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übermäßige Schweißproduktion Aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Als Hyperhidrose oder lateinisch Hyperhidrosis, von altgriechisch ὑπέρ (hypér) „noch mehr, über, über … hinaus“ und ἱδρώς (hidrós) „Schweiß“,[1] wird eine übermäßige Schweißproduktion bezeichnet, die generalisiert oder lokal auftreten kann. Das Gegenteil ist eine Hypohidrose bzw. Anhidrose.
Klassifikation nach ICD-10 | |
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R61.- | Hyperhidrose |
R61.0 | Hyperhidrose, umschrieben |
R61.1 | Hyperhidrose, generalisiert |
R61.9 | Hyperhidrose, nicht näher bezeichnet
|
ICD-10 online (WHO-Version 2019) |
Schwitzen stellt eine lebenswichtige Funktion für den Organismus des Menschen dar. Es dient der Regulation der Körpertemperatur und kühlt nicht nur die Haut, sondern auch das Innere des Körpers ab. Ca. 1–2 % der Menschen in Deutschland leiden unter der Krankheit Hyperhidrose, bei der der Körper unabhängig von Wärme oder Kälte, Tages- oder Jahreszeit übermäßig und häufig unkontrollierbar viel Schweiß produziert.
Was übermäßigen Schweiß darstellt, ist seitens der Betroffenen vom Leidensausmaß abhängig und damit der subjektiven Einschätzung unterworfen. Für wissenschaftliche Zwecke wird als Hyperhidrose die Produktion von 100 mg Schweiß innerhalb von fünf Minuten in einer Achselhöhle definiert.[2]
Örtlich begrenzt tritt die Hyperhidrose zu 60 % an den Handflächen (Schweißhände) oder Fußsohlen (Schweißfüße), zu 40 % in den Achselhöhlen (Achselnässe), zu 10 % am Kopf (vornehmlich der Stirn) und selten an anderen Körperstellen auf.
Es wird die primäre, d. h. angeborene Hyperhidrosis von der sekundären Form, welche Folge einer Krankheit ist, abgegrenzt. Eine Unterscheidung wird auf dem Boden der Anamnese getroffen. Typisch für eine primäre Form[2] ist:
Eine Sonderform der Hyperhidrose ist die Bromhidrose oder Bromhidrosis, bei der der vermehrt produzierte Schweiß die Hornschicht der Haut ständig durchfeuchtet und die Vermehrung der ortsständigen Keimflora begünstigt, wodurch ein übelriechender Schweiß entsteht.
Orientierend kann die Hyperhidrose semiquantitiv am Ausmaß der Schweißbildung an Hand- und Fußflächen (H) sowie Achseln (A) in drei Schweregrade[2] eingeteilt werden:
Schweregrad | Symptome |
---|---|
I – leichte Hyperhidrose | A + H: deutlich vermehrte Hautfeuchtigkeit A: Schwitzflecke mit 5–10 cm Durchmesser |
II – mäßig starke Hyperhidrose | A + H: Bildung von Schweißperlen A: Schwitzflecke mit 10–20 cm Durchmesser H: Schwitzen auf Handflächen oder Fußsohlen begrenzt |
III – starke Hyperhidrose | A + H: Schweiß tropft ab A: Schwitzflecke mit mehr als 20 cm Durchmesser H: Schwitzen auch an Rückseiten der Finger und Zehen sowie am seitlichen Rand von Hand und Fuß |
Die Ursache örtlich begrenzter Schweißneigung ist noch nicht näher erforscht und unbekannt.
Eine Ausnahme bildet die örtlich begrenzte Schweißbildung aufgrund gustatorischer Reize beim Frey-Syndrom (Łucja Frey-Gottesman, Neurologin, 1889–1942, Lemberg), das aufgrund einer Fehlfunktion des Nervus auriculotemporalis zustande kommt.
Eine gesteigerte generelle Schweißproduktion kann verschiedene Ursachen haben. Auslöser einer generalisierten Hyperhidrose ohne eigenen Krankheitswert können körperliche Anstrengung und das Schwitzen während des Abfieberns sein – beide im Sinne der Regulation der Körpertemperatur (Thermoregulation). Die bei Körperarbeit entstehende Wärme wird durch eine Erhöhung der Schweißproduktion abgeführt, beim Abfiebern entspricht die aktuelle Körperkerntemperatur (noch) nicht dem geforderten Sollwert, so dass auch hier die überschüssige Wärme an die Außenwelt abgegeben werden muss.
Mögliche Gründe für ein generalisiertes übermäßiges Schwitzen sind:
Als nächtliche Hyperhidrosis (Nachtschweiß) wird übermäßiges Schwitzen während des Schlafes bezeichnet, das als mögliches Zeichen einer systemischen Erkrankung wie einer Kollagenose, eines Lymphoms oder einer Tuberkulose ernst genommen werden sollte. Aber auch hier gilt, dass es schwierig ist, zwischen einem Schwitzen ohne und mit Krankheitswert zu unterscheiden. Als ein recht zuverlässiges Kriterium hierfür gilt, ob der Schlaf in seiner Qualität deutlich beeinträchtigt wird und man z. B. in der Nacht aufstehen muss, um Wäsche oder gar Bettlaken zu wechseln.
Hyperhidrose kann eine Trichomycosis palmellina zur Folge haben, die Besiedelung der Sekundärbehaarung durch saprophytäre Corynebacterien.
Im Rahmen der Diagnostik stehen mehrere qualitative und quantitative Test-Methoden, die vornehmlich Ausmaß und Lokalisation der Hyperhidrose ermitteln, zur Verfügung. Während qualitative Testmethoden die Stellen nachweisen, an denen eine verstärkte Schweißproduktion auftritt, kann durch quantitative Messverfahren die Schweißmenge pro Zeitintervall festgestellt werden. Diese objektiven Testverfahren helfen dem behandelnden Arzt – zusammen mit einer eingehenden Anamnese (neben dem subjektiven Empfinden auch die Familienanamnese) – den Grad der Hyperhidrose zu ermitteln sowie geeignete Therapien auszuwählen.[2]
Differentialdiagnostik: Psychosomatik, Medikation (zum Beispiel Cholinesterase-Hemmer, Antidepressiva wie Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer und trizyklische Antidepressiva, Opioide, Tramadol).
Es gibt eine Vielzahl von Behandlungsmöglichkeiten. Von der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft wird ein stufenweises Vorgehen in Abhängigkeit vom Ausmaß der Erkrankung empfohlen:[2]
Die Leitungswasseriontophorese ist eine Gleichstromtherapie ohne Einsatz von Wirkstoffen oder Medikamenten. Hierzu werden die Hände oder Füße in zwei Wannen mit Wasser gelegt. In jeder Wanne ist ein elektrischer Leiter. Die Hände bzw. Füße sind der elektrische Leiter, der den Stromkreis schließt. Der Strom wird individuell so justiert, dass dieser als Kribbeln spürbar, aber weder unangenehm noch schmerzhaft ist. Die Wirkungsursache der Iontophorese wurde bis heute nicht abschließend erklärt, die Schweißdrüsen werden in jedem Falle nicht geschädigt. Gesichert dagegen ist die Wirkung: bei über 80 % der Anwender kann die Schweißneigung signifikant reduziert werden.[8] Neben den Händen und Füßen lassen sich auch die Achseln unter Verwendung von Schwammtaschen behandeln.
Botulinumtoxin (Botox): Das Gift von Clostridium botulinum, das stärkste bekannte Toxin, wird in extremer Verdünnung intracutan (in die Haut) gespritzt und scheint bei der lokalisierten (axillären und palmaren) Hyperhidrose wirksam zu sein. Es hemmt die Freisetzung von Acetylcholin und damit die Schweißproduktion der cholinerg innervierten Schweißdrüsen. Die Wirkungsdauer ist von Mensch zu Mensch verschieden. Die Wirkung kann bereits nach einem halben Jahr spürbar nachlassen. Der IGeL-Monitor des MDS (Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen) bewertet diese Selbstzahlerleistung als „unklar“. Die systematische Recherche der wissenschaftlichen Literatur ergebe zwar Hinweise auf einen Nutzen, aber auch Hinweise auf Schäden: Vermutlich erhöhe Botox die Lebensqualität und vermindere die Schweißproduktion, laut den Herstellerangaben seien jedoch etliche Nebenwirkungen möglich. Bei sachgemäßer Anwendung sei das Botulinumtoxin nicht giftig.[9] Botulinumtoxin ist nur bei primärer axiliärer Hyperhidrose zugelassen; der Einsatz an anderen Stellen, wie an Händen, Füßen und Stirn, stellt einen sogenannten Off-Label-Use dar.[2]
Die Behandlung mit Mikrowellen wird erst seit kurzem an Patienten mit Hyperhidrose in der Achselregion durchgeführt. Die aktuelle Studienlage gibt leider keine schlüssige Auskunft über die langfristige Wirksamkeit und Sicherheit dieser Behandlungsform.[11][12]
Die Mikrowellentherapie wird mit einem eigens entwickelten Gerät durchgeführt, das die medizinischen Behandler in der Hand halten und dann über Markierungen in der Achsel führen. Ein entsprechendes Gerät hat 2011 die FDA-Zulassung erhalten.[13] Die Energie der Mikrowellen soll dabei ganz punktuell Schweißdrüsen in der Achselregion durch Hitze zerstören – während das Gewebe rundherum unversehrt bleibt. Meistens gibt es zwei Sitzungen von jeweils 20 bis 30 Minuten im Abstand von etwa drei Monaten. Am Anfang einer Sitzung erhält das zu behandelnde Areal eine Betäubung.[12]
Eine doppelt verblindete, randomisierte Studie aus dem Jahr 2012 mit 120 Teilnehmern hat gezeigt, dass mehr Patienten nach Mikrowellentherapie entweder das Schwitzen nicht mehr bemerkten oder erträglich fanden.[14] Direkte Messungen der Schweißproduktion durch medizinisches Personal konnten diesen von den Betroffenen empfundenen Unterschied allerdings nicht belegen. Nach sechs Monaten hatten 63 Prozent der Personen in der Mikrowellentherapie-Gruppe eine um die Hälfte geringeren Schweißproduktion, verglichen mit 59 Prozent nach Scheinintervention. Der Unterschied war nicht statistisch signifikant. Da nur diese eine Studie mit wenigen Teilnehmenden vorliegt, ist die Stärke der Evidenz für die vorliegenden Ergebnisse niedrig.[11]
Eine sekundäre Hyperhidrosis kann durch Adipositas bedingt sein, so dass Gewichtsreduktion helfen kann.
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