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literarischer Archetyp Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Der Byronic Hero (deutsche Übersetzung oft: Byron’scher Held) ist ein literarischer Archetyp, der auf den männlichen Protagonisten der Werke des britischen Dichters Lord Byron (1788–1824) basiert.
Der Byronic Hero ist eine Form des Antihelden. Er unterscheidet sich vom typischen Antihelden durch seine Intelligenz und sein zielgerichtetes Tun. Im Gegensatz zum klassischen Helden vertritt der Byronic Hero keine überlegene Moral und kämpft nicht für edle Ziele zum Wohle der Allgemeinheit, sondern stellt die eigene Persönlichkeit über die Welt an sich. Diese Überlegenheitshaltung ist mit Zynismus und einer Antipathie provozierenden Arroganz verknüpft, die ihn zum gesellschaftlichen Außenseiter macht: Eine Position, die ihn jedoch mit Stolz statt Frustration erfüllt, da er im Einzelgängerdasein seine persönliche Einzigartigkeit umso mehr fühlt.
Sich selbst sieht er als gesellschaftlichen Rebell, der Regeln, Sitten und gesellschaftliche Stellungen verachtet. Es ist eine rein persönliche Rebellion, die allein auf die Durchsetzung eigenen Verlangens und nicht auf eine gesellschaftliche Veränderung zielt. Stattdessen ist er Nutznießer dieser Gesellschaft, da er selbst einem höheren Stand angehört und über entsprechenden Wohlstand verfügt, der ihm Unabhängigkeit und einen luxuriösen Lebensstil ermöglicht.
Oft umgibt den Byronic Hero ein düsteres Geheimnis; als Grund für seine mürrische Gemütslage wird eine problematische und bedrückende, vielleicht sogar verbrecherische Vergangenheit gesehen. Zudem beherrschen ihn große Leidenschaften, diese können künstlerischer oder erotischer Natur sein und äußern sich in unbeherrschbaren Gefühlsausbrüchen, die oft zerstörerisch auf andere wirken. Seinen Mitmenschen gegenüber verhält er sich oft rücksichtslos, auch gegenüber Menschen, die er zu lieben meint.
Zugleich erleidet der Byronic Hero wiederholt Frustrationen, oft auch der Libido, da ihm die Erfüllung seiner größten Leidenschaft nicht möglich ist oder verweigert wird. Dieser Mangel an innerer Befriedigung führt letztlich zu einer selbstzerstörerischen Tendenz, der Held zerbricht an seinen unerfüllten Sehnsüchten.
Im Gegensatz zum klassischen Helden, der als eine Lichtgestalt erscheint und überwiegend positive, von der Gesellschaft gewünschte Charaktereigenschaften aufweist, wird der Byronic Hero mit der Dunkelheit assoziiert und trägt mehr negative, egoistische Züge, die bei seinen Mitmenschen oft auf Ablehnung und Unverständnis stoßen.[1] Der Byronic Hero ist eine Figur, die sowohl abstoßend als auch faszinierend wirkt. Sein Charisma entsteht aus den dunklen Seiten seiner Persönlichkeit, in denen der Leser oder Zuschauer eine Identifikationsfläche für die verdrängten oder unterdrückten negativen Anteile der eigenen Persönlichkeit finden kann.
Ein Synonym für den Byronic Hero ist der Romantische Held (eng.: Romantic Hero), bezogen auf die kulturgeschichtliche Epoche der Romantik.[2] Zur Zeit der Romantik war der Byronic Hero ein häufiges Sujet. Dies ging über die Literatur hinaus: Der „Wanderer über dem Nebelmeer“ von Caspar David Friedrich gilt als eine bildliche Darstellung des einsamen und der Welt, über der er steht, abgewandten Helden.
Als Vorläufer zum Byronic Hero gilt die Figur Satans in Miltons Paradise Lost. In Byrons Werken tritt der Byronic Hero in Childe Harold’s Pilgrimage, in den Gedichten: The Giaour, The Corsair, Lara und in Manfred auf. Der Protagonist in Glenarvon von Caroline Lamb und Lord Ruthven in The Vampyre von Polidori sind frühe Nachahmungen des typischen Byron'schen Helden.
Der Byron'sche Held wurde zum Vorläufer des Topos des „Überflüssigen Menschen“ in der russischen Literatur Mitte des 19. Jahrhunderts, oft wird in den Werken dieser Zeit auf Lord Byron offen Bezug genommen („Byronismus“). Die Figur des Eugen Onegin in Alexander Puschkins gleichnamigen Roman ist ein hervorstechendes Beispiel für den Typus des Byronic Hero. Einen weiteren russischen Vertreter schuf Fjodor Dostojewski 1873 mit dem finsteren Nikolai Stawrogin (Die Dämonen).
Weitere Abwandlungen des Archetyps finden sich in der angelsächsischen Literatur seit dem frühen 19. Jahrhundert. Jane Austen schuf mit Willoughby in Sense and Sensibility einen am Ende des Romans geläuterten Byronic Hero, der wieder in die Gesellschaft findet. Rochester in Jane Eyre von Charlotte Brontë wird erst schwer verletzt und erblindet und somit für den Verstoß gegen das Gesetz bestraft, bevor er schließlich doch sein Lebensglück finden darf. Eng mit dem Vorbild verbunden bleibt dagegen Emily Brontë in Wuthering Heights: der Protagonist Heathcliff erfüllt nahezu die vollständige Charakteristik und bleibt bis zum Ende in seiner Persönlichkeit gefangen.
Die Titelfigur in Nestroys Der Zerrissene wurde von Egon Friedell als Parodie auf den Byronismus interpretiert.[3]
Eine weitere Variante ist Margaret Mitchells Charakter Rhett Butler in Vom Winde verweht, hier versucht der Byronic Hero selbst, Einlass in die Gesellschaft zu finden, und gibt am Ende in eigenem Entschluss die Leidenschaft zu seiner Frau Scarlett auf. Stephen Dedalus in James Joyce’ A Portrait of the Artist as a Young Man ist ein weiteres berühmtes Beispiel aus dem frühen 20. Jahrhundert. Ein jüngeres Beispiel ist Ladislav Almásy in Michael Ondaatjes Roman Der englische Patient (1992).
Als erste Frau in der Byronic-Hero-Rolle gilt die Protagonistin des Romans Die Vegetarierin der koreanischen Autorin Han Kang, der 2007 in der Originalsprache erschien und 2016 ins Deutsche übersetzt wurde.[4]
In der modernen Unterhaltungsliteratur griff Anne Rice in ihrem Roman Interview with the Vampire in doppelter Weise auf die literarische Vorlage zurück: Zum einen trägt der Protagonist Louis viele Charakterzüge des Byronic Hero, zum anderen gehört das vorgestellte Bild des Vampirs in die Nachfolge von Polidoris Lord Ruthven, der wiederum Byron selbst widerspiegelt.[5]
Der Protagonist der US-amerikanischen Comic-Serie Batman basiert ebenfalls auf dem Byronic Hero, bedingt durch seine dunkle, unbewältigte Vergangenheit und die damit verbundene innere Zerrissenheit, sowie das zwiespältige Verhältnis zu seiner Stadt Gotham City, in der er ein Außenseiter bleibt.[6]
In der Harry-Potter-Serie folgt die Figur des Lehrers Severus Snape dem Schema.[7] Er hat eine bedrückende Vergangenheit: seine harte Kindheit, das Mobbing-Erlebnis als Jugendlicher und die Anhängerschaft Voldemorts. Ihn treiben keine höheren Ziele an, sondern persönliche Motive. Die Leidenschaft, die ihn dabei beherrscht und quält, ist die Liebe zu einer Frau. Als diese sich von ihm abwendet, schließt er sich Voldemort an. Infolgedessen wird er zum Überbringer einer Prophezeiung, die zum Tod jener Frau führt. Rache und Schuldgefühle sind das Motiv, sich Voldemorts Gegenspieler, Albus Dumbledore, anzuschließen. Er zeigt arroganten Stolz auf sein überlegenes Wissen über Zaubertränke und neigt zu taktlosen Zynismen und unkontrollierten Wutausbrüchen.
Varianten des Archetyps wurden oft in der Trivialliteratur für Frauen verwendet, so zum Beispiel in der amerikanischen „Harlequin-Romances“-Serie.
Mit der Figur des Christian Grey (Shades of Grey, 2011/12) hat E. L. James den Typ auch in die erotische Literatur eingeführt.[8][9]
Dr. House aus der gleichnamigen US-amerikanischen Fernsehserie ist eine aktuelle Variante des Byronic Hero.[10] Ein anderes Beispiel ist der zu misanthropischen Monologen neigende Rust Cohle aus der US-amerikanischen Fernsehserie True Detective.
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