuck:Edward Francis Burney and the 'Corinthian Maid'. In: The Burlington Magazine. Band112, Nr.809, August 1970, S.537,539–540, JSTOR:876401.
Ann Bermingham:The Origins of Painting and the Ends of Art: Wright of Derby’s Corinthian Maid. In: John Barrell (Hrsg.): Painting and the Politics of Culture. Oxford 1992, S.135–165.
Viktoria Schmidt-Linsenhoff:Dibutadis. Die weibliche Kindheit der Zeichenkunst. In: Kritische Berichte. BandXXIV, Nr.4, 1996, S.7–20.
Frances Muecke:„Taught by Love“. The Origin of Painting Again. In: The Art Bulletin. Band81, Nr.2, Juni 1999, S.297–302, JSTOR:3050693.
Constanze Güthenke:The Potter's Daughter's Sons: German Classical Scholarship and the Language of Love Circa 1800. In: Representations. Band109, Nr.1, 2010, JSTOR:10.1525/rep.2010.109.1.122.
So etwa im Katalog Christoph Vitali, Sybille Ebert-Schifferer, Ebba D. Drolshagen: Judy Chicago. The dinner party. Schirn, Kunsthalle Frankfurt, Ausstellung vom 1.Mai bis 28.Juni 1987. Athenäum, Frankfurt am Main 1986, ISBN 3-610-08444-8.
George Levitine:Addenda to Robert Rosenblum's "The Origin of Painting: A Problem in the Iconography of Romantic Classicism". In: The Art Bulletin. Band40, Nr.4, 1958, ISSN0004-3079, S.329–331, doi:10.2307/3047796, JSTOR:3047796.
Claude und Charles Perrault:Le cabinet des beaux-arts, ou Recueil d'estampes gravées d'après les tableaux d'un plafond où les beaux-arts sont représentés. 1690, S.42 (bnf.fr[abgerufen am 7.Februar 2021]).
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Shelley King:Amelia Opie's "Maid of Corinth" and the Origins of Art. In: Eighteenth-Century Studies. Band37, Nr.4, 2004, ISSN0013-2586, S.629–651, JSTOR:25098092.
Bettina Baumgärtel: Angelika Kauffmann (1741–1807). Bedingungen weiblicher Kreativität in der Malerei des 18. Jahrhunderts, Weinheim und Basel 1990, S. 103–105.
Ann Bermingham:The Origins of Painting and the Ends of Art: Wright of Derby’s Corinthian Maid. In: John Barrell (Hrsg.): Painting and the Politics of Culture. Oxford 1992, S.135–165.