Loading AI tools
Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Die voluminöse Korrespondenz Voltaires, 21.222 veröffentlichte Briefe[2] von und an Voltaire, erstreckt sich über einen Zeitraum von fast 75 Jahren.[3] Zu den ca. 1.800 Adressaten[4] zählen Herrscher wie Friedrich der Große, die Zarin Katharina die Große und berühmte Aufklärer wie die Enzyklopädisten Diderot und d'Alembert.
Alle 21.222 Briefe der 51 Bände umfassenden Besterman-Printedition.[5] sind als kostenpflichtige Digitalisate bei Electronic Enlightenment (EE) abrufbar. Sie können nach diversen Kriterien durchsucht, kopiert und ausgedruckt werden.
Voltaire, der «philosophe des Lumières», schrieb seine Briefe in Prosa und in Versen selten eigenhändig. Meist diktierte er sie seinem Sekretär.[6] Einige Schreiben verfasste er auch in anderen Sprachen, auf Italienisch[7], Englisch[8], Latein[9] und Deutsch[10].
Die Fülle von Antwort- und Bittschreiben, die an ihn als Vorkämpfer der Vernunft[11] und Anwalt[12] der Entrechteten und Verfolgten gerichtet wurden, kosteten den Dichter-Philosophen ein kleines Vermögen, denn der Empfänger von Postsendungen hatte damals das Porto zu zahlen.[13] So schreibt Voltaire 1756 an D’Argental, er könne nicht der Don Quijote aller Geräderten und Gehenkten sein.[14]
Jahr für Jahr werden weitere Briefe von oder an Voltaire entdeckt.[15] Schon 1953 weissagte der Voltaire-Forscher René Pomeau:
« ... on publiera des lettres de Voltaire jusqu'au jugement dernier jugement... »
„... man wird Briefe von Voltaire bis zum Jüngsten Gericht veröffentlichen...“[16]
Vom 29. Dezember 1704 (Besterman D1)[17] bis zum 26. Mai 1778 (Besterman 21213)[18], also über 75 Jahre hinweg, bis vier Tage vor seinem Tode[19], pflegte Voltaire, der «philosophe des Lumières», zu dessen Ruhm in Frankreich das 18. Jahrhundert «le siècle de Voltaire» genannt wird, einen äußerst regen Schriftwechsel mit ca. 1.800 Korrespondenten.[20]
Hauptanliegen seines Schriftverkehrs war es, Mitstreiter für die Propagierung der Ideale der Aufklärung zu gewinnen, für die kritische Vernunft, für die Selbstbestimmung des Individuums, für freie Meinungsäußerung und für soziale Gerechtigkeit. Kampfgefährten zu finden, gegen das absolutistische Regime der Unterdrückung und Verfolgung Andersdenkender, gegen Zensur. Mit einem Slogan gesagt, Mitbrüder (frères) für die Kampagne gegen das Infame zu begeistern:[21]
« ... moi, j’écris pour agir. »
„... ich schreibe, um zu handeln.“
Schon zwanzig Jahre vor Kants Wahlspruch der Aufklärung: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ findet sich diese Maxime in Voltaires Schriften:
« Osez penser par vous-même ! »
„Habt den Mut, selber zu denken!“
Das Corpus der Korrespondenz Voltaires hat einen imposanten Umfang. Theodore Bestermans zweite, sogenannte definitive Ausgabe der Korrespondenz Voltaires enthält 21.222 Briefe, von denen mehr als 15.000 von Voltaire selbst stammen.[23] Diese „definitive“ Edition der Korrespondenz füllt 51 Bände[24] der 205-bändigen Referenzausgabe sämtlicher Werke Voltaires, der Œuvres complètes de Voltaire (OCV)[25], ediert von der Voltaire Foundation in Oxford (1968–2022).
„Wenn es eine häufige wiederholte Klage der Moliéristen ist, dass von der Hand des grossen französischen Komödiendichters nur wenige Autographen zurückgelassen sind, so möchte man in Hinblick auf die grosse Mase der uns erhaltenen Voltaireschen Briefe das entgegengesetzte Klagelied anstimmen!“
Voltaire war ein mit spitzer Feder schreibender engagierter Schriftsteller.[27] Wegen seiner subversiven Ideen geriet er in Konflikt mit der Obrigkeit. Um Verfolgung und Festnahme zu entgehen, verließ er Paris, das intellektuelle Zentrum Frankreichs und wählte das Exil: London, Holland, Preußen, Les Délices in Genf, Ferney waren die wichtigsten Stationen. Erst im Jahre seines Todes durfte er nach Paris zurückkehren.
Um seine physische Abwesenheit in Paris zu kompensieren, um den Kontakt mit den anderen Aufklärern aufrechtzuerhalten, blieb ihm nur das Mittel der Korrespondenz. Dies erklärt die ungeheure Fülle an Briefen aus dem Exil. Doch auch Briefe wurden zensiert. Voltaire beklagt sich darüber in einem Brief an die Marquise du Deffand vom 12. Januar 1759 (D 8040):
« Les lettres qui étaient autrefois la peinture du cœur, la consolation de l’absence, et le langage de la vérité , ne sont plus que de tristes et vains témoignages de la crainte qu’on a d’en trop dire, et de la contrainte de l’esprit. On tremble de laisser échapper un mot qui peut mal être interprété ; on ne peut plus penser par la poste. »
„Briefe, die einst das Gemälde des Herzens, der Trost der Abwesenheit und die Sprache der Wahrheit waren, sind jetzt nur noch traurige und eitle Zeugnisse unserer Angst, zu viel zu sagen, und des unfreien Geistes. Man zittert, dass einem ein Wort entgleitet, das missverstanden werden könnte; man kann nicht mehr auf dem Postwege [frei] denken.“
Der Direktor der Voltaire Foundation und Mitherausgeber der Œuvres complètes de Voltaire (OCV), der Vollständigen Werke Voltaires in 205 Bänden[29], Oxford (1968–2022), nennt Voltaire wegen seiner Furor scribendi, seiner Schreibwut, einen Graphomanen.[30]
Voltaire unterschreibt seine Briefe im Laufe seines Lebens eigenhändig und auf unterschiedliche Weise: Zozo, Arouet, A***, A...., Arouet de Voltaire, Voltaire, V. Selbstironisch, humorvoll variierend: le petit Suisse V., le solitaire de Ferney, frère François, capucin indigne ...
Ab 1760[33] beendet Voltaire Briefe, die er an seine „getreuesten Jünger“[34] wie D'Alembert und Damilaville richtet, immer häufiger mit dem Kampfruf «écrasez l’infâme», ausgeschrieben oder abgekürzt als « écr l'inf », « E. L. ».[35]
In seinem Brief an Damilaville vom 5. Februar 1765 liest man:
« Mon cher frère, écr l'inf. Je ne suis occupé que d'écr l'inf. C'est la consolation de mes derniers jours. Dites écr l'inf à tous ceux que vous rencontrerez.[36] »
„Mein lieber Bruder, écr l'inf. Ich bin nur mit écr l'inf beschäftigt. Das ist der Trost meiner letzten Tage. Sagen Sie écr l'inf zu allen, die Ihnen begegnen werden.“
Am Anfang und gegen Ende seiner Briefe finden sich oftmals (ironisch-)schmeichelhafte Devotionsformeln, captationes benevolentiae und genau auf den Adressaten zielende persönliche Anspielungen.[37]
In der Einleitung seiner definitive edition der Korrespondenz Voltaires berichtet Theodore Bestermann von Unrichtigkeiten in bisherigen Editionen:
„In the event, more then nine-tenths of the present edition being based on manuscripts, it has been found that that the standard Moland text[38] of 1880-1882 does not contain a single letter printed quite accurately, while half of it contains substantial defects.“
„Nun da mehr als neun Zehntel der vorliegenden Ausgabe auf Manuskripten beruhen, hat sich herausgestellt, dass der Moland-Standardtext von 1880–1882 nicht einen einzigen exakt gedruckten Brief enthält, und dass die Hälfte wesentliche Mängel aufweist.“[39]
Der Voltaire-Spezialist Christophe Paillard kritisiert in einem Aufsatz[40] die Editionsmethode Bestermans. Die englischen Kommentare zu jedem der veröffentlichten Brief seien zu minimalistisch und voller Ungenauigkeiten. Bei der zu schnellen Herausgabe seien Datumsangaben nicht sorgfältig genug mit den Originalmanuskripten abgeglichen worden.
Auch Electronic Enlightenment, die digitale Ausgabe der Korrespondenz Voltaires auf dem gebührenpflichtigen Server der Oxford University Press (OUP), enthalte viele Unzulänglichkeiten, insbesondere Druckfehler:
« Electronic Enlightenment présente quant à lui l'édition Besterman de la Correspondance ... à laquelle sa version électronique rajoute de nombreuses imperfections. Saisie pour des raisons de coût dans les pays exotiques par de petites mains ignorant tout de la langue française, elle n'est pas exempte d'imperfections. »
„Electronic Enlightenment enthält die Besterman-Ausgabe der Korrespondenz ... Diese elektronische Version fügt der Besterman-Edition noch weitere Fehler hinzu. Aus Kostengründen in exotischen Ländern von kleinen, der französischen Sprache unkundigen Händen abgetippt, ist diese digitale Version nicht frei von Mängeln.“
Nicholas Cronk, Direktor der Voltaire Foundation und Mitherausgeber der Œuvres complètes de Voltaire (OCV), betont die Bedeutung der materiellen Seite der Korrespondenz. In allen bisherigen Printausgaben sind die Briefe nur transkribiert. Es fehlen Faksimiles der Originalhandschriften, sowie handschriftliche Zusätze, Schlussformeln und Unterschriften Voltaires. Deshalb sei es wichtig, auch die Originalhandschriften zugänglich zu machen, was moderne Technologien heutzutage in Online-Publikationen leisten könnten.[42][3]
La République des lettres (die Republik der Briefe) nannte man im 18. Jahrhundert, im Zeitalter der Aufklärung, das Ideal eines freien geistigen Austausches via postalischer Korrespondenz, den Intellektuelle in Wirklichkeit allerdings nur unter obrigkeitsstaatlicher Zensur pflegen konnten. Zu Voltaires Korrespondenten gehörten Geistesgrößen wie d’Alembert, Diderot, Rousseau, Maupertuis, Buffon, Lessing, Goldoni und viele andere. Aus diesem Schriftwechsel versuchen Literaturhistoriker Informationen über die schriftstellerische Tätigkeit und die Entstehung der Werke Voltaires zu schöpfen.
Um der Verfolgung durch „infame“ Zensur zu entgehen, bestreitet Voltaire in manchen Briefen die Autorschaft seiner Werke, wie zum Beispiel die des Dictionnaire philosophique portatif, das er 1764 in Genf drucken ließ (1764)[43]:
« Dieu me préserve, mon cher frère, d'avoir la moindre part au Dictionnaire philosophique portatif ! J’en ai lu quelque chose ; cela sent terriblement le fagot. Mais puisque vous êtes curieux de ces ouvrages impies pour les réfuter, j’en chercherai quelques exemplaires, et je vous les enverrai par la première occasion. ... Je vous embrasse de tout mon cœur. Écr. l’inf… »
„Gott bewahre mich davor, mein lieber Bruder, auch nur den geringsten Anteil am Dictionnaire philosophique portatif zu haben! Ich habe etwas davon gelesen; es riecht fürchterlich nach Häresie. Aber da Sie, um sie zu widerlegen, neugierig auf gottlose Werke sind, werde ich nach einigen Exemplaren suchen und sie Ihnen bei der ersten Gelegenheit zusenden. ... Ich küsse Sie von ganzem Herzen. Écr. l’inf…“
Will man Biographisches aus seiner Korrespondenz erfahren, so gilt es aufzupassen, dass man nicht auf Voltaires Maskierungen hereinfällt. Man erfährt aus seinen Briefen nur das, was Voltaire preisgeben oder die Zensurbeamten glauben machen will.[45]
Voltaires schriftstellerisches Schaffen stellt Philologen wegen seines ungeheuren Umfangs, seiner zahlreichen Varianten und wiederholten Neufassungen vor schier unlösbare Probleme.[46] Der Dichter-Philosoph hinterließ mehr als 700 Werke. Einige Literaturhistoriker wie Deidre Dawson[47] vertreten die These, die voluminöse Korrespondenz Voltaires stelle ein eigenes Werk dar, eine Art Briefroman.[3] In einem Aufsatz hinterfragt der Voltaire-Forscher François Bessire diese These und kommt zu dem Schluss, dass es sich nicht um ein eigenständiges Werk im literaturwissenschaftlichen Sinne handle.[48] Voltaire selbst habe niemals vorgehabt, seine Brief zu veröffentlichen.[49] Die Hochstilisierung zusammengewürfelter Briefe zu einer Art Briefroman sei das Ergebnis jahrzehntelangen Bemühens der verschiedenen Editoren.
Beaumarchais und Condorcet, die Herausgeber der ersten postumen Gesamtausgabe von Voltaires Werken in 70 Bänden, nach dem Ort der Drucklegung Édition de Kehl (1784–1789) genannt, gaben Annoncen auf, um Originalbriefe von Voltaire zu sammeln. Sie veröffentlichten 4.500 Briefe, die 18 Bände füllten. So schreibt Nicholas Cronk, der Direktor der Voltaire Foundation:
« Beaumarchais et Condorcet ont pour ainsi dire ‘inventés’ la correspondance de Voltaire. Toutes les éditions qui ont suivi ont enrichi ce corpus initial, si bien que le nombre des lettres dont nous disposons aujourd'hui a plus que triplé depuis l'édition de Kehl, et aujourd'hui encore de nouvelles lettres ne cessent d'apparaître. »
„Beaumarchais und Condorcet haben Voltaires Korrespondenz sozusagen „erfunden“. Alle Folgeausgaben haben dieses Anfangskorpus so sehr bereichert, dass sich die Anzahl der Briefe seit der Kehler Ausgabe mehr als verdreifacht hat, und heute noch erscheinen ständig neue Briefe.“
Ein köstliches Beispiel für Voltaires polemisch-ironisierende Stilkunst ist sein Brief an Jean-Jacques Rousseau vom 30. August 1755, D 6451. Nach seiner Meinung vertrat Rousseau die anthropologische These vom im Naturzustand guten Menschen. Erst die Zivilisation habe ihn verdorben.[52]
Als Rousseau ihm sein neuestes Buch Discours sur l’origine et les fondements de l’ inégalité parmi les hommes zugesandt hatte, las Voltaire darin den Appell Zurück zur Natur!. Voltaire „bedankte“ sich daraufhin bei seinem Gegenspieler mit einem bitterbösen ironischen Brief:
« J'ai reçu, Monsieur,votre nouveau livre contre le genre humain; je vous en remercie. [...] On n'a jamais tant employé d'esprit pour nous rendre bêtes. Il prend envie de marcher à quatre pattes, quand on lit votre ouvrage. Cependant, comme il y a plus de soixante ans que j’en ai perdu l’habitude, je sens malheureusement qu’il m’est impossible de la reprendre. Et je laisse cette allure naturelle à ceux qui en sont plus dignes que vous et moi. ... »
„Ich habe, mein Herr, Ihr neues Buch gegen die menschliche Gattung erhalten; ich danke Ihnen dafür. […] Niemand hat es mit mehr Geist unternommen, uns zu Tieren zu machen. Wenn man ihr Werk liest, überkommt einen die Lust, auf allen Vieren zu laufen. Da es indes mehr als sechzig Jahre her ist, dass ich diese Gewohnheit abgelegt habe, so fühle ich, dass es mir leider unmöglich ist, sie wieder aufzunehmen. So überlasse ich diese natürliche Gangart den Leuten, die ihrer würdiger sind als Sie und ich.“[53]
Dem Briefwechsel mit bekannten Persönlichkeiten sind Teilausgaben gewidmet.
Über vier Jahrzehnte (1736 bis 1778) währte der Briefwechsel in französischer Sprache zwischen dem Dichter-Philosophen und dem preußischen Philosophen-König.
Im französischen Original:
In deutscher Übersetzung:
Von dem epistolaren Austausch zwischen Voltaire und dem Mathematiker und Enzyklopädisten Jean-Baptiste le Rond d’Alembert, dem Voltaire, um dessen wahre Identität vor Brief-Zensoren zu verbergen, den Decknamen Protagoras gab[56], liegen 529 Briefe in einer Online-Edition vor.[57]
Seamless Wikipedia browsing. On steroids.
Every time you click a link to Wikipedia, Wiktionary or Wikiquote in your browser's search results, it will show the modern Wikiwand interface.
Wikiwand extension is a five stars, simple, with minimum permission required to keep your browsing private, safe and transparent.