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Unfähigkeit des Körpers, sich an eine aufrechte Körperposition anzupassen Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Die orthostatische Dysregulation (altgriechisch ὀρθός orthos, deutsch ‚aufrecht‘ und στάσις stasis, deutsch ‚Stehen, Stand‘), auch Orthostase-Syndrom, umfasst Störungen des autonomen Nervensystems und des Herz-Kreislauf-Systems, bei denen als Leitsymptom aufrechte Körperpositionen wie Sitzen oder Stehen nur eingeschränkt oder gar nicht toleriert werden.
Klassifikation nach ICD-10-GM | |
---|---|
I95.1 | Orthostatische Hypotonie Inkl. Orthostatische Dysregulation |
G90.80 | Posturales Tachykardiesyndrom [PoTS] |
ICD-10 online (GM-Version 2024) |
Klassifikation nach ICD-11 | |
---|---|
BA21 | Orthostatische Hypotonie |
8D89.2 | Posturales orthostatisches Tachykardiesyndrom |
ICD-11: Englisch • Deutsch (Entwurf) |
Bei der orthostatischen Dysregulation liegt eine Fehlfunktion (Dysregulation) der Orthostase-Reaktion vor. Diese sorgt bei Gesunden dafür, dass das Herz-Kreislauf-System auch in aufrechter Körperposition alle Teile des Körpers mit ausreichend Blut versorgt. Durch die Fehlfunktion kommt es zu vielfältigen Symptomen wie Schwindel, Herzrasen, Sehstörungen, Übelkeit, Schwäche und Benommenheit, die zum Hinsetzen oder -legen zwingen, wodurch die Symptome teilweise oder vollständig nachlassen. Bei manchen Erkrankten tritt eine kurzzeitige Bewusstlosigkeit (Synkope) auf.
Die orthostatische Hypotonie und das posturale (orthostatische) Tachykardiesyndrom (POTS) sind eigenständige Erkrankungen. Eine orthostatische Dysregulation kann auch als orthostatische Intoleranz bei Long COVID bzw. dem Post-COVID-Syndrom und der Myalgischen Enzephalomyelitis / dem Chronischen Fatigue-Syndrom (ME/CFS) auftreten.
Eine orthostatische Dysregulation manifestiert sich als orthostatische Hypotonie (niedriger Blutdruck in aufrechter Körperposition), posturales Tachykardiesyndrom (Herzrasen in aufrechter Körperposition) oder Synkope (kurzzeitige Bewusstlosigkeit).[1] Symptome orthostatischer Dysregulation, die ohne orthostatische Tachykardie oder Hypotonie auftreten, werden allgemein als orthostatische Intoleranz bezeichnet.[2] Gleichzeitig wird orthostatische Intoleranz als Sammelbegriff für Symptome orthostatischer Dysregulation verwendet. Eine orthostatische Intoleranz kann in eine Präsynkope (Gefühl drohender Bewusstlosigkeit) oder Synkope übergehen.[3]
Die orthostatische Hypotonie kann orthostatische Intoleranz bewirken oder asymptomatisch sein.[4] Für die Diagnose des posturalen Tachykardiesyndroms sind Symptome in aufrechter Körperposition (Sitzen oder Stehen) ein notwendiges Kriterium.[5]
Die Symptome orthostatischer Dysregulation überschneiden sich bei den jeweiligen Manifestationen. Charakteristisch ist, dass die Symptome in aufrechter Körperposition auftreten oder zunehmen.[6][5] Bei einer Beteiligung des autonomen Nervensystems können unabhängig von der Körperposition weitere Symptome vorhanden sein, die viele Bereiche des Körpers betreffen.[7][8] Typischerweise sind die Symptome wechselhaft und morgens am stärksten ausgeprägt.[9][10][11] Äußere Faktoren wie warme Temperaturen und langes Stehen können die Symptome verstärken.[6][12]
Mögliche Symptome sind unter anderem:[8][5]
Die Symptome können mild ausgeprägt sein oder zu schweren Beeinträchtigungen und einer Behinderung führen.[13][9] Erkrankte verzeichnen häufig eine Einschränkung der Lebensqualität. Ein Teil der Betroffenen ist aufgrund der Schwere der Symptome arbeitsunfähig.[13] Schwer Betroffene können eine liegende Körperposition nicht verlassen, ohne starke Symptome zu empfinden.[14]
Zur Diagnose einer orthostatischen Dysregulation gehören eine Erhebung der Krankengeschichte (Anamnese), ein Stehtest, körperliche Untersuchungen, ein Elektrokardiogramm (EKG), Laboruntersuchungen und ggf. ergänzende Untersuchungen des autonomen Nervensystems.
Bei Verdacht auf eine orthostatische Dysregulation wird in einer ausführlichen Anamnese unter anderem nach Symptomen orthostatischer Intoleranz, autonomen Symptomen, vorhandenen Erkrankungen und der Einnahme von Medikamenten gefragt.[15][16] Ein Stehtest mit Blutdruck- und Herzschlagfrequenzmessung im Liegen und Stehen kann eine orthostatische Hypotonie und ein posturales Tachykardiesyndrom abbilden und bei entsprechender Symptomatik bereits eine Diagnose sichern. Durch reguläre Schwankungen der Symptome ist jedoch ein falsch-negatives Ergebnis möglich.[17] Daher wird bei bestehendem Verdacht und negativem Stehtest empfohlen, die Messungen an mehreren Tagen zu wiederholen und/oder durch eine Kipptischuntersuchung zu ergänzen.[18] Eine morgendliche Messung führt zu möglichst genauen Ergebnissen.[19] Mit körperlichen Untersuchungen, einem EKG und Laboruntersuchungen wird nach Ursachen und Begleiterkrankungen gesucht. Außerdem werden Differentialdiagnosen abgeklärt.[20][21][22]
Bei der orthostatischen Hypotonie werden im Rahmen der Diagnostik verschiedene Ausprägungen unterschieden.[23] Auch bei dem posturalen Tachykardiesyndrom werden Untergruppen beschrieben.[24] Empfehlungen sind hier bisher weniger eindeutig, da sich die Untergruppen überschneiden und die Klassifizierungen variieren.[25]
In der Anamnese abgefragte Symptome geben bei der orthostatischen Hypotonie einen Hinweis auf eine mögliche Störung des autonomen Nervensystems.[26] In diesem Fall kann eine autonome Funktionsdiagnostik folgen.[27] Bei dem posturalen Tachykardiesyndrom kann autonome Funktionsdiagnostik ebenfalls sinnvoll sein.[16] Sie wird zudem angeraten, wenn Symptome weiterhin unklar oder fortschreitend sind oder Patientinnen und Patienten nicht in der Lage sind, einen Stehtest durchzuführen.[28][16] Die Schwere autonomer Symptome kann mit der Composite-Autonomic-Symptome-Score(COMPASS)-31-Skala[29] erfasst werden.[30] Mögliche Untersuchungen umfassen die Messung von Herzfrequenzvariabilität und Blutdruck auf dem Kipptisch und unter Valsalva-Manöver, die Testung der Tiefatmung sowie der Schweißproduktion im Rahmen eines quantitativen sudomotorischen Axonreflex-Tests (QSART) und eine Hautbiopsie zum Nachweis einer Small-Fiber-Neuropathie.[28][31] Bei dem posturalen Tachykardiesyndrom werden manchmal im Liegen und Stehen Katecholamine und andere Hormone, die den Blutdruck und das Blutvolumen beeinflussen, bestimmt.[32]
Für eine orthostatische Intoleranz ohne Hypotonie oder Tachykardie gibt es bisher keine in der ärztlichen Praxis verfügbare Nachweismöglichkeit. Die Diagnose richtet sich nach der Beschreibung der Symptome.[33] Eine orthostatische Intoleranz zeigt sich als Symptomenkomplex bei Long COVID bzw. dem Post-COVID-Syndrom und der Myalgischen Enzephalomyelitis / dem Chronischen Fatigue-Syndrom (ME/CFS).[33][34] Als mögliche Biomarker werden Durchblutungsstörungen des Gehirns diskutiert.[35][36]
Formen der orthostatischen Dysregulation, die nach dem Aufrichten mit einem Blutdruckabfall einhergehen, werden als orthostatische Hypotonie oder orthostatische Hypotension bezeichnet.[4]
Die orthostatische Hypotonie ist definiert als deutlicher Blutdruckabfall innerhalb von drei Minuten nach dem Lagewechsel vom Liegen zum Stehen. Der systolische Blutdruck fällt um mehr als 20 mmHg oder auf einen Wert unter 90 mmHg absolut. Der diastolische Blutdruck fällt um mehr als 10 mmHg.[4]
Die orthostatische Hypotonie tritt überwiegend im höheren Lebensalter auf. Bei circa 20 % der über 65-Jährigen manifestiert sich eine orthostatische Hypotonie.[37]
Das posturale Tachykardiesyndrom (lateinisch posture, deutsch ‚die Körperhaltung betreffend‘), kurz POTS, wird auch als posturales orthostatisches Tachykardiesyndrom bezeichnet und zeichnet sich vor allem durch Herzrasen nach dem Aufrichten aus.[39]
Das posturale Tachykardiesyndrom ist definiert als:[40][41]
Das posturale Tachykardiesyndrom betrifft überwiegend jüngere Frauen. Die meisten Erkrankten sind zwischen 15 und 50 Jahre alt, 80 % sind weiblich.[39] Aussagekräftige Daten zur Häufigkeit der Erkrankung fehlen.[42] Schätzungen zufolge liegt die Prävalenz zwischen 0,1 und 1 %.[43] Pschyrembel gibt die Prävalenz des posturalen Tachykardiesyndroms mit circa 0,2 % an, das entspricht etwa 160.000 Erkrankten in Deutschland.[44]
Ein primäres (idiopathisches) posturales Tachykardiesyndrom kann nach einer viralen Infektion mit z. B. dem Epstein-Barr-Virus, Influenzaviren oder SARS-CoV-2 aber auch nach einer bakteriellen Infektion mit z. B. Mycoplasma pneumoniae oder Borrelia burgdorferi auftreten.[45][46][44] Ein sekundäres posturales Tachykardiesyndrom tritt im Rahmen anderer Erkrankungen auf.[44]
Das posturale Tachykardiesyndrom ist eine Störung des autonomen Nervensystems. Bei einem Teil der Erkrankten konnte ein Verlust von Nervenendigungen des sympathischen Nervensystems am Herzen (autonome kardiale Denervierung) nachgewiesen werden. Auch wurden erhöhte Noradrenalinwerte bei Noradrenalin-Transportdefekt oder das Auftreten von Acetylcholin-Rezeptor-Antikörpern bei einigen Betroffenen nachgewiesen.[39][47][48]
Beim posturalen Tachykardiesyndrom ist die periphere Vasokonstriktion insuffizient. Eine Störung des autonomen Nervensystems ist eine systemische Störung, die eine Vielzahl von unterschiedlichen Dysfunktionen auslöst. Diese Dysfunktionen sind ursächlich miteinander verbunden und beeinflussen sich wechselseitig. Das posturale Tachykardiesyndrom hat deshalb mehrere Symptome:
Das posturale Tachykardiesyndrom kann gemeinsam mit anderen Erkrankungen auftreten.[44] Bisher ist unklar, ob es sich dabei um Untergruppen mit eigenständigen Ursachen und Entstehungsmechanismen handelt.[40] In etwa der Hälfte der Fälle tritt das posturale Tachykardiesyndrom gemeinsam mit einer Small-Fiber-Neuropathie auf.[49] Weitere häufige Begleiterkrankungen sind unter anderem Migräne, das Ehlers-Danlos-Syndrom, die Myalgische Enzephalomyelitis / das Chronische Fatigue-Syndrom (ME/CFS), das Mastzellaktivierungssyndrom und Fibromyalgie.[50] Das posturale Tachykardiesyndrom kann außerdem eine Manifestation von Long COVID bzw. des Post-COVID-Syndroms sein.[51]
Regelmäßig wird fälschlicherweise eine Angststörung diagnostiziert, da sich die Symptome teilweise überschneiden.[52] Einige Betroffene haben zusätzlich eine inadäquate Sinustachykardie (Herzrasen in Ruhe).[53] Bei der inadäquaten Sinustachykardie handelt es sich zudem um eine wichtige Differentialdiagnose.[40] Auch andere Ursachen, die zu orthostatischer Tachykardie führen können, müssen im Rahmen der Diagnostik ausgeschlossen werden. Beispiele dafür sind eine akute Hypovolämie, Anämie, endokrinologische Erkrankungen wie z. B. die Nebennierenrindeninsuffizienz, Dekonditionierung oder Medikamentennebenwirkungen.[40]
Die Prognose des posturalen Tachykardiesyndroms ist schlecht beschrieben.[43] In einer Studie gaben 80 % von 40 Erkrankten mindestens 18 Monate nach der initialen Untersuchung eine deutliche Besserung der orthostatischen Beschwerden an.[39] Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie verweist auf eine Studie mit einer Spontanremissionsrate von 50 % bei jungen Erwachsenen in den ersten drei Jahren.[54] Einer gemeinsamen Stellungnahme von Fachleuten der National Institutes of Health (NIH) ist hingegen zu entnehmen, dass zwar eine Gruppe der Betroffenen einen deutlichen Rückgang der Symptome verzeichnet, ein Großteil jedoch einen chronischen Verlauf mit wiederkehrenden Zustandsverschlechterungen beschreibt.[42] Eine Symptomverbesserung unter Behandlungsmaßnahmen wird beobachtet.[43]
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