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Im Zweiten Weltkrieg erlebte Merseburg 1944 und 1945 insgesamt 23 Luftangriffe. Oft war die Stadt von Angriffen auf die benachbarten Leunawerke mit betroffen, mehrmals aber das Hauptziel. Die meisten Angriffe flogen die United States Army Air Forces, immer zur Tageszeit. Das britische RAF Bomber Command beteiligte sich am 6. Dezember 1944 mit einem Nachtangriff, der auf einen amerikanischen Tagesangriff folgte („Doppelschlag“). Insgesamt wurden durch die beteiligten Bomberverbände in weniger als 24 Stunden 6.300 Sprengbomben, 125 Minenbomben, 3.000 Stabbrandbomben und 300 Phosphorbomben abgeworfen. 9.800 Gebäude wurden zerstört oder beschädigt, nur 20 % bleiben unbeschädigt, es gab mindestens 587 Tote und 700 Verletzte.
Die Region Merseburg / Leuna / Schkopau / Lützkendorf, ein Schwerpunkt der chemischen Industrie im Deutschen Reich, war vom Mitteldeutschen Flakgürtel umgeben, der nach Beginn der „Öl-Offensive“ der angloamerikanischen Luftstreitkräfte am 12. Mai 1944 noch erheblich verstärkt wurde. Neben den etwa 500 schweren Flakgeschützen am Boden (Kaliber 8,8 cm, 10,5 cm und 12,8 cm) gab es drei Eisenbahnflakzüge mit 24 Geschützen (Kaliber 12,8 cm). Die Bomberbesatzungen sprachen von der „Flak-Hölle Merseburg“. 123 schwere viermotorige Bomber wurden in der Region abgeschossen.
In Merseburg gab es (öffentliche) Luftschutzbunker unter dem Petri-Kloster, unter dem Ostflügel des Schlosses, in der Krypta des Domes, in den Kellern der Engelhardt-Brauerei, unter der Oberen Burgstraße, im „Tiefen Keller“, unter den Höfen der Schulen, am Stadtkrankenhaus. Luftschutzstollen befanden sich am Schulplatz, am Krankenhaus, am Fliegerhorst, im Schlossgarten, am Stadtpark, im Wilmowsky-Garten, am Scheitplatz, unter dem Altenburger Friedhof (Eingang im Hang an der Gartenkolonie), an der Neumarktkirche (Neumarktstollen), mit Eingängen beidseits neben den Domstufen.[1][2]
1944 erfolgte eine teilweise Evakuierung der abkömmlichen Bevölkerung aus dem stark bombengefährdeten Merseburg (1939: 37.000 Einwohner). So wurden Kleinkinder mit Müttern und Schüler besonders im Landkreis Sangerhausen untergebracht, ganze Schulklassen in Stolberg (Harz). Die älteren Schüler-Jahrgänge wurden zur Flak eingezogen.
Alle Luftangriffe ab Mai 1944 bis Januar 1945 wurden durch schwere viermotorige Bomber von Südengland aus geflogen. Die 8th Air Force der USAAF setzte für ihre Tagesangriffe (nach Sicht) dabei ganz überwiegend B-17 „Flying Fortress“, aber auch B-24 „Liberator“ ein, das Bomber Command der RAF für seine radargeführten Nachtangriffe die Avro Lancasters. Der amerikanische Begleitschutz bestand aus Hunderten von Langstreckenjägern der Typen Lockheed P-38 „Lightning“, Republic P-47 „Thunderbolt“ und North American P-51 „Mustang“, die auch als Tiefflieger / Jagdbomber tätig wurden, besonders in der ersten April-Hälfte 1945.
Erste britische Angriffe, mit geringen Sachschäden und ohne Opfer, hatten bereits in den Nächten vom 28./29. August 1940 und vom 8./9. Juli 1941 stattgefunden. Beim RAF Bomber Command hatte das Ziel Merseburg den Codenamen „Sailfish“ (engl. für Fächerfisch).[3] Der Stellvertreter von Arthur Harris, Oberbefehlshaber des Bomber Command, war Air Vice-Marshal Robert Saundby, der als begeisterter Angler alle in Auswahl kommenden deutschen Städte mit einem Fish code versah.[4]
Ein Teil der Bombenangriffe auf die Stadt Merseburg war wohl auf Einsätze gegen die Leunawerke und andere Chemiebetriebe in der Region zurückzuführen. Doch ist von der Strategie und der Verteilung der Bombentreffer her abzuleiten, dass die Angriffe von Oktober bis (besonders) Dezember 1944 der Stadt selber gegolten haben.
Die folgenden Angaben stammen überwiegend aus der unten angeführten Publikation von Rehmann, aber auch aus der Dokumentation von Pabst und dem Tagebuch und Dokumentation von Karl Gutbier.
11.40 – 12.45 Uhr: Hunderte amerikanische B-17 „Flying Fortress“ warfen von 11.40 bis 12.45 Uhr etwa 1.000 Sprengbomben auf die Stadt.
In die andauernden Rettungs-, Bergungs- und Löscharbeiten hinein erfolgte dann von 20.25 – 21.25 Uhr der Angriff durch 475 Lancaster-Bomber und 12 Mosquitos der Royal Air Force. Die Navigation erfolgte mit dem radargestützten H2S-System und nach Zielmarkierung mit „Christbäumen“ und Leuchtbomben. Abgeworfen wurden 2.242 Tonnen Bombenlast: 100 Minenbomben zum Aufreißen der Dächer, 800 Sprengbomben, 300 Phosphorbomben und 3.000 Stabbrandbomben. Die Bombeneinschläge verteilten sich über das gesamte Stadtgebiet, die Merseburger „Altstadt brannte lichterloh“. Die Löscharbeiten waren durch die Zerstörung auch der Wassersammelleitung erheblich behindert. Nach den Angriffen lagen Wohngebiete und viele öffentliche Gebäude in Schutt und Trümmern: so das Neue Rathaus, das Kaufhaus Dobkowitz, die Oberschule für Jungen in der Abbe-Straße, die Lessing-Schule, die Pestalozzi-Schule und die Windberg-Schule, die Risch-Mühle und das Stadt-Café, die Wohnsiedlung der Gagfah („Bild des Grauens“). „Die Stadt war danach fast ganz zerstört“ (Bachmann, Kreisführer der Feuerwehr Merseburg)[6] Der Angriff entsprach der britischen Area Bombing Directive für die Flächenangriffe auf deutsche Städte.
Die beiden Angriffe zusammen forderten 69 Tote (Gutbier, Tabelle S. 30), 81 Tote (Pabst), 112 Tote (Rehmann) bzw. 128 Tote (Merseburger Zeitung, zit. nach Gutbier, S. 21). Erst am 9. Dezember gab es wieder Strom, aber noch kein Wasser oder Gas. „Der 6. Dezember 1944 dürfte wohl zu den schrecklichsten Tagen gehören, die Merseburg je erlebt hat“ (Karl Gutbier, Lehrer, Heimatforscher, Zeitzeuge).[7]
April 1945: zahlreiche Einsätze von Jagdbombern.
Am 13., 14. und 15. April 1945 gab es schwere Kämpfe in und um Merseburg, am 15. April besetzte die US-Armee die Stadt.
Nach Gutbier wurden insgesamt bis zum 14. Januar 1945 9.769 Bomben auf Merseburg geworfen: 6.289 Sprengbomben, 125 Minenbomben, 300 Phosphorbomben, 3.050 Stabbrandbomben und 5 Leuchtbomben. Bis einschließlich zu dem Tagesangriff am 6. Dezember 1944 waren nur Sprengbomben eingesetzt worden.[9] Rehmann kommt auf 5.700 Bomben (ohne Blindgänger und die Brandbomben offenbar nicht mitgezählt) bis Jahresende 1944. Dazu kamen dann noch der Angriff vom 14. Januar 1945 und die Abwürfe der US-Jagdbomber im April.
Die Kreisbauernschaft Merseburg stellte fest, dass auf ihre Flur 26.000 Bomben gefallen waren.[10]
Nach Rehmann hatten bis zum Jahresende 1944 (der 14. Januar 1945 und die späteren Jabo-Attacke nicht mitgerechnet) 19 Luftangriffe „die Stadt Merseburg zu großen Teilen zerstört“. 15 % der Gebäude wurden total vernichtet, 35 % erlitten schwere und 30 % leichte Schäden. Danach blieben nur 20 % der Gebäude unbeschädigt. Dann folgten noch der Luftangriff vom 14. Januar 1945, die Jagdbomberangriffe im April und die Kämpfe in der Stadt vom 13. bis 15. April 1945. Nach Gutbier wurden zerstört oder beschädigt: 9.621 Wohngebäude, 67 Öffentliche Gebäude und 65 Wirtschaftsgebäude.[11] Der Bahnhof Merseburg wurde zerstört (1956 Neubau). Auch kirchliche und profane Kulturbauten waren erheblich betroffen. Alle Merseburger Saale-Brücken wurden bei den Luftangriffen zerstört.
Diese – unvollständigen – Angaben beruhen auf der Darstellung von Renate Kroll in „Schicksale deutscher Baudenkmale im Zweiten Weltkrieg“[12]
„Die Stadt erlitt im Krieg schwere Zerstörungen bei 23 Luftangriffen … die Altstadt (wurde) besonders durch den Angriff am 6. Dezember 1944 verheert“.
Etwa 30 Aquarelle mit Bildern der zerstörten Stadt von Franz Wagner findet man als Anhang in dem unten angeführten Buch von Karl Gutbier.
Die Addition der Opfer aus den einzelnen Angriffen in der Publikation von Rehmann ergibt 833 Tote, obwohl er nicht alle Angriffe aufgezählt hat, sondern nur acht schwere. Möglicherweise trifft die von ihm genannte Opferzahl von 301 allein für den 12. Mai 1944 nicht zu.[13] Nach Pabst ergeben sich 587 Tote, obwohl er nur 14 Angriffe zugrunde legt, nach Gutbier 540 Tote. Gutbier schränkt bei dieser Zahl jedoch ein, es könnten noch nicht alle Opfer enthalten sein, da die Zahlen schon kurz nach den Angriffen gemeldet wurden. Trotz dieser Einschränkung legt die Stadt Merseburg bei ihren Gedenkfeiern eine Totenzahl von 540 zugrunde.[14] Addiert man die jeweils höchsten Todeszahlen der verschiedenen Autoren für die einzelnen Angriffe, so kommt man auf 1.000 Tote. Dazu kamen nach Pabst 322 Schwer- und 311 leichter Verletzte[15], nach Gutbier 704 Verletzte. 13.500 Merseburger wurden obdachlos (Gutbier).
Die meisten Bomben-Toten wurden im Südteil des Stadtfriedhofs St. Maximi (Abt.V) in Massengräbern beigesetzt. Neben der Grabanlage mit inzwischen unlesbaren flach im Rasen liegenden Namenssteinen wurde eine Gedenkstätte gestaltet: Inschrift des zentralen Gedenksteins: „Den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft“. Auf einer der sieben umgebenden Steinplatten mit insgesamt 400 Namen steht, dass es sich um „Kriegs- und Bombenopfer 1940–1945 in Merseburg“ handelt. Ein Gedenkstein (Findling) auf der anderen Seite der Gräberfelder zeigt den Schriftzug „Die Toten mahnen“. Die Republik Italien setzte ihren – bei den Luftangriffen getöteten – Militärinternierten ein Denkmal mit italienischer und deutscher Inschrift: „Zum steten Gedenken an ihre Gefallenen“, deren Gebeine exhumiert und in die Heimat übergeführt wurden.
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