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Mischung aus einem Artefakt und einem Lebewesen Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Der Begriff Biofakt besteht aus einer Verbindung der Wörter Bios (deutsch: Leben) und Artefakt und bezeichnet ein biotisches Artefakt.
Der Begriff wurde 2001 von der Philosophin und Biologin Nicole C. Karafyllis erstmals in die philosophische Diskussion eingeführt,[1] um zu verdeutlichen, dass auch Lebewesen durch Methoden der Agrar- und Biotechniken, wie Gentechnik oder Klonen in hohem Maße künstlich bzw. technisch sein können. Im Jahr 2003 erschien das Buch Biofakte,[2] auf das als Referenz der Einführung häufig Bezug genommen wird.
In erster Linie zielte die Einführung des Begriffs darauf ab, biotechnische Erzeugnisse nicht unhinterfragt unter Natur zu subsumieren und Natur mit Leben gleichzusetzen. Biofakte zeigen die Spuren von Kultur und Technik. Philosophisch stellt der Begriff in Frage, ob das Phänomen Wachstum als eindeutige Differenz der Natur zur Technik und Kunst zu sehen ist. Dies gilt sowohl für historische als auch gegenwärtige Betrachtungen über die Natur.
Für die Technikphilosophie stellt sich dadurch die Frage, ob erstens die Biotechnik und die Agrartechnik nicht ein integraler Bestandteil der technikphilosophischen Reflexion sein sollten (in Ergänzung zum etablierten Fokus auf die Maschine und das Artefakt), und zweitens, ob etablierte Technikbegriffe, die auf Künstlichkeit beruhen, zu modifizieren sind. Karafyllis sieht die Chance, nicht nur die Konstruktion als klassische Weise des Erzeugens von Artefakten, sondern auch die Provokation als Methode des Herstellens von Biofakten in eine Theorie der Technikwissenschaften zu integrieren.[3] Für die Naturphilosophie wird die Frage aufgeworfen, ob die Natur in jedem Falle selbstverständlich ist. Die Biophilosophie wird herausgefordert, sich ihrer eigenen Technomorphien in der Beschreibung und Konstruktion von Lebewesen zu vergewissern und den Begriff des Lebewesens von dem des Organismus zu unterscheiden.[4] Für die Wissenschaftsphilosophie und Wissenssoziologie ergibt sich die neu zu bedenkende Abgrenzung zum Begriff ‚Ding‘ als ein Konkretum und die Problematik der Exklusivität des Wissens (s. Experte) um eine technisierte Natur, die jenseits des Labors als selbstverständlich erscheint. Gerade über den Begriff der Erscheinung und des Selbst sind enge Anknüpfungspunkte zur Phänomenologie, Anthropologie und Ontologie gegeben. Auf die anthropologischen Auswirkungen der Einebnung der Differenz gemacht/geworden machte 2001 auch Jürgen Habermas aufmerksam.[5]
Artefakte sind künstliche, vom Menschen erschaffene Objekte, die nicht in der Natur vorgefunden wurden und im Gegensatz zum Biofakt tot sind. Die konstruierten Objekte fielen als Technik bislang in den Bereich der Gegenstände, während die Lebewesen zum Bereich der Natur gehörten. Biofakte markieren einen ontologischen Zwischenbereich. Sie sind, wie die Artefakte, im Hinblick auf einen Nutzen gemacht worden. Biofakte sind demgemäß biotische Artefakte, d. h., sie sind lebend und zeigen ihren Charakter als Hybride. Gleichwohl unterscheiden sie sich in ontischer Hinsicht von Hybriden dadurch, dass sie nicht mehr in einzelne Teile zerlegt bzw. differenziert werden können.[6]
Der Begriff ermöglicht auch eine kritische Auseinandersetzung mit dem Forschungsfeld der technoscience, in dem eine Verschmelzung der Grenzen von Wissen und technischem Machen postuliert wird.[7] Rezipiert wurde der Begriff auch in der Kunstrichtung der Bio Art, allerdings oft ohne das kritische Potential zu nutzen.
Künstlichkeit erreichen Lebewesen deshalb auch auf der theoretischen Ebene, wenn sie als Organismus in den Zusammenhang wissenschaftlicher Rekonstruktion von Entwicklungen gestellt werden (z. B. in der Archäologie, in der Evolutionstheorie) oder in der bildenden Kunst. Auch in der ethischen Debatte zur Synthetischen Biologie spielt das Biofakt-Konzept eine Rolle.[8][9]
Die erste nachgewiesene Nennung des Begriffs Biofakt, aber mit anderer argumentativer Stoßrichtung, findet sich laut Nicole C. Karafyllis bei dem Wiener Tierpräparator und Protozoologen Bruno M. Klein, in seinem Artikel „Biofakt und Artefakt“, abgedruckt 1943/1944 in der Mikroskopierzeitschrift Mikrokosmos. Klein unterscheidet darin tote Strukturen noch lebender Organismen, wie z. B. Kieselschalen der Kieselalgen, von Präparationsartefakten und Relikten von Organismen nach deren Tod. Für Klein war die Unterscheidung lebend/tot erkenntnisleitend, nicht die von Technik/Natur oder gemacht/geworden. Damit steht sein Begriff eher der vereinzelten Wortverwendung in der Archäologie nahe (s. u., ‚Mehrdeutigkeiten‘). Für Klein sind Biofakte solche, die sich aus ihrer lebendigen Substanz heraus selbst gestalten und Artefakte generieren können, um ihnen etwas „Fehlendes“ (etwa eine Schutzhülle) zu ersetzen. In einem Aufsatz von Klein aus dem Jahr 1943 wird der o. g. Aufsatz bereits angekündigt (mit dem früheren Erscheinungsjahr 1942/43), sodass man von einer Entstehung des Kleinschen Biofaktbegriffs im Jahr 1942 ausgehen kann.[10]
Nicht zu verwechseln ist ein Biofakt 1.) mit einem Fossil, einem Überbleibsel aus der (biologischen) Erdgeschichte, 2.) mit einem Artefakt, das durch nicht-menschliche Lebewesen hergestellt wurde (z. B. der Damm des Bibers), 3.) mit einem archäologischen Indikator, der durch potentielle Lebendigkeit gekennzeichnet ist (z. B. alte Pilzsporen oder Nahrungsmittelreste in Gräbern), 4. mit dem Konzept des Zombie, der als Untoter eine Zwischenexistenz fristet.
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